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Die Allmacht der Militärs in Afrika

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Afrika will nicht zur Ruhe kommen: Bürgerkriege, Befreiungskämpfe, zwischenstaatliche Konflikte, Putschversuche. Und überall haben die Militärs ihre Finger mit im Spiel. Grund genug, die Rolle der Soldaten auf diesem Kontinent einmal genauer zu untersuchen.

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Afrika will nicht zur Ruhe kommen: Bürgerkriege, Befreiungskämpfe, zwischenstaatliche Konflikte, Putschversuche. Und überall haben die Militärs ihre Finger mit im Spiel. Grund genug, die Rolle der Soldaten auf diesem Kontinent einmal genauer zu untersuchen.

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Es ist kein Geheimnis, daß die meisten afrikanischen Nationen mit einer Vielzahl politischer, wirtschaftlicher und sozialer Probleme zu kämpfen haben. Das macht die gegenwärtige Situation auf diesem Kontinent noch unsicherer, als sie es zur Zeit der Unabhängigkeit vor zwanzig Jahren war.

Die Berichte über die verheerenden Folgen, die sich durch die Ausbreitung der Wüste in der Sahelzone ergeben, reißen nicht ab. Mittlerweile sind in diesem Raum 30 Millionen Menschen gefährdet. Ein anderer Dauerbrenner in der Berichterstattung über Afrika ist die Mißwirtschaft, die vielerorts auf diesem Kontinent so kraß betrieben wird.

Aber trotz der Größenordnung solcher Probleme: Die jüngsten Schlagzeilen in der Weltpresse — Afrika betreffend — setzten sich mit einer ganz anderen Thematik auseinander: mit den so zahlreichen bewaffneten Konflikten und Coups der Militärs.

Erst jüngst schlug die Nachricht von einem Putschversuch in Kenia wie eine Bombe ein, galt dieses Land doch als eines der stabilsten in Afrika überhaupt. 145 Menschen starben während der Kampfhandlungen, die darüber hinaus einen 125-Millionen-Dol-lar-Schaden verursachten.

Im August scheiterte ein Putschversuch auf den Seychellen und erst unlängst gab es Berichte aus Uganda, wonach Pläne für einen neuerlichen militärischen Umsturz aufgedeckt worden sind.

In diesem Sommer schlugen auch die südafrikanischen Streitkräfte in Angola erneut zu und der Konflikt um den Ogaden zwischen Äthiopien und Somalia hat sich wieder gefährlich zugespitzt. Ein Ende des Befreiungskampfes in Eritrea (Äthiopien) ist nicht abzusehen, ebensowenig wie eine friedliche Lösung im Wüstenkrieg der Saharauis gegen die Marokkaner in der ehemaligen spanischen Westsahara.

Tatsächlich scheinen die militärischen Auseinandersetzungen in Afrika so alltäglich geworden zu sein, daß die meisten Beobachter dazu tendieren, bis auf die dramatischsten Ereignisse alles andere zu ignorieren. So wurde denn auch nur spärlich davon Notiz genommen, daß die diesjährige Konferenz der Organisation für afrikanische Einheit (siehe Stichwort, S. 2) in Tripolis an den Meinungsverschiedenheiten über die Mitgliedschaft der Befreiungsbewegungen POLISARIO und über den turnusmäßigen Vorsitzenden Muamar al Gaddafi scheiterte.

Trotz der Tatsache, daß Millionen von Menschen auf dem Schwarzen Kontinent ständig hungern und den vielschichtigen Problemen, die sich im Zusammenhang damit ergeben, die unterentwickelten Länder in eine konstruktive Beziehung mit der übrigen Welt zu bringen: Es ist das Militär, das in Afrika jeweils einen Löwenanteil der Staatsausgaben einstreicht.

Uber 14 Milliarden Dollar werden jedes Jahr in Afrika ausgegeben, um sich für den Krieg vorzubereiten beziehungsweise um Krieg zu führen. Zumindest drei Millionen Mann stehen auf dem ganzen Kontinent ständig unter Waffen.

Dies hat dazu geführt, daß die Macht der Militärs in den afrikanischen Staaten eine überragende

Bedeutung angenommen hat. Die Militärs sind zu einer Art neuen Klasse herangewachsen — eine Klasse, die fast überall in Afrika an den Schalthebeln der Macht sitzt.

Und der Einfluß dieser allmächtigen Klasse, ebenso wie die Prioritäten, die sie setzt, sind Ursache für viele der Verwüstungen, unter denen Afrika in den letzten zwanzig Jahren so entsetzlich gelitten hat; die außerdem dazu geführt haben, daß sich Millionen von Menschen auf der Flucht befinden und wenigstens drei Millionen Afrikaner ihr Leben lassen mußten.

Was man aber nicht übersehen darf, ist, daß das stetige Größerwerden des militärischen Faktors in Afrika zu einem beträchtlichen Teil mit dem kolonialen Erbe zu tun hat: einerseits darum, weil viele Länder ihre Unabhängigkeit nur durch den bewaffneten Kampf gegen die Kolonialstaaten erreichen konnten. Militärische Stärke war eines der ersten politischen Vokabeln, das die neuen Nationen auf ihre Fahnen schrieben und mit dem sie etwas anzufangen wußten.

Ein blutiger Anfang

Da ist noch eine andere Sache, die wichtige Konsequenzen für den Zustand des heutigen Afrika hat: Ehe die Kolonialherren den Kontinent verließen, setzten sie sich vor eine große Landkarte und zogen eine Vielzahl von Linien, die die Grenzen der neuen Nationen markierten. Das Problem dabei war, daß sie wenig oder gar keine Rücksicht auf die Stammesbeziehungen beziehungsweise auf die traditionellen Stammesterritorien genommen hatten.

Die Folge war eine Aufspaltung vieler Stämme durch die neuen Grenzen. Sie mußten nunmehr getrennt in verschiedenen Staaten leben. Für die jungen Staaten brachte das nicht nur die Schwierigkeit mit sich, nur schwerlich einen vernünftigen Nationalismus formen, prägen zu können. Die Stammes-Auf Spaltungen verursachten auch augenblicklich territoriale Dispute und schließlich bewaffnete Auseinandersetzungen.

Das Ergebnis war Afrikas blutiger Anfang seiner Unabhängigkeit: sieben Jahre Bürgerkrieg im Kongo mit über 100.000 Toten; 17 Jahre Bürgerkrieg im Sudan mit einer halben Million Opfern; mehr als eine halbe Million Tote im Biafrakrieg; der anhaltende Bürgerkrieg im Tschad, der seit 1966 über 25.000 Tote forderte.

Dabei sind dies nur die bekanntesten Bürgerkriege, in denen verschiedene Machtgruppen um die Vorherrschaft in den jungen Staaten kämpften beziehungsweise noch immer kämpfen. Aber da gab und gibt es auch noch die ungezählten Kleinkriege um territoriale Ansprüche sowie die bewaffneten Aufstände von Befreiungsbewegungen.

Schließlich waren da die zahllosen „Coups d'etat”, die ständigen Umstürze von einer Regierung nach der anderen durch die Militärs.

Kritiker führen die endlose Reihe von gewalttätigen Aktionen als Beweis dafür an, daß Afrika immer noch nicht reif sei, sich selbst zu regieren.

Aber so einfach kann die Situation auf dem Schwarzen Kontinent nicht gesehen werden. Tatsächlich ist der Schlüssel zum Verständnis der nicht enden wol- i lenden Machtkämpfe in Afrika nur dann zu finden, wenn man die Rolle der dortigen Militärs genau unter die Lupe nimmt.

Zur Zeit der Unabhängigkeit hatten die meisten afrikanischen Staaten im wesentlichen Stam-mes-Charakter. Es gab kaum Verständnis für oder ein Verlangen nach nationaler Einheit über die Stämme hinweg - außer in den kleinen Gruppen der westlich ausgebildeten Elite, die dann zu den Führern der neuen Staaten aufstiegen.

Aber dann, nach Erlangung der Unabhängigkeit, mußte das Militär ebenfalls zu einem Instrument der nationalen Einheit werden. Schließlich war es jene Kraft, die die neuen Grenzen zu sichern hatte.

Um das Konzept des Nationalismus* formierten sich die regierende Elite und die Militärs, während es dieses Konzept für die Bewohner der einzelnen Staaten eigentlich gar nicht gab. Das verursachte eine zunehmend größer werdende Kluft zwischen Regierenden und Regierten.

Noch größer wurde diese Kluft durch den technologischen Vorsprung, den die Militärs gegenüber der Bevölkerung errangen; schließlich wurden sie an modernem, technisch hochgezüchtetem Kriegsgerät ausgebildet und mußten dieses zu handhaben lernen. Die Bevölkerung andererseits lebte weiter mit ihren vorindustriellen Strukturen.

In der Kolonialzeit waren es die Ausländer, die die politische und militärische Mach in den Händen hielten. Sie waren von der Bevölkerung getrennt, eine geradezu exotische Gruppe. In diese Rolle der exotischen, entfremdeten Elite schlüpften nach der Unabhängigkeit die Militärs: Sie wurden zu einem von den Leuten völlig isolierten Machtblock, für den das Gewehr mehr zählte als Brot für die Massen.

In Liberia zum Beispiel führte Stabsfeldwebel Samuel Doe 1980 einen Militärputsch an, der die Zivilregierung von William Tolbert hinwegfegte. Doe rechtfertigte seinen Putsch damit, daß die Korruption innerhalb der Tolbert-Regierung die Wirtschaft des Landes gelähmt hätte.

Aber in den acht Jahren vor dem Putsch hatte die wirtschaftliche Unterstützung von Liberias großem Freund, den USA, durchschnittlich weniger als elf Millionen Dollar pro Jahr betragen und überstieg nie 20 Millionen Dollar. 1982 umfaßt sie 75 Millionen Dollar und ein Team von UN-Wirtschaftsexperten forderte unlängst eine 200-Millionen-Dollar-Wirtschaftshilfe für das Land. Das Bruttonationalprodukt Liberias fiel seit 1980 um 4,4 Prozent.

Trotz dieser kläglichen Bilanz ist Doe immer noch an der Macht. Denn er hat das Militär hinter sich. Und Liberias Armee ist die bestbezahlte in Afrika. Der Durchschnittsverdienst eines Soldaten beträgt 3000 Dollar pro Jahr - im Vergleich zum jährlichen Pro-Kopf-Einkommen der Liberianer, das bei 480 Dollar liegt.

Amokläufer in Uniform

Der Beispiele gibt es viele... Ghana, das zu der Unabhängigkeit potentiell eines der reichsten Länder Afrikas mit der größten Kakao-Produktion der Welt war, befindet sich jetzt — nach zahlreichen gewaltsam herbeigeführten Machtwechseln — in einem wüsten Durcheinander. Die Inflation grassiert, die Kakao-Produktion stagniert und lebensnotwendige Güter sind in der Hauptstadt Accra kaum zu bekommen. Dennoch hat der Führer des Landes, Fliegerleutnant Jerry Rawlings, gerade für 15 Millionen Dollar Munition bei einer englischen Firma bestellt...

Nur Nigeria war imstande, erfolgreich von einer Militär- zu einer Zivilregierung zurückzukehren, indem es eine Verfassung nach amerikanischem Muster mit Kontroll- und Ordnungsinstrumenten einführte, um zwischen den über 300 ethnischen Gruppen im Land ein Gleichgewicht herzustellen. Aber die komplexen politischen Allianzen, die das Land zusammenhalten, könnten allzu leicht wieder zerbrechen.

Afrika muß mit einem Berg von Problemen fertig werden. Stabilität kann in den Ländern auf dem Schwarzen Kontinent indessen wohl nur einkehren, wenn die Amokläufer mit den militärischen Rangabzeichen, die die Macht ausüben, gebremst werden können...

Der Autor berichtete sechs Jahre hindurch aus Afrika für amerikanische, englische und australische Zeitungen. Derzeit lebt er als Schriftsteller in Wien.

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