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Riß durch Afrikas Mitte

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Wortführer, die für eine Solidarität des Menschengeschlechtes kämpfen, die brandmarken, daß das Volk von den Reichtümern seines Landes nur Tränen hat. Sie sehen in Fidel Castro ihren Vorkämpfer, ihr Beispiel, wenn sie auch Moskaus Einmischung zurückweisen. Auch in Westindien hatten von den Segnungen britischer Kolonialherrschaft nur wenige Nutzen. Von den 3 Millionen Einwohnern leben einige Dutzend im üppigen Luxus, der Rest in bitterster Not, in Wellblechschuppen. „Die Urbevölkerung der indianischen Kariben, wie sie Columbus traf, ist ausgerottet, aber die Bewohner von heute haben zum Sterben zuviel“, schrieb ein Reporter aus Rio.

Die christlichen Sozialgrundsätze beginnen in der überwiegend katholischen Bevölkerung wirksam zu werden, nachdem das einheimische Element im Klerus und der Caritas allmählich stärker vertreten ist, an der katholischen Hochschule von Trinidad sind von den „Vätern vom Hl. Geist“ die Hälfte Westinder. Die Benediktinerabtei bei Port of Spain hat Patres aller Farben. So gut auch die kirchliche Organisation unter einem Erzbischof und vier Bischöfen heute ausgebaut ist;;io,TselMvach isttidifc'ipoiitisBheisPositioii von Demokratie' ist nur in den“ Zeitungen zü lesen,; die-PofMk“wird von liberalenundidntfkathbli-schen Briten gemacht. Wirtschaftliche Interessen gaben den Ausschlag.

So schroff sind die Verhältnisse im holländischen Kolonialgebiet von Guayana und den Antilleninseln nicht. -Als „autonome Glieder“ in die Reichseinheit aufgenommen, mit allen Rechten und Pflichten dem Mutterland gegenüber, erhalten sie jetzt bedeutende Beihilfen für Wirtschaft und Kultur. In diesem Jahr traten sie zum erstenmal mit ihrer eigenen Landesflagge an. Obwohl die Gesetze in Den Haag gemacht werden, verspricht die neue Fahne mit den fünf mit einer schwarzen Linie verbundenen Sternen eine bessere Zukunft. Weiß, schwarz, rot, braun und gelb sind die Sterne, die Hautfarben der Bevölkerung symbolisierend.

Der Sitz der Regierung ist auf dem südamerikanischen Festland, in Surinam, auf dem Tafelland im niederländischen Guayana liegend, zwischen den Mündungen des Amazonas und Orinoko. Hier könnte die südafrikanische Regierung einiges lernen. Nicht nur die portugiesischen Kolonien und Brasilien, das einst zu Portugal gehörte, zeigen beispielhaft ein friedliches Beieinander der Farben, dazu gehört auch Surinam, das fünf Rassen zu einer einträchtigen

Gesellschaft zusammengeschweißt hat. Ein Unikum auch insofern, als Surinam einer der ältesten Formationen der Erde ist. Im Lauf der Jahrhunderte wurden dorthin Menschen aus allen Kontinenten abgedrängt: Weiße aller Art, Neger, Inder, Chinesen, Indonesier. Eine wahre Musterkarte der Spezies Mensch. Alle erdenklichen Hautfarben, Augen, Haare, aus denen immer wieder neben Mischformen klassische Typen, wie auch in Europa, hervorkamen.

Alle Probleme und Einflüsse und Sitten sind in Surinam versammelt. „Das merkwürdigste Land der Erde — eine Weltsehenswürdigkeit“ (De

Castro) ist das neueste Glied im niederländischen „Commonwealth“. Wenn auch Film und Tanz stark amerikanische Akzente haben, so führt die alle Gegensätze ausgleichende Urstimme, die christliche „Vox humana“. Früh bekehrt durch die Mährische Brüdergemeinde, zeigen die Schwarzen deutsch-pietistischen Einfluß. Die amtliche Sprache ist holländisch, holländisch auch das Gepräge der Städtchen, der Plantagen, der Verwaltung. Aber die Sympathien sind nicht

„Die Geschichte wird hart urteilen über jene, die das Morgen dem Heute opfern. Es soll nicht heißen, daß wir unseren Nachfolgern den Preis einer Narrheit zu bezahlen überlassen, die wir hätten vermeiden können.“ Die' Rede, 'mit“' Her'' der britische Premierminister Sir Harold Mac-millan am 5. Dezember in London die Verfassungskonferenz über die Zentralafrikanische Föderation eröffnete, war in ihrem unpathetischen Ernst abgestimmt auf das Ereignis eines Gesprächs, dessen erster Erfolg war, daß es überhaupt zustande gekommen war. Es hat die Führer der afrikanischen Nationalisten aus Njassaland und den beiden Rhodesien mit weißen Politikern an einen Tisch geführt, die unbedingt für die Aufrechterhaltung der weißen Vorherrschaft eintreten.

Frühestens sieben und spätestens neun Jahre nach jenem 1. August 1953, an dem der halbautonome Bundesstaat der drei zentralafrikanischen Kolonialgebiete aus der Erbschaft Cecil Rhodes' und seiner „Chartered South African Company“ geschaffen worden war, sollte seine damals erlassene provisorische Verfassung überprüft werden, um ihm anschließend als einem neuen, selbständigen Dominion des britischen Commonwealth die staatliche Unabhängigkeit zu gewähren. Aber in der seither verstrichenen Zeitspanne hat die Macht der Ereignisse die Voraussetzungen grundlegend verändert. Der „Wind der Veränderung“, von dem der britische Premier in seiner Rede vor dem Kapstädter Unionsparlament vom 3. Februar des Jahres sprach, hat in manchen Gebieten Afrikas Orkanstärke erreicht.

PARTNERSCHAFT ZWISCHEN ROSS UND REITER

Der Zusammenschluß der beiden britischen Protektoratsgebiete Njassaland und Nordrhodesien mit dem „Halbdominion“ (der „self-governing colony“) Südrhodesien, in der die politische Herrschaft in Händen der knapp zehn Prozent der Bevölkerung bildenden weißen Siedmehr hundertprozentig für das Mutterland. „Wir wollen unsere eigenen Gesetze haben. Wir sind Vorkämpfer eines religiösen und juristischen Nationalismus“, verkündigte kürzlich Dr. Chin A Sen, einer der Führer der Unabhängigkeitsbewegung. Die Loslösung wäre Selbstmord.

„Wenn die Königin kein Geld mehr schickt und Standard Oil und Royal Dutch ihren Laden schließen, was dann?“ Darauf wissen Moskaus Agenten keine Antwort. ler liegt, geschah im Namen einer künftigen „Partnerschaft“ von Weiß und Schwarz. Diese „Partnerschaft der Rassen“ war die Alternative der britischen Kölonialpolitik zum südafrikanischen Weg. der Apartheid, obzwar ihre Kritiker behaupteten, sie unterschiede sich von dieser lediglich durch die Heuchelei. Tatsächlich hatte der damalige Führer der weißen südrhodesischen Mehrheitspartei, Sir Geoffrey Huggins (später Lord Malvern), sie mit einem Verhältnis von Roß und Reiter verglichen. Das damit um-rissene Konzept schien eine Gleichberechtigung der Afrikaner jedenfalls auszuschließen. Theoretisch war diese mit dem „Entwicklungsstand“ der afrikanischen Bevölkerung verknüpft. In der Praxis herrschten rassische Diskriminierung und in der südlichen Siedlerkolonie auch eine Bodengesetzgebung, die den Afrikanern nur 22 Prozent des Landes vorbehielt.

Die „afrikanischen Nationalkongresse“ des Nordens bekämpften deshalb die Föderation, in der auch sie auf die Dauer unter die Herrschaft der Siedler zu geraten fürchteten, seit ihren Anfängen. Dagegen bestanden in Salisbury ursprünglich große Pläne zur Errichtung eines „weißen“ Staates in Zentralafrika. Eine forcierte Einwanderung sollte die Anzahl der europäischen Siedler bis 1980 auf drei Millionen erhöhen. Das arme, dichtbevölkerte Njassaland, von dessen 2,7 Millionen Afrikanern mehrere hunderttausend in den Minen Rhodesiens und der Union arbeiten — vom Premierminister der Föderation, Sir Roy Welensky, einmal als „Slam des britischen Empire“ bezeichnet —, sollte der wirtschaftlichen Vorteile des Zusammenschlusses im besonderen teilhaftig werden. Gesamtwirtschaftliche Erfolge der Föderation bildeten stets hauptsächlichste Rechtfertigung der von Salisbury verfolgten Politik, deren afrikanische wie liberale weiße Gegner ihr freilich immer wieder die Ungleichheit der Verteilung dieser Früchte entgegenhielten.

SEZESSION ALS EINZIGER AUSWEG?

Mit dem Näherrücken des für die Revision der Bundesverfassung festgesetzten Zeitpunktes versteifte sich der Widerstand der Afrikaner. Sie boykottierten die „weißen“ Bundeswahlen von 1958, und nach der Rückkehr des njassa-ländischen Führers Dr. Hastings, Kanuzu Banda, der von der ersten „allafrikanischen Völkerkonferenz“ in Accra im Dezember 1958 zündende Freiheitsparolen mitbrachte, setzten Anfang 1959 in beiden nördlichen Ländern aktiver Ungehorsam und Sabotage ein. Die Bundesregierung Sir Roy Welenskys benützte dies, um wegen eines vorgeblichen „Komplotts zur Ermordung aller Weißen“ die Nationalkongresse verbieten zu lassen und hunderte ihrer Funktionäre zu verhaften, ein Schritt, den die britische parlamentarische Untersuchungskommission später weitgehend als ein Manöver enthüllte. Konnte Großbritannien im Protektoratsgebiet Njassaland allmählich die Mehrzahl der Verhafteten wieder in Freiheit setzen und schließlich Dr. Banda für nahe Zukunft weitgehende afrikanische Selbstregierung in Aussicht stellen, war ihm ein ähnlicher Eingriff in die Angelegenheiten des autonomen Südrhodesien schon legal verwehrt, da er hier lediglich gewisse Vetorechte in der Eingeborenenverwaltung besitzt. Immerhin wurde dem Führer des südrhodesischen Kongresses. Joshua Nkome, der seinerzeit infolge seines zufälligen Auslandsaufenthaltes der Verhaftung entgangen war, vor einigen Wochen die Rückkehr gestattet, wo er das Präsidium der Nachfolgeorganisation des verbotenen Kongresses, der „National Demo-cratic Party“, übernahm. Eine weiße Organisation, die „Rhodesische Republikanische Armee“, die liberale Europäer einzuschüchtern begann, wurde verboten. Die Ereignisse im Kongo — und in der Südafrikanischen Union — sind gleichfalls nicht ohne Rückwirkung geblieben. Südrhodesien erlebte die ersten blutigen Unruhen seit 1896. In Nordrhodesien waren Teile der dortigen Kongreßorganisationen schon im Vorjahr zu Gewaltmaßnahmen übergegangen. Als im Frühjahr des Jahres die britische Kommission, die unter Vorsitz von Lord Monckten einen vorbereitenden Bericht für die kommende Verfassungskonferenz erstellen sollte, das Bundesgebiet bereiste, gingen in Nordrhodesien zahlreiche Schulen in Flammen auf. Führende Vertreter der nordrhodesischen Kupferminengesellschaften haben bereits vor einiger Zeit eine Verständigung mit dem Präsidenten der „United Northern Independence Party“, Kenneth Kaunda, gesucht, und sollen angeblich die Versicherung erhalten haben, daß eine afrikanische Regierung die Kupferminen nicht nationalisieren würde. Sie haben jedenfalls die bishin geleisteten Subventionen an die „United Federal Party“ Welenskys eingestellt.

Die Vereinigte Föderalistische Partei bildet nicht die einzige politische Kraft unter den südrhodesischen Weißen. Bereits 1957 blieb sie sogar nach abgegebenen Stimmen in der Minderheit gegenüber der oppositionellen „Dominion Party“, die einen selbständigen „weißen“ Staat in Anlehnung an südafrikanische Grundsätze verficht, eventuell unter Aufgabe größerer Teile des „schwarzen“ Nordens. So steht im Hintergrund die Drohung einer Sezession Südrhodesiens und seines eventuellen Anschlusses an die Südafrikanische Union, den die Siedler im Jahre 1915 mit knapper Mehrheit abgelehnt haben. Dies würde den Sambesi zur Grenze zweier Welten machen, an der weißer und schwarzer Nationalismus zusammenprallen und an der nur noch Waffenstillstand, aber nicht mehr Friede möglich wäre. Die liberale „Central African Party“, die eine Verwirklichung des Partnerschaftskonzepts auch unter einer afrikanischen Mehrheitsregierung für möglich hält, besitzt nur in Nordrhodesien einen etwas stärkeren Anhang. Unter den rund 75.000 Weißen dieses Gebietes - rund 2,5 Prozent der Bevölkerung — bilden aber die weißen Minenarbeiter, die als qualifizierte Arbeiter das Zehn- bis Fünfzehnfache der afrikanischen Bergleute verdienen und deren Aufstieg zu qualifizierten Berufen bisher verhindern konnten, gleichfalls eine privilegierte Gruppe unentwegten Widerstandes.

DER PLAN GROSS-OST AFRIKA

Die Probleme der zentralafrikanischen Föderation erscheinen so vielfach verzahnt und die gegnerischen Fronten kaum versöhnbar. Die afrikanischen Führer Rhodesiens weigerten sich zuerst, überhaupt an der Londoner Konferenz teilzunehmen. Erst auf britischen Druck hin sah sich der südrhodesische Premierminister Sir Edgar Whitehaed veranlaßt, Joshua Nkome und der National Democratic Party die ihnen zuvor verweigerten Plätze innerhalb der Landesdelegation einzuräumen. Diese wiederum fordern die Freilassung von 47, noch in den Gefängnissen von Marandellas und Gokwe befindlichen Kongreßfunktionären und eine Neuregelung der politischen Rechte der Afrikaner im Rahmen der Landesverfassungen, ehe über den Fortbestand der Föderation entschieden werden solle. Doktor Banda und seine Malawi Party von Njassaland treten, wie er auf einer Pressekonferenz am 8. Dezember, also drei Tage nach Beginn der Londoner Konferenz, noch festgestellt hat, nach wie vor für das sofortige Ausscheiden Njassa-lands aus der Föderation ein.

Eine besondere Note hat noch die Politik der PAFMECA (Pan African Freedom Mouvement for Eeast and Central Africa) hereingetragen, die die Führer der afrikanischen nationalen Bewegungen von Britisch-Ost- und -Zentralafrika vereint. Ihr Vorsitzender, Julius Nyerere, seit 1. September erster afrikanischer Regierungschef (Chief Minister) des halbautonom gewordenen Tänganjika, tritt seit längerem für einen größeren Bundesstaat aller bisherigen britischen Kolonien des östlichen Afrikas ein, ein Konzept, zu dem sich auch zahlreiche andere führende Afrikaner bekennen. Nyerere hat dieses Mitte November in London erneut unterstrichen. Ob es einen echten Ausweg aus dem Dilemma der rhodesischen Rassenfrage bieten kann, bleibt angesichts der auch in Ostafrika bestehenden Schwierigkeiten noch ungewiß.

Der Monckten-Bericht hatte festgestellt, daß es unmöglich sein würde, die zentralafrikanische Föderation in Zukunft in ihrer gegenwärtigen Form aufrechtzuerhalten und ihre Umwandlung in eine losere Union weitgehend autonomer Gebiete unter Einräumung des Sezessionsrechtes vorgeschlagen.

Mit Beginn der Konferenz hat freilich mißtönende Begleitmusik eingesetzt. Britische Abgeordnete berichteten aus Njassaland über massive Einschüchterungsaktionen gegen gemäßigte, zur Zusammenarbeit mit Europäern bereite Afrikaner. So ging das Haus des Vorsitzenden der „Christian Democratic Party“, Chester Kasonga, in Flammen auf. Die in London anwesenden Malawi-Führer beantworteten dies mit dem Hinweis auf Gegenterror und Arrangierung dieses Besuches durch die in Diensten der Bundesregierung in Salisbury stehende Public-Relation-Firma „Voice and Vision“. Zu Beginn der zweiten Woche erlebte die Konferenz den dramatischen Exodus der afrikanischen Nationalistenführer. Die britische Regierung verschob daraufhin die bereits vorverlegten Landeskonferenzen über Verfassungsänderungen innerhalb der beiden Rhodesien und suchte die gemäßigten Elemente unter den Afrikanern zu stützen. Nichtsdestoweniger bleibt der schließliche Erfolg der über Weihnachten unterbrochenen Beratungen von der Mitarbeit der Nationalistenführer abhängig, denen London zu verstehen gab, daß es nicht bereit sei, der Gewalt zu weichen. Scheint die Gefahr eines „britischen Kongo“ damit auch gebannt, so steht doch am Horizont die Wolke einer Alternative — eines britischen Gegenstücks zur Entwicklung in Algerien.

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