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„Jene, die nicht das Pulver erfanden ...“

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„Der Weiße hat seine geröteten Hände, gerötet von schwarzem Blut, mir zugewandt mit Herrenstimme: He, Boy! Einen Knaben, ein Handtuch und Wasser!“ So schließt ein schlichtes, erschütterndes Gedicht des jungen senegalesischen Medizinstudenten David Diop. Daß „Die Zeit der Qualen“, wie es überschrieben ist, noch nicht für alle seine Rassenbrüder zu Ende ging, ließ die sonst auf Schriftstellertreffen — zumal in P a r i s — gewohnte pointensprühende Fröhlichkeit unter den schwarzen Künstlern nicht aufkommen. Davids Stammesbruder, Alioune Diop, der den Verlag und die Zeitschrift „Presence Africaine“ in Paris leitet, hat diesen ersten Weltkongreß schwarzer Dichter, Künstler und Pädagogen organisiert und eröffnet. Da man sich auf keinen afrikanischen Tagungsort einigen konnte, fiel die Wahl auf Paris, denn es ist trotz seiner auch im eigenen Lande oft wenig populären Kolonialpolitik immer noch die toleranteste, allen Rassen und Weltanschauungen geöffnete Hauptstadt der Welt. Kein Geringerer als der von jeher der Negerkultur verpflichtete Picasso hatte das Plakat entworfen. Unter dem klassisch stilisierten Haupt seines blütengeschmückten schwarzen Orpheus mahnten Verse Aime

Cesaires, des größten Negerdichters französischer Sprache: „Denn was ich will, ist aus unendlichem Hunger, aus unendlichem Durst, sie endlich frei zu fordern, frei in ihrem verschlossenen Innern den Saft der Früchte zu zeugen ...“ Sie waren das Motto dieser Tagung, der Ruf nach dem Ende der Zeit der Qualen. Wie diese Freiheit verwirklicht werden und beschaffen sein .soll, die philosophische und die praktisch-politische Frage nach der Freiheit wovon, wofür und wozu, wurden in den Referaten und Diskussionen mehr noch als künstlerische Probleme erörtert.

Der Raum allein schon, das Amphitheater Descartes in der Sorbonne, bestimmte das geistige Niveau, und es fielen viele markante Gesichter, berühmte Namen und glänzende Redner auf, die sich unter dem Präsidium des Rektors der Universität von Haiti, Dr. Price-Mars, zum erstenmal als gesammelte geistige Macht uns noch kaum bewußter Kräfte vorstellten, die unsere Zukunft entscheidend mitformen werden. Sie debattierten in vielen Sprachen, sie kamen aus drei Erdteilen, aus Afrika und von den Antillen, Nord- und Südamerika und aus den europäischen Haupt- und Universitätsstädten. Sie vertraten auch die verschiedensten politischen und weltanschaulichen Richtungen. Der protestantische Christ Richard W r i g h t aus den USA und der kubanische Sänger Nicolas G u i 11 e n, der für seine Gedichte 1954 zusammen mit Bertolt Brecht den Weltfriedenspreis erhielt, das liberale Mitglied des Europarates Leopold Sedar Senghor und mohammedanische Nationalisten aus Algerien, katholische Missionäre aus Kamerun und sozialistische Pädagogen von der Goldküste oder den Antillen mögen zunächst nur die Hautfärbe gemeinsam haben. So prallten auch die Meinungen oft hart aufeinander. Was sie aber darüber hinaus verband, sollte uns Weißen am meisten zu denken geben: Das war kein Debattierklub weitabgewandter und daher auch von der Weltöffentlichkeit unbeachteter Aestheten. Diese schwarzen Dichter sind keine gerade noch als belächelte Käuze und dekorative Kulttirfassade vor dem nackten Erwerbsgetriebe geduldeten Außenseiter der Gesellschaft wie die meisten ihrer europäischen Kollegen. Sie erwiesen sich als Künder der seelischen und der sozialen Not ihrer Völker oder rassischen Minderheiten, als Gestalter der Sprache und des politischen Lebens, der Kultur und des Staates zugleich.

In Ruanda beispielsweise vereint der König wie bei uns zu mittelhochdeutschen Zeiten die Dichter an seinem Hof. und sie haben, von allen Steuern befreit, das Recht, ihn zu beraten, und die Pflicht, ihre Verse und die ihrer Ahnen den kommenden Generationen zu übermitteln. Im westafrikanischen Basutoland lehren sie Poesie an den Schulen, und eigene Dichtungen gehören zu d„en Examensaufgaben. Ihr berühmtester, sogar ins Deutsche übersetzter Dichter Cranmer Theko B e r e n g ist Mitglied des Nationalrates und regierender Häuptling seines Stammes. Haiti gar scheint die reinste Poetenrepublik zu sein, alle bekannten Autoren waren Minister oder sind Diplomaten im Hauptberuf, jjund der verstorbene Louis Borno brachte es bis zum Staatspräsidenten. Er schrieb neben Mondgedichten auch juristische Werke wie sein Kollege Sterling A. Brown, der als Mitglied der Carnegie-Myrdal-Untersuchungskommission für die Probleme der Farbigen in die Politik eingriff. Die Dichter Liberias sitzen im Repräsentantenhaus. Andere vertreten ihr Länder bei der UNESCO oder als Diplomaten in Europa und Amerika, sind hohe Kolonialbeamte oder leiten Missionsschulen und Universitäten ihrer Heimat. Aime C e s a i r e, dein vor allem Sartre sein Buch „Orphee Noir“, die tiefgründigste Deutung moderner Negerdichtung, gewidmet hat, war Literaturdozent und Bürgermeister der Hauptstadt von Martinique und ist heute Abgeordneter dieser Insel in der französischen Nationalversammlung. Ihr gehört auch Afrikas prominentester Dichter Senghor, als Deputierter Senegals an, darüber hinaus vertritt er Frankreich im Europarat und war im letzten Kabinett auch Staatssekretär für wissenschaftliche Forschung im Pariser Kultusministerium.

So liefern uns die Schwarzen ein beschämendes Beispiel der Einheit von Traum und Tat, geistigen und sozialen Zielen, Kultur und Politik, wie sie nur noch in Frankreich zuweilen und, unter umgekehrten Vorzeichen, in Ostländern zu spüren ist, im übrigen Europa längst verlorenging. Völker, die eben erst aus ge-schichtslosem Dämmern ins grelle Licht der Geschichte traten, die aus Opfern fremder Machtkonstellationen, Objekten fremder Ausbeutung zu selbstbewußten Gestaltern ihres eigenen Schicksals werden, haben, wie einst die ältesten Kulturvölker, ihre geistigen zu politischen Führern, die Erzieher zu Staatsmännern gemacht. Sie versuchen, Piatons Traum zu verwirklichen. Dies war der stärkste Eindruck des Kongresses und bestätigt sich über seinen Rahmen hinaus. Er bot dabei keineswegs ein uniformes Bild, schon gar nicht einer Einheitsfront der Schwarzen gegen die Weißen etwa.

In den Vorträgen über die Fülle und Weite der afrikanischen Kultur wurde niemals der Einfluß der europäischen geleugnet, wie man anderseits mit Stolz die befruchtende Rückwirkung afrikanischer Plastik, Keramik, Malerei, Musik und Lyrik auf die moderne Kunst der Weißen hervorheben konnte. Und allein schon die Tatsache, daß die bedeutendsten Negerautoren in französischer, englischer oder spanischer Sprache schreiben, beweist, über die Wechselwirkung der Kulturen hinaus, wie tief die Europäisierung ins Geistesleben der Schwarzen eingedrungen ist. So fand denn auch der

Vorschlag eines Senegalesen, mehrere afrikanische Dialekte zu grenzensprengenden Umgangs- und Schriftsprachen zu beleben, wenig Beachtung. Diese Dichterpolitiker wollen das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen (auch hierin unterscheiden sie sich von manchen .romantischen Kollegen in Europa), sie sind weder Fetischisten noch Faschisten, keine Feinde der Modernisierung und Demokratisierung. Sie wollen im Gegenteil westliche Zivilisation und sozialen Fortschritt mit ihren Gesängen in die Hütten tragen und, was sie als Auserwählte auf den Universitäten der Weißen gelernt haben, allen vermitteln.

Sie diskutierten die Schwierigkeiten, die ihnen dabei erwachsen, tauschten Erfahrungen aus und suchten das Problem zu lösen, wie sich die abendländischen Errungenschaften ohne Verlust der Eigenständigkeit ihrer Völker mit ihren besten Traditionen verflechten lassen. „Wir müssen gemeinsam mit allen Völkern der Erde neue Werte schaffen und die neuen Welten erforschen, die uns die Begegnung mit den Weißen erschloß“, sagte Diop. Während die nordamerikanischen Neger, die kaum noch Bindungen an ihre afrikanische Heimat haben, die völlige Einschmelzung in die westliche Geisteswelt und die Lösung von allen traditionellen Vorstellungen verfochten, entgegnete Senghor leidenschaftlich: „Wir dürfen nicht den Geist Afrikas verraten. Wir würden sonst unser Lebensrecht preisgeben, unsere Kultur ...“ Wright sah wiederum diese afrikanische Kultur als eine übersprungene Entwicklungsstufe an, die der Vergangenheit gehöre, und andere betonten vermittelnd das Christentum als gemeinsames Band zwischen den Gegensätzen. Doch Aime Cesaire riß in seiner gewaltigen Rede, dem Höhepunkt dieser Tage, die eben noch gespaltenen Vertreter aller Richtungen mit: „In einer universalen Kultur hat auch jede Nationalkultur ihren Wert und ihr Daseinsrecht!“ Es müsse das reiche Erbe der Tradition in die weltweite Zivilisation der Zukunft mit eingebracht werden. Und er sprach, wie in seinen großen Hymnen ein Walt Whitman, der Neger, für „jene, die nicht das Pulver erfunden haben und nicht den Kompaß, jene, die nicht den Dampf bezwangen und nicht die Elektrizität, die nicht die Meere erforschten und nicht den Himmel, sondern im kleinsten Schlupfwinkel vom Land der Leiden wissen ... aber ohne welche die Erde nicht wäre die Erde . . . Scheune, die hortet und reift, was die Erde uns schenkt aus der Erde“. Und er forderte, wie in dem gleichen, von Janheinz Jahn übersetzten Gedicht, diese Erde als „brüderliches Gehege“ für alle und „Gnade für unsere allwissenden, einfältigen Besieger“!

In seinem Geiste wurde dann nach erhitzten Debatten die gemeinsame Schlußresolution gefunden, der auch die Amerikaner zustimmten. Man will eine ständige Organisation zur geistigen und politischen Annäherung der über die Kontinente verstreuten und den verschiedensten Sprach- und Kulturzonen assimilierten Neger schaffen, eine Schicksals- und Aktionsgemeinschaft der freien mit den noch unterdrückten oder halbkolonialen bilden. Man will gemeinsam für die Freiheit, gegen den Kolonialismus und die Rassendiskrimierung kämpfen, ohne Haß und mit friedlichen Mitteln.

„Nach der Konferenz von Bandung ist dieser Kongreß für unsere Völker das zweite historische Ereignis des Jahrzehnts“, sagte der Organisator Diop abschließend.

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