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Ich sprach mit Matanzim

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IN EINEM FREUDENTAUMEL traf Ich Umtata, die kleine Hauptstadt der südafrikanischen Provinz Transkei, an. Der Oberkommissär für Bantuangele-genheiten, Mr. Leibbrandt, hatte im Auftrag der Regierung eine Erklärung abgegeben, nach der das Land 1963 seine Unabhängigkeit erhalten soll.

Unter der Menge, die aus allen Gegenden zusammengeströmt war, befand sich auch der große, schlanke Kaizer Matanzima, der alle Aussicht besitzt, im kommenden Jahr von seinem Xhosavolk zum ersten schwarzen Premier in Südafrika gewählt zu werden. „Für uns ist der heutige Tag ein Tag des Jubels!“ beendete er seine Dankesrede an die Regierungsvertreter und an seinen Stamm.

Nach dieser Feierstunde, aus deren Anlaß der Oberkommissär nach Landessitte sechs Rinder hatte schlachten lassen, fuhr ich mit Matanzima nach Quamata, seinem Wohn- und Arbeitssitz, der aus einem Kraldorf und dem „Großen Haus“ besteht. Im letzteren befinden sich seine simplen Büros und der Raum, in dem Häuptling Matanzima Gericht hält.

Matanzima ist zweifellos der intelligenteste unter den 1,5 Millionen Köpfen der Transkei. Er hatte ein staatliches Stipendium für die Oberschule erhalten, machte das Abitur mit Auszeichnung und studierte Jura und Staatswissenschaft an der Uni-versity of South Africa. Schließlich legte er mit Erfolg sein Anwaltsexamen ab. >

In seinem Arbeitszimmer ließ er mir von zwei Mädchen, die sich ihm nur kniend näherten, Tee servieren. Und während er die gerade angekommene Post las, Briefe unterschrieb und tele-phonierte, gab er mir ein Interview. *

ÜBER DIE RASSENTRENNUNG und die damit verbundenen Probleme fragte ich Matanzima. „Sie ist keine Schöpfung der heutigen weißen Regierung“, bemerkte er. „Die politische und kulturelle Trennung verfolgte schon die britische Kap-Regierung. Und wenn wir jetzt die Unabhängigkeit erhalten, so beweist das nur, wie sinnvoll die getrennte Entwicklung ist. Weder die Fortschrittliche Partei noch die Vereinigte Partei, die einen Einheitsstaat fordern, wollen uns in Wirklichkeit in unserer Mitte haben. Sie möchten uns lediglich als Fußball benutzen!“

„Im Ausland behauptet man, der Bantu Südafrikas werde unterdrückt“, bemerkte ich. Da hob Matanzima ruckartig seinen Kopf von den Schriftstücken: „Diese Behauptung ist eine Verdrehung der Tatsachen! Ein einziger Bluff! Wenn wir heute in der Lage sind, unser Selbstbestimmungs-recht auszuüben, so haben wir das allein der weißen Regierung zu danken, die sich mit einer bewundernswerten Geduld und unter Einsatz beträchtlicher Geldmittel bemüht hat, uns jenes Wissen und Können zu vermitteln, das uns die Möglichkeit geben wird, unser Land eines Tages selber zu regieren.

Aber wir werden zunächst weiterhin die Hilfe und Unterstützung der Regierung benötigen und sie auch erhalten. Auf jeden Fall werden wir nicht mit der Mütze in der Hand nach West und Ost ziehen müssen, um uns Geld für unser tägliches Brot zu erbetteln.“ *

VIELE VÖLKER UND NICHT NUR EINES leben in Südafrika. Diese Tatsache war für das Land schon immer das Hauptproblem. Die unterschiedliche kulturelle Entwicklung der Bantustämme, die. als sie vor 250 Jahren aus Zentralafrika einwanderten, noch Nomaden waren und nicht einmal das Wagenrad kannten, stellte Südafrika seit jeher vor schier unlösbare Aufgaben, die andere afrikanische Staaten nicht kannten. Die traditionellen Stammesfehden, die Unterschiede der Sprachen, die eine Verständigung der Schwarzen untereinander unmöglich machten, und die Einwanderung der weit intelligenteren und strebsameren Inder, sowie die Ausdehnung der Mischlinge machten es einfach unmöglich, eine Völkerfamilie zu schaffen, die gleichwertige Qualitäten für eine gemeinsame Regierungsarbeit besaß.

Zu diesen Problemen kam ein neues, als die bis zum zweiten Weltkrieg durchaus gesellschaftsfähig gewesene Kolonialpolitik der europäischen Staaten den jäh einsetzenden Selbständigkeitsbestrebungen Rechnung tragen mußte und die Kolonien zähneknirschend aufgegeben wurden. Arfika schrie nach seiner Unabhängigkeit, die es erhielt und damit seinem Schicksal plötzlich allein überlassen blieb.

Die Hilferufe wurden erhört. Es flössen Milliarden nach Afrika, von denen vorwiegend Operettenleibwachen, goldenes Tafelservice, Para,deplätze, Luxusvillen und viele, viele Cadillacs und Rolls-Royces finanziert wurden. Die schwarzen Völker aber hungern noch heute I

SÜDAFRIKA IST KEINE KOLONIE. Es konnte deshalb von den Weißen auch nicht aufgegeben werden. Und wäre es geschehen, wären all die Werte, die sich diese Nation geschaffen hatte, innerhalb weniger Tage in Asche verwandelt worden, wie “in anderen afrikanischen Ländern. Die kulturellen Errungenschaften Südafrikas aber waren zu gewaltig, um sie Menschen in die Hände legen zu können, deren kulturelle Entwicklung noch nicht abgeschlossen war.

Anderseits wollten die Weißen den Drang ihrer schwarzen Mitbürger nach Unabhängigkeit und Eigenleben nicht länger hemmen. Südafrika gebar deshalb die Bantustan-Idee, die sich auf die Tatsache aufbaute, daß das Land groß genug sei, um jedem genug davon zu geben.

Jene Landesteile, in denen sich vor Jahrhunderten die schwarzen, aus Zentralafrika eingewanderten Stämme angesiedelt hatten, sollten ihnen belassen

bleiben. Hier sollte ihnen ihr rasse-und stammesgemäße Leben gesichert sein. Sie sollten unabhängige Staaten bilden, eine eigene Verfassung haben, sich ihr eigenes Parlament wählen und sich zu einem südafrikanischen Commonwealth vereinen.

In einer Mädchenschule der Transkei

Wozu sie jedoch keinesfalls gezwungen werden sollten, waren die obligatorischen Bettelreisen ihrer Präsidenten nach Europa und Amerika. Die erforderliche Entwicklungshilfe sollte ihnen auch weiterhin von der südafrikanischen Regierung gewährt werden. Und sie wird ihnen gewährt!

„Die helfende Hand der Regierung hat eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die gesamte freie Welt“, dozierte Paramount-Chief Botha Sig-cou, der in der Transkei mehr als 300.000 Pondos regiert. „Wenn der weiße Mann uns auch weiterhin zur Seite steht und uns unserem Schicksal nicht allein überläßt, werden wir keinen Anlaß haben, uns mit Ländern zu liieren, die mit Moskau paktieren. Der Kommunismus wird deshalb in Südafrika auch keinen Nährboden finden!“

Im Informationsministerium in Kapstadts Adderley Street hatte mir Minister Waring eine gedruckte Regierungserklärung und Pläne für ein Industrialisierungsvorhaben überreicht, nach denen in den nächsten Jahren 3 Milliarden Rand (107,25 Milliarden Schilling) investiert werden sollen. Mit diesem Betrag will man das Ziel erreichen, 90 Prozent aller Gebrauchsgüter selber zu produzieren, um dadurch einen Jahresgewinn von 6 Milliarden (214,5 Milliarden Schilling) erzielen zu können, der zum großen Teil der Entwicklungshilfe der im Entstehen begriffenen Bäntustaaten zugute kommen soll.

Zunächst ist die Gründung von vier selbständigen Bäntustaaten vorgesehen, unter denen die Transkei ein Prüfstein sein wird. In jahrelanger Vorarbeit hat man die Führungskräfte geschult. In kleinen Stammesgemeinden, in Distriktverwaltungen und schließlich in einer provisorischen Landesregierung. Man hat Kommunalbeamte ausgebildet und eine Schule für Häuptlingssöhne errichtet, in der diese auf ihre kommenden Aufgaben vorbereitet werden.

Für 244.000 volksschulpflichtige Kinder stehen die erforderlichen Unterrichtsräume zur Verfügung und es wurden obendrein Mittel- und Oberschulen sowie fünf Lehrerseminare geschaffen. An der für die Transkei-Bewohner zuständigen Universität Fort Hare erweiterte man die Fakultäten, um den Transkei-Studenten die Möglichkeit bieten zu können, ein universelles Studium in ihrer Heimatsprache zu absolvieren.

DIE TRANSKEI IST EIN AGRARLAND mit fruchtbarem Boden und einer bezaubernden Hügellandschaft. Aber die Bewohner wußten den Boden nicht zu nutzen. Er wurde nicht gepflügt und verfiel, und die nach Millionen zählenden Rinder-, Schaf- und Ziegenherden verblieben immer auf der gleichen Weide, so daß die übrigen riesigen Grasflächen verwilderten.

Vor ihren Krals bauen die Xhosas etwas Mais an, gerade genug, um den Eigenbedarf davon decken zu können. Vorratswirtschaft oder landwirtschaftliche Produktion zur Hebung des Lebensstandards kennen sie nicht.

Auf meiner Reise wurde mir von einem Bantu berichtet, der sich auf einer Landwirtschaftsschule besonders hervorgetan hatte. Man schuf ihm die Voraussetzungen, sich eine Musterfarm anzulegen, gab ihm Geräte und Saatgut. Der Bantu war zufrieden und bestellte erfolgreich sein Feld.

Als die weißen Inspektoren jedoch ein Jahr später auf diese Farm kamen, lag sie brach. Der Musterfarmer gab ihnen die Erklärung dafür: „Stellen Sie sich vor — ich habe im vergangenen Jahr das Dreifache meiner Nachbarn geerntet! Nun habe ich genug verdient, um meinen Boden zwei Jahre lang nicht bearbeiten zu müssen. Meine Nachbarn haben ohnehin behauptet, daß es auf meinem Feld nicht mit rechten Dingen zugehe und ich wohl einen guten Zauber habe!“

Wer den Neger kennt, weiß, daß dies keine Legende, sondern die ungeschminkte Mentalität des Bantu ist. *

DIE HELFENDE HAND DES WEISSEN MANNES braucht Afrika, denn dem Schwarzen ist nicht damit gedient, wenn er allein nur die Selbständigkeit und das Wahlrecht erhält. Wenn er auf eigenen Füßen stehen soll, muß er auch über das Wissen und Können verfügen, eine Land- und Viehwirtschaft zu führen und Industriebetriebe und Werkstätten zu leiten. Er muß auch die innenpolitischen Probleme meistern und einen außenpolitischen Weitblick gewinnen. „Südafrika ist bereit, den werdenden unabhängigen Staaten behilflich zu sein“, hatte Minister Waring mir gegenüber betont.

Bei Butterworth besuchte ich den Deutschen Dr. Plathe, der dort seit einigen Jahren eine Versuchsfarm für Phormium Tenax leitet. In 800 Hektar Land setzte er diese aus Neuseeland eingeführte Faserpflanze, die dem artverwandten Sisal gegenüber viele Vorteile besitzt: sie produziert 12 bis 20 Prozent Fasern (Sisal 2,5 bis 3,5 Prozent), sie kann bis zu 20 Jahren geerntet werden, besitzt 3 5 Fächer (jährlich 6 bis 12 neue), ist leicht zu ernten und zu verarbeiten und erzielt pro Tonne rund 125 Rand (2783 Schilling).

Wenn ein Bewohner der Transkei nur die Grasstreifen um seine Krals mit Phorium Tenax anbaut, hat er eine jährliche Einnahmequelle von rund 240 Rand (8450 Schilling).

Diese Faser kann zur. Fabrikation von Säcken verwendet werden und erspart dem Land eine jährliche Einfuhr von 60.000 Tonnen Jute. Dr. Plathe sieht im Anbau dieser Pflanze eine völlig neue Existenzmöglichkeit für die Bewohner der Transkei. Die Stecklinge werden der Bevölkerung kostenlos überlassen.

INDUSTRIE MUSS EIN SOLCHER JUNGER STAAT aber auch haben. In King Williamstown besichtigte ich die Goodhope Textile Corporation, eine Fabrik, die bereits 3500 schwarze Arbeiter beschäftigt. In Umtata ging ich durch die Fertigungshallen einer holzverarbeitenden Fabrik, die Schulmöbel, einfache Wohnungseinrichtungen und Fertighäuser produziert. Im ganzen Betrieb ist nur noch ein einziger Weißer tätig — alle anderen, Büroangestellten und Fachkräfte, sind von schwarzer Hautfarbe.

Nur wenige der Schwarzen nutzten die Chance der freien Wirtschaft. Einer der Bantus eröffnete mit einem alten Bus einen Verkehrsbetrieb. Das Geschäft florierte. Heute hat er bereits fünf Busse auf fünf Linien laufen. Ein anderer, Mr. Khotso, versuchte sein Glück mit der Fabrikation von Liebestropfen. Auch er hatte Erfolg und ist heute vielfacher Millionär, Besitzer, mehrerer Farmen und Häuser und eines eigenen Küstenstreifens am Indischen Ozean. Zudem leistet er sich acht Ehefrauen.

„EINE POLITIK DER GERECHTIGKEIT“ nannte Südafrikas Premier seine Politik, als er die Absicht, der Transkei die Unabhängigkeit zu geben, öffentlich bekanntgab. Und auch Doktor Carpio, der Leiter der UN-Delegation, die in Südwestafrika Spuren der Sklaverei zu finden hoffte, war von dem Transkei-Projekt, nachdem er das Land bereist hatte, tief beeindruckt. „Wenn Südafrika unter Rassentrennung das versteht, ist dagegen nichts einzuwenden“, erklärte er. Unter dem Einfluß seiner dunkelhäutigen Kommissionskollegen jedoch revidierte er diesen gewonnenen Eindruck und verwandelte seihe Meinung im offiziellen Bericht ins Gegenteil.

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