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Irrlichter in Dahomey

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„MILITÄRPUTSCH IN DAHOMEY — Oberst Soglo hat die Macht übernommen, die Regierung Maga wurde aufgelöst.“ Nicht viel mehr als eine kleine Notiz widmete unsere Presse diesem Ereignis. Was geht uns schließlich Dahomey an, wo liegt es überhaupt? Die Republik Dahomey ist nur ein kleiner Fleck auf der Karte Afrikas, etwa zweimal so groß wie Österreich, und beherbergt etwas über 2 Millionen Einwohner, die sich in 62 verschiedene Stammesgruppen unterteilen. Dahomey wird von Togo im Westen und vom Koloß Nigeria im Osten flankiert, im Süden rollt der Atlantische Ozean an den weiten Strand des Golfes von Benin. Da treiben die schlanken Einbäume der Fischer auf den Lagunen, ragen die ausgefransten Silhouetten der Kokospalmen gegen den Himmel. Es ist so heiß, daß man nur im Meer schwimmend nicht schwitzt, so feucht, daß näaW^tfeYrriarken, ohne sie naß zu machen, aufkleben kann,; dafl die Kleider verschimmeln und ^die Wäsche nicht trocknet. Im Norden des Landes ist die Trockenheit so groß, daß die Haut rissig wird und der feine rote Sand in Augen, Mund und Ohren dringt.

Dahomey war 68 Jahre lang französische Kolonie und erhielt 1960 seine Selbständigkeit. Es leben hier 200.000 Christen, etwa 300.000 Mohammedaner, der Großteil der Bevölkerung besteht jedoch aus „Animisten“. Denn Dahomey ist die Hochburg dieser afrikanischen Ur-religion, die Oberpriester verfügen über wunderbare Zauberkräfte und prägen noch heute das soziale Leben. Man nennt dieses Land jedoch auch das „Quartier latin“ von Afrika, verfügt es doch über eine ausgezeichnete Elite, ja sogar über einen Uberschuß an Intellektuellen, di^ es mangels Verwendungsmöglichkeiten ins Ausland exportieren muß.

Welche sozialen und politischen Ursachen führten schließlich zum Sturz der Regierung? Nicht, daß man an der Person des Präsidenten Hubert Maga etwas auszusetzen gehabt hätte. Der sympathische ehemalige Lehrer aus dem Norden des Landes bemühte sich ehrlich, der vielschichtigen Probleme Herr zu werden. Doch überstiegen die Anforderungen seiner Stellung bei weitem seine Fähigkeiten. Er umgab sich mit schlechten Beratern, die ihn schlau ausnützten, er hörte zu sehr auf all die Schmeichler, die ihn in übergroßer Sicherheit seiner Macht wiegten und nur sehr einseitig informierten.

WARUM IST DAS VOLK UNZUFRIEDEN? Da war die große Enttäuschung über den Kongreß der dahomeyanischen Einheitspartei, der unter dem stolzen Motto „Wahrheit und Erneuerung“ stand, jedoch weder der Wahrheit noch der Erneuerung diente, ja sogar nicht einmal freien Meinungsaustausch ermöglichte. Es herrschte Unwillen über den großen Aufwand, mit dem der 3. Jahrestag der Unabhängigkeit begangen wurde. Luxusvillen für die eingeladenen Minister schössen aus dem Boden, man holte aus Israel Experten für die Organisation der Massendemonstrationen und Vorbeimärsche, ein neues Hotel wurde gebaut und ein Cocktail löste den anderen ab, ein sündteures Feuerwerk krönte das Ganze. Auch der riesige neue Regierungspalast mit asphaltiertem Paradeplatz überstieg bei weitem die finanziellen Möglichkeiten. Einziger Kommentar der auf Lastwagen zum Fest herbeigeholten Bauern: „Wozu werfen die hier so viel Geld für unnützes Zeug hinaus, wo es uns am Dringendsten fehlt?“

Es herrschte Unmut über den Mißbrauch der Macht einiger verantwortungsloser Minister, über Unterschlagungsaffären, die ans Licht kamen. Über das Niederreißen eines Stadtviertels („Man kann doch den Festgästen den Anblick der elenden Hütten nicht zumuten!“) und die brutale Delogierung tausender armer Teufel. Man hatte ihnen Ersatzwohnungen versprochen und wies ihnen statt dessen einfach ein Stück wildes Sumpfland außerhalb der Stadt, in dem es von Malariamücken wimmelte, als „Wohnung“ zu.

Die Regierung hatte sich bereits mit der „Aktion Mauer“ unbeliebt gemacht, als zwecks Verschönerung des Stadtbildes allen Einwohnern von Cotonou und Porto Novo nahegelegt wurde, eine solide Steinmauer rund um ihre Grundstücke zu bauen. Diese Mauer stürzte die mittellosen Bewohner der Wellblechbuden in Schulden oder brachte sie ins Gefängnis, da die Polizei jeden „Mauerboykott“ scharf bestrafte. Und die Gefängnisse sind nicht sehr verlockend hierzulande. *

DIE STEIGENDE UNZUFRIEDENHEIT der Landbevölkerung machte sich ferner durch die Weigerung der Bauern bemerkbar, die hohen Steuern zu zahlen. Man übersah geflissentlich, daß diese Weigerung meist den ersten Schritt zur offenen Revolte darstellt.

Das .ypjkj ./kritisierte die . zahlreichen Reisen des Präsidenten und der Regierungsmitglieder: die kostspieligen Reisen ins Ausland und nach Übersee und die lästigen Reisen ins Innenland, um sich die Sympathien der Wähler zu sichern.

Ich nahm an mehreren solchen „Good-will“-Touren teil. In den größeren Dörfern, die es sich leisten konnten, wurden große Festgelage abgehalten, in glühender Mittagshitze mußte ich warmen Whisky und Champagner schlürfen, bis mir übel wurde. Doch die Weigerung auszutrinken bedeutet hierzulande eine grobe Beleidigung. Der Präsident verdarb sich scheinbar nie den Magen. Gruppen von Buben und sangen Loblieder, sehr falsch. Doch jeder Ton wurde von „Radio Dahomey“ übertragen. Manchmal hob der also Verehrte den Kopf: „Singen hübsch, nicht wahr? Sehr gut, wie?“ — dann aß er weiter. Immer wieder wurden wir von tanzenden Gruppen eingekreist. Wenn die schweißtriefenden Körper sich ganz dicht um uns scharten, mußte ich mittanzen und im Rhythmus in die Hände klatschen — da johlten alle vor Vergnügen. Sogar der Präsident ließ sich öfters dazu herab, ein wenig mitzutanzen — was versucht man nicht alles, um das Herz des Volkes zu gewinnen!

Unsere Wagenkolonne wurde streckenweise von schmucker motorisierter Polizei begleitet. Sirenen vorne, Sirenen hinten, Hühner und schwarze Schweinchen ergriffen ängstlich die Flucht, so wurde die Piste frei. Entlang der Straße trommelten eifrige Musikanten, brüllten Kinder aller Größen im Chor die Nationalhymne: „Kinder Dahomeys

— steht auf!“ Und während ihnen die vorbeirauschenden Limousinen den roten Staub in die Lungen trieben, riefen sie programmäßig: „Es lebe Präsident Maga!“ Ich fuhr im Landrover von „Radio Dahomey“ mit. Einige Male hörte ich im Vorbeifahren die Rufe: „Es lebe Madame

— es lebe Jovo!“ (Jovo heißt Weißer.) Ich fand das rührend und neige noch jetzt zur Ansicht, daß dies die einzig spontanen Äußerungen im Laufe unserer Propagandareise waren.

DENN DIE SCHEINBARE BEGEISTERUNG täuschte. Wer näher hinsah, bemerkte mehr verschlossene und abweisende Gesichter als lachende. Die großen Feudalherren des Nordens boten auf prachtvoll geschmückten Pferden wilde Reiterspiele, blieben jedoch unnahbar wie Statuen. Bis zum Eindringen der Europäer herrschten hier mächtige Königreiche, mit Adelsherrschaft und einer komplizierten Beamtenhierarchie. Bis heute haben sich die traditionellen Würdenträger nicht mit der Beschränkung ihrer Macht abgefunden, gleichgültig, ob diese von, Europäern ,ausging oder wie jetzt von der eigenen Regierung. Für sie ist der Präsident ein Niemand, ein neureicher Emporkömmling ohne jede Autorität, für dessen Eskapaden und Werbereisen sie wenig Verständnis zeigen. Sie sind mit seiner Politik nicht einverstanden und werfen der Regierung vor, zuviel Geld in die Städte zu investieren und die Provinzen zu vernachlässigen. „Daß die Weißen nichts für unsere Bauern taten, ist noch zu verstehen, aber von unseren eigenen Leuten haben wir mehr erwartet!“

Der Präsident ist unermüdlich, denn die Strapazen so einer Reise ins Innenland sind groß. Meiner Meinung nach ist eine robuste Gesundheit eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Präsidenten einer jungen afrikanischen Republik. Er hält Reden, lange, kurze, in Bariba, Fon und in Französisch, wobei er sich immer der Mentalität der verschiedenen Dörfer anpassen muß. Es gibt auch Streitgespräche, und manchmal fährt der Präsident wütend davon, wenn einige Häuptlinge allzu heftig gegen ihn Stellung nehmen. Einmal gab es sogar ein paar Tote.

Ich sah grenzenloses Elend in vielen Dörfern, wo die Frauen tagelang wandern mußten, um Wasser herbeizuholen, während man den Kindern Palmwein zu trinken gab. An einem Ort hätte man eine Woche vor der Ankunft unserer Delegation mit einer Sammelaktion begonnen, um die wenigen Francs für einige Flaschen Limonade aufbringen zu können.

Die Senufos (ein Stamm der Elfenbeinküste) sagen: „Die Erde gehört bei uns nicht dem einzelnen, denn sie nimmt die Toten auf und trägt die Lebenden und empfängt alle jene, die noch geboren werden.“

DIESE IN AFRIKA VERANKERTE Gemeinschaftsidee versucht man nun mit modernem Sozialismus zu verbinden. Sinn dieser Bestrebungen ist die Anpassung der Landbevölkerung an die neuen Verhältnisse, ohne daß es vorher zur Verproletarisierung kommt. Noch ist es ungewiß, ob es diesem afrikanisehen Sozialismus gelingen wird, über die starken Schranken des Kastenwesens und der alten Stammesgemeinschaft hinauszugelangen und wirklich ein straffes Netz von Produktionsgemeinschaften aufzubauen.

Wenn sich auch die verschiedenen Länder über dieses Fernziel einig sind, so variieren doch die Mittel und Methoden. Im Senegal wurde ein langfristiger, gutdurchdachter Plan ausgearbeitet, der afrikanische Eigenarten, katholische Soziallehre und sozialistische Formen geschickt vereint. Um die Landflucht zu verringern und neue Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, gründet man im Rahmen der „Animation“ Zentren für Erziehung und Schulung auf d^m Land.

In Dahomey versuchte man mit dem Zauberwort „Champs collectifs“ die bestehenden Schwierigkeiten zu meistern, doch wurde diese Aktion leider nicht so gründlich vorbereitet wie die „Animation“ im Senegal. Man versuchte beispielsweise den Bauern klarzumachen, daß die Früchte der Ölpalme — bei entsprechender Pflege der Bäume auf Kollektivplantagen — mehr Geld einbringen könnten als das Holz der Bäume. Denn immer noch schlagen die Bauern die wertvollen Ölpalmen einfach ab, um schnell einige 100 Frs. durch den Verkauf des Holzes zu verdienen. Da jeder Bauer in Afrika meist nur so viel anbaut, als er dringend zum Leben braucht, bleibt die Kassa der Dorfgemeinde stets leer. Braucht man eine Schule, eine Sanitätsstation, einen Brunnen — man fordert alles von der Regierung. Das Wort „Selbsthilfe“ ist in Afrika durchaus nicht unbekannt, doch überträgt das Volk seine passive Einstellung der Kolonialregierung gegenüber leider auch auf die jetzige Staatsführung. Da diese jedoch ebenfalls unter chronischem Geldmangel leidet, versucht sie, die brachliegenden Energien der Landbewohner zu nutzen und die Arbeitskräfte zu mobilisieren. Auf einem gemeinsamen Grundstück soll jeder Bauer einige Tage des Monats arbeiten, der Ertrag dieser kollektiven Felder soll dem Dorf zugute kommen.

DIES KLINGT SEHR EINFACH, doch verstanden die Verantwortlichen nicht, die Bevölkerung für diese Idee zu gewinnen.

So vielgestalt die Probleme auch sein mögen, so wenig sie ohne Rückschläge zu bewältigen sein werden, so kann man doch der Regierung des Präsidenten Maga den Vorwurf nicht ersparen, während ihrer dreijährigen Bewährungsprobe versagt zu haben. Die Rufe „Es lebe Maga“ verwandelten sich vor einigen Wochen in „Nieder mit Maga“. Es fand eine unblutige Revolution statt. Einer der fähigsten und geschicktesten Politiker Dahomeys, Sourou-Migan Apithy, steht jetzt als neuer Präsident an der Spitze des Staates. Die Zukunft wird zeigen, ob er seinen schwierigen Aufgaben besser gewachsen ist als sein Vorgänger.

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