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Randhemerkungen zur woche

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DAS ERFREULICHSTE AN DEM VN-ERFREULICHEN WAHLKAMPF der vergangenen Wochen: sein Aktionsradius war doch nur sehr eng gezogen. Wer die Bannmeile einer entfesselten Propaganda durchbrechen konnte, dem bot sich bald ein ganz anderes Bild. Österreich arbeitete in Ruhe und Frieden. Die Österreicher, gleichgültig, welche Stimmzettel sie am Wahltag in die Urne legten, blieben sichtlich immun gegen Verhetzung und Scharfmacherei. Ein besonders schönes Beispiel für eine ruhige und besonnene Arbeit in bewegter Zeit bot Krems, die alte Stadt am Eingang der Wachau. Mitten in der Wahlbewegung stellten hier der sozialistische Bürgermeister und der Vizebürgermeister aus den Reihen der Volkspartei — sozusagen Hand in Hand — ihre Stadt der Wiener und ausländischen Publizistik vor. Beide verleugneten nicht die Lager denen sie angehören, legten aber Wert auf die Feststellung, daß sie sich zu gemeinsamer Arbeit zusammengetan und dabei gut gefahren seien. Schöne Erfolge im Wiederaufbau der durch den lirieg angeschlagenen Stadt stellen diese Behauptung unter Beweis: am Stadtrand steht heute eine modern ausgestattete Weinbauschule, ein von der Gemeinde aus einer Turnhalle erbautes Großhotel wird in diesen Wochen fertig, die Kremsregulierung und der Brückenbau machen t gute Fortschritte und an einem den olympischen Anforderungen entsprechenden Schunmm-bassin wird gearbeitet. Die Stadt ist die verständnisvolle Hüterin ihrer großen Vergangenheit. Die Wiederherstellung der alten Minoritenkirche, die barbarische Verstiegenheit vergangener Zeiten in ein Tabakmagazin umgewandelt hatte und in der jetzt Bilder des großen Sohnes, des Kremser Schmidt, versammelt werden, ist eine bedeutende kulturelle Leistung. — Stolz sind die Stadtväter von Krems auf ihre Arbeit; nicht weniger stolz aber darauf, daß sie eine Frucht guter loyaler Zusammenarbeit ist. Der Besucher spürt die gesunde politische Atmosphäre. Manchmal kann eine kleine Stadt einem ganzen Land als Vorbild dienen.

DIE HOCHZEIT IN NANCY hat einige Tage und Wochen lang ein lebhaftes Echo in der europäischen Publizistik ausgelöst. Das Echo klang unterschiedlich, es schwang, im Ausland und leider auch in Österreich, da und dort auch Unsachliches und Gehässiges mit. Aber es überwogen auch im Ausland sachliche und verständnisvolle Kommentare. Einen Sonderrang darf unter ihnen ein Essay von Dr. E. F r a n z e l („Volksbote“. München) durch seine Behandlung der menschlichen und geschichtlichen Seiten des Themas einnehmen. Leidenschaftslos urteilt abschließend der Verfasser, der bekannte Publizist sudetendeutscher Herkunft, mit einem bedeutungsvollen Seitenblick auf die historische Einschätzung des Ereignisses im europäischen Raum: „Der Respekt, den man vor der eigenen Geschichte und ihren Repräsentanten hat, gehört zu den wesentlichen Voraussetzungen der Unabhängigkeit und Würde einer Nation. Die eigene Vergangenheit dauernd zu beschimpfen, ihre toten und lebenden Repräsentanten in den Schmutz zu ziehen, ist kein Beweis demokratischer Reife, sondern nur einer Knechtsgesinnung, aus der nur Sklaverei erwachsen kann. Für zahlreiche Demagogen, die zu feig waren und zu feig sind, ihren Mut dort zu bewähren, wo er am Platze wäre, sind die Habsburger in den letzten Jahrzehnten immer wieder eine Zielscheibe verlogener und hämischer Nachrede gewesen. Die gleichen Leute, die vor Hitler und seinen Paladinen im Staube lagen, zeigen .Männerstolz vor Königsthronen', wenn die Rede auf eine heute machtlose Dynastie kommt, die auch im Unglück und in der Verbannung nicht vergessen hat, daß ihre Geschichte auf sehr weiten Strecken die Geschichte des christlichen Abendlandes ist. Wenn wir aus dem Anlaß einer Familienfeier des Erben aer habsburgischen Überlieferung gedenken, so ist dies für uns kein politisches Bekenntnis zu Restaurationsplänen, über die, wie wir zu wissen glauben, Otto von Habsburg selbst kühl und realpolitisch denkt. Wir glauben es aber uns selbst und unserer eigenen Geschichte schuldig zu sein, der Wahrheit die Ehre zu geben und daran zu erinnern, daß Größe und Macht der Habsburger auch die Größe des Reiches und die Blüte unseres Volkes in Mittel- und Südosteuropa bedeuteten, während der Sturz und das Unglück der Dynastie ihren Völkern kein Heil und den Deutschen des alten Österreich namenloses Unglück gebracht haben.“

WAS BEVORSTEHENDE WAHLEN vermögen, das hat sich bei Torschluß der französischen Nationalversammlung vor den jetzt unmittelbar bevorstehenden Neuwahlen am 24. Mai gezeigt. Plötzlich fand sich für den von den Sozialisten immer wieder abgelehnten Antrag des MRP, für die katholischen Schulen Steuererleichterungen zu gewähren, mit Rücksicht, daß sie ein Fünftel der französischen Schuljugend betreuen, eine Mehrheit; sie kam dadurch zustande, daß die Sozialisten sich bei der ersten Lesung in der Nationalversammlung der Stimme enthielten. Im Rat der Republik aber versagte die Regie, so daß das Amendement des MRP nicht gesetzesreif wurde. Die neue Wahlordnung räumt den Wahlbündnissen einen überaus breiten Einfluß auf den Wahlausgang ein und sosehr MRP und Sozialisten einander entgegenstehen ist für beide mit Rücksicht out die Abwehr des Kommunismus das Wahlbündnis eine politische Notwendigkeit; deren praktische Anerkennung erschwerte der bisherige Widerstand der Sozialisten gegen die Schulforderung des MRP. Schon schien die Klippe überwunden, da ist man abermals an sie angerannt.

MILITÄRISCHE THEMEN beanspruchen seit Monaten in der Schweizer Presse ersten Rang. In keinem Müilärstaat könnte ihnen mehr Aufmerksamkeit und gründlichere Behandlung geschenkt werden. Von der Auseinandersetzung über die grundsätzlichen Erfordernisse der Verteidigung des eigenen Landes ist man längst schon zu den Einzelheiten der Aufrüstung, firt der Bewaffnung, der Bereitstellung in der Landschaft, im Gebirge oder Vorland, ob Paitj&r und wie viele wesentlich sind oder nicV gelangt. Kurz, das friedliche, freilich immer in seiner Freiheitsliebe wehrhafte Volk hat Gelegenheit, einen gründlichen Kursus in Wehrsachen und Landesverteidigung mitzumachen. Freilich, diesem Kursus wohnen auch ungebetene und gewiß sehr aufmerksame Zuhörer bei die sich zu allem Gehörten ihre besonderen Reime machen Sehr richtig erkennt die Züricher „Tai“ „Schwächen in der Freiheit“ dieser schweizerischen demokratischen Debatte. Aber es hält nicht viel von irgendwelchen Versuchen, um die militärischen Dinge eine Ge-heimsphäre verbreiten zu wollen, und billigt es deshalb daß jüngst die Legislative eine Bestimmung der neuen Truppenordnung an den Bundesrat zurückgewiesen hat, der es für geraten gehalten hatte, daß gewisse Angaben der innerer^ Heeresorganisation und ihrer physischen und materiellen Kräfteverteilung zurückhaltend behandelt werden. Das Schweizer Blatt kommt zu dem Schluß, zwar tue „die freiheitliche Publizität der Kampfkraft jeder Art Abbruch, sie hält aber Grundsätze hoch, die in die Zukunft weisen jene nämlich, denen zufolge alle Art Geheinuiiplo-matie die Politik der eisernen Vorhänge, des Schweigens und Verschweigens niemals im Dienste des Weltfriedens stehen kann. Der Weltfriede, von dem seit kurzem so viel gesprochen wird, wird in dem Maße gesichert, als die öffentliche Rechenschaft möglich ist“. — Ausgezeichnet. Aber doch nur, wenn die freiheitliche Publizität in Sachen der Landesverteidigung eine allgemeine ist und nicht die einen alles an die große Glocke hängen und die anderen sich mit eisernen Vorhängen umgeben. Die Theorien sehen anders uns. wenn sie mit Menschenleben im großen bezahlt werden müssen.

WO DIE VERGÖTZUNG DER MANSCHEN beginnt, ist sie immer ein Zeichen, daß in dieser Regio?? die Ordnung der irdischen Dinge aus dem Geleise, gehoben ist und die Entwürdigung des Menschen begonnen hat. In dem Budupester Wochenblatt „Vilagossag“ schildert eine Arbeiterin ihre Eindrücke von der Maifeier in der ungarischen Hauptstadt und schreibt wörtlich: „Morgens um 6 Uhr zogen wir aus und konnten es kaum erwarten, unseren lieben, süßen Vater Genossen Raknsi, das Augenlicht der ungarischen Werktätigen, zu sehen. Die Partei und er erheben uns und lehren unser Volk. Als ich zur Tribüne kam, hätte ich ihn am liebsten umarmt Als er uns zuwinkte, fühlte ich, daß es auch mir galt, damit ich noch besser arbeite.“ — Im Prager „Rüde Pravo“ wird stolz berichtet, was die Schülerin Bozenka Kdyrova als ihr Erlebnis empfand, da sie beim Maiumzug mit einem Schüler, der so wie sie zu den „Pionieren“ gehört, auf die Tribüne zu Präsident Gottwald geschickt wurde. „Ich werde mir die Wange“, versicherte das Mädchen, „auf die mich der Herr Präsident geküßt hat, nicht waschen, damit ich den Kuß nicht abwische.“ — Genau dieselben Huldigungen Alter und Junger empfing auch ein anderer Diktator, der nach ein paar Jahren in den Kasematten seiner Reichskanzlei in tiefster Verzweiflung sich selbst verbrannte.

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