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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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DIE BERLINER KONFERENZ ist in ihrer zweiten Woche festgefahren. Der bisher unverrückbare Stein des Anstoßes ist das Deutschlandproblem. Hier scheiden sich die Welten. Molotow ist nicht bereit, trotz weitgehender einzelner Konzessionen van selten Bidaults und Edens, freie Wahlen für Gesamtdeutschland zuzugestehen. Er wünscht zuerst eine gesamtdeutsche Regierung, auf deren Bildung Moskau über Pankow weitgehenden Einfluß nehmen könnte. Das ist für den Westen unannehmbar. Zum anderen will Moskau nicht seinen besten Stein auf dem europäischen Schachbrett preisgeben: Ostdeutschland, das Polen und die Tschechoslowakei, zwei unsichere Satelliten, in Schach hält durch seine ganz von des Kremls Gnaden abhängige Regierung und „ihre“ russischen Panzerdivisionen-, Ostdeutschland, das mit seinen Uranvorkommen, seinem „Menschenmaterial“ von hochwertigen Facharbeitern, seiner strategischen Position in Mitteleuropa ein unschätzbar wichtiges Pfand ist. Vielleicht für eine morgige Flurbereinigung, die den Erdkreis umfaßt. — Was soll nun geschehen? Die Berliner Konferenz 1954 hat zumindest das eine große Verdienst, daß hier unter beiderseitigem Verzicht auf überdosierte Propaganda nackt und klar die Interessen der beiden Welllronten herausgestellt worden sind. Der Westen kann nicht verzichten auf eine engere Bindung Westdeutschlands an sein Potential, der Osten glaubt nicht verzichten zu können auf Ostdeutschland. Was soll nun geschehen? Die Russen selbst gaben in einer Pressekonferenz vor wenigen Tagen eine Andeutung, die eine sehr wahrscheinliche Entwicklung vorzeichnet. Sie erklärten nämlich, sie seien durchaus bereit, mit Bonn in wirtschaftliche, kulturelle und andere Kontakte zu treten. Ins Europäische übersetzt würde das bedeuten: die beiden großen Gegner verständigen sich dahin, bis auf weiteres den Status quo anzuerkennen und zu legitimieren, Westdeutschland „bleibt“ beim Westen, Ostdeutschland „bleibt" beim Osten. Das wäre keine Lösung für die Dauer, dennoch hätte sie vielleicht einen Vorteil: der kalte Krieg könnte in Europa reduziert werden auf ein Mindestmaß von Auseinandersetzungen, wenn die beiden Deutschland als zwei „eingefrorene Posten“ und nicht al ein großes Zerrfeld bis auf weiteres respektiert würden. Nun steht Punkt drei auf der Tagesordnung: Oesterreich.

EIN SCHWARZER TAG IN DER GESCHICHTE UNSERER REPUBLIK jährt sich in dieser -Wvehe: •VorimCeHcJährafehntenw- im 12. Februar 1934, erhoben Oesterreicher gegen Oesterreicher die Waffen. Unseligster aller Kriege, Bürgerkrieg! Seine Wunden heilten nur sehr langsam und sehr schwer. Nicht einmal die vielen tausend Opfer der großen Weltkatastrophe haben sie vergessen lassen. Sie drohen aufzubrechen, wenn immer achtlose oder mutwillige Hände sie berühren. Und dies geschah nicht selten in den vergangenen Jahren. Merkwürdig: Andere Völker bemühen sich, das Andenken von Sternstunden ihrer Geschichte hochzuhalten. Sie streichen jene Tage im Kalender an, die einmal hohe Zeiten nationaler Einmütigkeit und Festigkeit sahen. Anders wir Oesterreicher. In unserem Sechsmillionenvolk an der Scheidelinie der Weltpolitik bemüht man sich mit Fleiß, Gegensätze von einst zu kultivieren und Barrikaden, auf denen vor zwanzig Jahren Menschen starben, nicht abzutragen. Nein, man soll an jenem Schicksalsdatum wirklich nicht achtlos vorübergehen. Das Gedenken aber trage ein positives, nicht ein negatives Vorzeichen. Es sei der Klage und nicht der Anklage, der Besinnung statt der Polemik gewidmet. Was kann getan werden, was muß unterlassen werden, daß es nie wieder einen Februar 1934 in der österreichischen Geschichte gibt? Welcher Finger sich vor zwanzig Jahren zuerst im Hotel Schiff in Linz am Abzug eines Karabiners krümmte, ist heute nicht mehr von Belang. Allein zu vermeiden gilt es alles, aber auch wirklich alles, was unsere Innenpolitik in ähnliche ausweglose.Situationen hinejnmanövrieren könnte. Der Parteienkampf bleibe grundsätzlich in' dem ihm zustehenden Rahmen eines freien, mitunter auch scharfen Wettstreites. Seine Arena sei das Parlament und nicht die Straße. Parteipolitische Gegnerschaft aber führe nicht zu persönlichem Haß. Ueber allem aber stehe das Wohl des verlorenen, wiedergewonnenen und in bald zehn Jahren harten Ringens bewahrten freien Vaterlandesl Wissen wir doch alle, daß es unter uns Kräfte gibt, die ihre Ziele — wenn je — nur aus Zwietracht und allgemeiner Verwirrung erstehen sehen. Man erkenne diese Gefahren und handle danach. Die Bewahrung unseres Landes und Volkes, das ist es, wozu uns die Toten, die vor zwei Jahrzehnten diesseits und jenseits der Barrikaden 'fielen, verpflichten.

HINTER DEN KULISSEN UND VOR IHNEN, auf der Bühne der Oeffentlichkeit, in Presse, Funk und Reportage, in in- und ausländischen Zeitungen wird seit geraumer Zeit jener ergötzliche Kleinkrieg geführt, der in die Annalen der Zukunft vielleicht als Oesterreichs Theater krieg eingehen wird. An dramatischen Akzenten hat es bereits bisher nicht gefehlt. Parteien marschierten auf, Sänger und Schauspielerinnen, Bühnenarbeiter und Galeriebesucher, Zaungäste aus der „Provinz“ und altehrwürdige Kritiker, um für diesen und jenen Burgtheater- und Operndirektor das Wort zu ergreifen, die Feder zu schwingen. Recht so, gut so. Nachdem nun eine Entscheidung gefallen ist — durch die Besetzung der Direktion der Staatsoper mit Dr. Böhm —, konzentriert sich naturgemäß das Interesse auf die zweite Besetzung, auf „unsere Burg“. Hier wird aber nun des Pudels Kern deutlich genug, so sollte man meinen, sichtbar. Es geht ja in diesem österreichischen Theaterkrieg keineswegs nur um Personen und Personalien, wie manche Beteiligte und Unbeteiligte meinen möchten, sondern um noch ernstere . Dinge: um den Beginn eines echten. Reformwerkes, der unseren Staatstheatern die Möglichkeit geben soll, Oesterreichs alte Weltstellung in Kunst und Kultur gültig zu repräsentieren in einer gewandelten Zeit, die, selbst noch im Wandel begriffen, hohe Anforderungen an die Stäbe und ihre Führungen richtet. Heikler noch als das durch ein ziemlich statisches internationales Repertoire gesicherte Opernregime ist dabei die Betreuung des Burg- und Akademietheaters. Eine Torschlußpanik, die künstlich von verschiedenen Seiten propagiert wird, ist hier ganz und gar f e h 1 am Platz. Allem Anschein nach ist der Mann, der dieser Aufgabe gewachsen ist, noch nicht gefunden. Womit der Liebenswürdigkeit einiger Bewerber kein Tort angetan werden soll. Das weiß die Bundestheaterverwaltung und hat mit ihrem Appell an die Oeffentlichkeit, geeignete Männer vorzustellen, selbst kein Hehl aus der Sache gemacht. Es kann heute, da die Augen der Welt kritisch auf uns gerichtet sind, auch eine betrübliche Wahrheit nicht mehr verborgen gehalten werden: so manche kulturell wichtigen Besetzungen wurden im Druck der ersten Nachkriegsjahre in einer Weise vollzogen, die man heute gerne rückgängig machen möchte. Verständlich also das Bemühen der Verantwortlichen, die Verantwortung für unsere Sprechtheater nur einem Manne anvertrauen zu wollen, den sein internationales Ansehen und bewährte Leistung im ganzen Raume deutscher Sprache berufen, ihre Leitung zu übernehmen. So eilig haben wir es nicht. Direktor Gielen steht nach wie vor zur Verfügung, und bis zum kommenden Herbst sollte sich aus der Absprache der Oeffentlichkeit, der Bewerber und der Verantwortlichen das Richtige finden lassen.

NACH DEM SCHEITERN FANFANIS herrschte für einige Tage in Rom jene Windstille, die zugleich Ausdruck großer Erschöpfung und der Zusammenballung neuer Spannungen, Arbeiten und Konflikte ist. Die Situation für Italien im allgemeinen, für die Demö- cristiani im besonderen ist ernst genug. Die Vertreter der „Linken Mitte" innerhalb der Democristiani haben an Ansehen und Gewicht durch das gescheiterte Experiment Fanfani Einbußen erlitten, das bestätigen nicht nur die heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen, die nunmehr zwischen den beiden Führern des linken Flügels, Gronchi und Fanfani, stattfanden, wobei die alten Kämpfe zwischen der Linken und der Rechten in dieser Regierungspartei weitergehen. Also bemüht sich De Gasperi um eine neue Vierparteienregierung und läßt unter anderem Scelba mit Romita verhandeln. Das Prekäre dieses Versuches der Mitte ist dadurch gegeben, daß die Sozialisten eine weitgehende Einflußnahme verlangen, die schon im Regierungsprogramm und in drei Ministerien sichtbar werden soll. Nicht mit Unrecht erklären dazu die Kritiker: „hier wolle der Schwanz mit dem Hund wedeln" — die 23 sozialdemokratischen Parlamentarier wollen' die 378 christlichdemokratischen Abgeordneten auf ihre Forderungen bestimmen, und dazu noch die zwei Mittelparteien, Liberale und Republikaner, ins Schlepptau nehmen. Wie gewagt dieses Experiment sein mag, erhellt aus der einfachen Tatsache, daß diese Vierparteienkoalition eine knappe Mehrheit im Parlament über die1 vereinigte Opposition von den Monarchisten bis zu den Neofaschisten zu erreichen vermag — äußerste Disziplin wäre also erste Lebensbedingung. Wie aber soll eine solche erreicht werden, wenn die 23 Saragat-Sozialisten rund 400 Abgeordnete anderer Provenienz auf ihre Linie verpflichten wollen? Die Spannungen werden also eher wachsen als abnehmen in der kommenden Koalition der Mitte. Zum Verständnis, wenn auch nicht zur gänzlichen Entschuldigung dieser 23 Mann läßt sich immerhin ein gewichtiges Moment vorbringen: sie versuchen, ein Gutteil jener‘Massen mitzuvertreten, die jetzt noch.aus Enttäuschung über die fehlgeschlagene Sozialpolitik der letzten sieben Jahre für die linkssozialistisch-kommunistische Allianz gewählt haben. Gelänge es also den Rechtssozialisten, den Anstoß zu einer wirklichen Sozialreform zu geben, dann könnte mit einem Schlag Italiens politische Situation ein anderes Aussehen erhalten.

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