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Randhemerkungen zur woche

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DER ERSTE MAI 1953 präsentierte der aufhorchenden Welt besonders eindrucksvoll, was unsere Zeit, was die Zukunft an Möglichkeiten, an Verheißungen des Schrecklichen und des Guten in sich birgt. In Buenos Aires tielen wieder Bomben, Mahnungen für die prekäre Innerer Lage aller Diktaturen; in Tunis bildeten eine Reihe von politischen Gewaltakten den Auftakt für die Wahlen, ein düsteres Pegelzeichen für den Stand der Beziehungen zwischen europäischen Kolonialmächten und eingeborener Bevölkerung; die Hauptstadt von Laos, Luang Prabang, bereitete sich aut eine Entscheidungsschlacht mit den eingefallenen kommunistischen Truppen vor — in London, das bekannt ist für seine eher optimistische Beurteilung der asiatischen Situation, spricht man aus eben diesem Anlaß davon, daß Maotsetung mögliche) weise den Marsch zur Eroberung Asiens bereits angetreten habe. — Es fällt schwer, angesichts dieser gewichtigen Vorgänge, die Friedensbotschaften der volksdemokratischen Mairedner geziemend zu würdigen. Immerhin wurde bemerkt: der Präsident der Tschechoslowakei, Zapotocky, sprach von der Bereitschaft seines Landes, mit Oesterreich friedlich zusammenzuarbeiten, und bezog sich sogar auf den Staatsvertrag. Und, was wohl in seiner demonstrativen Bedeutung gewichtiger ist: Marschall Bulganin versicherte hei der Maikundgebung auf dem Roten Platz in Moskau neuerdings: „Was die Außenpolitik anbelangt, so ist unsere Regierung, wie aus ihren offiziellen Erklärungen hervorgeht, der Meinung, daß mit gutem Willen und bei einsichtsvoller Einstellung alle internationalen Differenzen auf friedlichem Weg behoben werden könnten.“ — Der Reim auf jene Taten und diesen Reden sollte nicht allzuschwer zu finden sein: das große Tauziehen der Weltmächte ist in eine neue bedeutungsschwere Phase eingetreten. Wobei nur gehofft werden kann, daß es sich nicht allzuweit von den Spielregeln entfernen möge, die sich in den letzten Jahren stillschweigend doch herausgebildet haben ... —( Bleibt ein letzter Vermerk: in unserer kleinen Well, in Oesterreich, die dennoch nicht arm war an schweren Konflikten in den letzten Jahrzehnten, bekundeten die offiziellen Maifeiern der demokratischen Parteien und das „inoffizielle“ Verhalten der Gesamtbevölkerung, daß „Friede, Arbeit, Freiheit“ (die Parole der Kommunisten) realisiert werden können; von Menschen, die eines guten Willens sind.

DIE NEUBESETZUNG DES HANDELSMINISTERIUMS nach dem tragischen, allzu frühen Tode des Ministers Böck-Greissau ist ein Vorgang, der weit mehr als öfter Neubesetzungen von Ressorts das Interesse der Oeffentlichkeit beansprucht. Der Handel, und das heißt der Außenhandel, ist mitentscheidend für Oesterreichs innenpolitisches Schicksal. Seine Krise ist weltbekannt: Es ist Oesterreich nicht gelungen, sich nach 1945 jenen Platz auf den Weltabsatzmärkten zu erkämpfen, den es bei einiger Umsicht und Energie in einer zielstrebigen Zusammenarbeit von Staat und Volk hätte erringen können. Kostbare Jahre wurden verloren. Inzwischen hat eine mächtige internationale Konkurrenz die Chancen des Anfangs noch verringert. Es wird deshalb allgemein beachtet, daß der neue Handelsminister DDDr. Udo III ig bereits bei seinem Amtsantritt „einschneidende Maßnahmen“ für die allernächste Zeit ankündigte. Dr. llllg ist durch eine jahrzehntelange Praxis in der Steiermark mit den Problemen des Handels und des Fremdenverkehrs vertraut. Es wurde aufmerksam vermerkt, daß er nun auch eine Untersuchung der in letzter Zeit viel kritisierten Fremdenverkehrswerbung ankündigt. Außenhandel und Fremdenverkehrswerbung hängen ja enge zusammen. Zwei Visitenkarten, ohne die ein Land wie Oesterreich nicht konkurrenzfähig wirtschaftlich arbeiten kann. Es ist zu hoffen, daß_es Minister Dr. Iiiig gelingen wird, das zu werden, was viele von ihm erwarten: Jene Persönlichkeit, die durch Energie und umsichtige Planung ■ Oeslerreichs Außenhandelswirtschaft aus vielen zagen und zögernden und nicht selten kleinlichen Ansätzen herausführt in die Weite internationaler Ebenbürtigkeit.

DER VIERTE BUNDESPARTEITAG der Christlich-Demokratischen Union in Hamburg war zeitlich, mit meisterhafter Regie, so angelegt, daß er zusammenfiel mit dem ersten Empfang des Bundeskanzlers Dr. Adenauer auf deutschem Boden nach seiner triumphalen Amerikalahrt. Gerade deshalb war kurz zuvor in CDU-Kreisen, die besorgt auf die innerpolitische Entwicklung blicken, die Befürchtung laut geworden, die „Regie“ der Parteileitung werde alles daransetzen, um durch eine Hervorkehrung dieses außenpolitischen Erfolges abzulenken von Uder notwendigen Erörterung der sozialen und gesellschaftlichen Probleme, die seit 1946 kaum mehr offen behandelt wurden, wenn man von den Vorstößen Karl Arnolds, des Ministerpräsidenten von Rheinland-Westfalen, und von einigen rhetorischen Reden absieht. Diese also durchaus nicht unbegründeten Befürchtungen, die verstärkt wurden durch das offensichtliche Uebergewicht industrieller Interessenverbände in der Partei und durch den Druck der Allianz mit den rechtskonservativen und liberalen Parteien, wurden in beachtenswerter Weise entkräftet durch eine bedeutende Offenheit des Parteitages für die Erörterung eines positiven christlichen Sozial- und Wirtschaltsprogramms, in dessen Zentrum die Fragen des Familienschutzes und des Mitbestimmungsrechtes stehen. Einflußreiche Kreise der CDU haben erkannt, daß der proletarisierte Mittelstand mit seiner Eigentumslosigkeit und der Unmöglichkeit, neues Eigentum zu bilden, eine Gefahr nicht nur für die Partei darstellt, sondern für die Nation. Der Substanzverlust an Kultur und Geist, die gefährdete Stabilisierung der Demokratie, das Schwanken der politischen Ansichten gerade in lebenswichtigen Angelegenheiten des deutschen Volkes: das alles hängt an der immer noch weitergehenden Schwächung dieses Mittelstandes sowie an der Unmöglichkeit, an die fluktuierenden Massen, die abseits stehen, heranzukommen. Der viette Parteitag der stärksten Regierungspartei stand hiebei naturgemäß bereits im Schlagschalten der kommenden Wahlen, die im Herbst dieses Jahres heranstehen. Zugkräitige Parolen werden von niemandem verschmäht, von keiner kleinen und von keiner großen Partei. Parteifreunden, denen das Schicksal der Christlich-Demokratischen Union am Herzen liegt, gaben deshalb zum Abschluß des Tages ihrer Hoffnung Ausdruck, daß es gelingen müsse, nicht nur Parolen für den Wahlkampf zu finden, sondern das nunmehr skizzierte Programm zu einem Aktionsprogramm ausreifen zu lassen.

AUCH IN DEN ZEITUNGEN DER VOLKSDEMOKRATIEN wurde neben der Antwort der Moskauer „Prawda“ vom 25. April die Rede Eisenhowers im Wortlaut veröffentlicht; auch jene Frage des Präsidenten, ob die neuen Führer der Sowjetunion bereit sind, den Nationen Osteuropas „die freie Entscheidung über ihre Regierungslorm zu gestatten“. Die Leitaulsätze der Zeitungen lehnten freilich einmütig eine „Befreiung“, die „die Wiederherstellung der Herrschaft der abgewirtschafteten Kapitalisten, Bankiers, Großgrundbesitzer“ bedeuten würde, ab. Trotzdem bleibt die aulfallende Tatsache, daß die Oeffentlichkeit auch in den Oststaaten korrekt vom Standpunkt beider Parteien informiert wird. Die Frage ist berechtigt: von welchen Motiven läßt sich die Führung dieser Staaten bei dieser auffallenden Aenderung ihrer Pressepolitik leiten? Handelt es sich hier bloß um einen neuen Trick der „Gedankenpolizei“, den sie sich im Besitz aller Gewalt ruhig einmal leisten kann? Kaum. Jeder Kenner der volksdemokratischen Zustände wird bestätigen, daß dort, eine Industrialisierung kolossalen Ausmaßes im Gange ist, daß Forschungsinstitute und Spitäler aus dem Boden sprießen, daß die

Kinder der früheren Aermsten — in Ungarn gab es drei Millionen landwirtschafttiche Saisonarbeiter, die schlechter daran waren, als einst die Leibeigenen — iieufe mithellen, die neuen Hochschulen zu bevölkern. Was weiß, was hört diese Jugend vom Westen? Von Freiheit und Menschenwürde, die sie bei alldem doppelt verlor, weil sie ihnen nie teilhaftig wurde? Die Kehrseite der Medaille vorzuzeigen: dafür wäre heute z,. B. das ganztägige Programm des bekannten „Radio Free Europe“ da. Und hier wird eben, mit einer schon verdächtigen Rhethorik und nicht ohne hysterische Anfälle, unentschuldbar das Wort des Vorgestern gesprochen. Nicht nur, daß es kaum Nachrichten gibt, die nicht mit westlichen Rüstungszahlen, mit hin- und herreisenden Generalen beginnen oder enden würden; nicht nur, daß immer wieder irgendwelche Senatoren, wie auch jüngst ein gewisser Senator Bridges, hervorgekehrt werden, die „die sofortige Anwendung der Atombombe in Korea“ fordern; aber es fehlt auch jede ernste, selbstkritische und somit erst „europäische“ oder, wie wir wissen, auch „amerikanische“ Auseinandersetzung mit Gestern und Heute. Oder sollten wir etwa den romantisch-pathetischen Liberalnationalismus der „ungarischen Sendungen“ unter dem Motto „Kossuth“ mit der reich gespendeten Zigeunermusik oder aber die Berichte über Straßburger Worf-geplänkel in Swing- und Bebop-Umrahmung dazu rechnen? Hier wird etwas Kostbares verspielt: Hoffnung. Der amerikanische Außenminister, der in seiner Rede in Denver am Jahresende die Freiheit im Dienste von „erhebenden und schöpferischen Zielen“ zu sehen wünschte, wird hier klar sabotiert. Schade, daß es nicht so etwas wie einen „Neo-McCarthy“ gibt!

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