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Randhemerkungen zur woche

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„UNSER PROGRAMM. IST KEIN FESTSPIEL-PROGRAMM: mache jeder in seinem Rahmen das Seine. Kapfenberg ist keine Festspielstadt und kennt seine Grenzen. Wer die Verkarstung des kulturellen Lebens aufhalten will, der darf keine Ziersträucher pflanzen, sondern zähe, widerstandsfähige Sorten ... Wir bekennen uns' dflzu, Menschen des 20. Jahrhunderts zu sein und in der Mitte dieses Jahrhunderts zu leben. Das Selbstverständliche versteht sich, wie in diesem Fall, nicht immer von selbst. Denn bei aller Ehrfurcht vor dem Gültigen der Vergangenheit, bei allem Dank, den wir Spätgeborenen den Meistern anderer Zeiten schulden, haben wir doch eine Pflicht dem Fleute gegenüber. Was hätten wir von einer Kunst, deren Schönheit nicht aus dem Leiden gefiltert wurde. Ja, wünschen wir uns denn im Ernst, die Kunst der Gegenwart möge eine ihrer edelsten Eigenschaften verlieren, nämlich die, uns auszudrücken, in all unserer Zerrissenheit? Wenn der moderne, arbeitende Mensch will, daß er zerstreut werde, anstatt gesammelt, wenn er darnach verlangt, noch mehr von diesem Futter zu bekommen, dann wollen wir ihm nicht dabei behilflich sein.“ Das sind einige Sätze aus einer Ansprache, die der Kulturreferent von Kapfenberg, Dr. Alfred Mik e s ch, gehalten hat. Und es sind zugleich Leitsätze für die „Tage österreichischer Kultur“, welche die Industriestadt Kapfenberg alljährlich veranstaltet. Orchester- und Chorkonzerte, eine Theateraufführung, Dichterlesungen und Vorträge, eine Ausstellung unter dem Titel „Mensch und Technik“ sowie Führungen durch die Böhler-Werke: das alles war von dem gleichen guten, gegenwartsnahen Geist beseelt, der diese Kulturtage zu den erfreulichsten Manifestationen macht. Natürlich kann Kapfenberg das Dargebotene nicht mit eigenen Kräften bestreiten. Schauspieler und Musiker waren aus Graz, Schriftsteller und Vortragende aus Wien gekommen, um ihre Verbundenheit mit einer Stadt zu beweisen, die im Zeichen der Technik steht, aber ihre kulturelle Verpflichtung den tausenden Menschen gegenüber, die dort hart arbeiten, nicht vernachlässigt. Die Gäste waren die Schenkenden — und die Beschenkten. Denn was Kapfenberg den Künstlern zu schenken hat, ist sehr viel: die Versicherung nämlich: wir brauchen euch, wir schätzen eure Arbeit, wir sind bereit, zu sehen, zu hören, zu begreifen.

VON DER FREIHEIT GEBLENDET? Matt möchte es glauben, wenn man Presseäuflerungen aus dem sozialistischen Lager zu lesen bekommt. Den geradezu peinlichen publizistischen Exzessen der „Arbeiter-Zeitung“, die sich mit Vorkommnissen im Zusammenhang mit dem Abschluß des Staatsvertrags beschäftigen, stehen aber die wohlabgewogenen Feststellungen gegenüber, welche die an alle Wiener Haushalte verteilte sozialistische „Wiener Volkszeitung“ enthält. „Wir werden alles allein mit uns selbst auszumachen haben“, heifit es da. Diese neue Freiheit, diese neue Mündigkeit, sind wir in Oesterreich gar nicht recht gewohnt. Seit 193$ und in einem gewissen Sinn seit 1934. Nur ein einziges Mitglied der Bundesregierung war schon in einer Zeit in führender politischer Stellung, als wir noch jenes Maß an Freiheit hatten, welches die Mittelstaaten im Westen durchweg besitzen. „Uns geht es wie dem Blinden, der plötzlich sein Augenlicht wiedererhält: Wir werden uns an unsere Freiheit erst gewöhnen müssen.“ „Wir“, das heißt auch die Parteiführungen. Wer die Diktatur der 51 Prozent anstrebt, ist ebenso ein Feind der Freiheit wie etwa ein Militärdiktator. Der Unterschied ist nur ein optischer: Die einen regieren und diktieren mit dem Militär und die anderen mit Verwaltungsmaßnahmen. Man hat den Eindruck, daß manche Politiker, angesichts des allzuvtelen Lichtes, das nach Oesterreich hereingelassen wurde, geblendet wurden und in diesem Zustand — wild um sich herumschlagend — Porzellan zerbrachen, das man nur noch kitten kann. Die Risse bleiben. Mit Recht fordert die „Volkszeitung“ der Sozialisten, daß wir die „Freiheit und Demokratie mit Zähnen und Klauen zu verteidigen“ haben. Auel* gegen eine parlamentarische Diktatur. Da, wo Soziallsten die 51 Prozent haben, sind sie leider nicht durchweg als Demokraten aufgetreten. Etwa in den Arbeiterkammern und im Gewerkschaftsbund. Oder bei den verstaatlichten Betrieben. Bei den Bundesbahnen, deren Personalpolitik und Personalaufnahmen eine innersozialistische Angelegenheit geworden sind. Zehn Jahre Koalition, das hflßt zehn Jahre Maß halten, Bedacht nehmen auf die Gesinnung des Partners, Achtung haben vor der Gesinnung des Waffengefährten, auch wenn man dabei (wenn auch nur scheinbar) Prinzipien aufgeben muß. Der Partner Ist nicht jünger geworden. Die Dirndln vom VdU winken oft ganz verführerisch und fordern zu einer zweiten Ehe auf, zumindest zu einem kleinen Flirt. Die Verführung ist groß. Haben es doch auch die Parteigenossen In Belgien und Bayern vermocht, ihre antikapitalistischen, Gefühle einzumotten und mit den Großkapitalisten gegen die „Schwarzen“ gemeinsame Sache zu machen. Aber schließlich Ist das VdU-Dirndl rasch gealtert. Es hat sich gezeigt, daß hinter der dick aufgetragenen Schminke viele Falten verborgen waren. Daher: „In den letzten zehn Jahren hat Oesterreich durch die Zusammenarbeit der beiden Parteien Großes geschaffen.“ Nicht nur „Großes“, sondern, angesichts der besonderen Situation, Einmaliges. Gerade die Koalition, der Verzicht auf Opposition, war eine politische Großtat, welcher der freie Westen mehr verdankt als er heute zu ermessen vermag. „Wir glauben, daß wir an diesem Zustand nichts ändern sollen. Wir halten die Koalition für die Grundvoraussetzung, um auch jene schwierigen finanziellen und wirtschaftlichen Fragen im Interesse unseres Volkes günstig zu lösen, die sich aus dem Abschluß des Staatsvertrages ergeben.“ Das aber heißt: Wer versucht, die Koalition zu zerbrechen, handelt gegen die Interessen des Volkes. Wer die Koalition zerbrechen will, der will den Klassenkampf, der ist — geblendet von Freiheit — für eine neue Form der Diktatur.

DER K0MMERZ1ALRAT WAR BISHER DAS SYMBOL von Wohlstand, verbunden mit einem angemessenen Alter. Die Summe aller Kommerzialräte aber stand irgendwie stellvertretend für die Klasse der „Bourgeoisie“ da. Der Kommerzialrat, das war (im Sinne altgläubiger marxistischer Auffassung) ein ob seines offenkundigen kommerziellen Erfolges und daher ob seiner „Ausbeutung“ der Arbeiterschaft von einem mit der Bourgeoisie gemeinsame Politik machenden Staat hochgeehrter Mann.

Nun scheint es aber, als ob in Oesterreich die Kommerzialräte zu einem guten Teil im Klassenkampf einen Stellungswechsel vorgenommen hätten. Der sozialistische Unternehmer ist in dieser Zeit keineswegs mehr ein Säulenheiliger, ein politischer Einzelgänger, sondern eine in Tausenden von ehrenwerten und hochvermögenden Exemplaren vorhandene Erscheinung. Nicht weniger als 35.000 Unternehmer haben sich bei den letzten Handelskammerwahlen zum Sozialismus bekannt. Das war die Sensation dieser Wahlen und gleichzeitig ein Ausdruck für eine völlig gewandelte politische und soziale Situation. Die Sozialisten (nicht nur in Oesterreich) sind daran, aus einer Klassenkampf- zu einer Volk s-Partel zu werden. Die Vereinigung der „Proletarier aller Länder“ wird mit einer Vereinigung der Kommerzienräte aller Länder kombiniert. Unter den neuen Funktionären der Handelskammern befinden sich nicht weniger als an die dreißig sozialistische Kommerzialräte (die nur einen Teil der sozialistischen Unternehmerfunktionäre ausmachen). Diese dreißig Kommerzialräte sind — man muß das mit Rücksicht auf ihren Titel annehmen — kaum Proletarier (auch wenn sie, weil Sozialisten, sich als Kleingewerbetreibende bezeichnen); sie sind Bürger, „Kapitalisten“, sie gehören nach Marx zu den „überflüssigen Personen“, die ein Einkommen beziehen, welches gleich ist dem „angeeigneten Quantum fremder Arbeit“ (Marx, „Das Kapital“, HI/423, der Dietz-Ausgabe 1951). Hätten diese Kommerzialräte nicht Gewinn erzielt, also den Arbeitern „Mehrwert“ entzogen, wären sie kaum zu ihrem Titel gekommen, den ihnen in den meisten Fällen ein sozialistischer Bundespräsident verliehen hat. Die große Frage ist nun, wie es der SPOe gelingen wird, ihr Bemühen, alles zu verstaatlichen, vom Luftballonhandel bis zum Eisenwerk, mit den politischen Zielen der sicherlich nicht auf Grund eines Armutsgelübdes in die Partei aufgenommenen Unternehmer abzustimmen. Das ist jedoch schließlich eine innersozialistische Angelegenheit. Wir aber sollten uns darüber freuen, daß so viele Anzeichen dafür vorhanden sind, daß der Klassenkampf in unserem Land offensichtlich viel von seiner Schärf(e) verloren hat. Wenn der Klassenkampf noch in seiner alten Härte geführt werden sollte: Wo stehen dann die 35.000 sozialistischen Unternehmer, auf welcher Seite der Barrikade haben sich die dreißig sozialistischen Kommerzienräte eingegraben? Die OeVP hat heute ohne Landarbeiter ebensoviele Arbeiter wie die Sozialisten Unternehmer haben. Liegt in diesem Austausch nicht ein Beweis dafür, daß die Fronten sich lockern und daß die Auseinandersetzungen mit dem orthodoxen Marxismus nicht solche nur-wirtschaftlicher Natur sind, sondern zu einem guten Teil zu der großen Auseinandersetzung der Kirche mit dem atheistischen Liberalismus gehören: In Belgien, in Bayern und in Argentinien ist aus dem Klassenkampf ein Religionskrieg geworden, in dem die Sozialisten engste Tuchfühlung mit den „Ausbeutern“ von gestern halten. •

NATAL, DIE PROVINZ DER SÜDAFRIKANISCHEN UNION, rund ein Drittel größer als Oesterreich, aber mit nur einer halben Million mehr Einwohnern als Wien, war pädagogisch ein wenig beachtetes, aber, politisch gesehen, wichtiges Gebiet. In diesem Lande, in dem die Weißen rund zehn Prozent der Bevölkerung ausmachten, bestand in Fort Hare eine Negeruniversität, ein Unikum, das in des Wortes wahrster Bedeutung Schule hätte machen können. Während die anderen Hochschulen der Provinz teils Weiße und Farbige zwar gleicherweise zulassen, aber verschiedene Vortragende und Hörsäle besitzen (beispielsweise Kapstadt), teils keine Farbigen aufnehmen (z. B. Pretoria), war in Fort Hare (wenn man von der University of Natal mit Sondercollege für Schwarze und Asiaten absieht) der Brennpunkt des tiefgehenden Bildungsbedürfnisses aller Farbigen. Für diese ist das Erziehungswesen weitgehend ausgebaut und von modernem Geist erfüllt. Hare war sozusagen die Krone auf diese fortschrittlichen Bestrebungen, die, wenn sie systematisch durchgeführt und mit einer entsprechenden Geltung der Absolventen im Staatsdienste vervollständigt, allem Gerede über das Negerproblem und, natürlich, den auf dieses Einfluß nehmenden auswärtigen Aktionen ein Ende bereitet hätte. Die südafrikanische Regierung hat diese Negeruniversität in Fort Hare geschlossen mit der Begründung, die Studenten gehörten einer Geheimgesellschaft au. In Europa, wo man seine bitteren Erfahrungen mit Maßnahmen hat, die in das Erziehungswesen aus rassischen Gründen eingriffen (denn der'Passus mit den „Gehelmgesell-schaften“ überzeugt wenig, angesichts der sozialen Verhältnisse in der Südafrikanischen Union), wird man den Vorgängen am Indischen Ozean besorgt folgen.

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