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Vor der Entscheidung

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„Die führerlose, die schreckliche Zeit der westlichen Welt geht zu Ende.“ Mit diesen Worten beginnt das Hauptorgan einer wahlwerbenden Rechtspartei in Oesterreich einen Aufsatz; in derselben Nummer stellt diese Partei ihre Wahlwerber vor mit der nicht seltenen empfehlenden Beifügung, wie lange dieser und jener Nationalratskandidat illegal tätig und wieviel Jahre und Monate er wegen Hochverrats zu schwerem Kerker verurteilt war. Diese eine Seite läßt also an Deutlichkeit des Bekenntnisses nichts zu wünschen übrig. Das verstehen die Meister des Kontrapunkts und suchen daraus ihren Nutzen zu ziehen. Ein Heimkehrer vom Mond, der etwa die letzten Jahrzehnte dort in Geschäften verbracht hat, muß beim Lesen einiger Dutzend Aufrufe und Broschüren der „Volksopposition“ zur Ueberzeugung gedrängt werden, es handle sich hier um eine gemeinnützige Gesellschaft von Menschenfreunden zur Wiederherstellung der demokratischen Grundrechte in einem totalitären Staat, um einen Weltfricdcnsbund zur Sicherung des von Terroristen bedrohten Friedens.

In hunderttausend, in Millionen Blättern bedruckter Papiere wird also der österreichischen Oeffentlichkeit in diesem Februar 1953 einiges zugemutet, was nahe an die Grenze der Fassungskraft der Demokratie geht: unser Volk soll also seine „Führung“ „Führern“ anvertrauen, die es auf die Schlachtfelder von gestern geschleppt haben und die es auf Schlachtfelder der Zukunft zu schleppen verheißen.

Nie sieht die Demokratie so schwach aus wie in eben dem Augenblick, in dem ihr jeweils die Bewährungsprobe, der Erweis der Kraft, abverlangt wird. Diesem Merkmal aller Wahlzciten gilt es ins Gesicht zu sehen. Denn die Versprechungen der Parteien überschreiten auch diesmal entweder das Maß des Verfassungsgerechten oder zumindest des heute Möglichen, des Erfüllbaren. Selbst eine der Großparteien fürchtet sich nicht im Eifer der letzten Gefechte, allen alles zu versprechen, mißt in freundlicher Großzügigkeit sich lelber alle verdienstlichen Leistungen wirtschaftlicher und sozialer Bereiche aus den letzten sieben Jahren zu, und montiert auf ihren Werbebildern Städte und Dörfer der Zukunft, ein Wohnbauprogramm, angemessen einigermaßen dem Gesamtbudget eines Weltstaates; aus der anderen vernimmt man Stimmen beredter Einladung an alles, was Füße hat, ihr zu folgen: „Liberale“ und „Nationale“, Katholiken und Andersdenkende.

Muß denn das alles so sein? Gewiß nicht. Wir alle aber sind irgendwie, und jeder auf seine Art und Weise, mitschuldig, wenn es im Wahlkampf und im politischen Betrieb noch nicht besser bestellt ist. Unsere Parteien sind, vergessen wir es doch nicht, ein recht getreues Abbild unseres Volkes. Kein immer allzu schmeichelhaftes Ebenbild, aber, wer nur einigermaßen wagt, sich und unser Volk im Spiegel zu besehen, der muß doch gestehen: Ja, so sind wir. Das sind wir, die Massen unseres Volkes, das sich an Sonntagen in Kino und Stadion drängt und sich nicht gern über die geistigen Lebensnotwendigkeiten der Gemeinschaft die Köpfe zerbricht.

Wir haben also nicht allzuviel Berechtigung, uns über die Fassade und die

„Fasson“ unserer Demokratie zu beschweren. Sehen wir morgen zu, daß sie würdiger, stattlicher und gesamtstaatlicher aussehen. Heute aber haben wir zunädist auf ein anderes zu schauen: auf- die Arbeit und Leistung derer, die in Gesetzgebung und Verwaltung in Arbeit und Pflicht standen. Denn auch das sind wir: jenes Volk, dem so oft eine mißgünstige Welt Lässigkeit vorgeworfen hat, Widerstreben gegen die Anpassung an schwierige Verhältnisse, und vieles andere in dieser Richtung mehr. In diesem Zusammenhang darf wohl das Urteil eines nüchternen Schweden in diesen Tasen vermerkt werden, des skandinavischen Nationalökonomen B. G. Ohlin: „Wir haben in Schweden mit Bewunderung den Wirtschaftsaufschwung Ihres Landes verfolgt... Es ist keine Uebertreibung, zu sagen, daß die Zukunft Europas in hohem Maße von der Entwicklung in Oesterreich, der Haltung und der politischen Reife des österreichisdien Volkes abhängt. Das unerschütterliche Bekenntnis der Oesterreicher zur Demokratie erhält unter diesem Aspekt historische Bedeutung.“

Da stehen wir. also.nun. Mit dem Bewußtsein unserer Schwäche, gerade auch in unseren Parteien (immer wieder: diesen Parteien, die ein so getreues Abbild unseres Volks sind), und mit dem Bewußtsein unserer Verpflichtung: für Oesterreich, für Europa, für die Demokratie. Wie sehr haben wir alle dazu beigetragen, diese sdiönen und fassungsweiten Worte zu Phrasen zu entleeren. Wer aber soll sie revalorisieren? Wer soll sie sanieren, wenn nicht eine demokratische Wahl, und die persönliche Entscheidung für die Partei, von der wir den Glauben an die unvergänglichen Werte der Mensdiheit erwarten und verlangen dürfen, auch den Dienst für sie. Nicht jedem fällt die Wahl leicht. Sie soll aber auch gar nicht leicht fallen — vergessen wir das nidit! Wir alle werden nur dann befriedigende Verhältnisse erreichen, wenn wir als Wähler unsere Erwählten weit mehr ernst einfordern als bisher. Vielleicht haben wir es manchen bisher zu leidit gemacht. Daß dem nicht so sein muß, zeigen die in den letzten Monaten sich häufenden eindrucksvollen, zur Rechenschaft mahnenden Kundgebungen, etwa wie die der Notgemeinschaft von Kunst und Wissenschaft. Auch das ist Demokratie: jede gesetzlich erlaubte Einflußnahme auf das Hörvermögen der Abgeordneten zum Nationalrat. Wir haben also auch hier keine Entschuldigung, ebenso wie jene keine Entsdiuldung hier für sich budien können. Bleibt die Partei selbst. Hier sollte es doch keinem Einsichtigen verborgen geblieben sein: Die gegenwärtige weltpolitische Situation verlangt von Oesterreich eine standfeste Außen- und Innenpolitik, die behutsam alle Möglidikeiten • eines gerechten Ausgleichs versucht, zumindest um eine Linderung der Gegensätze sich bemüht und nicht in demagogisch schillernden riskanten volkswirtschaftlichen Experimenten herumturnt.

Wohl tun Pläne not. Sie liegen heute bereits vor, realisierbar auf den Ausbau der österreichischen Wirtschaft, eine Sicherung der Währung und für erhöhte Arbeitsbeschaffung geriditet. Aber- mit den Plänen ist allein nicht geholfen. Hinter den Plänen erhoffen wir ein anderes: das Bewußtsein der Staarsfühning um Hie unzerstörbaren Rechte des Individuums, um die Meldung des persönlichen Menschen, der aus christlicher Ueberzeugung das Geschick des Volkes und Staates verantwortet. Wir verlangen eine Politik aus christlichem Gewissen, aus sachlicher Erkenntnis und aus demokratischer Bewährung.

Was haben wir zu erwarten? Auch Partei ist Menschenwerk und der Unvollkommen-heit des Menschlichen unterworfen. Wenn wir ausschauen nach dem Erreichbaren, nach dem, wo es für eine christliche und österreichische und soziale Konzeption am ehesten Erfüllung geben kann, getragen auch von dem Willen großer Volksmassen, so ist die Antwort nicht denkbar, ohne auf die Partei gewiesen zu sein, die bisner durch sieben Jahre die wichtigste konstruktive Kraft dem Staat geboten hat. Gewiß, sie war nicht vollkommen; man weiß um ihre Versager, aber auch um ihre Hindernisse und mächtigen Gegnerschaften, die Ueberwindung vieler Gefahren, und darum, daß das geschaffene Gute, das für uns Lebenswichtige vorwiegend ihre Leistung ist. Man kann die Volkspartei heute nicht hinwegdenken aus der Existenz eines freien Oesterreichs. Sie zu stärken, noch fester in ihren geistigen Fundamenten ruhender, noch fruchtbarer für Gesellschaft und Staat zu machen — nicht nur jetzt in den Wahlen, ebenso nachher —, das ist unsere Sache, die Sache der wachsamen christlichen österreichischen Wähler!

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