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DER GEIST DER WAHRHEIT

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Pfingsten, das ist die Stunde der Weltkirche, die Stunde, da ein kleines Häuflein versprengter, verängstigter Juden, deren Führer man wegen Gotteslästerung hingerichtet hatte, ihre Berufung erfuhr. Im Brausen des Windes, im Feuer, das sich von oben her auf sie senkte, erfuhren sie den Geist, den Heiligen Geist, den zu senden der Herr ihnen versprochen hatte, von dem sie meinten, daß Er gekommen sei, das Reich Israel wiederaufzurichten, das Gottesreich auf Erden, der aber in der Stunde ihrer größten Verzweiflung, als Er vor den Richtern stand und sie Ihn verleugneten, vor lauter Angst, gesagt hatte: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Sie waren keine Träumer, keine Phantasten, keineswegs veranlagt für Halluzinationen und Gesichter, verängstigt, durch die große Enttäuschung ernüchtert, mißtrauisch eher und skeptisch. Gewiß, sie hatten Ihn nach Seinem Tod wieder gesehen, es war kein Zweifel, Er war es gewesen, ihr Glaube war kein Dafürhalten, sondern erlebte Tatsache. Aber jetzt war Er fort, und sie waren wieder allein. Was sollten sie tun ohne Ihn? Zwar hatte Er ihnen aufgetragen, sie sollten hinausgehen in die Welt und allen Völkern das verkünden, was sie gesehen und gehört hatten, Seine Botschaft. Aber wie sollten sie dies anfangen, das kleine versprengte Häuflein Bauern, Handwerker, ungebildete Leute?

Und dann war Er plötzlich da, der Geist, von dem Er zu ihnen gesprochen hatte. Sie haben sich nichts Rechtes darunter vorzustellen gewußt, nun aber spürten sie Ihn, wie Er in sie einströmte, im Brausen des Windes spürten sie Ihn und im Feuer, das sie erfüllte. Und plötzlich wußten sie, auch sie waren verwandelt, auch sie waren andere geworden. Die Furcht, die Angst, die Mutlosigkeit, die Zaghaftigkeit, aller Zweifel, war wie eine Lähmung von ihnen gefallen. Nun wußten sie auch, was sie tun sollten, was sie tun mußten. Und als sie redeten, da redete aus ihnen das, was sie erfüllte, der Geist. Und Er redete so, daß alle sie verstanden, die Araber, die Griechen, di Ägypter, die Mesopotamier, Er redete in ihrer Sprache, in der Sprache der anderen. Und Tausende glaubten und ließen sich taufen

Pfingsten ist die Stunde der Weltkirche! Aber wie spüren wir das heute? Unsere christlichen Feste sind heute weitgehend überwuchert von Volks- und Brauchtum, von den Worten der Dichter und von den Phrasen der Journalisten. Pfingsten ist „das liebliche Fest”, und die Kinder wissen, daß sie um Pfingsten herum gefirmt werden; eine goldene Uhr, ein neues Kleid und einen Luftballon bekommen.

Aber ist Pfingsten nicht das Fest des Geistes, des Heiligen Geistes, des Trösters und Stänkers? Und der Geist weht doch, wo Er will. Er weht in der Kirche, in der Welt, Er ist der Geist der Unruhe und der Geist der Veränderung, und der Geist der Erneuerung: „Sende aus Deinen Geist und Du wirst das Angesicht der Erde erneuern” betet die Kirche. Nur aus der Unruhe der Herzen kommt das Verlangen nach Gott, aus der Veränderung erwächst der Fortschritt, und die Erneuerung ist unsere Errettung und die Rettung der Welt. Aber nicht nur die Unruhe und die Veränderung und die Erneuerung bewirkt der Geist, Er bewirkt in uns auch, daß wir all das erkennen: Er ist der Geist der rechten Erkenntnis und der aus dieser Erkenntnis erfließenden richtigen Entscheidung. Der Geist von Pfingsten ist der Geist der Wahrheit. So ist Pfingsten nicht nur „das liebliche Fest”, wie uns die Dichter und Sprüchemacher einreden wollen, Pfingsten ist die Stunde der Erkenntnis, der Erkenntnis der Veränderung, und die Stunde der rechten Entscheidung.

Geändert hat sich vieles in der Welt, geändert hat sich auch vieles in unserer Heimat. Die österreichischen Katholiken stehen auch in ihrem Vaterland vor einer neuen Situation. Diese neue Situation zu erkennen, die Grenzen zwischen möglichem Engagement und notwendiger Distanz zu ziehen, sich die Unruhe des Herzens zu bewahren vor der trügerischen Sicherheit des Erreichens und Besitzens, nicht verlernen, in der Sprache der anderen zu reden und mit den Augen der anderen zu sehen, nicht einsilbig und einfarbig zu wirken, das ist das Pfingsten von 1966.

Die Veränderungen in Österreich, deren Tragweite wir heute vielleicht noch gar nicht abschätzen können, wurden durch den Ausgang der Wahlen vom 6. März bewirkt. Die Partei, die allein die Regierung bildet, bekennt sich in ihrem Programm und durch den Mund ihres führenden Mannes zu christlichen Grundsätzen. Niemand wird daran zweifeln, daß es ihm ernst ist mit diesem Bekenntnis. Hat er nicht ein Recht darauf, daß ihn die Sympathien, die guten Wünsche, darüber hinaus aber auch die tätige Mithilfe der österreichischen Katholiken bei seinem Bemühen begleiten? Ist die Chance dieser Regierung nicht auch eine christliche Chance? Und wenn sie vertan wird, wird damit nicht auch eine Chance der Kirche vertan? Haben wir nicht immer von einer christlichen Erneuerung unseres Vaterlandes gesprochen, bietet sich nicht hier eine Möglichkeit an, sie zu verwirklichen, dürfen wir jetzt beiseite stehen, abwartend, bloß zuschauend? Hat die Kirche nicht die Katholiken immer wieder aufgerufen, auch im politischen Raum als Christen tätig zu sein, und können sich die führenden Männer dieser Regierung nicht darauf berufen, daß sie diese Aufforderung der Kirche als ihre politische Berufung erkannt haben? Sollen wir, können wir, dürfen wir heute diese Männer allein lassen?

Ist es nicht gerade unsere Pflicht als Katholiken, diese katholischen Regierungen bei ihrem Bemühen, aus öster. zu verfallen, vor dem die St. Pöltner Kirchenzeitung in ihrer letzten Nummer eindringlich warnt. Er soll uns aber auch vor einer ebenso falschen politischen Abstinenz bewahren, vor dem Abwarten, Beobachten und hämischer Kritik. Einige Überlegungen scheinen hiebei maßgebend zu sein. Die Regierung einer Partei, die die absolute Mehrheit im Parlament besitzt, und die Opposition einer zweiten starken Partei entsprechen absolut demokratischem Recht und demokratischer Tradition, wenn auch nicht in Österreich.

reich wieder einen katholischen Staat zu machen, zu unterstützen? So denken gewiß manche Katholiken in diesem Lande, und sie meinen, daß sie damit auch nicht nur der Aufforderung ihrer Bischöfe, sondern auch den Intentionen des Konzils entsprechen.

Auf das Konzil und auf die Bischöfe wollen sich aber auch jene berufen, die einem solchen Experiment mit großem Mißtrauen gegenüberstehen. Die jeden Triumphalismus, jede äußere Institutionalisierung und Verankerung des Glaubens mit großer Reserve betrachten, die sich an jene Zeiten erinnern, an denen schon einmal in Österreich eine Regierung versucht hat, den Staat auf der Grundlage der christlichen Staats- und Soziallehre zu errichten. Und die sich noch erinnern, wohin dies schließlich geführt hat. Soll es wieder so kommen, daß man die Kirche mit einer Partei gleichsetzt und daß die Kirche dann auch für die Fehler einer Partei haftbar gemacht wird? Sollen politische Auseinandersetzungen wieder auf dem Rücken der Kirche ausgetragen werden? Sind wir nicht gerade in dieser Beziehung ein gebranntes Kind, müssen wir uns Sicht vor jedem Wort in acht nehmen, das anklingt an die Vergangenheit, die eine leidvolle Vergangenheit war.

Die Absage an diese Art einer „christlichen Tradition” ist nicht von heute, schon das Mariazeller Manifest des Katholikentages 1952 spricht davon: „Keine Rückkehr zum Staats- kirchentum vergangener Jahrhunderte, keine Rückkehr zu einem Bündnis von Thron und Altar, keine Rückkehr zum Protektorat einer Partei über die Kirche, keine Rückkehr zu jenen gewaltsamen Versuchen auf rein organisatorischer und staatsrechtlicher Basis, christliche Grundsätze verwirklichen zu wollen.” Das war vor vierzehn Jahren. Ist das schon zu lange her?

Der Geist von Pfingsten, der Geist der Wahrheit, der Erleuchtung und der Entscheidung soll die österreichischen Katholiken gerade angesichts dieser neuen innenpolitischen Situation davor bewahren, in einen falschen katholischen Triumphalismus, in ein völlig unangebrachtes Siegesgefühl,

Alle jene Österreicher, die die Volkspartei zur stärksten Partei gemacht haben, darunter auch eine große Mehrheit der österreichischen Katholiken, sollen und müssen das Werk dieser Regierung unterstützen. Die Volkspartei hat diese Wahl gewonnen, obwohl oder vielleicht gerade deswegen, weil die Kirche in diesen Wahlkampf nicht eingegriffen hat, die österreichischen Bischöfe keine Wahlempfehlung gegeben haben. Es ging bei dieser Wahl nicht um Fragen des religiösen Gewissens und um Fragen des Glaubens. Nicht die Kirche war es, die diese Wahl gewonnen hat. Sie gehört weder zu den Siegern noch zu den Verlierern. Die Kirche hat daher hier nichts zu kassieren. Niemand kann aber auch bei der Kirche einfordern. In dieser Regierung sind eine Reihe sehr namhafter und in ihrem Wollen und ihrem Verhalten untadeliger österreichischer Katholiken vertreten. Diese Regierung ist aber deswegen keine katholische Regierung. Es gibt keine katholische Regierung so wie es keinen katholischen Staat gibt. Die Regierung hat die Interessen aller Bevölkerungskreise zu berücksichtigen, der Staat ist für alle da. Wir sollten uns hüten, in Denkkategorien einer längst überholten Vergangenheit zu verfallen. Diese Regierung wird dann erfolgreich sein, und alle Österreicher wünschen sich eine erfolgreiche Regierung, wenn ihre Handlungen, wenn ihre Taten das Vertrauen der österreichischen Bevölkerung gewinnen. Nicht aber, wenn die österreichischen Katholiken in ihrer Gesamtheit für diese Regierung verpflichtet werden könnten. Von der sachlichen Arbeit für das richtig verstandene Wohl des ganzen Volkes wird der Erfolg der Regierung abhängen, nicht aber von Appellen an gemeinsame religiöse Überzeugungen.

Dieses Land wurde durch zwanzig Jahre von einer Koalition regiert. Die Kirche hat die Zusammenarbeit der politischen Kräfte in diesem Lande immer begrüßt. Nicht nur, weil diese Zusammenarbeit Österreich den wirtschaftlichen Aufschwung und den inneren Frieden gebracht hat, nicht nur, weil diese Zusammenarbeit auch die Erfüllung mancher konkreter Wünsche der Kirche ermöglichte, sondern weil durch diese Zusammenarbeit auch jenes geistige und kulturelle Klima in Österreich geschaffen wurde, das der Kirche ein Wirken in voller Freiheit ermöglichte. Die Kirche hat jedoch nicht, wie man manchmal fälschlicherweise behauptet, sich eindeutig und für alle Zeiten für die Koalition ausgesprochen, sie hat immer zwischen Zusammenarbeit und Koalition unterschieden. Die Kirche wird jetzt in der neuen innenpolitischen Situation durch ihr Verhalten klarstellen, daß ihre Einstellung zu den politischen Kräften Österreichs nicht abhängig ist von der augenblicklichen Situation, daß ihre Gesinnung nicht ein Pendant zur Koalitionsgesinnung darstellt und mit dieser ihre Existenzberechtigung verloren habe. Sie wird klarstellen, daß sie nicht deswegen ein gutes Verhältnis zu den politischen Kräften des Landes gesucht hat, weil damals beide an den Schalthebeln der Macht saßen und daß ihr die eine heute uninteressant geworden wäre, weil sie keine Ministerien mehr verwaltet.

Die Kirche wird gerade in politischen Grenzsituationen glaubhaft beweisen, daß sie ein Haus für alle ist, daß in ihr alle Katholiken Platz haben, welcher politischen Überzeugung sie auch immer seien, ob sie nun in der Regierung sitzen oder auf den Bänken der Opposition. Der Anspruch der Kirche, über der Tagespolitik zu stehen, die Erwartung weitester Kreise des Volkes, in ihr eine Art moralisches Gewissen der Nation zu sehen, muß sich in jeder Situation bewähren. Der Dienst der Kirche ist ein Dienst an allen. Die Kirche wird sich und kann sich auf keine Regierung berufen, auch wenn diese Regierung aus Katholiken gebildet wird, so wie sich keine Regierung, auch keine „katholische” Regierung, exklusiv auf die Kirche berufen kann. Die reinliche Scheidung der verschiedenen Aufgaben von Religion und Politik,, von Kirche und Staat, darf gerade jetzt nicht verwischt werden

Die Katholiken können auch nicht erwarten, daß eine Regierung, die von einer Partei gebildet wird, die sich zu den Grundsätzen des Christentums bekennt und in der namhafte Katholiken vertreten sind, alle Wünsche der Katholiken erfüllen kann. Vor Illusionen und daraus erwachsenden Enttäuschungen muß rechtzeitig gewarnt werden. Die Kirche kann sich nur dann vor dem Schicksal bewahren, als Interessent neben anderen Interessenten eingereiht zu werden, Versprechungen, Vertröstungen und schließlich Enttäuschungen zu ernten, wenn sie von selbst und freiwillig ausscheidet aus dem Kreis jener, die etwas haben wollen. Wenn sie ihr Ziel nicht in erster Linie in der Eroberung und Verteidigung von Positionen und Einflußsphären sieht, sondern in dem Dienst, den sie allen erweist.

Die Kirche, die an ihrem ersten Pfingstfest in die Welt trat, war keine Kirche der Macht, sondern eine Kirche des Dienstes. Und der Heilige Geist, der sie zur Welt machte, war der Geist der Wahrheit, der Erkenntnis und der Entscheidung.

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