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Große Fragezeichen

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In der Folge vom 8. September brachte die FURCHE Auszüge aus dem neuen Buch des bekannten sozialistischen Politologen Univ.-Prof. Norbert Leser, „Gottes Spuren“ in Österreich, sowie aus dem dazu von Prälat Leopold Ungar geschriebenen Vorwort („eine wertvolle Diskussionsgrundlage“). Wir haben eine „Gegenposition aus prominenter Feder“ dazu versprochen, um die Diskussion zu beleben. Hier ist sie — Generaldirektor Hanns Sassmann braucht nicht vorgestellt zu werden. Als vielseitig dominierende Persönlichkeit des katholischen Verlagswesens in Österreich bringt er Praxisnähe und Engagement in die Diskussion ein.

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In der Folge vom 8. September brachte die FURCHE Auszüge aus dem neuen Buch des bekannten sozialistischen Politologen Univ.-Prof. Norbert Leser, „Gottes Spuren“ in Österreich, sowie aus dem dazu von Prälat Leopold Ungar geschriebenen Vorwort („eine wertvolle Diskussionsgrundlage“). Wir haben eine „Gegenposition aus prominenter Feder“ dazu versprochen, um die Diskussion zu beleben. Hier ist sie — Generaldirektor Hanns Sassmann braucht nicht vorgestellt zu werden. Als vielseitig dominierende Persönlichkeit des katholischen Verlagswesens in Österreich bringt er Praxisnähe und Engagement in die Diskussion ein.

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Die FURCHE hat zum Abdruck eines Florilegiums aus Norbert Lesers Buch „Gottes Spuren in Österreich“ vermerkt, sie werde auch eine „Gegenposition“ bringen. Gleich eingangs möchte ich betonen, daß mir dieses Wort nicht gefällt Diese Zeilen sollen ein Versuch sein, eine Gesprächsposition einzunehmen.

Norbert Leser muß man zunächst anerkennend bescheinigen, daß er ein sehr persönliches Buch geschrieben und im umfassenden Sinn des Wortes ein Credo aus seinen ontologischen und existentiellen Erwägungen zur Kirche und ihren Wahrheiten gesprochen hat. Diese seine Glaubenserfahrung entspricht sicherlich weithin dem Selbstverständnis der denkenden Entscheidungskatholiken unserer Zeit und dies sicherlich nicht nur in Österreich.

Ausführlichkeit und Tiefe seines Bekennens zur göttlichen Stiftung der Kirche und ihrer Unverzichtbarkeit für den Menschen in einer autonomen, aufgeklärten Welt ohne geschlossenes Wertsystem sind wohltuend und achtunggebietend. Auch in der Diagnose über den historischen und aktuellen Glaubensverfall wird unter den besorgten - und damit meine ich nicht etwa ängstlichen - Christen Konsens bestehen.

Mutig und klar sind auch Lesers Einwände gegen eine einseitige, die Wahrheit verkürzende Interpretation der „Theologie der Befreiung“ und mancher „linker“ (so Leser wörtlich!) Theologen. Darüber sollte man öfter reden! Vielleicht würde man dann auch zum Schluß kommen, daß ein gewisser Glaubensverfall heute gar nicht so sehr vom Volk ausgeht als vielmehr von manchen Interpretationsartisten der Fachtheologie.

Ganz anders aber verhält es sich mit den Motiven für die von ihm gefällte Entscheidung für den Sozialismus und für die Sozialistische Partei. Lesers Argumentation, auch dies sei betont, ist zunächst fernab jedes büligen Propagandismus und jeder politischen Proselytenmacherei, wie dies in zunehmendem Maß etwa von der ACUS

(Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialismus) mit ihrem links irritierten „Kompaß“ (ACUS-Zeitschrift) geschieht.

Trotzdem aber sind hier die großen Fragzeichen zu setzen. Sein Buch macht einmal mehr klar, daß Lesers po-litische Entscheidung nur seine eigene Entscheidung sein kann: es ist sein Weg, den er gehen zu müssen glaubt

Hier spätestens setzt auch meine Kritik am Titel des Buches ein, und sie ist nicht nur redaktionell oder formal zu verstehen. Über „Gottes Spuren in Österreich“ zu schreiben, dies geht nicht nur aus persönlichen Erfahrungen und Entscheidungen! Das wahrhaft Christliche in diesem Lande in seiner Komplexität ist tiefer, breiter und sicher auch noch ganz anders. Lesers Ausführungen sollten den Titel haben „Mein einsamer und beschwerlicher Weg“. Wörtlich spricht der Autor selbst davon, und diese Formulierung entspricht auch der ganzen Aussage seiner Darlegungen.

Der Schluß, daß „die linken politischen Kräfte“, (warum auf einmal diese Formulierung und der Plural?) „... eher geeignet und in der Lage sind, die notwendigen Veränderungen der Gesellschaft in Richtung auf mehr Gleichheit und Gerechtigkeit vorzunehmen ...“, ist eine Behauptung, die nicht mehr als eine persönliche, politische Fixierung anzeigen kann. Zweierlei muß dazu festgestellt werden.

Zum einen geht eine solche Fixation an den Tatsachen vorbei, daß glücklicherweise in der freien Welt andere ordnungspolitische Vorstellungen für den Christen durchaus eine dynamische Fortentwicklung zu einer besseren Welt in einem christlich mitvoll-ziehbarem Verständnis, glaubwürdig mehr Gerechtigkeit und noch dazu mit mehr Freiheitsraum nicht nur wollen, sondern politisch tauglich anstreben.

So gebietet es einfach die Redlichkeit, etwa auf christdemokratische oder christlichsoziale Vorstellungen und Konzeptionen kinzuweisen, die innerhalb der sozialen Marktwirtschaft möglichst vielen Arbeitnehmern - aus freiem Entscheid allerdings - Anteil am Produktivkapital ermöglichen sollten: sozial-ethisch gesehen ein Ziel, das tatsächlich geeignet wäre, noch vorhandene Gegensätze zwischen Arbeit und Kapitel abzubauen und das eine durchaus genuin-christlich zu wertende Orientierung am Menschenbüd umfaßt

Außerdem muß darauf hingewiesen werden, daß die in Österreich gegebene glückhafte Verbesserung der menschlichen Lebensverhältnisse in der Zweiten Republik nicht Leistung einer Partei ist

Zum anderen wird und darf es dem Christen nie erspart bleiben, Sozialismus-Kritik zu üben, da das Marxistische offenkundig zum Grundbestand auch des sozialistisch-demokratischen Wunschdenkens gehört. Sympathieerklärungen für die christliche Botschaft, wie sie im neuen SPÖ-Pro-gramm von 1978 zu Papier (!) gebracht sind, ändern an dieser notwendigen Skepsis und Distanz gar nichts. Die Partei, die Leser eigentlich will und als seine politische Heimat gewählt hat, gibt es gar nicht.

Jüngste Erfahrungen mit der Regierungspartei haben niemand anderen als Kardinal König sagen lassen: „Wir sind keine Fremden im Staat und lassen uns nicht zu Fremden machen.“ Niemand kann annenmen, daß gerade Kardinal König solches sagt, nur um Gespenster heraufzubeschwören und Kulturkampfstimmung zu erzeugen.

Überhaupt nicht abfinden können aber wird sich der Christ mit der Aussage Prälat Ungars in der Einleitung zu Lesers Buch, wo behauptet wird, es verletze die bürgerliche Anständigkeit, wenn man von einer Regierung alle finanziellen Hilfen in Anspruch nimmt und, statt dankbar zu sein, ununterbrochen so tut, als stünde man im Kulturkampf oder knapp davor. Die kritiklose Kirche, die stumme Kirche, wäre keine sterbende, sondern eine tote Kirche.

Die Legitimität des Mißtrauens gegenüber dem Sozialismus wie gegenüber dem Kapitalismus (wo es ihn noch gibt) muß erkannt und geübt werden, will die Kirche nach ihrer Lösung von einem alten und „schlechten“ politischen Katholizismus nicht in einen neuen „guten“ politischen Katholizismus verfallen.

Leser verweist darauf, daß ein Arrangement zwischen Kirche und Sozialismus, ein Zurückstecken stattgefunden hat, also eine Entspannungspolitik. Das ist gut so! Um der historischen Wahrheit willen aber muß gesagt sein, daß die Kirche für ihre Offenheit und für ihren aus dem Verkündigungsauftrag motivierten pastoralen Kurs seit 1945 diese Richtung unab-weichlich geht, ja daß sie 1933 schon die Priester aus der Politik zurückgezogen hat, also auf das „Mitspiel an der Börse der Macht“, wie Reinhold Schneider die Politik bezeichnete, längst verzichtete.

Niemand will dies revidieren. Auch solche Kräfte nicht, die nach kräftigerer und besserer Artikulation des kirchlichen Standpunktes in der Welt drängen. Statt Entspannung aber kann uns als Gemeinschaft der Gläubigen keine Appeasementpolitik, die der systematischen Selbstnekrotisierung in der Gesellschaftswirksamkeit gleichkäme, aufgeschwatzt werden.

Unbefriedigend, weil nicht behandelt, bleibt auch, daß Norbert Leser am wachsenden Machtanspruch der SPÖ vprbeisieht, den Heinz Fischer einmal so formulierte: „Es geht um die Maxi-mierung des Produktes aus sozialistischer Substanz nach dem Ausmaß an Konsens, das die SPÖ für ihre Politik mobilisieren kann“.

Solcher Anspruch kommt auch darin zum Ausdruck, wenn der Bundeskanzler von Sozialpartnerschaft als „modifiziertemKlassenkampf'undein SP-Zentralsekretär von der Sozialpartnerschaft als „einer temporären Erscheinung in einer Gesellschaftsordnung, die ihm nicht passe“, spricht. Also doch die Zielvorstellung: Sozialistischer Staat statt freiheitlicher und sozialer Demokratie!

Grund genug, das zu bedenken, was Leser selbst über August M. Knoll - einen doch zu seinen Lebzeiten immer fortschrittlich und sozial engagierten Christen - schreibt: Dieser habe sich nicht für die Sozialisten erklärt, weü .jeder Sozialismus zum ,Generalis-mus' führe.“

Keine Weggenossenschaft kann ich für den Christen auch dort erblicken, wo Leser meint, der österreichische Katholizismus und der österreichische Sozialismus seien in besonderer Weise zur Problembewältigung berufen. Wieso diese Einengung? Sollen wir in politicis nur das Beipferd wechseln? Wer ist wem Beipferd? Was ist mit den engagierten Christen in anderen politischen Gemeinschaften? Leben wir den Pluralismus nicht mehr, sondern soll es plötzlich ein reichlich naives Hurra für einen Dualismus geben? Cui bono? Kirche plus eine Partei oder Religion plus eine Ideologie: ist das überhaupt eine mögliche, zulässige und ergebnishafte Addition?

Ob ein christlicher Sozialismus möglich oder Wünschenwert ist, ist meines Erachtens keine legitime Problematik. Aber ob die Demokratie uneingeschränkt ernstgenommen wird, plural und mit gesicherten Freiheitsräumen bleibt, ob der Staat mit seinem Allmachtsstreben in Schranken zu halten ist, ob es auch künftig „Liberalität mit moralischer Bewußtheit“ (Karl Steinbuch) gibt und diese garantiert ist, ob es Eigenständigkeit der Person statt totaler Lenkung gibt und ob die Freiheit der Kinder Gottes gewährleistet wird statt des sozialistisch verordneten Glückes ohne Gott - das ist die immerwährende Weltverantwortung und Wächterrolle des Christen.

Niemals wieder darf sich die Kirche rechts einhängen und links flirten. Kardinal Ratzingers Wort aus seiner letzten Silvesterpredigt ist aber zu beherzigen: „Wo vom Glauben keine Impulse mehr ausgingen, verfällt das Christliche in der Politik entweder zu vernunftloser revolutionärer Begeisterung oder zu leerem Konservativismus“. Und ebenso wurde auf dem eben zu Ende gegangenen Deutschen Katholikentag die goldene Wahrheit ausgesprochen: „Wer Utopien nachläuft, fällt die Treppe hinunter.“

Dies alles verlangt eine mutige Kirche, einen verfaßten, nachdenklichen und offenen Katholizismus, einen, der nicht auf den Mund gefallen ist: also eine freie Kirche in einem freien Staat. Diese längst in Österreich gefundene Formel ruft uns auf, als autonome Kraft in der Welt aufzutreten, um aus dem Glauben und der Botschaft Jesu Christi handeln zu können.

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