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Der Sozialismus und die gewandelte Welt

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Wer von der Annahme ausgeht, daß jeder Sozialismus als Ideengebäude notwendig auch ein Refle sozialökonomischer Bedingungen sein muß und sich mit diesen wandelt, findet eine Bestätigung in den vorliegenden Werken, die sich nicht mit dem Sozialismus an sich, sondern mit dem Sozialismus, wie ei dieser Zeit eingeboren scheint, beschäftigen.

Heinz Brantl findet, daß die alten Formen keine Antwort mehr auf die Problemstellungen von heute geben können. Der Verweis auf Adam Smith wie auf Karl Marx ist der Verweis auf die Bedingungen einer Zeit, die abgestorben ist. Schon Karl Renner hat die marxistische Orthodoxie als „reaktionär“ bezeichnet. Die Gegenwart läßt das Verharren auf' den Thesen von Marx als ein falsches Bewußtsein erkennen. Man muß nach Brantl die Dinge nüchtern sehen und etwa erkennen, daß eine Kapitalakkumulation auch dann nicht besser ist, wenn sie sozialistisch etikettiert wird. Es ist offensichtlich, daß den Forderungen der Arbeiter Rechnung getragen wurde, es ist ebenso offensichtlich, daß das Bürgertum nur als Groß-Bürgerturn verstanden werden muß. Leider bietet auch der Autor keinen eindeutigen und ebenfalls nüchternen Untersuchungen standhaltenden Realbegriff für das, was er als „Bürgertum“ versteht. Jedenfalls scheint es sich nicht mehr um einen sozialökonomischen, sondern endgültig um einen politischen Begriff zu handeln.

Im Sozialismus beklagt der Autor den Mangel an Kontaktfähigkeit der Führenden, ist doch die Sozialistische Partei keine Arbeiterpartei mehr, sondern eine Partei, die von Angestellten und Beamten geleitet wird. Gerade deswegen ist es bemerkenswert, daß der moderne Sozialismus noch immer vom Gedankengerüst der Ausbeutung und des alten Klassenkampfes ausgeht, während doch offensichtlich eine Nicht-Klasse, der Mittelstand, die neue Gesellschaft trägt. Das heißt: auch den Sozialismus.

Brantl meint, es täte not, endlich vom Klassenkampfgedanken loszukommen, sich von der Illusion zu lösen, daß das formelle Eigentumsrecht an den Produktionsmitteln allein schon die Chance zum Mehrwertentzug in sich trägt. Anderseits weist Brantl mutig auf den Wert der Privatinitiative in desWisehaft,-.hin, ejjetöpi wie er die Grenzen .der. Sozialpolitik sieht.

Wenn der Sozialismus um des Menschen willen da ist, dann soll er als die gesellschaftlich wirksame Möglichkeit begriffen werden, „mehr Mensch zu sein“.

Karl Czernetz, Nationalrat, maßgebend an der gedanklichen Festlegung des Sozialismus in Oesterreich arbeitend, Atheist, der seinen Nicht-Glauben als eine private Sache betrachtet, bietet ebenso wie Brantl eine beachtenswerte und den klassischen Utopien des Sozialismus der Orthodoxen abgeneigte Analyse. Wenn man an die alten Prophetien im Marxismus denkt, steht die tiefe Resignation, die teilweise aus den offenen Worten des Autors anklingt, dazu in einem auffallenden Kontrast.

Wer glaubt, ist „befangen“. Auch Czernetz ist es. Die Wandlung der Gesellschaft, die im sozialistischen Denken reflektiert wird, übersieht er aber keineswegs. Im Marxismus sieht Czernetz eine Methode, zu der man sich daher nicht bekennen kann. Die Frage, ob die SPOe noch marxistisch ist, vermag daher der Autor nicht zu beantworten und will auch keine Antwort geben. Leider trennt der Verfasser bei der eingehenden Würdigung des Werkes von Marx nicht die Anstoßwirkung, die von Marx für die sozialwissenschaftliche Forschung. unleugbar ausgegangen ist von der Frage, inwieweit der vom Marxismus überbetonte Einfluß der materiellen Faktoren auf die Gesellschaft nun tatsächlich besteht und worin die Grenzen dieses Einflusses sichtlich gelegen sind.

Der Vorwurf, den die Sozialisten der „bürgerlichen“ Seite deswegen machen, Wtil sie Marx in Bausch und Bogen abtut, als ob er ein Scharlatan gewesen sei, dessen Gedanken, ohne Abstrich, der Wirklichkeit nicht Rechnung getragen haben, sollte nicht mit einem Achselzucken abgetan werden. Was auf nichtmarxistischer Seite für die Marxismusforschung in den letzten Jahrzehnten getan wurde, ist unbeachtlich und läßt nicht erkennen, daß man gewillt ist, den Marxismus zu erforschen, sondern ihn einfach abzutun. Nun lebt einmal die Gesellschaft in Spannungen, die ihre Entladung in Auseinandersetzungen finden. Warum die Realitäten leugnen und in einer unwissenschaftlichen Harmoniegläubigkeit die Entwicklungen übersehen?

In der Frage Weltanschauung verficht Czernetz die Ansicht, daß der Sozialismus neutral sei, erkennt aber in der Religion ein gesellschaftliches Phänomen. Das bedeutet eine Soziologisierung des Religiösen, die sich in nichts von der aufklärerischen Deutung der beiden letzten Jahrhunderte unterscheidet.

Im Schlußkapitel seines Buches proklamiert Karl Czernetz einen „sozialistischen Humanismus“. Das bedeutet, daß der Sozialismus nicht allein aus einer inneren Gesetzlichkeit der gesellschaftliche Entwicklung entstanden ist, sondern auch — als Idee — spontanen Entscheidungen sein Wachsen verdankt. Der Sozialismus als eine sittliche Idee ist dem Schu-lungsmann Czernetz nicht eine Magenfrage, sondern ein abenteuerlicher Versuch, Freiheit und Vergesellschaftung zu verbinden im Glauben an die Menschheit und die Menschlichkeit.

Das Buch „Christlicher Glaube und politische Entscheidung“, ist die schriftliche Wiedergabe von Vorträgen, die auf einer Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Akademiker in München gehalten wurden.

Von katholischer Seite nahm der Franzose loseph Rovan zum Problem „Der mündige Laie“ Stellung und fixierte die Freiheit des Laien für jene Bereiche vor allem des öffentlichen Lebens, in denen es nicht um Prinzipien, um Thesen, sondern um Hypothesen geht. Der Laie kann, ohne die Kirche zu engagieren und damit in die Gefahr eines vom Seelsorglichen aus unhaltbaren Engagements zu bringen, in eigener Verantwortung Risiken auf sich nehmen. Das Aktionsfeld der Laien ist breiter, als diese es wahrhaben wollen. Es wird nicht überall da Gehorsam gefordert, wo der Laie glaubt, diszipliniert sein zu müssen.

Friedrich Heer hielt eine eigentlich moraltheologisch zu verstehende Vorlesung zum Thema „Autorität und Gewissen“, wobei er ein Abnehmen des Gewissens konform der Anmaßung von Autorität feststellte. Autorität wird heute vielfach mit Gewalt gleichgesetzt. Für die Kirche gilt, daß die Autorität in ihr für unser Leben bitter notwendig ist, daß die Kirche selbst aber zu gewinnen vermag, wenn sie da und dort bewußt auf die Anwendung von Autorität verzichtet, wie sich dies am Beispiel der Entpflichtung des Kardinals Segura gezeigt hat. Heer forderte eine Wiedergeburt der Autorität des Vaters angesichts der mechanisch begründeten herzlosen Autorität der Apparate. Anderseits sollen diejenigen, die sich einer Autorität unterworfen fühlen, sich „entängstigen“. Gleiches gilt für die Autoritätsträger. Die Autorität soll eine Bezeugung von Freiheit sein und sich nicht in einem Katalog von Verboten manifestieren, eine Teilnahme des Menschen an den „Spielen der Freiheit“ und am Prozeß der Schöpfung.

Der evangelische Landesbischof J a c o b i sprach zur „politischen Verantwortung des Christen“ und erwies sich als ein Vertreter des politischen Protestantismus. Die Erstfrage nach Jacobi, wenn von der Beziehung des Christen zur Politik die Rede ist, muß sein, was Gott mit der Politik zu tun hat. Der Christ müsse seinem Herrn auch in der Politik Gehorsam bezeugen. Anderseits muß der Christ den Staat, wollen und nicht nur erdulden, weil wir als Christen die Ordnung haben wollen, die' im Staate gesickert, ist.

Der evangelische Theologe Professor Ernst Wolf sprach über „Kirche und Oeffentlichkeit“ und ging in der Darstellung des Themas davon aus, daß die evangelische Kirche seinerzeit von der Obrigkeit in ihrer Oeffentlichkeitsarbeit beschnitten worden sei. Erst durch die Kirchenpolitik des Dritten Reiches sei der Protestantismus zu einem politischen Rückzug auf sein eigenes Wesen gedrängt worden. Dadurch sei es zu einer Distanzierung zum Staat gekommen. Jetzt aber sei eine — diesmal spontane — Hinwendung der Kirche zum Staat feststellbar, wobei die Kirche nunmehr ihren Oeffentlichkeitsanspruch selbst fixiert. So sei eine Solidarität der Kirche mit den Nöten der Gesellschaft herausgestellt.

Der sozialistische Abgeordnete Arndt referierte über „Christentum und freiheitlicher Sozialismus“. Beide begegnen'sich in der Sorge um den Menschen. Da, wo sie aus dem Sachverhalt heraus Gemeinsames haben, soll es zu einem Kontakt kommen.

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