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Spiel der „Ohnmächtigen” oder unabdingbare Pflicht gläubiger Christen?

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Sei mehreren Jahren finden in Österreich in einer wechselnden Form Gespräche zwischen demokratischen Sozialisten und katholischen Funktionären statt. In den letzten Monaten waren die von beiden Seiten als privat interpretierten Gespräche Gegenstand von „Enthüllungen”, denen kaum eine angemessene Sachkundigkeit, wohl aber etwas Voreingenommenheit attestiert werden kann. Wer spricht nun eigentlich mit wem?

Die Angehörigen jener Gruppe von Katholiken, die seit mehreren Jahren mit sozialistischen Funktionären über als aktuell erklärte Probleme sprechen, sind zwar auch Funktionäre katholischer Verbände und Institutionen, agieren jedoch nicht als Delegierte, sondern als Privatpersonen, sind aber darüber informiert, welche Meinung etwa die Angehörigen ihrer Verbände zum jeweiligen Gegenstand der Besprechungen haben.

Der Verfasser koordiniert eine Gruppe katholischer Funktionäre, die seit mehreren Jahren mit Repräsentanten, der SPÖ private Gespräche führen.

Dieser Beitrag entstand noch vor den jüngsten Äußerungen seitens der Parteien und der Kirche über das Verhältnis zueinander.

Während man die katholischen Gesprächspartner in der Presse, der offenkundig z. T. Protokolle zur Verfügung gestanden hatten, meist beim Namen nennt, ist dies merkwürdigerweise für die sozialistischen Gesprächspartner nicht oder nur andeutungsweise geschehen. Wenn es einer Kennzeichnung bedarf: Die sozialistischen Gesprächsteilnehmer sind nach meinem Dafürhalten Funktionäre der SPÖ, denen - aus Gründen, die ich nicht zu untersuchen habe - an einem optimalen Verhältnis ihrer Partei zu dem, was sie unter katholischer Kirche verstehen, gelegen ist. Auch zu den gläubigen Katholiken.

Und dies in einer Periode, in der im Bereich der SPÖ Gruppen agieren, die gegen Kirche und Katholiken im Sinn eines Spätnazismus argumentieren und sich nicht selten des Sozialismus lediglich als Etikette bedienen, um etwa ihre pansexuellen Argumente mit einem relativ großen Rechtfertigungsgewicht präsentieren zu können. Man hatte bis jetzt noch nicht den Eindruck, daß die erwähnten Gruppen bereits in der Mitte der SPÖ lokalisiert und in ihren Aussagen parteiamtlich legitimiert sind. So schien es zumindest bis vor wenigen Wochen.

Inhalt des Dialogs

Der Inhalt der eingangs erwähnten Gespräche ist kein stereotyper, sondern von der Situation bestimmt. Wenn Sozialisten in Österreich nach den Maximen der Polyarchie auf Bundesebene allein regieren, also durch ihre Organe Imperium repräsentieren, sind die Gesprächsgegenstände aus der Natur der Sache andere als in einer Situation, in der Sozialisten sich in Opposition befinden.

Derzeit sind jene Katholiken, die sich in einer Kontaktgruppe Sozialisten gegenübersehen, vielfach und unvermeidbar auch in der Position von „ergebenst” Wünschenden, von „Untertanen” gegenüber den Vertretern imperialer politischer Macht. Das soll eine unpolemische Sächverhalts- darstellung sein, von der man zum Zweck eines Verständnisses für die Gespräche ausgehen muß.

Vielleicht fragen nun nicht wenige mit Recht: Wenn schon mit einem herrschenden Sozialismus kontaktiert wird, warum spricht dann nicht die „Amts”-Kirche unmittelbar mit der Regierung, also in einem Bereich, den man als „höchste Ebene” zu kennzeichnen sucht? Ganz abgesehen davon, daß dies ohnedies geschieht, wäre eine Reduktion des katholisch-sozialistischen Gesprächs auf unpersönliche Dialoge, bei der Amtspersonen einander mit dem Lorgnon betrachten, eine Verkümmerung und stünde im Widerspruch zum Stil der weltanschaulichen Dialoge, wie sie für die Zweite Republik kennzeichnend sind. Wobei bisher - was ich bedauere - die Freiheitlichen ausgeklammert wurden.

In seinem Kern ist der Dialog von Katholiken und Vertretern der SPÖ von der Kirche her ein Teil jenes Gespräches mit der Welt, den sie seit ihrer Konstitution führt Ich habe nun den Eindruck, daß viele Katholiken, die sich als „bürgerlich” kennzeichnen, den Kontakt, wie er nunmehr besteht, zumindest als unpassend („opportunistisch”) anse- hen. Einzelne Kritiker weisen darauf hin, daß die Päpste nun einmal den Sozialismus verurteüt haben, ebenjenen Sozialismus, mit dessen Vertreter man nun in einem langfristigen Gespräch ist, das im Kern keineswegs den Charakter eines Streit-Gespräches hat (oder hatte).

Wenn nun die Päpste „Sozialismus” sagten und über diesen - ebenso aber über den Kapitalismus - ihr Anathema sprachen, meinten sie vor allem jenen Sozialismus, den sie und ihre Berater unmittelbar vor Augen hatten, den südeuropäischen Sozialismus, dessen durchaus legitimer Sproß der italienische Faschismus war.

Das Nein der Päpste galt einem historischen Sozialismus und dies „si vere manėt socialismus”. Nun ist unverkennbar, daß der italienische Sozialismus aller Riten gegenüber der Kirche einen kindlich-anachronistischen Antiklerikalismus praktiziert, der ihn für einen ernsten Dialog unfähig macht. In einem an Professor Nell-Breuning gerichteten Brief (s. Stimmen der Zeit, 5/76, Seite 347) stellte einmal der SPD-Abgeordnete Eichler fest: „Was der Papst als Sozialismus verurteilt, das verabscheuen wir ebenso wie er, nur würden wir es nicht Sozialismus nennen.”

Kein „Gespräch der Feinde”

Anders der Marxismus, der aus der Natur seiner Konzepte antichristlich ist. Auch dann, wenn Politkleriker (- linker Klerikalismus) an ihm perma- ment Nottaufen vorzunehmen suchen.

Der Dialog 1975/77 von Katholiken und Sozialisten in der gekennzeichneten Auswahl ist entgegen der billigen und nichtssagenden Modeformel kein „Gespräch der Feinde”. Ein solches dürfte in der Vorstellung von einzelnen Politologen lediglich auf eine Domestizierung des Gegners zielen. Schließlich finden auch die Parteien im Hohen Haus in der Mehrheit der von ihnen zu behandelnden Gegenstände eine Chance für Koexistenz. Ohne daß sie deswegen das aufgeben, was sie Gnindsätze nennen.

Bei Beginn der Gespräche ging man vorweg davon aus, daß ein Dialog der beabsichtigten Art beiden Teilen und dadurch dem Insgesamt des Vaterlandes von Nutzen sein solle. Keineswegs dachte man an Börsentransaktionen im Sinn von Null-Summenspielen: Was die einen gewinnen, verlieren die anderen.

Auch die über ihre Organe herrschende SPÖ kann aus den Ergebnissen von Gesprächen gewinnen. Bei einem angemessenen Wahrnehmungswillen. So ist etwa die Aufnahme katholischen Gedankengutes in sozialistische Konzepte, wenn nicht in die Regierungspraxis, geeignet, die in erster Linie an Strukturlösungen orientierte und daher oft nur-verbale Fern- sten-Liebe des Sozialismus durch eine konkrete Nächsten-Liebe zu ergänzen, wie sie etwa im Engagement der Spitalorden, der Pflege von Unheilbaren und der Errichtung von Spitälern für Sterbende ihre dramatische Darstellung findet.

Freilich unbedankt. Man denke an den Vorenthalt des Nobelpreises für Schwester Teresa durch die atheistischen Administratoren des Fonds. Vielen Beispielen christlichen Engagements hat der Sozialismus kaum Gleichwertiges entgegenzusetzen. Wohl aber die Beurteilung der Kirche, die er oft nur in ihrer Krankengeschichte (die zweitausend Jahre alt ist) dargestellt findet.

Nicht wenige Sozialisten entarten - wenn an der Macht - in einen Ökonomismus, im Glauben an die Allmacht kollektiv-ökonomischer Reformen, an deren Ende schließlich die Reduktion des Menschlichen auf eine „Stallfütterung” steht. Die Domestikation.

Oder: Die Feuerbachsche These, daß der Mensch, so wie er ist, das Produkt eines Ensembles der gesellschaftlichen Verhältnisse sei, kann auch für einen Sozialisten dann gelten, wenn er über einen hohen Rang ein korrespondierendes Einkommen erhält und sich dann so benimmt, wie die vom Sozialismus mit Recht kritisierten Einkommensreichen.

Die Kirche kann nur gewinnen

Wenn nun ein Sozialismus katholische Konzepte aufnimmt, muß das für ihn keinewegs werbend wirken. Im Gegenteil. Die Gesinnungslosen, die sich einem für sie profitabel gewordenen sozialistischen „Bekenntnis” verschrieben haben oder von sich sagen, sie seien sozial (kleine Pause) und demokratisch, werden einen auch mit katholischen Grundsätzen versehenen Sozialismus kaum besonders attraktiv finden. Weil ihnen jeder Versuch einer Sinn-Findung angesichts ihrer Orientierung an individuellen Nutzenvorstellungen zwecklos erscheint. Angesichts der Tatsache, daß ihr Handeln vom Gravitationsgesetz des Schillings bestimmt ist.

Aber auch das Katholische kann bei Bedachtnahme auf Denkansätze und Programme des ethischen Sozialismus nur gewinnen. Wir konnten das bereits an Enzykliken erkennen: Wenn die Kirche die konkrete Freiheit des einzelnen fordert, bedarf es dazu nicht allein pastoraler Hinweise, sondern auch einer Strukturreform, der harten Normierung für ein sozialangemessenes Verhalten. Die Position des Individuums muß in einer komplexen Gesellschaft sowohl durch Mitmenschlichkeit als auch durch Institutionen abgesichert sein.

Es soll nicht verschwiegen werden: Ein nichtsozialistischer Katholik hat bisweilen im Rahmen von Begegnungen mit Amts-Sozialisten das Gefühl, in gleicher Weise behandelt zu werden wie im national-sozialistischen Reich die „Dritteljuden”: Ein Schwarzer bleibt eben ein Schwarzer. Man kann das auch bei den im Fernsehen vorgenommenen sozialen Hinrichtungen feststellen, deren Exekution in Hinkunft wahrscheinlich etwas raffinierter erfolgen wird.

Wir haben uns bei Aufnahme der Gespräche vom Beginn weg keine Illusionen gemacht. Das, was wir tun, kann auch den Charakter von Spielen der „Ohnmächtigen” haben. Vor einer omnipotenten politischen Gruppe.

Denn: Wer sind sie eigentlich, diese Katholiken? In der Sicht der jeweils herrschenden Klasse? Im Jahre 1977? Trotz ihrer großen Organisationen, die man finanziell aushungern kann (wozu das Odium der Auflösung auf sich laden!), trotz mehr als einer Million von Kirchengängern, deren Zahl von Soziologen bisweilen ohnedies herunter- lizitiert wird (indem man nur bei einem Kircheneingang zählt).

Die Katholiken dieses Landes haben weder die Reichen hinter sich (auch nicht die Waffenhändler), nicht das, was man so gerne - ohne es plausibel zu definieren - das „Kapital” nennt.

Der Kern bleibt verschieden

Katholiken können kaum Interessenten ökonomische Vorteile verschaffen. Wenige Wohnungen oder gehobene Posten in der Bundesverwaltung. Auch nicht Subventionen für das Dargebot geistiger Produkte. Wer als ein Dichter prämiiert werden will, muß heute derart schreiben, daß die Zensoren des zuständigen Apparates geneigt gemacht werden, ihn zu honorieren.

Die Folge ist eine da und dort bereits wahrnehmbare eigenartige „Klassik”, wie sie seinerzeit die Reichsschrifttumskammer geduldet hat. Wer als Katholik im Bundesdienst einen höheren Rang erhalten will, hat nicht die Chance von 1:1. Da ist eine deklarierte Gesinnungslosigkeit oder die Präsentation der driften oder vierten Gesinnung schon eine bessere Empfehlung. Sogar für ein Regierungsamt, für das man zuweilen den Ausweis erbringen muß,- daß man in den politischen Wechseljahren ist Für die „Parteifreien” geht eben der Sozialismus durch den „Magen”.

Wie immer sich nun die Beziehungen von „Amtskirche” und „Amtssozialismus”, von Katholiken, die (meist unbedankt) in privater Verantwortung handeln, und von gesprächsoffenen sozialistischen Funktionären entwickeln:

Trotz allem, was sich im Bereich der Politik ereignet und jedes weitere Gespräch sinnlos erscheinen läßt, widerspricht eine Aufgabe der Gespräche - der nun stattfindenden und auf anderen Ebenen geplanten - dem Sinn des Christlichen. Das sich nicht exklusiv geben darf. Sondern stets auf den anderen hin orientiert sein muß. Auch wenn sich dieser andere vorweg als Feind deklariert und etwa in einer gekonnten Hinterlist den Religionsunterreich an Wiener Schulen durch Änderung des Zeitbudgets liquidieren will.

Gehen wir von der Annahme ab, daß der Sozialismus ein Uniformes sei und nur aus atheistischen Staatsanwälten bestehe.

Aber auch der in seinem Kirchenhaß stabilisierte Sozialist hat keinen Anlaß zu fürchen, daß es durch die Kontakte sozialistischer Funktionäre nun zu einer Amalgamation des Sozialistischen mit dem Katholischen kommt. Trotz der Lokalisierung von Klerikern im Sozialismus. Bis zum Prälatenrang.

Stets werden Kirche sowie Katholizismen und die Sozialismen in ihrem sie begründenden Kern einander als ein je Verschiedenes gegenüberstehen. Daß es kein grundsätzliches Gegner-Sein wird oder bleibt, das zu verhindern ist eine Aufgabe unserer Gespräche. Wer als gläubiger und nicht nur-profan orientierter Katholik Gespräche der angedeuteten Art erstaunlich findet, übersieht, was Kirche in der Welt für die Welt sein soll.

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