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Katholiken und Sozialismus

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Der neugewählte Vorsitzende der Sozialistischen Partei Oesterreichs hat den Wunsch ausgesprochen, daß es einem gläubigen Katholiken möglich gemacht werden müsse, nicht nur nach Auffassung der Sozialisten, sondern auch nach kirchlicher Auffassung ohne Gewissenskonflikte aktiver Sozialist zu sein. Diese Formulierung erlaubt es wohl nicht, in den vorliegenden Worten nur ein taktisches Manöver und nicht eine Einladung zu einer ehrlichen, klärenden Diskussion zu sehen. Wenn das von seinen christlichen Prinzipien geformte Gewissen des Katholiken — ein von anderen Motiven geprägtes Gewissen wäre (trotz äußeren Bekenntnisses zur Kirche) für diese Diskussion wertlos — als Maßstab gelten soll, so ist damit eine Basis für die Diskussion geschaffen, die ebenso den Forderungen katholischer Weltanschauung wie den Postulaten eines modernen Kulturstaates entspricht.

Der Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe geht bereits von der Tatsache aus, daß das einigende Band der österreichischen Gesellschaft nicht mehr eine gemeinsame religiöse Weltanschauung, wohl aber der Wille zur menschenwürdigen Kultur ist. Will also der österreichische Staat der wirklichen Situation seiner Gesellschaft gerecht werden, muß er Kulturstaat sein. Kultur ist aber in erster Linie nicht das aus materiellem Stoff von Menschen geschaffene Werk, sondern die selbstverantwortliche Formung des Menschen und seines Lebens aus den Kräften seiner Ueberzeugung. Ein Kulturstaat hat daher vor allem diesem Tatbestand in seinen iozialen. wirtschaftlichen, rechtlichen und staatlichen Einrichtungen Rechnung zu tragen. Diese kirchlicherseits gemachten Feststellungen ermöglichen es — wie uns scheinen möchte — den Vertretern des Sozialismus in Oesterreich von neuem, ihr Verhältnis zur katholischen Kirche im Gespräch mit den das kirchliche Vertrauen besitzenden Katholiken zu klären.

Wenn der noch irgendwie kirchlich verbundene österreichische Katholik bisher meist seine Stimme nicht der Sozialistischen Partei gab, so hatte dies seine ernsten Gründe Eine im österreichischen Sozialismus weithin herrschende marxistische Weltanschauung, mit ihrem Kampf gegen Religion und Christentum, mit ihrem Eintreten für das Freidenkertum, mit ihrer Ablehnung katholischer Schul- und Eheforderungen, mit ihrer Stellungnahme gegen ein Konkordat, war unvereinbar mit katholischer Glaubensüberzeugung. Die vom marxistischen Sozialismus zu erwartende Gesellschafts- und Wirtschaftsgestaltung ließ befürchten, daß die zu schaffenden Institutionen höchstens gewisse materielle Lebensmöglichkeiten garantieren, die selbstver- antwortliche, aus eigener Ueberzeugung geformte Lebensführung aber nicht nur dem Katholiken, sondern jedem Arbeiter und Staatsbürger unmöglich machen.

Dem kirchenverbundenen österreichischen Katholiken ist es klar, daß mit der Wahl nicht- sozialistischer Parteien nicht nur Persönlichkeiten gleicher Glaubensüberzeugung, sondern ebenso auch gelegentlich Atheisten oder egoistische Materialisten zum Zuge kommen. Diese Tatsache schien aber dem Katholiken wegen der garantierten Verteidigung sowohl der kirchlichen Rechte wie einer freien Gesellschaftsordnung zumindest das kleinere Uebel zu Sein. Daß es immer ein ehrliches Anliegen des österreichischen Katholizismus war und ist, für die gesellschaftliche, Wirtschaftliche und rechtliche Besserstellung der Arbeiterschaft auch’ pölitisch zu kämpfen, könnte nur der leugnen, der weder die kirchlichen Kundmachungen und ihre Forderungen nach einer Sozialreform noch die innerkatholische sozialreformerische Aktivität zur Kenntnis nimmt. Ebensowenig kann der Kirche im Ernst vorgeworfen werden, daß sie zu einem Mißbrauch der Religion und religiöser Gefühle für abwegige politische Ziele ihre Žu- stimmung gegeben hat.

Prominente Vertreter des Sozialismus in Oesterreich Sprechen von einer Ueberwindung marxistischer Vorstellungen und Postulate. Die gleichen prominenten Vertreter zeigen eine Bereitschaft zu neuer Diskussion mit den Katholiken. Wenn auch der österreichische Katholik zur Zeit noch nicht überblicken kann, wieweit Ergebnisse einer neuen Diskussion mit Katholiken von der Gesamtheit der österreichischen Sozialisten bejaht und garantiert werden, so wäre es christlich und demokratisch zum mindesten unfair, die angebotene Diskussionsbereitschaft nicht anzunehmen.

Dem Katholiken geht es um die Wahrung der Lebens- und Arbeitsrechte seiner Kirche, um die Anerkennung des Konkordats als völkerrechtlich gültiger Vertrag, es geht ihm aber auch darum, in einem freien Staat und in einer freien Gesellschaft leben und Staat, Gesellschaft, Wirtschaft auch von seiner Ueberzeugung her mitgestalten zu können. Es ist einem ehrlichen Menschen unmöglich, seiner Weltanschauung etwa nur im religiös-kultischen Bereich Ausdruck zu geben und das weite Gebiet irdischer Lebensgestaltung Menschen anderer Denkungsart überlassen zu müssen. Wie sich christliche Bewährung nicht nur im Raum der Kirche, sondern auch im Bereich des konkreten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Lebens zu zeigen hat, so kann sich auch christliche Weltanschauung nicht nur auf religiöse Anliegen unserer menschlichen Existenz beziehen und das irdische Leben und seine Gestaltung ausklammern, lieber diese Frage wird die hoffentlich nun einsetzende Diskussion zwischen Katholiken und Vertretern des gemäßigten Sozialismus vor allem zu handeln haben. Es kann der Kirche nicht zugemutet werden, von sich ein williges Gehorchen und Sicheinfügen in die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft mit anderen zu verlangen, ohne vorher die Frage geprüft zu haben, ob die Ordnung, in die hineinbefohlen wird, und die Gemeinschaft, in der mitgearbeitet werden soll, den natürlichen Rechten des selbstverantwortlichen Menschen entspricht. Wenn die freie Welt — einschließlich des gemäßigten Sozialismus — das Verhalten etwa der russischen Kirche ablehnt, die sich zum willigen Instrument kommunistischer Gesellschaftsgestaltung machen ließ, dann muß den Katholiken das Recht zugestanden werden, dort, wo sie ihre demokratischen Stimmen abzugeben aufgerufen werden, vorerst nachzufragen, ob die angestrebten Ziele den Forderungen christlicher Gesellschaftsauffassung entsprechen, die innerlich vom christlichen Menschenbild geprägt ist. Ebenso muß zugestanden werden, daß — auch kirchenamtlich — eine Stellungnahme für ein Gesellschaftssystem den Katholiken untersagt ist, wo gegen Gründforderungen menschenwürdiger Lebensgestaltung verstoßen wird. Das ist nicht Einmischung der Kirche in ihr nicht zustehende Fragen der Tagespolitik, sondern grundsätzlich christliche Verantwortung. Es ist nicht anzunehmen, daß die Vertreter des Sozialismus um die Stimmen einzelner Gruppen der Katholiken werben wollen, ohne das Recht zuzugestehen, daß der Katholik das zur Wahl An- gėbotene nach seiner Weltanschauung überprüft. Die Kirche und der Katholik wissen, daß die naturtechtlichen Forderungen zur menschenwürdigen Gestaltung der Gesellschaft in verschiedenen konkreten Formen realisiert werden können und daß hier das Gewissen und das Fachwissen die Entscheidung zu fällen haben. Sowohl vage Formulierungen wie nicht garantierte Begrenzungen von Prinzipien, deren konsequente Durchführung aus Oesterreich eine Volksdemokratie russischer, jugoslawischer oder österreichischer Prägung machen würde, sind für den Katholiken unannehmbar.

Eine menschenwürdige Demokratie kann nicht davon absehen, die positiven Werte der menschlichen Person und Existenz als verpflichtende Normen für gesellschaftliche und staatliche Gestaltung gelten zu lassen. Es muß daher auch eine Demokratie destruktive, die menschlichen Höchwerte und das menschliche Zusammenleben zerstörende Elemente auszuschalten sich bemühen. Sie muß aber darüber hinaus in der positiven Förderung dieser Werte ein vordringliches Anliegen sehen. Eine Diskussion zwischen Katholiken und Sozialisten wird hier manche Differenz in der Auffassung über die hierarchische Ordnung menschlicher Lebenswerte aufzeigen. Das praktische Resultat einer solchen Diskussion wird meist ein Kompromiß sein. Es ist aber nicht Kompromiß, sondern Vergewaltigung, wenn die Menschen einer Gesellschaft gezwungen werden, gegen ihre religiöse und gesellschaftliche Weltanschauung zu handeln. Das Wesen eines menschenwürdigen Kompromisses wird darin bestehen müssen, daß auf’ totalitäre, einspurige Lösungen verzichtet wird und daß es jedem Staatsbürger möglich ist, nach seiner Ueberzeugung sein persönliches Leben zu gestalten und entsprechend der demokratischen Stärke seiner Gruppe, auch wenn es eine Minderheit wäre, zu seinen demokratischen Rechten zu kommen.

Aus dem, was prominente Vertreter des österreichischen Sozialismus gesprochen haben, scheint hervorzugehen, daß weithin gleiche Anliegen bei Katholiken und Sozialisten lebendig geworden sind. Die Sozialisten teilen mit den Katholiken nicht nur ein „Unbehagen an der Demokratie”, sondern ebenso eine ehrliche Sorge, daß durch die sozialen Institutionen der materielle Lebensstandard unseres Volkes gehoben wurde, daß aber Weithin der Mensch und seine persönlichen Werte zurückgeblieben, verkannt, verleugnet wurden. Hier in einer ehrlichen Diskussion zur Klärung mitzuhelfen, ist der österreichische Katholik bereit.

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