6718783-1965_03_04.jpg
Digital In Arbeit

Enzyklika und Parteiprogramm

Werbung
Werbung
Werbung

Die Katholiken in der SPÖ sind der Meinung, die katholischen Grundsätze, die christliche Moral (Nächsten- und „Fernsten“-Liebe, Wahrheit, Freiheit, soziale Gerechtigkeit; Unterstützung der wirtschaftlich Schwachen und sozial Bedrängten, Achtung der Würde der menschlichen Person) im politischen Leben am wirksamsten nach dem sozialistischen Programm verwirklichen zu können. In den beiden päpstlichen Rundschreiben werden auch viele gut durchdachte Beispiele als Empfehlungen und Anregungen angeführt, wie die Grundsätze in der Praxis verwirklicht werden könnten. Es seien einige herausgegriffen, die wesentliche Bestandteile des sozialistischen Programms sind:

Aus „Mater et Magistra“: Privatinitiative neben dem Eingreifen der staatlichen Gewalt, Vergesellschaftete Betriebe, Vollbeschäftigung, Unterbindung „frecher Ausbeutung“, gerechte Verteilung des Wirtschaftsertrages, Arbeiterorganisationen, verantwortliche Mitarbeit und Mitbeteiligung der Arbeitnehmer.

Aus „Pacem in Terris“: Gerechter Lohn, Lenkung und Planung durch den Staat, staatlich geförderter Wohnungsbau, Unfallversicherung, Eintreten für die Würde und die wesentlichen Rechte der menschlichen Person und Festhalten dieser in der Verfassung, Betonung der Wahrung der Interessen des Gemeinwohls, Verurteilung der Rassendiskriminierung und des Wettrüstens.

Die SPÖ ist heute weltanschaulich pluralistisch, das heißt, es gibt in der SPÖ altkatholische, atheistische, jüdische, katholische (mehr oder weniger sich konfessionell gebunden fühlende), konfessionslose, protestantische Sozialisten — um nur die Hauptgruppen, und zwar in alphabetischer Reihenfolge, zu nennen — die alle das Parteiprogramm bejahen, also miteinander als Bundesgenossen, Genossen, dieselben politischen Ziele mit denselben Methoden erreichen wollen. Um sich in dieser Vielfalt der Weltanschauungen behaupten zu können, müssen die Katholiken von der Parteileitung und allen Genossen die Zustimmung zu folgenden fünf Punkten erhalten:

1. Anerkennung des natürlichen Sittengesetzes oder zumindest der allgemeinen Erklärung über die „Menschenrechte“ der Vereinten Nationen, durch die das natürliche Sittengesetz in der Demokratie in etwa einen Ausdruck gefunden hat, zum Beispiel Achtung der Würde der menschlichen Person, des Rechtes auf Existenz und persönliche Freiheit.

2. Kein offizielles Bekenntnis zum Materialismus und zum Atheismus.

3. Die Parteifreiheit, die dem Christentum und dem Sozialismus gemeinsame Ethik, natürlich nicht parteioffiziell, aber als Einzelperson, auch theologisch, nach dem katholischen Weltbild zu begründen.

4. Echte demokratische Toleranz der in rechter Weise ausgeübten Religion gegenüber. Auch die Katholiken haben das Recht auf die Freiheit, ihrer Religion gemäß in der Öffentlichkeit zu leben.

Übergriffe „klerikaler“ Art werden auch von ernsten Katholiken abgelehnt, zum Beispiel Anwendung staatlicher Machtmittel für die Durchsetzung konfessioneller Forderungen, Einengung der Freiheit Andersdenkender, sich-besser-dün-ken als die Andersdenkenden, Bevormundung der Gläubigen bei ihrem selbständigen Handeln in der Alltagspolitik.

5. Anerkennung der katholischen Kirche als eine geistige Macht im öffentlichen Leben, als ein „öffentliches Gewissen“, und Würdigung ihrer positiven Haltung in der sozialen Frage.

Die Zustimmung der Parteileitung zu diesen Punkten findet sich im Parteiprogramm der SPÖ von 1958:

Die Grundsätze der Sozialisten, die Sozialisten und die Gemeinschaft der Völker:

1. „Konflikte sind ohne Anwendung von Gewalt im Sinne der Charta der Vereinten Nationen auszutragen.“

Die Grundsätze der Sozialisten, Sozialismus und Religion:

2. „Der Sozialismus ist eine internationale Bewegung, die keineswegs eine starre Gleichförmigkeit der Auffassungen verlangt. Gleichviel, ob Sozialisten ihre Uberzeugung aus den Ergebnissen marxistischer oder anders begründeter sozialer Analysen oder aus religiösen oder humanitären Grundsätzen ableiten, alle erstreben ein gemeinsames Ziel: eine Gesellschaftsordnung der sozialen Gerechtigkeit, der höheren Wohlfahrt, der Freiheit und des Weltfriedens.“

3. „Sozialismus und Christentum als Religion der Nächstenliebe sind miteinander durchaus vereinbar. Zwischen dem auf einer sittlichen Gesinnung beruhenden Sozialismus und den Religionsgemeinschaften kann es keine Konflikte geben, wenn diese es vermeiden, für die Durchsetzung konfessioneller Forderungen oder in der Auseinandersetzung mit anderen Weltanschauungen staatliche Machtmittel anzuwenden. Sozialismus und Religion sind keine Gegensätze. Jeder religiöse Mensch kann gleichzeitig Sozialist sein.“

4. „Die Sozialisten achten das Bekenntnis zu einem religiösen Glauben wie zu einer nichtreligiösen Weltanschauung als innerste persönliche Entscheidung jedes einzelnen. Sie stehen daher zu dem Grundsatz der Gleichberechtigung aller Bekenntnisse in der staatlichen Ordnung.“

5. „Von den großen Religionsgemeinschaften erkennen insbesondere die christlichen Kirchen die Notwendigkeit von sozialen Reformen an.“

Aus der Praxis seien zwei wichtige Beispiele für die Haltung der Sozialisten in Regierung und Parlament angeführt: Regelung der vermögensrechtlichen Ansprüche der Kirche (jährlicher staatlicher Wiedergutmachungsbetrag), Zustandekommen der neuen Schulgesetze.

Die Bereitschaft der Partei, diesen fünf Punkten zuzustimmen, fand weiters darin ihren Ausdruck, daß schon im Jahre 1959 innerhalb der SPÖ eine Arbeitsgemeinschaft katholischer Sozialisten gegründet wurde. Diese Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Katholiken (ASK) ist weder eine Fraktion noch eine Partei in der Partei, sondern eine lose Gruppe, bei der es nicht einmal einen eigenen Mitgliedsbeitrag gibt. Die Parteileitung unterstützt die ASK propagandistisch und finanziell. Die Grundsätze sind in einem Programm, die Arbeitsweise ist in Arbeitsrichtlinien festgelegt. In dieser Arbeitsgemeinschaft haben alle ernsten katholischen Sozialisten ihre Sprecher. Die Angehörigen der ASK erkennen die Grundsätze der katholischen Soziallehre an, ebenso die Richtlinien des kirchlichen Lehramtes (Glaubens- und Sittenlehre) und das katholische Naturrecht. Außerdem achten sie auf die Äußerungen des kirchlichen Hirtenamtes.

Das Naturrecht beruht auf dem natürlichen Sittengesetz und stellt den festen Grund dar, in dem die Menschenrechte verankert sind. Als Anhänger des Naturrechtes hat man jene obersten sittlichen Normen, die sich aus der Natur des Menschen ergeben, die durch die bloße Vernunft erkannt werden können, und die jedem Menschen eingeschrieben sind, auf Grund der Autorität eines persönlichen, außerweltlichen, göttlichen Wesens anzuerkennen. Auf die richtige Anwendung des Naturrechtes ist jeweils besonders zu achten.

Die Katholiken in der SPÖ, die das Programm der ASK anerkennen, gehen also vom katholischen Weltbild aus; sie trifft demnach nicht der sehr oft erhobene Vorwurf, sie seien Konjunkturritter, die vielleicht in gutem Glauben handelten, aber irregeführt oder beschränkt sind. In Wirklichkeit sind sie keine Anhänger eines humanistischen, mechanistischen, atheistisch-marxistischen, materialistischen Weltbildes oder einer Eigentumslehre, die den katholischen Grundsätzen widerspricht. Allerdings achten sie ihrerseits voll und ganz die Weltanschauung ihrer andersdenkenden Genossen und treten für deren Freiheit ein, in der Öffentlichkeit ihrer Ansicht gemäß zu leben.

Die Verurteilung der sozialistischen Bewegung in dem päpstlichen Rundschreiben „Quadragesimo

Anno“ vom Jahre 1931 ist heute nach Meinung religiös denkender Sozialisten unzeitgemäß. Es seien im folgenden aus den bereits genannten Rundschreiben „Mater et Magistra“ und „Pacem in Terris“ Stellen zitiert, welche die Handlungsweise der Katholiken in der SPÖ rechtfertigen und würdigen:

„Mater et Magistra“, 2. Teil, Unternehmensverfassung, Mitwirken der Arbeiter auf allen Ebenen, 102:

„Mit dieser väterlichen Anerkennung wollen Wir auch jene geliebten Söhne auszeichnen, die, von christlichen Grundsätzen durchdrungen, ausgezeichnete Arbeit in anderen Berufsorganisationen und Gewerkschaften leisten (der Papst spricht vorher von solchen, die „von Christ lichem Gedankengut beseelt sind“), die sich vom natürlichen Sittengesetz leiten lassen und die religiössittliche Freiheit ihrer Mitglieder achten.“

4. Teil, Praktische Anregungen, 238:

„Bei der Anwendung dieser Grundsätze können nun auch manchmal unter Katholiken, selbst wenn sie ehrlichen Willens sind, Meinungsverschiedenheiten aufkommen. In einem solchen Fall müssen sie trotzdem die gegenseitige Achtung und Ehrerbietung in Wort und Tat zu wahren trachten.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung