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Proporz auch im Strafrecht?

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„Wir leben heute in einer pluralistischen Gesellschaft. Wir Katholiken müssen daher zur Kenntnis nehmen, daß es verschiedene Gruppen im Staate gibt, die weltanschaulich anders eingestellt sind. Forderungen auf Herstellung einer mit christlichen Vorstellungen übereinstimmenden Gesellschaftsordnung im Staate können wir nur dann durchsetzen, wenn sie auch für die anderen weltanschaulichen Lager akzeptabel erscheinen.“

So die Stellungnahme eines aufrechten, katholischen Nationalrates zum

Problem der Gesetzgebungsarbeit über-

Als Verteidiger des Entwurfes eines neuen österreichischen Strafgesetzes gegen massive Einwendungen aus katholischen Kreisen versuchte Universitätsprofessor Dr. Nowakowski schon mehrmals, die in vielen Bestimmungen grundsatzlose und liberale, manchmal sogar materialistische Haltung des Entwurfes damit zu rechtfertigen, daß er erklärte:

„Unser neues Strafgesetz wird ein Gesetz der pluralistischen Gesellschaft sein oder es wird nicht zustande kommen.“

Auch der Herr Bundesminister für Justiz, Dr. Broda, hat sich öffentlich zu diesem Standpunkt bekannt. Also heißt das nichts anderes, als eine möglichst gleichmäßige oder vielleicht sogar dem weltanschaulichen Proporz entsprechende Mischung von Bestimmungen im neuen Strafgesetz herstellen zu sollen, die zum Teil etwa dem Denken des Liberalismus, der Gesellschaftsordnung des Materialismus oder etwa des Marxismus entnommen sind. Man nehme ... wie bei Kochrezepten. Diese „gesunde“ Mischung sollte dann das Strafrecht der pluralistischen Gesellschaft sein, so wie das gesamte Recht Spiegelbild der herrschenden Gesellschaftsordnung werden sollte (Bundesminister a. D. Dr. T s c h a d e k).

Liegt nun nicht die eingangs erwähnte Stellungnahme des christlichen Mandatars auf derselben Ebene? Wäre es nicht „mittelalterliche“ Engstirnigkeit, heute zu verlangen, das gesamte neue Strafgesetz müßte im wesentlichen mit der christlichen Sitten- und Naturrechtsordnung übereinstimmen, dürfte ihr nicht widersprechen? Stellt es nicht eine unvertretbare Zumutung dem inländischen Marxisten gegenüber dar, auf dem Prinzip der menschlichen Schuld im Strafrecht zu beharren, die er ja leugnet?

Die Diskussion über alle diese Fragen ist im Gange und hochaktuell. Soll doch die Kommission zur Erstellung des Strafgesetzentwurfes im Sommer dieses Jahres ihre Arbeit bereits beenden, nachdem dieser 'Entwurf in der Fassung der ersten1 Lesung- schon'längere Zeit vorliegt. -

Einige Klarstellungen erscheinen daher notwendig.

Den Bemühungen der Begründer des modernen Pluralismus kam und kommt nur insoferne positive Bedeutung zu, als es ihnen gelang, bisher außerhalb der normativen Ordnung stehende soziale Mächte in diese ein-zubeziehen. Im übrigen aber sind die Gefahren des Pluralismus nicht zu übersehen: er ignoriert nämlich das Gemeinwohl und vertritt selbst dann, wenn er sich auf das allgemeine Beste beruft, Einzel- oder Gruppeninteressen. Im extrem pluralistisch beherrschten Staat erschöpft sich die Staatstätigkeit in der Erfüllung oder im Ausgleich dieser Gruppeninteressen. Der spätliberale Pluralismus bezeichnet sich selbst als „Etappe im Fortschritt zum Bewußtsein der Freiheit“, führt aber nach katholischer Auffassung zwangsläufig früher oder später zur Auflösung der Staatsautorität, zur pluralistischen Anarchie.

Schaufelt sich also der pluralistische Staat solcherart selbst ein Grab, so bedeutet das widerspruchslose Hinnehmen des Pluralismus auf dem Gebiete der Sittenordnung der menschlichen Gesellschaft die Auflösung jeglicher Ordnung auf diesem Sektor, bedeutet insbesondere für den Christen

Preisgabe der Seinsordnung und Mißachtung des Auftrages zur Gestaltung dieser Welt nach dem geoffenbarten Willen Gottes. Der ständig sich wiederholende Aufruf zum christlichen Dienst in der Welt (vergleiche Mater et Magistra, 254 ff.) ist unvereinbar mit einer entscheidenden Konzession an den Pluralismus auf weltanschaulichem Gebiet.

Nicht Intoleranz gegenüber den Andersdenkenden, sondern die Pflicht zur Treue gegenüber dem erhaltenen Auftrag hindert uns Christen daran, einer Gesellschaftsordnung und damit auch einem Strafrecht zuzustimmen, das wesentliche Grundsätze der christli-' chen Naturrechtsordnung außer acht läßt, beispielsweise nicht in allen Fällen das Recht auf Leben garantiert, Ehe und Familie nicht ausreichend schützt, von einem verkehrten oder gar keinem Menschenbild ausgeht und dergleichen mehr. Wir werden uns bei der Forderung nach Berücksichtigung dieser Grundsätze in einem neuen Strafrecht nicht darauf berufen müssen, daß doch die Mehrheit in unserem demokratischen Staat noch christlichen Bekenntnissen angehört: wir hätten selbst als Minderheit die Legitimation zur Erhebung dieses Begehrens. Die Ablehnung desselben bedeutet nämlich nicht ein Kompromiß zwischen verschiedenen Richtungen, sondern ein eindeutiges Obsiegen des Liberalismus, wenn man will: des spätliberalen Pluralismus. Ist beispielsweise das Lebensrecht des Menschen nicht mehr in allen Fällen entsprechend geschützt, dann ist der chistlicher Auffassung entsprechende Grundsatz zugunsten der liberalen Anschauung eben aufgegeben, mag in anderen Fällen auch ein derartiger Schutz noch vorhanden sein. Oder findet es der Staat nicht mehr strafwürdig, wenn sich der Mensch selbst unter das Tier stellt und es zur Unzucht mißbraucht? Dann ist es klar ersichtlich, daß hier der Individualismus in seiner krassesten Form die Oberhand behalten hat, mögen auch andere Verfehlungen auf diesem Gebiet Menschen gegenüber aus dem auch liberalen Gedanken des Schutzes der freien Dispositionsfähigkeit über den eigenen Körper, wie etwa die Notzucht, für strafwürdig befunden werden.

Letztlich geht es darum, ob sich der Christ bei einer „pluralistischen Strafrechtsreform“ mit der Mißachtung der sittlichen Ordnung (Mater et Magistra, 205 ff.) abfinden will oder nicht. Gerade weil er hier und heute in der Demokratie die Möglichkeit hat, legal dieser Mißachtung entgegenzutreten, sollte er es auch bei der Strafrechtsreform tun.

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