6692113-1962_42_04.jpg
Digital In Arbeit

Weltanschauung und Strafrecht

Werbung
Werbung
Werbung

Ist dies nicht die vornehmste Aufgabe der Strafrechtsordnung? Verweist nicht mit Recht Professor Peters in seinen Ausführungen: „Zu den Problemen der deutschen Strafrechtsreform“ (Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht, 1961, Heft 2) auf die enge Verknüpfung zwischen weltanschaulichen Ansichten und strafrechtlichen Normen, die gerade in Zeiten weltanschaulicher Spannungen zu Auseinandersetzungen führen muß, die sich insbesondere bei der Abtreibung, bei der künstlichen Befruchtung, bei der widernatürlichen Unzucht und bei der Kuppelei geltend machen? Peters ist hinsichtlich der Gesamtreform des Strafrechts pessimistisch, weil er aus den angeführten Gründen glaubt, daß sich eine repräsentative Parlamentsmehrheit nur für Teillösungen gewinnen lassen werde. Peters meint auch, daß eine Strafgesetzreform mit einer Reform des Strafvollzuges und des Strafprozesses in Verbindung stehen müsse.

Wir hoffen für Österreich, daß um die G e s a m t r e f o r m des Strafrechts gelingen möge. Voraussetzung hierfür ist allerdings, daß der Geist, der die Klausur von Rief so über alle Maßen glücken ließ — ich wiederhole hier Worte des Justizministers Doktor Broda —, auch weiterhin anhalte. Der Geist von Rief war ein Geist sachlicher und ehrlicher Zusammenarbeit. Die gegensätzlichen Anschau--ungen trafen nicht selten hart aufeinander. Es kam nicht immer zu einer Einigung und es konnte nicht immer zu einer Einigung kommen, wenn es um weltanschauliche Fragen ging, die ihrer grundsätzlichen Bedeutung wegen herausgestellt und verfochten werden mußten. Der Geist der Redlichkeit gebietet es mir auch, festzustellen, daß nicht versucht wurde, Kompromisse zum Schein einzugehen oder dem anderen den Schwarzen Peter zuzuspielen. Nein! Wenn es nicht zur Einigung kam, legte man seine gegensätzliche Meinung in einem Minderheitsvotum fest. Wir sahen eben unsere Arbeit darin, Anregungen zu geben, zu kritisieren, zu diskutieren, neue Vorschläge zu machen und zu einer besseren Formulierung zu gelangen, als wir sie in der ersten Lesung gefunden hatten. Das war auch der Sinn der zweiten Lesung. Und deshalb konnte auch die zweite Lesung und insbesondere die Klausurtagung in Rief Sympathie bei der Allgemeinheit erwarten und hoffen, für eine weitere Sympathie bei der endgültigen Fassung des Gesetzes zu werben.

Ein Monat ist seit Abschluß der Beratungen der zweiten Lesung verflossen. Die Erwartungen haben sich nicht in gewünschtem Maße erfüllt. Statt Sympathie für die Strafrechtsreform hat ein Unbehagen wegen dieser Reform Platz gegriffen. Was seither in der Presse veröffentlicht wurde, war nicht immer dazu angetan, Schwierigkeiten, die an sich mit einem neuen Strafgesetz verbunden sind, zu beseitigen oder gar zu verringern. Richtig hat Minister Dr. Broda, einem Artikel der „Presse“ vom 29. September 1962 zufolge, erklärt: „Ich unterschätze dabei nicht die Schwierigkeiten — sie beginnen erst“, aber es heißt weiter in diesem Artikel von Hans Z e r b s :

„Schon haben die Verfechter weltanschaulicher Standpunkte, die trotz allem in einigen ganz wenigen Punkten in der Kommission nur oder nicht einmal Minderheitsvoten durchsetzten, darauf verwiesen, es werde Sache des Parlamentes, also der Politik sein, die endgültige Fassung eines neuen Strafgesetzes zur erarbeiten.“

Mit dieser Behauptung wird der Wahrheit nicht gedient, werden die Gegensätze verniedlicht und wird vor allem der Anschein erweckt, als hätten sich die Verfechter der katholischen Weltanschauung in der Strafgesetzkommission überhaupt nicht durchgesetzt, und wenn dies der Fall war, hätten sie es nur in einigen ganz wenigen Punkten zu Minderheitsvoten gebracht oder nicht einmal diese durchgesetzt. Zur Steuerung der Wahrheit muß dem entgegengehalten werden, daß in der zweiten Lesung insgesamt mehr als 120 Minderheitsvoten eingebracht wurden und auch die Unterstützung fanden, daß weiter hiervon mehr als 70 von mir selbst eingebracht wurden und weitere 14 Minderheitsvoten von mir unterstützt worden sind. Insgesamt wurden demnach rund 80 Minderheitsvoten von den „Verfechtern der katholischen Weltanschauung“ eingebracht und unterstützt. Wenn diesen Minderheitsvoten noch rund 30 Minderheitsvoten anderer Gruppen gegenübergestellt werden dürfen, so zeigt dies, daß die Zahl der Minderheitsvoten an sich nicht gering war, daß in vielen Fällen die Gegensätze eben nicht bereinigt werden konnten und daß die Vertreter der einzelnen Gruppen es für unbedingt erforderlich hielten, wenn sie mit ihren Meinungen nicht durchdrangen, die gegensätzliche Auffassung in einem Minderheitsvotum besonders festzulegen. Es gelang den Vertretern der katholischen Weltanschauung, auch dies sei hervorgehoben, in allen grundsätzlichen Angelegenheiten, bis auf eine grundsätzliche Frage, ihre Auffassung zumindest in einem Minderheitsvotum festzulegen, so daß es wohl berechtigt ist, die geringschätzige Abwertung zurückzuweisen, daß es den „Verfechtern weltanschaulicher Standpunkte ... nicht einmal .gelang', Minderheitsvoten durchzusetzen“.

Hier war Klarstellung notwendig, weil ansonsten gerade in katholischen Kreisen die Meinung aufkommen könnte, eher am geltenden Strafgesetz festzuhalten, als neuen Strafrechtsnormen ihre Zustimmung zu geben. Manche könnten an dem Beruf unserer Zeit zur Strafrechtsreform zweifeln, wie, am Beginn des 19. Jahrhunderts, Savigny die Frage aufgeworfen hat, ob seine Zeit zur Gesetzgebung berufen sei. Da ich mich bereits im Jahre 1953 in einem Aufsatz, „Das Strafgesetzbuch und seine Reform“ (Juristische Blätter, 1953, Nr. 9). für die Strafrechtsreform ausgesprochen habe und mich bereits damals eingehend mit der Art dieser Reform auseinandergesetzt habe, wird es nicht wunder nehmen, wenn ich nunmehr, nach fast zehn Jahren, noch immer erkläre, daß für die Strafrechtsreform eine echte Notwendigkeit besteht, ja daß sie zur rechten Zeit kommt. Ich setze daher der Strafrechtsreform n i c h t e i n „N e i n“ entgegen, sondern nur ein „So nicht“.

Alle stimmen wir doch darin überein, daß das österreichische Strafgesetz, das im Jahre 1803 erschienen und bereits im Jahre 1852 novelliert worden ist und seit dieser Zeit immer wieder durch neue Gesetze ergänzt und durch weitere Novellen abgeändert wurde, ein altes, ein sehr altes Gesetz ist, wenn wir bedenken, daß die Gedankengänge unseres Strafgesetzbuches, ja in vielen Fällen sogar die Stilisierung der strafrechtlichen Tatbestände auf das „Allgemeine Gesetz für Verbrechen und derselben Bestrafung“ zurückgehen, das Josef II. im Jahre 1787 erlassen hat. Deshalb wurde es immer wieder als ein dringendes Anliegen empfunden, ein neues Strafgesetz zu schaffen. Hye, der Schöpfer des Strafgesetzbuches von 1852, das, wie wir wissen, eine novellierte Ausgabe des Strafgesetzes 1803 war, erstattete bereits im Jahre 1863 einen Entwurf, der 1867 revidiert wurde. Im Jahre 1874 kam es zum Entwurf I, im Jahre 1891 wurde der Entwurf VI als Regierungsvorlage eingebracht. Fünf Jahre später, also im Jahre 1896, stellte Justizminister Graf G 1 e i s p a c h die Reform der Strafgesetzgebung auf neue Grundlagen. Dies führte sodann über den Kommissionsentwurf 1906 und den Vorentwurf 1909 zu einer Regierungsvorlage, welche schließlich kurz vor dem Weltkrieg, im Jahre 1912, dem Herrenhaus zugeleitet und von diesem im Jahre 1913 angenommen wurde. Eine im Jahre 1921 eingebrachte Regierungsvorlage wurde nie erledigt. Das gleiche Schicksal hatte der im Jahre 1927 im Nationalrat eingebrachte Entwurf zu einem „Strafgesetzbuch über Verbrechen und Vergehen“, welcher mit dem des Deutschen Reiches inhaltsgleich war, in dem Bestreben, eine Vereinheitlichung der Gesetzgebung auf diesem Gebiet herbeizuführen. Nun kam es im Jahre 1954 zur Einsetzung einer Strafgesetzkommission, die ihre Tätigkeit mit dem Abschluß der zweiten Lesung im September 1962 vorläufig abgeschlossen hat.

Dieser kurze Überblick über die bisher vergeblichen Versuche, zu einem modernen Strafgesetz zu kommen, zeigt einerseits, daß der fast vollständigen Änderung der politischen, gesellschaftlichen und geistigen Grundlagen Österreichs schon seit langem Rechnung getragen werden sollte, und beweist anderseits, daß dem Strafrecht nur eine beschränkte Eigenzuständigkeit zukommt. Diese Beschränkung erweist sich darin, daß eine Anpassung an die Verhältnisse des 20. Jahrhunderts notwendig ist, so daß dem Rechnung getragen werden muß, was man den Wandel der Rechtsvorstellungen und der Rechtstechnik nennt. Damit soll keineswegs dem Rechtspositivismus das Wort gesprochen werden und keineswegs verneint werden, daß sich der Gesetzgeber an einer Rechtsidee orientieren müsse und daß es auch für ihn letzte, unüber-steigbare Schranken sozialethischer Natur gebe oder, wie wir es anders bezeichnen können, daß es einen gewissen Kernbereich des Rechtes gibt, der bestimmte, als unantastbar angesehene Grundsätze des Menschenlebens umfaßt, die sich bei allen Kulturvölkern auf dem Boden übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der Zeiten herausgebildet haben und für den Katholiken im Naturrecht begründet sind.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung