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Der unantastbare Kernbereich

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Es darf jedoch nicht verkannt werden, daß die Vorstellungen darüber, was strafrechtliches Unrecht sein soll, welche strafbaren Delikte geschaffen werden sollen, was also rechtlich geschützt und nicht mehr rechtlich geschützt werden soll, Veränderungen erfahren haben, die nicht zuletzt in der geistigen Entwicklung des vergangenen und gegenwärtigen Jahrhunderts ihre Ursache haben. Wenn man bejaht, daß der Versuch, die strafrechtlichen Begriffe von den ihnen zugrunde liegenden ethischen Gegebenheiten zu trennen, die Wirkkraft des Strafrechtes vermindert und die sittliche Ordnung verwirkt, so sagt man damit noch nicht, daß alle Strafrechtsnormen zu dem unantastbaren Kernbereich gehören, und bedeutet es auch nicht, daß einer Versteinerung in der Gestaltung der Tatbestände das Wort geredet werden soll, wenn Lehre und Rechtssprechung bereits zu neuen, annehmbaren Ergebnissen gekommen ind, die keineswegs den Grundsätzen der christlichen Weltanschauung widersprechen.

Unser Bestreben mußte daher bei der zweiten Lesung des Entwurfes dahin gehen, entweder im Grundsätzlichen eine Lösung zu finden, die unseren Anschauungen entspricht oder doch zumindest ihr nicht zuwiderläuft, und dafür Sorge zu tragen, daß diesen grundsätzlichen Erwägungen bis in die letzten Verästelungen Rechnung getragen wird. Hierbei oblag uns die nicht immer leichte Entscheidung, den Umfang des Grundsätzlichen abzugrenzen und damit den Bereich des Kompromisses zu finden, und es war auch unsere Aufgabe während der jahrelangen Kommissionsberatungen darin gelegen, ob der strategischen Grundhaltung auch taktische Erwägungen nicht ganz außer Acht zu lassen, weil wir für unsere Meinung die Mehrheit der Kommission gewinnen wollten und deshalb bestrebt sein mußten, unsere Forderungen, sowohl in ihrem Inhalt als auch in der Form und gegebenenfalls in der Formulierung, nicht zu überspitzen. Nur auf diese Weise gelang es uns, bei der zweiten Lesung einen grundlegenden Wandel gegenüber der ersten Lesung herbeizuführen, der in vielen Fällen die Zustimmung der Mehrheit gefunden hat und daher auch für die Regierungsvorlage vorgegeben und wohl nicht mehr abänderbar ist, denkt man ernstlich daran, zum Abschluß zu kommen. Damit ist aber auch dargetan, daß

noch ein großer Bereich verbleiben wird, der insbesonders durch die angemeldeten Minderheitsvoten abgegrenzt ist. Hierüber wird noch zu verhandeln sein. Manches Grundsätzliche ist noch nicht geklärt, aber meines Erachtens doch noch klärbar. Toleranz und Zivilcourage werden dabei ins Spiel kommen müssen. Viel wird die Zusammenarbeit vom Geiste ihrer Träger abhängen. Ist er auf positiv-konstruktive Lösungen abgestellt und auf die Berücksichtigung der wesentlichen und grundlegenden Wertvorstellungen des andern, so können wir noch immer, wie wir es hoffen, nicht nur zu einem Strafgesetz an sich, sondern zu einem guten Gesetzgebungswerk kommen, wobei es kein Fehler sein muß, daß es Sache der Politik, weil es Sache des Parlaments ist, die endgültige Fassung eines neuen Strafgesetzes zu erarbeiten. Schon Donnedieu de Vab-r e s hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Kriminalpolitik nur eine Erscheinungsform, ein Spiegelbild der allgemeinen Politik ist.

So viel vom Allgemeinen. Es wird der Gegenstand eines weiteren Artikels sein, darzulegen, wie sich der Allgemeine und der Besondere Teil des Strafgesetzbuches auf Grund der zweiten Lesung darstellt und inwieweit unsere Ideen und Grundsätze zum Durchbruch kamen, berücksichtigt wurden, in Minderheitsvoten angemeldet worden sind und auch inwieweit es uns nicht gelang, unser Ideengut zum Tragen zu bringen.

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