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Wunsch oder Wahrheit

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Die Veröffentlichung über das Ärgernis der kirchlichen Eheprozesse in Nr. 37/1970 sollte eine konstruktive Kritik darstellen. Dennoch ist damit noch nichts über die inhaltliche Seite einer Ehenichtigkeit ausgesagt. Nur zu leicht gerät man, wenn es um diese Frage geht, in ein Rechtspolitikum. Die Extreme sind sehr weit abgesteckt. Von der einen Seite mag man die Meinung vertreten hören, daß es fast in jeder Ehe irgendeinen Punkt gibt, bei dem man einhaken könnte, um die Nichtigkeit der Ehe nachzuweisen. Von der anderen Seite hört man die Sorge, daß es dann unendlich viele Eheungültigkeiten geben würde und eine derartige Betrachtungsweise einer juristischen Fehlrechnung gleichkomme. Dazu möchten wir grundsätzlich sagen: Wenn eine Ehe nichtig ist, so muß diese Nichtigkeit allein nach den inneren Gegebenheiten ausgesprochen werden, ganz gleich, ob es wenige oder sehr viele Fälle sind. Darüber entscheidet die Natur der Sache und nicht ein Bechtspolitikum, das je nach Einstellung sympathisch oder unsympathisch wirken kann.

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Die Veröffentlichung über das Ärgernis der kirchlichen Eheprozesse in Nr. 37/1970 sollte eine konstruktive Kritik darstellen. Dennoch ist damit noch nichts über die inhaltliche Seite einer Ehenichtigkeit ausgesagt. Nur zu leicht gerät man, wenn es um diese Frage geht, in ein Rechtspolitikum. Die Extreme sind sehr weit abgesteckt. Von der einen Seite mag man die Meinung vertreten hören, daß es fast in jeder Ehe irgendeinen Punkt gibt, bei dem man einhaken könnte, um die Nichtigkeit der Ehe nachzuweisen. Von der anderen Seite hört man die Sorge, daß es dann unendlich viele Eheungültigkeiten geben würde und eine derartige Betrachtungsweise einer juristischen Fehlrechnung gleichkomme. Dazu möchten wir grundsätzlich sagen: Wenn eine Ehe nichtig ist, so muß diese Nichtigkeit allein nach den inneren Gegebenheiten ausgesprochen werden, ganz gleich, ob es wenige oder sehr viele Fälle sind. Darüber entscheidet die Natur der Sache und nicht ein Bechtspolitikum, das je nach Einstellung sympathisch oder unsympathisch wirken kann.

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Es darf nicht verschwiegen werden, daß auch dnnerkirchiiche Bedenken .gegen die katholische Ehegerichtsbarkeit laut geworden sind. Zunächst war es der materialrechtliche Versuch, der darauf abzielte, dem Ehenichtigkeitsverfahren den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Zum Verständnis dessen muß bemerkt werden, daß die Nichtigkeitsverfahren in der Regel den ehelichen Konsens betreffen. Wenn wir vom Hindernis der Geschlechtsunfähigkeit absehen, so ist es in irgendeiner Form ein Willensmangel, der zum Gegenstand kirchlicher Verfahren wird. Neben dem moralischen Zwang ist es vor allem der Vorbehalt gegen die Ehe selbst (eine Scheinehe) oder der Ausschluß eines Wesensgutes, der Nachkommenschaft, der Unauflöslichkeit oder, mit Abstand davor, der ehelichen Treue. Diese Verfahren dürfen als Ehenullitäten schlechthin und auch als Kreuz der kirchlichen Ehegerichte bezeichnet werden. Letzteres deshalb, weil ein Urteil darüber abgegeben werden muß, was Gegenstand eines innerseelischen Vorganges war, der letztlich Gott allein bekannt ist. Äußerungen können noch so überzeugend klingen, sie lassen oft genug eine verschiedenartige Interpretation zu. Man denke etwa an das Reden über eine künftige Scheidung; derartige Bemerkungen können bloße Redensarten sein, vage Möglichseiten in sich schließen, oder die Wiedergabe dessen sein, was im Zuge der Zeit liegt. Darin liegt nicht der konkretisierte Wille, sich wirklich scheiden zu lassen, weil ein schwerwiegender Beweggrund zur Einfügung dieses Vorbehaltes nötigte. Bei all dem geht man von der Annahme aus, daß die Ehe durch den Willen geschlossen wird und die Ausformung des Willens in der Macht der Eheleute liegt, ganz gleich, ob sie dabei rechtmäßig oder unrechtmäßig, moralisch gut oder verwerflich handeln. Es waren vornehmlich französische und spanische Theologen, die den Versuch machten, von der Vertragstheorie abzurücken und die Ehe als den Eintritt in einen Stand, in eine Institution zu sehen. Damit wäre der ausformenden Kraft des Ehekonsenses die Bedeutung abgesprochen worden. Allerdings wurde dabei übersehen, daß auch gemäß der Institutionstheorie ein Konsens in vollem Umfang nötig ist, als eine Bedingung, ohne die eine gültige Eheschließung nicht zustande kommt.

Daher wurde der Versuch gemacht, von prozeßrechtlicher Warte her die Flut von Verfahren einzudämmen, dadurch nämlich, daß im Falle eines Willansmangels das Klagerecht verweigert wird. Als einer der wichtigsten Fürsprecher trat Eartoccetti vor die Öffentlichkeit, und dabei konnte er sich auf zwei Päpste berufen. Pius XI. habe seine Besorgnis über das Ansteigen der Ehenichtigkeitsprozesse gezeigt und ungeachtet rechtlicher Gründe die Flut eindämmen wollen. Es wurde eine Kommission eingesetzt, die ihre Beratung aufnahm. Nach dem Tode Pius XI. arbeitete die Kommission im Auftrag seines Nachfolgers im gleichen Sinne fort. Im Mai 1939 wurde ein Gesetzentwurf vorgelegt, in dem es kurz und bündig hieß, daß auf Grund eines Willensmangels durch Vorbehalt oder Bedingung kein Eheprozeß mehr geführt werden würde. Pius XII. versprach, den Entwurf sorgfältig zu prüfen, die Promulgation als Gesetz unterblieb jedoch. Der Entwurf .greift das Problem nicht innerlich auf, da eine Eheungültigkeit, ungeachtet einer positiv rechtlichen Vorschrift, innerlich gageben sein kann. Im Gegenteil, es wirkt merkwürdig, wenn eine Rechtsordnung Ehenichtigkeiten statuiert, und dies auf Grund der Natur des Ehewilens, die praktischen Auswirkungen jedoch unterbinden möchte. Am ehesten läßt es sich noch verstehen, wenn man ein darartiges Verbot als Schutzmaßnahme betrachten wollte, um eine Vielzahl von Prozessen einzudämmen, bei denen Irrtums- und Täuschungsmöglichkeiten groß sind. Vielleicht könnte sogar die Meinung vertreten werden, daß die Eheleute durch eine derartige Abwehrmaßnahme daran gehindert würden, mit einem Konsens-mangel behaftet zum Traualtar zu treten. An .die Wirksamkeit einer derartigen Maßnahme vermögen wir jedoch nicht recht zu glauben, da ein so reflektiertes Vorgehen beim Eheabschluß in der Regel nicht anzunehmen ist.

Tatsächlich ist die Entwicklung inzwischen andere Wege gegangen. Bereits die Rechtsprechung bemüht sich um eine subtile Erfassung innerseelischer Vorgänge. Deutlich zeigt sich in der Rechtsprechung der Rota Romana, daß beim Abschluß einer Ehe nicht nur die Zurechnungs-fähigkeit verlangt wird, um den Ehewällen zu wecken und zu äußern, sondern daß auch die Fähigkeit gegeben sein muß, die übernommenen Pflichten zu erfüllen. Es zeigt sich femer in der kirchlichen Judikatur, daß nicht nur danach gefragt wird, welche Vorbehalte positiv angeführt wurden, sondern, ob überhaupt der Ehewille zustande kam. Umwelteinflüsse und die persönliche Einstellung können dazu führen, daß das Leitbild der Ehe weitgehende Einbußen erlitten hat. Welchen Sinn soll es dann haben, von der Ehestiftung und der sakramentalen Würde zu sprechen, wenn die kirchliche Trauung in der Einschätzung der Eheleute nicht über die Bedeutung einer äußeren Formalität hineinzuwachsen vermag.

Diese Betrachtungsweise hat allerdings nicht erst dann Platz zu greifen, wenn es um die Beurteilung einer bereits geschlossenen Ehe geht, sondern müßte dann einsetzen, wann die Eheschließung angestrebt wird. Es ist rechtlich inkosequent und .menschliich unbefriedigend, wenn bei der Prozeßführung strenge Maßnahmen angelegt werden, bei der Eheschließung jedoch eine merkwürdige Großzügigkeit waltet. Das erfordert allerdings Sachkenntnis und Mut der kirchlichen Verwaltungsbehörden, die imstande sein müßten, im Einzelfall eine kirchliche Eheschließung zu versagen, weil die Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind.

Die heutigen Erwägungen kreisen jedoch nicht nur um die Auslegung des Gesetzes, sondern um die Neufassung jener Bestimmungen, die den ehelichen Konsens betreffen. So brachte die amerikanische Wochenzeitung „U. S. News and World Report“ ein Interview mit dem Kurienkardinal Wright, der die Möglichkeit angedeutet hat, daß die neuen Erkenntnisse in Psychologie und Psychiatrie eine eventuelle Erweiterung der Haltung der Kirche in der Frage der Ehenichtigkeit zulassen könnten. Dabei erwähnte der Kardinal auch die „Unreife der Ehegatten, ihren Mangel an psychologischer Freiheit oder ihre Unfähigkeit zur Ehe“ als möglichen Nichtigkeitsgrund. In die gleiche Richtung geht der bereits öfter gemachte Vorschlag, den moralischen Zwang nicht nur auf die Drohung einzuschränken, die „von außen“ kommt. Dabei bliebe nämlich die Drohung, wie sie aus einer Situation erwächst, oder auf einen innerseelischen Vorgang zurückzuführen ist, außer acht. Weitaus schwieriger ist es, wenn es um die Unreife der Ehegatten geht. Zunächst einmal müßte vorausgeschickt werden, daß dieser Mangel nicht erst nach der Eheschließung ins Treffen geführt werden darf, wenn die Ehe am Zerbrechen ist, sondern mit der gleichen Strenge bei der Zulassung oder Nichtzulassung zur Eheschließung gehandhabt werden müßte. Darüber hinaus müßten Kriterien gegeben werden, was man unter der nötigen Reife oder der vollpersonalen Entscheidung versteht. Wenn der Psychiater selbst bei einem so massiven Tatbestand wie der Schizophrenie nicht immer bereit ist, von Konsensunfähigkeit zu sprechen, wie wird dann der Fachmann die Minderung der geistigen Reife ' einschätzen? Auf der anderen Seite darf jedoch nicht übersehen werden, daß heutzutage Eheschließungen zustande kommen, bei denen das Bewußtsein eines solchen Schrittes fehlt, weil der Ehebegriff selbst ausgehöhlt worden ist.

Ein durchaus ernst zu nehmender Vorschlag greift auf den Irrtum bei der Eheschließung zurück. Nach geltendem Recht ist nur jener Irrtum ehevernichtend, der die Person des Partners betrifft. Ein Irrtum über die Eigenschaften macht die Ehe in der Regel nicht ungültig. Diese Regel findet nur dann eine Durchbrechung, wenn die Eigenschaft genannt wurde, um eine Person zu bezeichnen, oder wenn es sich auf Grund positiver Verfügung um eine Eheschließung mit jemandem handelt, der dem Sklavenstand angehört. Gegen die Versuche, den Irrtum über die Eigenschaft als Ehe-nichtigkeitsgrund einzuführen, erhob sich ein Protaststurm, der bereits im 17. und 18. Jahrhundert eine beachtliche Einmütigkeit aufwies. Wollte man auf diesen Nichtigkeitsgrund zurückgreifen, hieß es, so müßte eine Vielzahl von Ehen für ungültig erklärt werden, weil fast jeder in irgendeiner Form einer Täuschung unterlegen sei. Das Argument schien so zu beeindrucken, daß die Debatte verstummte und erst durch die angekündigte Kirchenirechtsreform wieder in Fluß geriet. Gegen den Einwand, daß zahllose Eheleute sich auf den Irrtum berufen könnten, müßte, doch alflen Ernstes darauf hingewiesen werden, wie weit hier ein Mißverständnis vorliegt. Es geht nicht um jede beliebige Enttäuschung, sondern um einen schwerwiegenden Irrtum, wie etwa: ein Mädchen heiratet einen Mann, der kurz nach der Eheschließung als langgesuchter Mörder verhaftet wird; der Mann hat verschwiegen, daß mehrere voreheliche Kinder vorhanden sind, die alimentiert werden müssen; die Braut und ihre Eltern haben dem Bräutigam nicht reinen Wein darüber eingeschenkt, daß das Mädchen erblich belastet, beziehungsweise nicht imstande ist, Kindern das Leben zu schenken, obgleich eine Geschlechtsfähigkeit gegeben ist. Der Versuch, diese Tatbestände in die Form einer Bedingung zu kleiden, mußte scheitern, da für die Aufstellung einer Bedingung zumindest ein schwerwiegender Verdacht vorHagen muß. So könnte nur von einer interpretativen Bedingung gesprochen werden, die etwa hätte lauten können: wenn ich das gewußt hätte, hätte ich nicht geheiratet. Eine derartige Bedingung ist aber tatsächlich nicht existent und daher für die Gültigkeit des Konsenses nach herrschender Lehre und Rechtsprechung unerheblich.

Die Frage geht nun dahin, ob solche Irrtumsinhalte erschöpfend im Gesetzt aufzuzählen seien oder ob nach freiem richterlichem Ermessen jedesmal festzustellen sei, was als schwerer Irrtum gilt. Für die letztgenannte Möglichkeit spricht die Tatsache, daß auch bei Einwirkung einer Drohung im Gesetz nichts darüber ausgesagt wird, was der Drohungsinhalt sein müsse, der eine große Furcht hervorruft. Wenn es dem Richter hier überlassen wird, die Größe des Übels zu bemessen, so könnte es beim vorliegenden Nichtigkeitsgrund ebenso gehandhabt werden. Gegen eine taxative Aufzählung spricht die Erwägung, daß das Leben vielgestaltig ist und die Irrtumsinhalte sich einer vollständigen Darstellung widersetzen. Eine weitere Frage geht dahin, ob der angestrebte Ehenichtigkeitsgrund auf den Irrtum schlechthin, ganz gleich, ob verschuldet oder unverschuldet, auszudehnen sei, oder ob eine Einschränkung auf die arglistige Täuschung stattfinden müsse. Für den Ehegatten, der einem Irrtum unterlag, ist es letztlich genauso schmerzlich, vor einem ihm unbekannten Tatbestand zu stehen, ganz gleich, ob der Partner ihn hintergangen hat oder selbst das Opfer eines Irrtums wurde. Die Einschränkung auf die arglistige Täuschung erhielte eine Akzentverschiebung, der Ehewerber wird nur vor der Täuschung geschützt, nicht vor dem Irrtum. Rechtspolitisch erschiene das für die Öffentlichkeit sympatischer, weil man bei der Aufstellung eines neuen Nichtigkeitsgrundes behutsamer vorginge. Ob damit menschlich der bessere Weg gefunden worden wäre, muß allerdings fraglich erscheinen.

Abschließend möchten wir noch jene Reaktion registrieren, die in den Vereinigten Staaten nach der Erklärung des Kardinals Wright offenkundig wurde. Die Hoffnung wuchs, daß 'die Zahl jener Ehen, die von der Kirche ungültig erklärt werden können, sich beträchtlich vergrößern würde. Gerade diese Auswirkung entbehrt nicht eines unangenehmen Beigeschmacks; sie erweckt den Eindruck, als ginge es nicht um die Erkenntnis der Wahrheit, sondern um die Erreichung eines bestimmten Zieles. Ehenichtigkeitserklärungen unter dem Vorzeichen eines Wunschgedankens entbehren jedoch nicht einer Peinlichkeit, die es hier zu vermeiden unbedingt gelten müßte. Grundsätzlich wird man auch weiterhin vor der Erkenntnis stehen müssen, daß eine zerbrochene Ehe doch nur verhältnismäßig selten sich mit Sicherheit als eine ungültige Ehe herausstellen wird. Es hieße den Dingen Gewalt antun, wollte man dieser Erkenntnis ausweichen. Und an diesem ehrlichen Eingeständnis kommt keiner vorbei, der die Ehegerichtsbarkeit ernst nimmt und sie glaubhaft in der Welt üben will.

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