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Ein Wort zur Ehefrage

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Sinn und Ziel der gemeinsamen Arbeit der beiden großen Parteien des österreichischen Nationalrats war und ist der Wiederaufbau Österreichs. Politische Ereignisse, die die ganze Welt erschütterten, haben selbstverständlich auch in unserem Land zur Schädigung des Gemeinschaftslebens geführt und wertvolles Rechtsgut gefährdet. Der Wiederaufbau, der in zäher, mühseliger, oft verkannter und unbedankter Arbeit auf wirtschaftlichem Gebiet in erfreulichem Maße vorwärtsgetrieben wurde, würde aber Stückwerk bleiben, wenn ihm nicht der Wiederaufbau des österreichischen Gemeinschaftslebens, der Kultur und des Rechtes zur Seite gestellt würde. Auch bei dieser so besonders bedeutsamen Aufgabe muß also getrachtet werden, einen gemeinsamen V/eg für die beiden großen Parteien zu finden.

Es ist verständlich, daß die Zusammenarbeit im wirtschaftlichen leichter fällt als die im geistigen Bereich. Um so mehr guter Wille und gegenseitige Achtung muß also darangesetzt werden, gerade auf diesem Gebiet eine Zusammenarbeit zu ermöglichen und zu vertiefen. Die Beziehungen zwischen Kirche und Staat und im besonderen die Frage der Gestaltung des Eherechtes waren immer Fragen von entscheidender Bedeutung. Ein erfolgreicher Ansatz zu einer konstruktiven Lösung, der beide Großparteien zustimmen könnten, wäre also ein überaus bedeutsamer Schritt gemeinsamen Wiederaufbaues im Grundsätzlichen, Geistigen und Sittlichen. Ein solcher Schritt würde die Atmosphäre reinigen und fruchtbaren Kompromissen auch auf anderen Gebieten die Wege ebnen, die bisher verrammelt schienen. Nichts wäre falscher, als in der Aufrollung gerade der entscheidenden Fragen der Gestaltung des Eherechtes und der Beziehung zwischen Kirche und Staat den Versuch eines Kulturkampfes zu erblicken. Im Gegenteil: das Gespenst des Kulturkampfes würde im hellen Licht einer von beiden Seiten akzeptierten Lösung der Frage schwinden.

Der Herr Bundesminister für Justiz hat vor einiger Zeit gerade zu diesen hier berührten Problemen in dem Bemühen, zu einer positiven Lösung zu kommen, Stellung genommen. So ist es gewiß zweckmäßig, wenn ich, in dessen Ressort die Behandlung der Kultusfragen fällt, nun meinerseits in der Öffentlichkeit sage, was zu sagen ist. Ich gehe dabei, wie schon gesagt, von der Überzeugung aus, daß eine aufrichtige Aussprache, getragen von gegenseitiger Achtung, gewiß der beste Weg ist, um gerade auf diesem so heiklen Gebiet zu einer Bereinigung zu kommen.

Zwei Einrichtungen sind es, die das Gewissen der katholischen Bevölkerung vor allem bedrücken. Sie hängen rechtspolitisch auf das engste zusammen: die obligatorische Zivilehe und die Strafandrohung gegen Religionsdiener, die eine kirchliche oder religionsgesellschaftliche Trauung vor Vollzug der staatlichen Eheschließung vornehmen.

Vielleicht kann ich die Gewissensnot und die Kluft, die sich zwischen der derzeitigen gesetzlichen Regelung und dem natürlichen Rechte aufgetan hat, den weltanschaulich Fernestehenden am besten verständlich machen, wenn ich ein Beispiel aus dem Leben anführe: zwei junge Menschen, beide praktizierende Katholiken, fühlen sich berufen und im Gewissen verpflichtet, den Bund fürs Leben zu schließen. Einer von ihnen ist von Haus und Hof und Heimat vertrieben, ein Ausländer oder Staatenloser. Das Gesetz fordert von ihm, daß er ein Heiratsfähigkeitszeugnis seiner Heimatsbehörde vorlegt. Aus naheliegenden Gründen kann er jedoch von seiner Heimatbehörde ein solches Dokument nicht erhalten. Er wendet sich an das Amt der Landesregierung um Dispens von dieser Verpflichtung. Sie muß ihm aus staatspolitischen Erwägungen, die immer wieder zwingend auftreten, verweigert werden: hiemit ist der Abschluß einer vor dem Staate gültigen Ehe endgültig ausgeschlossen. Wenn die beiden jungen Leute nun zusammenzögen und unbekümmert um Gewissen, kirchliches und weltliches Gesetz eine freie Lebensgemeinschaft eingingen, würde ihnen nichts entgegenstehen, kein Hahn würde danach krähen. Als Katholiken aber sind sie im Gewissen verpflichtet, das Sakrament der Ehe zu empfangen. Sie wenden sich an den zuständigen Seelsorger. Kein kanonisches Hindernis steht dem Sakramentsempfang entgegen. Der Seelsorger ist im G e-wissen verpflichtet, unter Beobachtung der entsprechenden bischöflichen Vorschriften die Trauung zu vollziehen. Tut er es, so hat dieser Akt kraft Staats-' gesetzes — von der Strafandrohung abgesehen — keine wie immer geartete rechtliche Bedeutung im staatlichen Bereich; es entsteht keine staatliche Ehe; der Seelsorger und die beiden Ehewerber sind sich dessen vollkommen bewußt: nichts anderes liegt vor, als die Erfüllung von Gewissenspflichten, der Empfang eines Sakraments, eine rein innerkirchliche Angelegenheit, ein Akt der freien Religionsübung einer gesetzlich anerkannten Kirche. Die Freiheit des Gewissens, die Verwaltung der inneren Angelegenheiten der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften, ihre gemeinschaftliche öffentliche Religionsübung, sind in den Artikeln 1 und 15 des einen integrierenden Bestandteil unserer Bundesverfassung bildenden Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, also verfassungsgesetzlich, ausdrücklich geschützt und doch bedroht das gegenwärtig noch geltende Gesetz den Vorgang mit Strafe und versucht so, das Paar von der sakramentalen Ehe zum Konkubinat abzudrängen. Ist es nicht verständlich, daß sich gegen ein solches Gesetz das katholische Gewissen empört, da göttliches und natürliches Recht gegen staatliche Satzung und einfaches Gesetz gegen Verfassungsgesetz stehen?

Und nun ein Wort über die obligatorische Zivilehe. In keinem Zeitpunkt der österreichischen Geschichte bis zum vorübergehenden Verluste österreichischer Unabhängigkeit und Freiheit während des nationalsozialistischen Regimes hat es diese Einrichtung gegeben. Fiele sie, so fiele jene gewissensbedrückende und verfassungswidrige Strafandrohung von selbst. Breite Massen der Bevölkerung empfinden den Zwang zur Doppeltrauung als eine schikanöse und unnötige Belastung und als eine dem österreichischen Wesen fremde Institution. Sollte es wirklich nicht möglich sein, hier Abhilfe zu finden?

Vizekanzler Dr. Schärf hat vor einiger Zeit in einem Artikel alle Argumente zusammengefaßt, die ihm für die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zu-standes zu sprechen scheinen. Er meinte, die Zuerkennung staatlicher Wirkungen an kanonisch geschlossene Ehen sei verfassungswidrig, weil sie die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetze verletzen und ein Privileg für die katholische Kirche schaffen würde; er befürchtet das Entstehen bigamieähnlicher Verbindungen, weil kirchliche Ehen mit staatlicher Wirkung geschlossen werden könnten, obwohl einer der Ehegatten noch durch ein nur staatlich aber nicht kirchlich anerkanntes Eheband gebunden sei; er befürchtet weiter den Abschluß kirchlicher Ehen ohne Beachtung der staatlichen Altersvorschriften oder der staatlichen Entmündigungsvorschriften.

Ich bin überzeugt, daß alle diese Einwendungen keine unüberwindlichen Schwierigkeiten darstellen und daß mit einigem gutem Willen den beiderseitigen Standpunkten voll Rechnung getragen werden kann.

Es müßte ohne weiteres möglich sein, das Recht zur kirchlichen beziehungsweise religionsgesellschaftlichen Trauung mit staatlicher V/irkung allen gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften zu gewähren, ein Recht, das sie auch vor 1938 besessen haben. Kein Privileg irgendeiner Kirche oder Religionsgesellschaft braucht hieraus zu entstehen. Im übrigen sei daran erinnert, daß das „Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch“ gewisse Verschiedenheiten der Ehegesetzgebung für Katholiken, für sonstige „christliche Religionsverwandte“ und für Juden kannte und daß niemals hierin eine Verletzung der seit 1867 gewährleisteten Gleichheit vor dem Gesetze erblickt wurde.

Was die Besorgnis vor dem Entstehen bigamieähnlicher Verbindungen betrifft, so habe ich nicht den geringsten Zweifel, daß Vereinbarungen mit der Kirche dieses Bedenken leicht zerstreuen könnten. Die Kirche achtet selbst die natürlichen Ehen der Heiden. Ich sehe kein Hindernis, das die Kirche abhalten müßte, im Vereinbarungswege zuzusichern, daß keine kirchliche Trauung ohne vorher nachgewiesene Lösung etwa vorbestandener staatlicher Ehebande der Ehewerber erfolgen werde.

Die Altersvorschriften des kanonischen Rechtes gelten für alle Zonen des Erdballes und nichts im System des kanonischen Rechtes steht, soweit mir ein Urteil gestattet ist, der Erlassung partikulärer kirchenrechtlicher Vorschriften entgegen, die eine Angleichung an die besonderen Verhältnisse Österreichs herbeiführen würde.

Auch die Kirche legt den größten Wert darauf, daß der freie, seines Zieles klar bewußte Wille der Nupturienten bei der Eheschließung vollkommen gesichert sei, daß er also auch durch keine Hindernisse, die geistigen Defekten entstammen, beeinträchtigt sei. Auch hier wird nach meiner Uberzeugung eine Übereinkunft mit der Kirche die Sicherung des durch die staatlichen Entmündigungsvorschrif-ten geschützten Rechtsgutes gewährleisten können.

In Erwägung aller dieser Umstände bin ich überzeugt, daß es möglich sein muß, es jedermann gesetzlich freizustellen, die Ehe entweder vor dem zuständigen Relägionsdiener jener gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft, der er angehört, oder vor einem Standesbeamten zu schließen. Ein obligatorisches staatliches Eheaufgebot müßte jedem, auch dem kirchlichen Eheabschluß vorangehen; sein Ergebnis, in Bescheidform gekleidet, müßte bei beabsichtigter kirchlicher Eheschließung dem betreffenden Religionsdiener unverzüglich zur Kenntnis gebracht werden. Die Religionsdiener müßten gesetzlich verpflichtet werden, von besonderen genau zu umschreibenden Notfällen abgesehen, keine Trauung vorzunehmen, ehe ihnen das Ergebnis des staatlichen Aufgebotsverfahrens zur Kenntnis gebracht worden ist. Die kirchlichen Eheabschlüsse wären unverzüglich dem Standesbeamten anzuzeigen, der sie, falls kein staatliches Ehehindernis vorliegt, sogleich ins Eheregister einzutragen hätte, wodurch sie, rückwirkend zum Zeitpunkt der Trauung, die staatliche Rechtswirkung erhielten.

Wenn die Vereinbarungen mit den Kirchen und Religionsgesellschaften, von denen ich früher sprach, zustande kommen, werden Fälle, in denen kirchlicheri seits aus religiös-sittlichen Gründen der Abschluß solcher Ehen herbeigeführt werden müßte, denen nach dem Gesetze staatliche Rechtswirkung versagt zu bleiben hat, an Zahl verschwindend geringe Ausnahmefälle bleiben. Für solche Fälle könnte ohne weiteres gesetzlich festgelegt werden, daß die Religionsdiener verpflichtet sind, vor der Trauung die Ehewerber mündlich und protokollarisch von der staatlichen Rechtsunwirksamkeit des bevorstehenden Trauungsaktes und den rechtlichen Konsequenzen solcher Unwirksamkeit zu unterrichten.

Es liegt mir ferne, ernste Probleme zu bagatellisieren und Gegensätze und Verständigungshindernisse zu vertuschen. Darum noch ein Wort über das Konkordat. Die öffentlichen Auseinandersetzungen über den Rechtsbestand dieses völkerrechtlichen Vertrages sind wohl bekannt. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß nach meiner und meines Ressorts wohlerwogener Rechtsüberzeugung die völkerrechtlichen Bindungen, die sich aus diesem Vertrage ergeben, anerkannt werden müssen und daß daher Änderungen, welche die Zeit erfordert, nur Im Wege der Vereinbarung der Vertragspartner vorgenommen werden können. Ich glaube jedoch nicht, daß die Gegensätzlichkeit der Auffassungen in diesem Punkte, deren ich mir wohl bewußt bin, ein Hindernis zu sein braucht, um zu einer Vereinbarung über die hier erörterten Fragen zu gelangen. Änderungen der innerstaatlich geltenden Gesetze, die, sofern sie nur wie das Gesetz über den Religionsunterricht oder das Feiertagsgesetz, auf Grund eines gepflogenen Einvernehmens mit den Kirchen Und Religionsgesellschaften vorgenommen werden, werden auch von den überzeugten Verfechtern der Gültigkeit des Konkordats, wie von der Kirche selbst, nicht als Bruch des Konkordats empfunden werden müssen.

Ich bin tief überzeugt, daß die Zeit reif geworden ist, um auch auf diesem Gebiet einen Schritt zur Klärung der Atmosphäre und damit zur Festigung der verständnisvollen Zusammenarbeit aller auf-bauwilligen Österreicher zu tun.

Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Bereitwilligkeit zu einer einverständlichen Lösung der in diesen Zellen berührten Probleme auch auf der Gegenseite ein gleichgestimmtes Echo fände.

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