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Standesprobleme der Lichtspielunternehmer

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Ausgelöst durch eine Beschwerde der Wiener Landesregierung, mit der nach einem ersten vergeblichen, weil mangelhaft durchgeführten Anlauf die Verfassungsmäßigkeit des Handelskammergesetzes in zahlreichen Bestimmungen bestritten wurde, hat der Verfassungsgerichtshof mit einem Erkenntnis kurz vor Ostern die Eingliederung einiger Berufsgruppen in die Kammern der gewerblichen Wirtschaft (Bundeskammer und Landeskammern) als verfassungswidrig erklärt und die bezüglichen Gesetzesstellen aufgehoben. Die Aufhebung bedarf zu ihrer Rechtswirksamkeit der derzeit noch ausstehenden Kundmachung im Bundesgesetzblatt. Von dieser Entscheidung betroffen sind neben einer Reihe anderer Berufsgruppen auch die Lichtspielunternehmer, für die sich damit die Notwendigkeit einer Neuorientierung im Aufbau ihrer Standesvertretung ergibt. Insoweit bliebe das Interesse hieran auf den an sich nicht allzu großen Kreis von etwa 1100 Inhabern von Lichtspielhäusern beschränkt, wenn nicht damit Fragen aufgeworfen würden, die als Symptom einer Entwicklung das Interesse breiterer Kreise der Öffentlichkeit beanspruchen dürfen.

Veranschaulicht man sich die kurze, aber inhaltsreiche Geschichte der Standesvertretung der Lichtspielunternehmer, dann wird man in ihr ein getreues Spiegelbild der wechselvollen Geschicke unseres Heimatlandes und gleichzeitig die Entwicklung des Berufsstandes selbst erkennen. Gegründet im Jahre 1908, zu einer Zeit also, als der Film seine Kinderkrankheiten noch lange nicht hinter sich hatte, als Reichsverband der Kinematogra-phenbesitzer Oesterreichs, mit dem Magyar kincmatogräfusok orszägos szötvetsege als Pendant für die Länder der ungarischen Krone, blieb die Organisation nach dem Ende der Donaumonarchie als Bund der österreichischen Lichtspieltheater auf das kleingewordene Oesterreich beschränkt. Mit Verordnung der Bundesregierung über die beruflicheVer-tretung der Lichtspielunternehmer, BGBl. 236/33, wurde sie einem längst vorhandenen Bedürfnis entsprechend als Gremium der Lichtspielunternchmer Oesterreichs zu einer einheitlichen, das gesamte Bundesgebiet umfassenden Standesvertretung mit der Qualifikation als öffentlich-rechtliche Körperschaft um- und ausgebaut. Das Jahr 1938 brachte auch hier, wie auf fast allen Gebieten des öffentlichen Lebens, eine „reichseinheitliche Ausrichtung“ mit einer Zentrale in Berlin und der „Außenstelle“ Wien der Reichsfilmkammer.

Das Jahr 1945 und die ersten Folgejahre schufen hinsichtlich der Standesvertretung der Lichtspielunternehmer ein juristisches Kuriosum: Für ein rechtlich nicht existentes, weil nach der Aufhebung nicht wiedererrichtetes Gremium der Lichtspielunternehmer wurden von höchster Bundesbehörde öffentliche Verwalter bestellt, die immerhin so ; lange amtierten, bis die mit dem im Jahre 1946 erschienenen Handelskammergesetz verfügte Eingliederung in die Kammern der gewerblichen Wirtschaft in den Jahren 1947 und 1948 vollzogen war.

Allein den Ruhelosen war kein Heim beschieden, und das eingangs erwähnte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes stellt die Beteiligten neuerlich vor die Notwendigkeit eines Neuaufbaues ihrer Standesvertretung, die zur wirksamen Wahrnehmung der Interessen einer Berufsgruppe geeignet ist, deren Zahl zwar nicht groß, deren kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung, letztere gemessen an einem jährlichen Bruttoumsatz von etwa 400 Millionen Schilling, doch nicht unbeträchtlich ist. Kaum jemals dürfte es eine Berufsgruppe gegeben haben, deren Interessenvertretung wie diese von allen Wechselfällen unseres Verfassungslebens so sehr beeinflußt wurde.

Es darf in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen werden, daß das Urteil des Verfassungsgerichtshofes für die Praxis der Verbandsarbeit keine glückliche Lösung in sich birgt. Das Urteil hat für die Prüfung der Frage, welche Berufsgruppen im Einklang mit der Bundesverfassung im Rahmen der Kammern der gewerblichen Wirtschaft vertreten sein dürfen, etwa den Leitsatz aufgestellt, daß Voraussetzung hierfür die Kammerpflicht nach dem Handelskammcrgesetz von 1920 und der Umstand ist, daß die Regelung der Angelegenheiten dieser Berufsgruppen in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache ist. Beides trifft für die Lichtspieltheater nicht zu.

An diesem Leitsatz ist inzwischen einige Kritik geübt worden, die im wesentlichen darauf hinausläuft, daß er hinsichtlich des ersten Teiles dem Verfassungsgesetzgeber die Absicht unterstelle, ■ Kompetenztatbestände der Verfassung dem einfachen Gesetzgeber bloß nachzubilden. Hinsichtlich des zweiten Teiles dieses Leitsatzes wurde darauf hingewiesen, daß die Frage, wer zur Regelung des materiellen Berufsrechtes bzw. der Angelegenheiten eines bestimmten Wirtschaftszweiges berufen sei, mit der Frage der Einrichtung einer beruflichen Vertretung in keinem notwendigerweise gegebenen Zusammenhang stehe. Darüber hinaus aber ergibt sich wieder einmal die Frage, inwieweit einzelne Bestimmungen unserer Verfassung in der Rechtsanwendung durch den Verfassungsgerichtshof den Bedürfnissen der Praxis entsprechen.

Der Verfassungsgerichtshof steht an sich mit Recht auf dem Standpunkt der Interpretation aus dem Gesichtspunkte des historischen Gesetzgebers heraus, und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß ein gegenteiliger Standpunkt der Auslegungswillkür Tür und Tor öffnen würde, weil sich vieles, wenn nicht alles mit geänderten Voraussetzungen begründen und entschuldigen ließe. Die Anwendung dieses Grundsatzes in der Rechtssprechung setzt aber voraus, daß der Verfassungsgesetzgeber in Fällen, in denen die Verfassung den Erfordernissen des modernen kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens nicht mehr gerecht wird, in der Lage ist, die erforderlichen Veränderungen in demokratischer Weise, nämlich durch Zustandekommen eines Gesetzesbeschlusses mit der erforderlichen qualifizierten Mehrheit zu vollziehen. Es soll hier nun gar nicht die Rede davon sein, daß erstarrte politische Fronten und Mehrheitsverhältnisse das Zustandekommen auch einer sachlich begründeten Aende-rung der Bundesverfassung verhindern können. Zweifellos aber kann dies aus Gründen unserer durch die Besetzung gegebenen Souveränitätsbeschränkungen geschehen. Wollte man nämlich durch eine Verfassungsänderung etwa den Weg zur Schaffung einer bundesgesetzlichen Wiedererrichtung des seinerzeitigen Gremiums der Lichtspielunternehmer freimachen, so bedürfte dies der ausdrücklichen Zustimmung aller vier alliierten Mächte zu einer Aenderung des Bundesverfassungsgesetzes von 1929.

Angesichts der hier auftauchenden Schwierigkeiten zeichnet sich bereits jetzt eine Entwicklung ab, die zwar der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes entspricht, den Bedürfnissen der Praxis aber ungleich weniger gerecht wird als die bisherige Regelung, eine Entwicklung nämlich, an deren Ende neun selbständige Landesorganisationen der Lichtspieltheater als durch Landesgesetz geschaffene öffentlich-rechtliche Körperschaften stehen, die auf Bundesebene mit einer Art HauptverbandoderPräsidenten-konferenz nur lose überdacht werden können. Welche Vermessenheit, zu denken, daß eine Millionenstadt wie New York von einem einzigen Bürgermeister regiert wird, während hier beinahe für jedes Dutzend Lichtspieltheater ein eigenes Kinogesetz gilt, verschiedene Abgaben erhoben werden, ein Kinooperateur mit einem Tiroler Zeugnis in Wien ohne neuerliche Prüfung nicht arbeiten darf und jetzt auch noch neun verschiedene Berufsorganisationen gebildet werden!

Gewiß, man könnte wie anno 1908 einen Verein gründen, dessen Wirksamkeit sich auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt, aber die Entwicklung würde darüber hinweggehen. Sie geht eindeutig in der Richtung, Standesvertretungen in Form öffentlich-rechtlicher Körperschaften, Selbstverwaltungseinrichtungen zu schaffen. Man hat in den letzten Jahren oft von einem Kammerstaat gesprochen, ja im Extrem davon, daß der Ständestaat erst jetzt seine Verwirklichung erlebt hat. Das sind gewiß überspitzte Formulierungen, aber als Kern der Sache bleibt doch die Notwendigkeit der Einrichtung von beschränkten Selbstverwaltungen auf gewissen Gebieten des öffentlichen Lebens. Der moderne Staat, der gar nicht in der Lage ist, all die Probleme, die ihm die ungeheure Komplizierung des heutigen kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens bietet, zu meistern, oder der sie doch nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand unzulänglich meistern könnte, muß sich zwangsläufig solcher Einrichtungen bedienen, um den ihm gestellten Aufgaben entsprechen zu können. Auch im Film- und Lichtspielwesen gibt es Agenden, die wirksam nur von einer Selbstverwaltungseinrichtung geführt werden können, etwa die Kodifizierung von Branche-usancen auf dem Gebiet des Filmvertragsrechtes, das noch kaum Autoren und Kommentatoren hat, oder hinsichtlich von Maßnahmen zur Hebung des Filmniveaus, die notwendigerweise viel mehr die Mitarbeit der Einzelnen als behördliche Verbote verlangen. Nicht nur der Einzelne braucht diese Einrichtungen, um als Einzelner bestehen zu können, auch die Gesamtheit, der Staat, kann ihrer nicht entraten, in tausend Kleinigkeiten nicht und nicht im großen. Gewiß schleicht sich in solche Organismen da und dort Ueberflüssiges ein, einiges, was Selbstzweck geworden ist, oder leicht werden kann. Aber man hebe heute eine Aerztekammer, eine Wirtschaftskammer, eine Rechtsanwaltskammer auf; die Fülle von Arbeit, die in all diesen Einrichtungen mit verhältnismäßig geringem Aufwand geleistet wird, würde zu ihrer Bewältigung einen wahren Leviathan von Staat verlangen. Und wenn auch alle Selbstverwaltung ihr Recht von der Souveränität des Staates herleitet, der sie geschaffen hat, durch ihr Bestehen hindert sie doch die letzte Machtausweitung des Apparates über den MenJfchen.

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