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Konstruktive Novellierung!

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Da die Neufassung des Arztrechtes in Österreich nicht etwa nur ein Anliegen der ärztlichen Standespolitik, sondern, darüber weit hinausgehend, ein wichtiges Anliegen des ganzen Volkes darstellt, hat die Öffentlichkeit ein gutes Recht, über den wesentlichen Inhalt der in den Zeitungen so oft behandelten rechtspolitischen Auseinandersetzung informiert zu werden.

Wenn auch das Ärztegesetz 1949 mit der sinnvoll zu ihm gehörenden Ärzteausbildungsordnung 1950 Vorläufer hat — etwa das Sanitätshauptnormativ vom 2. Jänner 1770 oder das Reichsgesetz über die Errichtung von Ärztekammern auf Kronlandebene vom 22. Dezember 1891 — , ist es doch wesentlich eine Neuschöpfung und zugleich die erste moderne Kodiflzierung des Arztrechtes in Österreich.

In seinem ersten Abschnitt, der „Ärzteordnung“, definiert es den Arztberuf, zählt die Erfordernisse für seine Ausübung auf und erläßt schließlich jene Vorschriften, die in Ausübung des Arztberufes einzuhalten sind, etwa die Pflicht des Arztes, Jederzeit und jedermann Erste Hilfe zu leisten, die Verschwiegenheitspflicht des Arztes oder das Verbot der werbenden Ankündigung von Heilmitteln oder Heilmethoden.

Erst in seinem zweiten Abschnitt, der „Ärztekammerordnung“, regelt das Ärztegesetz 1949 die Selbstverwaltung des ärztlichen Standes durch Ärztekammern als Körperschaften öffentlichen Rechtes, gibt diesen eine entsprechende Wahlordnung und behördliche Aufsicht und schließlich eine eigene Disziplinargerichtsbarkeit der Ärzte.

Die auf Grund des Ärztegesetzes Im Jahre 1950 erlassene „Ärzteausbildungsordnung“ schließlich schreibt eine ganz bestimmte dreijährige Ausbildung als Spitalsarzt, den sogenannten „Turnus“, für die Erlangung des Titels „praktischer Arzt“ und eine meist sechsjährige, bestimmte Spitalsausbildung für die Erlangung der verschiedenen Facharzttitel vor.

Das Ärztegesetz 1949 und die Ärzteausbildungsordnung 1950 gelten in vielen Ländern der freien Welt als gute, ja vorbildliche Kodifizierung des Arztrechtes. Seine Novellierung legt daher Österreichs Parlament ohne Zweifel große Verantwortung auf, auch gegenüber dem Ausland, gegenüber der Welt!

Der vorliegende, im Auftrag des Sozialministers von der Sektion Volksgesundheit mehr in Zusammenarbeit mit Funktionären der Sozialversicherung als mit Ärzten erstellte Entwurf vom Oktober 1963 kann leider nicht als geeignete, „parlamentsreife“ Diskussionsgrundlage betrachtet werden, und zwar aus mehreren Gründen: Rein legi-stisch verrät der Entwurf durchweg die Eile seiner Verfasser und läßt Gründlichkeit arg vermissen. Als „Novelle“ ausgegeben, stellt er eine recht unübersichtliche, doch praktisch völlig neue Fassung des Arztrechtes in Österreich dar, wozu er die vom Verfassungsgerichtshof festgestellten Mängel zum Anlaß nimmt, doch in einem Atemzug Änderungen einfügt, deren parteipolitische Vaterschaft unbestreitbar Ist. Österreich müßte seine geistige Zugehörigkeit zur freien Welt verleugnen, würde dieser Entwurf auch Gesetz! Ein Entwurf, der etwa die postpromotionelle Arztausbildung einer grundlegenden Neuregelung unterziehen will, ohne überhaupt noch zu wissen, wie morgen das Studium zum Doktor der Medizin in Österreich aussehen wird, ein Entwurf, der den ohnehin schon viel zu starken Trend zum Beruf des Facharztes weiterhin verstärken und eine wahre Facharztinflation samt der zugehörigen Qualitätsminderung herbeiführen müßte, ein Entwurf nicht zuletzt, der in etatistischem und bürokratischem Denken Selbstverwaltungsagenden, gegen deren Führung in eineinhalb Jahrzehnten keinerlei sachliche Kritik laut wurde, den Behörden des Staates überantworten möchte, ohne die dafür aufzuwendenden hohen Steuerbeträge oder gar die gesellschaftspolitischen Folgen solchen Vorgehens zu bedenken.

Geradezu ein Kuriosum des Miniterialentwurfes aber ist die hier vorgesehene rigorose Einschränkung des Geltungsbereiches des neuen Ärztegesetzes: Nicht etwa nur für Amts- und Militärärzte, sondern für mehrere tausend österreichischsr Ärzte, die in einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft oder einer Körperschaft öffentlichen Rechtes stehen, also etwa für die Spitalsärzte der Stadt Wien oder die Ambulatoriumsärzte der Wiener Gebietskrankenkasse, sollen die Bestimmungen des Ärztegesetzes keine Gültigkeit mehr haben. Es ist verständlich, daß man auch in Zukunft etwa Amtsärzte in dieser ihrer Eigenschaft von der Disziplinargerichtsbarkeit der Ärztekammern ausnimmt. Aber was soll jene Teilung des Ärztestandes in „Staatsärzte“ und „Privatärzte“?

Nein, von einem solchen Entwurf müßte man schon deshalb loskommen, um nicht im Parteienhader zu ersticken, sondern auf Grund seriös zu führender Verhandlungen auf breitestmöglicher politischer Basis zu echten konstruktiven Lösungen zu gelangen. Es wird doch wohl nicht zu schwierig sein, daß sich die Abgeordneten aller drei Parlamentsparteien darüber einigen, bis zum vorgeschriebenen Termin (29. Februar 1964) tatsächlich nur die verfassungsrechtliche Sanierung des jetzt gültigen Ärztegesetzes vorzunehmen und dann eine Novellierung vorzubereiten, die nicht das Signum parteipolitischen Gezänkes, sondern konstruktiver Gesundheitspolitik im Interesse der Gesamtbevölkerung trägt.

Für die verfassungsrechtliche Sanierung des Ärztegesetzes 1949 bietet sich nun ein erst in diesen Wochen bekanntgewordener Vorschlag an, der nicht nur der Sache gerecht wird, sondern auch für alle drei Parlamentsfraktionen taktisch tragbar wäre. Der von den Sozialisten befürwortete Ministerentwurf hat nämlich, um zuerst die taktische Seite zu besprechen, durch die weitgehende Festlegung der Freiheitlichen und durch praktisch einhellige Ablehnung seitens der Ärzte selbst kaum Chancen. Für die dort vorgesehene Verbürokratisierung des Ärztestandes gibt es jedoch, will man den Urteilen des Verfassungsgerichtshofes entsprechen, nur solche Alternativen, die verfassungsgesetzgeberischen Charakter haben und daher qualifizierte Parlamentsmehrheit erfordern.

Sachlich geht es dabei um die Frage der Durchführbarkeit der Verwaltungsangelegenheiten der Ärzte im Bereich der Bundesländer, die bisher — sachlich gut und richtig, infolge eines formalen Mangels jedoch zu Unrecht — von den Landesärztekammern wahrgenommen wurden. Dies ist nach dem derzeitigen Wortlaut der Bundesverfassung auf Grund der erflossenen Urteile des Verfassungsgerichtshofes nach dem 29. Februar 1964 nicht mehr möglich, obwohl eine solche, föderalistisch aufgebaute, autonome Selbstverwaltung des wichtigen Berufsstandes der Ärzte dem Geiste der Bundesverfasung ja keineswegs widerspricht.

Der erwähnte Vorschlag besagt nun: Dort, wo die Bundesverfassung (in Artikel 10, Absatz 1, Ziffer 6) die „Angelegenheiten der Rechtsanwälte, Notare und verwandter Berufe“ erwähnt, mögen nun auch die „Angelegenheiten der Ärzte (Bundes- und Landeskammern)“ ihren angemessenen Platz finden. Ein diesbezüglicher Beschluß aller Parlamentsparteien vor dem 29. Februar 1964 könnte den wenig wünschenswerten gesetzlosen Zustand vermeiden und den Weg für weitere ruhig und sachlich zu führende Verhandlungen freimachen.

Nur drei besonders wichtige Aspekte der hierfür noch zu leistenden umfangreichen Arbeit seien hier erwähnt:

Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Freiheit der beruflichen Entscheidungen des Arztes in dem in einem modernen Gesundheitswesen vertretbaren Ausmaß stellt ein sinnvolles Analogon dar zu der im Staatsgrundgesetz verankerten Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre sowie zur Unabhängigkeit des Richters in der Urteilsfindung, wie sie im Bundesverfassungsgesetz verankert ist. Als Artikel 17 a des Staatsgrundgesetzes 1867 wäre etwa zu statuieren:

„Die Freiheit der beruflichen Entscheidungen des Arztes in Prophylaxe, Diagnose und Therapie ist gewährleistet. Sanitätsgesetzliche Beschränkungen sind nur soweit zulässig, als sie für den Schutz von Leben und Gesundheit erforderlich sind. Die sich aus dem Dienstverhältnis von Ärzten innerhalb einer Krankenanstalt ergebenden Verpflichtungen bleiben unberührt.“

Bei der Kodi/izierung der ärztlichen Schweigepflicht müßte bedacht werden, daß diese nicht etwa nur „Geheimnisse“, sondern selbstverständlich alle Tatsachen umfaßt, die der Arzt als solcher erfährt; die durch die Verschwiegenheit zu schützenden Rechte sind Rechte des Patienten, dem daher auch allein die Befugnis zukommt, seinen Arzt von der Verschwiegenheit in jedem Falle zu entbinden.

Schließlich noch ein Wort zur Ausbildung und Fortbildung der Ärzte in Österreich. Bereits eingangs wurde erwähnt, daß die neue Studienordnung der Medizinischen Fakultäten eine Voraussetzung bilde für die Neuregelung der Ausbildung nach der Promotion, also zum Praktischen Arzt und zum Facharzt. Österreich darf sich nicht erlauben, in der Qualität seiner Ärzte auch nur einem einzigen Land in der Welt nachzustehen. Schon 1949 haben die Medizinischen Fakultäten Österreichs ihre berechtigten Interessen in diesem Zusammenhang kaum wahrgenommen und dadurch wesentlich ihnen zukommende Funktionen, etwa die Mitwirkung an der Qualifikation der Ärzte aller Ausbildungsstufen, fast gänzlich preisgegeben. Was ein Arzt nach Abschluß seines Studiums in Österreich lernt oder nicht lernt, kann oder nicht kann, liegt heute in Österreich fast zur Gänze außerhalb der Ingerenz oder auch nur der Kontrolle der Medizinischen Fakultäten des Landes. Die überfällige Reform des veralteten, schwerfälligen Medizinstudiums wäre daher zu verbinden mit einer gründlichen Erneuerung auch der Ausbildung zum Praktischen Arzt und zum Facharzt. Wie in zahlreichen anderen Ländern dürfte auch in Österreich der Nachweis der absolvierten Ausbildung allein nicht mehr genügen, sondern müßte durch den positiven Nachweis der erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten, also durch eine theoretische und praktische strenge Prüfung abgeschlossen werden.. Es wäre zu wünschen, daß sich auch Österreich entschlösse, außer einer Prüfung zur Erlangung des Titels „Praktischer Arzt“ beziehungsweise „Facharzt für...“ eine Qualifikation zum „Leitenden Arzt“ einzuführen und die Bewerbung für leitende Posten nur solchen Ärzten vorzubehalten, die die dafür notwendige Qualifikation solcherart nachgewiesen haben.

Darf in diesem Zusammenhang wieder darauf hingewiesen werden, daß Österreich immer noch zu den ganz wenigen Ländern zählt, deren Gesundheitswesen nicht von einem verantwortlichen Minister, sondern lediglich von den Beamten einer kleinen Sektion innerhalb eines sehr großen Ministeriums geführt wird?

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