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Der große Versuch

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Nun ist es so weit.

Die Bundesregierung hat dem Antrag des Justizministers stattgegeben und wird den seit Jahr und Tag vorbereiteten Entwurf eines Bundesgesetzes über die Presse (Pressegesetz 1961) in seiner jetzigen Fassung dem National- rat zur Debatte und wahrscheinlichen Verabschiedung zuleiten. Damit ist allerdings die vom Justizminister übernommene Aufgabe verbunden, dem Justizausschuß des Parlaments ausführlich über alle Argumente und Gegenargumente zu berichten, die während der (vertraulichen) Auseinandersetzung innerhalb des Ministerrats der Vorwoche laut geworden sind und die die Presse, den § 1 des Gesetzes bereits vorwegnehmend, nachrichtlich „beschafft und verbreitet” hat, die also ohnehin bereits jeder Interessierte kennt.

Das Pressegesetz wird also seit langer, langer Zeit wieder einmal ein Gesetz sein, das in aller Öffentlichkeit Beraten, kritisiert und vielleicht auch in manchen Punkten durch die einzig zuständige Instanz, den Gesetzgeber selbst, abgeändert werden wird. Die Presseleute werden nun in eigener Sache und am eigenen Leib eine Methode kennenlernen, für die sie seit Jahren eingetreten sind. Und die meisten unter ihnen begrüßen dies um der damit verbundenen Klärungen willen, die weit über das fachlich-pressemäßige Gebiet hinausgehen dürftet!.

Es ist ein offenes Geheimnis, daß sich der Streit der Meinungen an eben jenem bereits genannten § 1 des I. Abschnitts (Allgemeine Bestimmungen) entzündete, der den Charakter einer Präambel trägt und die verfassungsmäßige Verankerung des Pressewesens zum Ziele hat.

Es ist im vorliegenden Entwurf die Rede, daß die Presse eine „öffentliche Aufgabe” erfüllt. Mit dieser feierlichen Deklaration sind gewisse Rechte öffentlicher Art verbunden, die dem Spiel parlamentarischer Zufallsmehrheiten entzogen und in die Verfassung unseres Staatswesens eingebaut werden sollen. Es ist begreiflich und aller Ehren wert, daß Männer, denen eben diese Verfassung etwas Unantastbares und Heiliges bedeutet, mit ihrer Unterschrift zu einer solchen Gesetzesvorlage zögernd und vorsichtig umgehen. Hier soll eine Vollmacht von umfassendem Ausmaß erteilt und verbrieft werden, die man nicht ohne weiteres wieder zürücknebmen kann, falls es sich im Laufe der Zeit zeigen sollte, daß sie mißbraucht wird. Eine gewisse Art der öffentlichen Auseinandersetzung in der letzten Woche, die gerade dieses Thema zum Inhalt hatte, schien manche Bedenken schon im Vorstadium zu bestätigen. Da und dort artete die gewiß notwendige

Debatte in gehässige, persönliche und nicht zum Thema gehörende Schimpfereien aus, die beispielsweise dem Pressedienst des Österreichischen Akademikerbundes, der — seinem Namen folgend — die juristische Seite des Problems leidenschaftslos wissenschaftlich untersuchte — in weit hergeholter Beweisführung Intrigen gegen den neuen Bundeskanzler vorwarfen. Auch das Ausspielen von Mandataren der einen Partei gegen Andersgesinnte der gleichen Couleur, das Reden von „rostigen Dolchen” oder von „Fronten der Freiheit” war nicht eben ein würdiger Auftakt der nun hoffentlich mit mehr Sachlichkeit zu führenden Debatte.

Gewiß — wir wiederholen dies ausdrücklich — haben alle jene Demokraten recht, die einer verfassungsmäßig verkündeten Formulierung „öffentlicher Aufgaben” gegenüber Bedenken äußern. Etwas vom fatalen Geist der Rousseauschen Totaldemokratie kann aus diesen Worten immerhin herausgelesen werden, zumal, wenn man sich überlegt, wer in der jüngeren Vergangenheit oder geographischen Umgebung solche „Aufgaben” im gewissen Fall stellen könnte. Auch im Dritten Reich gab es neben und über den Paragraphen das berüchtigte „gesunde Volksempfinden”, und auch in der Konzeption Lenins hat die Presse den Auftrag, „Organisator der Massen” zu sein. Aber man kann die Vorsicht nicht, auf die sinnlose Spitze treiben. Sollte unsere rechtsstaatliche Verfassung irgendwann einmal zum Teufel gehen, dann würde uns auch das Pressegesetz nicht erhalten bleiben. Und alle heute Beteiligten an dieser Auseinandersetzung würden bei der Neufassung des Textes kaum zu Rate gezogen werden.

Viel aktueller als dieser Ausblick in ein Gespensterreich des braunen oder roten Gewaltsystems ist eine andere Befürchtung: die vor dem Mißbrauch eines so weit gehenden Privilegs durch eine bestimmte Art von Journalistik, die nun einen verfassungsrechtlichen Freibrief für übelstes Treiben erhalten könnte. Der vorliegende Gesetzestext gibt hier aber eine klare Antwort. Dem Hauptsatz von der öffentlichen Aufgabe der Presse ist ein mit „w e n n” eingeleiteter Nebensatz angefügt. Die hohe öffentliche Aufgabe erfüllt die Presse nämlich nur dann, „wenn sie im Rahmen der gesetzlichen Ordnung wahre Nachrichten, an denen ein Interesse der Allgemeinheit besteht, beschafft, verbreitet und zu solchen Nachrichten sachlich Stellung nimmt, insoweit die Nachricht oder Stellungnahme nicht Tatsachen des Privat- oder Familienlebens betrifft oder lediglich der Befriedigung des Unterhaltungsbedürfnisses oder der Sensationslust dient.”

Nun hat sich freilich bereits die Stimme eines Boulevardblattes vernehmen lassen und ein Informationsrecht der Öffentlichkeit, zum Beispiel auf handgreifliche Details aus dem mehr als fragwürdigen Familienleben eines an sich schon fragwürdigen „Filmhelden”, angemeldet. Inwieweit diese Auslegung des Gesetzes zu Recht besteht, wird aber schließlich nicht das Blatt in eigener Sache, sondern der vor kurzer Zeit geschaffene Presserat zu befinden haben, dessen Entstehung ja in engem Zusammenhang mit dem Pressegesetz zu verstehen ist. Wer „A” zur Ehre der öffentlichen Stellung der Presse sagt — und wir sagen es vernehmlich —, muß auch „B” zu einer kollegialen Gerichtsbarkeit sagen, die über diese Ehre wachen wird.

Natürlich ist das beste Gesetz kein Zaubermittel. Es kann und soll ja nur - den Boden schaffen für jene Pressefreiheit, die nicht nur eine Form bedeutet, sondern auch einen Inhalt haben muß. Es wäre naiv oder verlogen, wenn man die hauptsächliche Bedrohung der journalistischen und publizistischen Meinungsfreiheit in unserer heutigen westlichen Welt ausgerechnet vom Staat und von der Polizei her kommen sähe. Die inneren Gefahren, die kein Gesetz bannen, ja nicht einmal beim Namen nennen kann, sind viel ernster. Wer etwa weiß, wie schwer gerade in diesen Tagen eine Wochenzeitung gegen das massive Meinungsdiktat der eigenen Partei um ihr Gesicht kämpfen muß, um deren zeitgemäße Auflockerung Sich eben diese Zeitung ja im durchaus wohlverstandenen Parteiinteresse nicht ohne journalistischen Erfolg abgemüht hat, der wird verstehen, was wir meinen. Auch die seit dem grotesk-makabren „Krieg der Mittagsblätter” Wiens vor Jahr und Tag zur kaoitalisfischen Gewohnheit gewordene Sitte, Redaktionen und Journalisten schockweise einzukaufen, wieder zu verkaufen und nach Art der Landesfürsten des 18. Jahrhunderts da und dort als Söldner einzusetzen, trägt nicht eben zum Ansehen der Innung bei.

Gewiß gibt es unter den Journalisten geborene Söldnernaturen, die ihr Fähnlein mit atemberaubender Geschwindigkeit in die jeweils angeordnete Windrichtung zu führen bereit sind. Und die Zahl echter Martyrien der Gesinnung — bis zur letzten Konsequenz durchgestanden — ist trotz gelegentlicher pathetischer Rücktrittsankündigungen heute in Österreich recht gering. (Dies trifft freilich nicht nur auf die Presse zu.) Das Kanalsystem der querverbundenen Einflüsse, das Netz oft ganz verborgener Abhängigkeiten ist zuweilen selbst für den, der mitten drin zu stehen glaubt, so unübersichtlich geworden, die Konstellationen wechseln über Nacht, und „Große Feinde” reichen einander gewöhnlich auf Kosten der Kleinen die verständnisvolle Bruderhand. Es ist recht schwer, hier nach absoluten Prinzipien zu urteilen, wenn deren Marktwert selbst der Regulierung an der politisch-wirtschaftlichen Schlagwortbörse unserer Tage unterliegt.

Und die durch den ehemaligen Fi- nanzminister Prof. Karnitz oft zitierte Wahrheit Dostojewskijs, daß „Geld geprägte Willensfreiheit” bedeute, hat auch heute nichts von ihrer für den, der nicht zuvief davon besitzt, besonders düsteren Gültigkeit eingebüßt.

All das wird durch das neue Gesetz nicht anders werden. Und der Stand der Journalisten, Publizisten und Herausgeber wird in der Hauptsache die eigenen geistigen und sittlichen Kräfte zu mobilisieren haben, wenn er das gesetzliche Ehrenwort „öffentlich” im guten Sinne auf sich beziehen will.

Denn eben dieses Wort „öffentlich” hat bekanntlich auch noch eine andere, höchst anrüchtige Nebenbedeutung.

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