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Über die Presserechtsreform nicht reden - handeln!

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Das Wort Jakob Grimms, die Menschengesellschaft sei in erster Linie eine „Redegesellschaft“, ist für unsere Zeit doppelsinnig geworden. Es verweist auf die anthropologische Wurzel gesellschaftlicher Kommunikation: Durch die sprachliche Mitteilung konstituiert sich die menschliche Gesellschaft ständig neu. Zugleich erinnert das Wort aber an die existentielle Reduktion, an der gerade unsere Zeit leidet. Unsere gegenwärtige Gesellschaft erfährt sich ja nicht nur im Reden, sie beläßt es dabei und meint, nun sei alles getan. Zu dem Vielen, das nur im Wort — da zwar ausgiebig — aber nicht in der Tat bewältigt wird, gehören die zahlreichen „Reforme n“.

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Das Wort Jakob Grimms, die Menschengesellschaft sei in erster Linie eine „Redegesellschaft“, ist für unsere Zeit doppelsinnig geworden. Es verweist auf die anthropologische Wurzel gesellschaftlicher Kommunikation: Durch die sprachliche Mitteilung konstituiert sich die menschliche Gesellschaft ständig neu. Zugleich erinnert das Wort aber an die existentielle Reduktion, an der gerade unsere Zeit leidet. Unsere gegenwärtige Gesellschaft erfährt sich ja nicht nur im Reden, sie beläßt es dabei und meint, nun sei alles getan. Zu dem Vielen, das nur im Wort — da zwar ausgiebig — aber nicht in der Tat bewältigt wird, gehören die zahlreichen „Reforme n“.

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Eine verbal fortschrittliche, in permanenter Diskussion befindliche Gesellschaft stellt alles in Frage und antwortet in der Tat auf kaum etwas. So greift nicht nur Destruktion, sondern auch Lethargie um sich. Notwendige Realreformen werden schließlich endgültig von der Tagesordnung gestrichen, weil das gesellschaftliche Bewußtsein bereits durch die Verbalreformen erschöpft ist. Auch und gerade für Österreich gilt, was Gottfried Benn vor mehr als zwanzig Jahren in seinem berühmten „Berliner Brief“ an den Herausgeber einer süddeutschen Monatsschrift geschrieben hat:

„Innerhalb des Abendlandes diskutiert seit vier Jahrzehnten dieselbe Gruppe von Köpfen über dieselbe Gruppe von Problemen mit derselben Gruppe von Argumenten unter Zuhilfenahme derselben Gruppe von Kausal- und Konditionalsätzen und kommt zu derselben Gruppe von sei es Ergebnissen, die sie Synthese, sei es von NichtErgebnissen, die sie dann Krise nennt. Das Ganze wirkt schon etwas abgespielt, wie ein bewährtes Libretto, es wirkt erstarrt und scholastisch, es wirkt wie eine Typik aus Kulisse und Staub. Ein Volk oder das Abendland, das sich erneuern möchte, und manches läßt darauf schließen, daß es sich auch noch erneuern könnte, ist mit dieser Methode nicht zu regenerieren.“

„Belanglose Absichtserklärungen“

Zu den zahlreichen unerfüllten Verbalreformen unserer Zeit gehört auch die österreichische Presserechtsreform.

Wirksame Kommunikation durch das Wort ist in der Massengesellschaft von heute nur durch die Massenmedien von Presse und Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen) möglich. Gesellschaftliche Realverfassung, staatliche Formalverfassung und Kommunikationsverfassung als das Gefüge der Kommunikationsinstitutionen und des Kommunikationsprozesses stehen in einer innigen gegenseitigen Abhängigkeit. Es ist eine Ironie dieser Lage, daß die Presse als Triebwerk der „Redegesellschaft“ auch deren reformatorische Tatenarmut am eigenen Leibe verspüren muß. Würden die Massenmedien nicht seit Jahr und Tag jede belanglose Absichtserklärung eines Politikers als bereits vollendete Reformtat journalistisch honorieren, ja vielmehr die vielen leeren Politikerworte als solche aufdecken, so brauchte ihr heute nicht um das gesellschaftliche Verständnis für die so notwendige Presserechtsreform bange zu sein. Denn nicht zum erstenmal hat der österreichische Presserat am 27. Oktober 1971 an Regierung und Parlament die Forderung gerichtet, endlich ein zeitgemäßes Presse- bzw. Mediengesetz zu schaffen. Mehr als zwei Jahrzehnte reichen nun die Bemühungen zurück, das veraltete österreichische Presserecht zu erneuern und der Presse damit jene rechtliche Stellung einzuräumen, die ihrer heutigen gesellschaftlichen Funktion entspricht.

Die Pressefreiheit ist zwar selbstverständlich auch hierzulande verfassungsrechtlich geschützt. Aber auch insofern wirkt sich der innere Zusammenhang zwischen Staatsund Kommunikationsverfassung aus. Unsere republikanische Bundesverfassung hat weithin den juristischen Begriffsapparat und — verhüllt oder unverhüllt — viele staatsrechtliche Institutionen aus der konstitutioneilen Monarchie und ihrer Dezemberverfassung 1867 übernommen. Seit langem mache ich darauf aufmerksam, daß sich seither die Organisationsformen der kollektiven Gewalten in sich und im Verhältnis zueinander völlig gewandelt haben. Hier liegt eine entscheidende Ursache für die österreichische Malaise. Auch hinsichtlich unserer staatlichen Grundordnung zeigt sich das gleiche „Reform“bild. Zahlreiche Teilreformen wurden und werden diskutiert, kaum eine wurde verwirklicht, geschweige denn eine organische Totalrevision zur Erörterung gestellt. Nützlich wäre es für Österreich, sich in dieser Hinsicht an seinen Nachbarstaaten, der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz, zu orientieren. In der Schweiz hat im Jahr 1967 der Bundesrat eine Arbeitsgruppe für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung bestellt, die inzwischen eine wohlvorbereitete Umfrage über alle maßgebenden Grundfragen des Staates und der Gesellschaft bei allen Kantonen, politischen Parteien, Hochschulen und Verbänden durchgeführt und das Ergebnis dieser Umfrage in vier imponierenden Bänden 1969/1970 vorgelegt hat. Auch in der BRD wurde vom Bundestag im März 1971 eine Enquetekommission, bestehend aus Politikern und Rechtsexperten, eingesetzt, deren Auftrag es ist, Vorschläge zur Reform des Grundgesetzes zu erstatten. Die österreichische Passivität hebt sich davon um so bedrückender ab, als in einem jüngst nach dem Stande vom 1. August 1971 veröffentlichten System des österreichischen Bundesverfassungsrechtes nur die Liste der seit der Erlassung des Bundes-Verfassungsgesetzes im Jahr 1920 ergangenen Abänderungen und Ergänzungen der Bundesverfassung 22 Druckseiten einnimmt. Allein seit dem 19. Dezember 1945 — also seit dem vollen Wiederinkrafttreten des B-VG nach dem Ende des zweiten Weltkrieges — sind danach 21 Novellen zum Bundes-Verfassungsge-gesetz selbst ergangen, weiter 72 Sonderverfassungsgesetze, 161 einfache Bundesgesetze, in denen Verfassungsbestimmungen enthalten sind, schließlich 35 Staatsverträge im Verfassungsrang oder mit darin enthaltenen Verfassungsbestimmungen. Es versteht sich von selbst, daß diese Rechtsetzungsmethode zu einer der Rechtssicherheit außerordentlich abträglichen Zerklüftung des Verfassungsmassivs geführt hat.

Dürftige Pressefreiheit

Im Rahmen dieser so gearteten Bundesverfassung haben der Art. 13 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, RGBl. Nr. 142 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger und der Beschluß der Provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918, StGBl. Nr. 3, ihren Platz, die durch Art. 149 Abs. 1 B-VG im Jahr 1920 zu Bestandteilen des Bundesverfassungsrechtes erklärt wurden. Der Inhalt der durch diese Bestimmungen gewährleisteten Pressefreiheit stammt also gleichfalls aus der Gründungszeit der konstitutionellen Monarchie bzw. der Ersten Republik. Die Dürftigkeit dieser

Pressefreiheit hat der Verfassungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis Slg. 4647/1964 klargemacht. Darin heißt es:

„Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, umfaßt die Pressefreiheit a) die Herausgabe von Zeitungen und Zeitschriften ohne Konzession, b) das Verbot der Vorzensur und c) das Verbot administrativer Postverbote für inländische Druckwerke (vgl. die hg. Erk. Slg. 2362/ 1952 und 2458/1952).“

Nicht nur die Entstehungszeit des Art. 13 StGG., sondern auch der legi-stische Zusammenhang, in dem die hier normierte Pressefreiheit (Abs. 2) geregelt wurde — nämlich als ein Fall der allgemeinen Freiheit der Meinungsäußerung (Abs. 1) — zeigt, daß die Pressefreiheit als ein Recht des Einzelmenschen verstanden wurde, eben seine Meinung ungestört vom Monarchen und seinen Beamten auch durch das Medium „Presse“ zu äußern; nicht mehr und nicht weniger. Der Wandel indes, der seither die Gesellschaft zu einer sogenannten „pluralistischen“, also zu einer von verschiedensten Gruppen bestimmten, vollzogen hat, hat nicht nur den Staat, sondern auch den darin wirkenden Kommunikationsprozeß verändert. Der Staat — will er die Organisationsform der pluralistischen, nicht mehr von einer Vorstellung und einem Willen beherrschten Gesellschaft, sein, also ein demokratischer bleiben, ist in einer ganz neuen Weise auf den in dieser Gesellschaft wirkenden Kommunikationsprozeß angewiesen. Der Staat hat den Kommunikationsprozeß gerade zur Voraussetzung, indem dieser die verschiedenen Meinungsströmungen zu jenem Minimum integriert, das als die „öffentliche Meinung“ das Gemeinwesen als solches trägt. Vor allem das Medium Presse konstituiert damit erst den demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß, der wieder die kollektiven Gewalten determiniert und laufend kontrolliert und kritisiert. Im Massenstaat von heute gibt es ohne die Institution der staatsfreien Presse überhaupt keine Öffentlichkeit und keine kontinuierliche Repräsentation des Staatsvolkes durch die Staatsorgane.

Gesamtreform der Verfassung

Es besteht hier nicht die Absicht, sich mit dem Inhalt der beiden derzeit vorliegenden Regierungsvorlagen zu befassen. Zum Inhalt einer Regierungsvorlage einer Pressegesetznovelle 1971 sei nur soviel gesagt, daß sich die darin vorgesehene Offenlegungspflicht grundsätzlich auf die Eigentumsverhältnisse beschränkt. Die erläuternden Bemerkungen hiezu äußern selbst Zweifel an der Wirksamkeit der darin vorgesehenen Vorschriften. Ein fachlich so qualifiziertes und sachlich so objektives Gremium wie die Ständige Vertreterversarnmlung der österreichischen Rechtsanwaltskammern hat beide Entwürfe in ungewöhnlich scharfem Ton abgelehnt. Der Bericht des Bundesministers für Justiz vom 12. Februar 1971 wie die Regierungsvorlage der Pressegesetznovelle 1971 anerkennen ausdrücklich die Notwendigkeit einer umfassenden Presserechtsreform. Eine solche Presserechtsreform kann aber in allen ihren Teilen nur von einer klaren, dem Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention entsprechenden und mit der heutigen sozialen Funktion der Presse übereinstimmenden verfassungsrechtlichen Grundlage ausgehen. Das Expertenkollegium für eine Reform der Grund- und Freiheitsrechte hat sich zwar schon 1969 eingehend mit den Fragen der Pressefreiheit beschäftigt, allein es ist derzeit noch in keiner Weise abzusehen, wann die Arbeiten dieses Kollegiums abgeschlossen sein werden. Kann also einerseits mit der nun seit mehr als 20 Jahren diskutierten Gesamtreform des österreichischen Presserechtes nicht bis zum Abschluß der Beratungen des Grundrechtskollegiums zugewartet werden, so können anderseits auch diese Beratungen kein Hindernis für die Schaffung eines eigenen Bundesverfassungsgesetzes sein, mit dem die Freiheit der Presse und der anderen Massenmedien modernen europäischen Maßstäben entsprechend neu formuliert wird. Abgesehen von der chaotischen Lage des österreichischen Bundesverfassungsrechtes überhaupt, befindet sich ja derzeit auch der Entwurf einer Novelle zum Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, mit der das KoMektivvertragswesen verfassungsrechtlich abgesichert werden soll, im offiziellen Begutachtungsverfahren. Nichts liegt näher, als mit der darin vorgesehenen Einfügung eines Art. 12 a in das Staatsgrundgesetz auch eine Novellierung seines Art. 13 über die Meinungsund Medienfreiheit zu verbinden. Wichtiger als die mehr oder minder wahllose Setzung von „Prioritäten“ ist eine organische Neugestaltung des Presserechtes von der verfassungsrechtlichen Wurzel her. Auch angesichts der Entwicklung europäischen Denkens über die Stellung der Massenmedien ist es heute untragbar, die Presserechtsreform auf das Jahr 1948 zurückzudrehen, indem an die Stelle einer realen Gesamtreform „Prioritäten“ gesetzt werden. Ganz abgesehen davon, daß eine „Reform“ nach „Prioritäten“ unter Aufschub einer als sachlich notwendig anerkannten Gesamtreform nur eine andere Variante in der Supplierung von umfassenden Realreformen durch Verbalreformen ist.

Noch wichtiger als etwa die durch die Regierungsvorlage einer Presse-gesetznovelle 1971 angestrebte Teiltransparenz im Pressewesen ist die Gesamttransparenz unseres öffentlichen Lebens, die nur durch Massenmedien herbeigeführt werden kann, die ihre Informationspflicht gegenüber dem Staatsbürger zufolge einer hinreichenden Auskunftspflicht der staatlichen Organe erfüllen können. Wie bereits dargelegt, schließt die Pressefreiheit nach dem Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention auch das Informationsrecht ein. Die verfassungsrechtliche Anerkennung der sozialen Funktion der Presse — ob nun ausdrücklich als „öffentliche Aufgabe“ oder in einer anderen dieser sozialen Realität entsprechenden juristischen Form — muß daher auch die heutigen Informationsmonopole der Regierung und der anderen Staatsorgane brechen. Daß hiebei die Sphäre der Grund- und Freiheitsrechte des Einzelmenschen voll zu wahren ist, wird nicht erst heute betont. ; “,

Dazu kommt, daß eine der demokratischen Funktion der Presse und der anderen Massenmedien gerecht werdende Verfassungsgarantie nicht an dem Umstand vorübergehen kann, daß selbstverständlich die von den Staatsorganen, insbesondere auch von der Bundesregierung, beherrschten Massenmedien nicht auf die gleiche Stufe mit den in privater Hand befindlichen Massenmedien gestellt werden können. Diese letzteren sind ja nicht in der Lage, die Regierung zu kontrollieren, sondern sind dazu verhalten, als ihr Sprachrohr zu wirken. Sie bedürfen daher — wie immer man ihre Funktion beurteilt — einer gesonderten Betrachtung. Im besonderen gilt dies für die Formulierung der Rundfunkfreiheit angesichts des Staatsmonopolch aw.k-ters des Rundfunks (Hörfunk und Fernsehen). Will man — was zweifellos aus den verschiedensten Gründen notwendig ist — die Pressefreiheit legistisch in einer Verfassungsgarantie mit der Garantie der Freiheit der anderen Massenmedien vereinigen, so wird es notwendig sein, manches von dem, was heute in dem Rundfunkgesetz enthalten ist, in den Verfassungsrang zu erheben.

Wagt man sich aber nach mehr als zwei Jahrzehnten Reformdiskussion nicht daran, ein Massenmediengesetz aus einem Guß und in einem Zuge zu schaffen, sondern wählt man den Fluchtweg zu Schwerpunkten“, so müssen zumindest diese Schwerpunkte vom Gewicht der gesellschaftlichen und verfassungsrechtlichen Probleme bestimmt sein. Nur dann wird das neue Recht der Massenmedien ein modernes und ein europäisches werden.

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