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Presse-, Meinungsfreiheit, Immunität

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Mit Recht wird die Pressefreiheit als eine der besonderen Grundrechte der Staatsbürger gewertet, weil sie die Möglichkeit bietet, in aller Oeffentlichkeit Kritik zu üben, und zwar Kritik an der Gesetzgebung, an der Verwaltung und an der Rechtsprechung.

Die Pressefreiheit und die F r e i- heit der Meinungsäußerung gehörten bereits zu den Postulaten der Revolutionsbewegungen des 19. Jahrhunderts und fanden schließlich ihre Verankerung im Artikel 13 des Staatsgrundgesetzes, das gemäß Artikel 149 der österreichischen Bundesverfassung als Verfassungsgesetz zu gelten hat. Die Einwirkung seitens staatlicher Organe auf den Inhalt und auf die Art der Schreibweise der Presse sollte verhindert werden. Sie darf eben weder unter Zensur gestellt noch durch das Konzessionssystem beschränkt werden. Es darf somit die Herausgabe von Druckwerken nicht vom Ergebnis einer Vorprüfung und die Herausgabe von Zeitungen (periodischen Zeitschriften) nicht von der Erteilung einer behördlichen Bewilligung abhängig gemacht werden. Wie notwendig und wie segensreich für die Entfaltung einer gesunden Kritik und damit auch für die angebrachte Kontrolle des öffentlichen Lebens die Pressefreiheit ist, haben die Verhältnisse in den Diktaturen bewiesen und beweisen es immer noch. Vor allem wird gezeigt, daß die Pressefreiheit ein Grundrecht ist, dessen Wahrung und Hochhaltung alle Staatsbürger angeht, und das vor allem aller Staatsbürger wegen garantiert wurde; keineswegs nur und nicht einmal in erster Linie geschah diese verfassungsrechtliche Verankerung wegen der Journalisten, wenn sie ihnen auch zugute kommen soll, soweit die Presse sich in den Dienst des All- gemeinwohles stellt.

Worin besteht nun dieser Dienst? Durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb dera gesetzlichen Schranken frei zu äußern. Damit wird der Presse, der zufolge Artikel 13, Abs. 2 StGG. die freie Entfaliüngsmöglichkeit garantiert" wurde, die freie Meinungsäußerung als Aufgabe und gemäß Artikel 13, Abs. 1 StGG. w i e jedem anderen Staatsbürger — das Verfassungsgesetz gebraucht das Wort „jedermann“ — als Recht einräumt. Die Freiheit der Meinungsäußerung muß also auf Grund dieser Verfassungsbestimmungen der Presse gewahrt werden, allerdings innerhalb der gesetzlichen Schranken. Wenn wir von Freiheit sprechen, so drängen sich uns die Fragen auf: Freiheit wovon und Freiheit w o- für. Im 19. Jahrhundert kämpfte man um die Freiheit vom Absolutismus der Kaiser und Könige, im 20. um die Freiheit vom Zwang der Diktaturen. Niemals kämpfte man um Freiheit von den gesetzlichen Beschränkungen. Denn gerade die Gesetze bildeten für das 19. und 20. Jahrhundert die Voraussetzung des Rechtsstaates. Man kämpfte nämlich für die Verwirklichung der sogenannten Menschenrechte, wozu die Freiheit der Meinungsäußerung und die Pressefreiheit gehören, und man trat damit für die Rechtsstaallich keit ein. Sonach anerkannte man, daß Freiheit nicht Willkür bedeute, nicht Ungebundenheit, denn das wäre Anarchie, sondern sogar Beschränkung insofern, als durch die Freiheit des einen die Freiheit des anderen nicht beeinträchtigt werden darf, damit alle Menschen frei sein können. Freiheit in diesem Sinne ist Schutz vor Gewalt und Ueberwindung der Ungebundenheit durch das Recht.

Damit sind die Rechte und die Aufgaben der Presse im allgemeinen umrissen. Wenn wir zur Gerichtssaalberichterstattung im besonderen kommen, so weisen uns, soweit es die Strafprozesse betrifft, die Bestimmungen des. § 228 Strafprozeßordnung einen Weg. Welchen Zweck soll die Berichterstattung über Gerichtsverhandlungen verfolgen? Dem Gesetz zufolge dient sie dazu, die Oeffentlichkeit über die Vorgänge bei Strafverhandlungen zu unterrichten. Die Kontrollfunktion der Oeffentlichkeit ist dem Gesetzgeber so wichtig erschienen, daß er die Volksöffentlichkeit nur aus Gründen der Sittlichkeit oder der öffentlichen Ordnung ausgeschlossen wissen will (§ 229 StPO.). Hier wird vom Gesetzgeber bereits eine Abwägung vorgenommen. Die Kontrollfunktion und damit die Möglichkeit der zulässigen Kritik der Tätigkeit des Gerichtes oder der vor Gericht erscheinenden Personen wiegt leichter als der Schaden, der durch die Verletzung der Sittlichkeit oder durch die Beeinträchtigung dei öffentlichen Ordnung herbeigeführt wird. Damit wird wohl eindeutig dargetan, daß die Aufgabe der Gerichtssaalberichterstatter keineswegs darin gelegen sein kann, durch die Art der Ausübung dieses Rechtes eine Vertrauenskrise der Justiz herbeizuführen, die gerade durch die Einräumung der Kontrolle durch die Oeffentlichkeit vermieden werden soll. Es sind daher dieser Tätigkeit der Journalisten nicht nur Grenzen des Geschmackes und des Taktes gezogen, sondern auch Grenzen, die im Zweck dei Gerichtssaalberichterstattung begründet sind. Dieser kann wohl nicht darin bestehen, daß der Richter, der Staatsanwalt oder vielleicht eine andere am Verfahren beteiligte Person lächerlich gemacht oder verspottet wird, womit nicht nur die Organe der Justiz herabgesetzt werden, sondern zuletzt auch die Autorität der Rechtsprechung selbst leidet.

Darüber hinaus wird einem weiteren Argument die Beachtung nicht abzusprechen sein, das dahin geht, auch die Presse habe sich, wie jedermann, innerhalb der gesetzlichen Schranken zu halten, was bedeutet, daß auch die Presse für Ehrenbeleidigungen, wie jeder Staatsbürger, verantwortlich ist. Die Freiheit der Meinungsäußerung, und nur diese ist der Presse verfassungsmäßig gewährleistet, bedeutet demnach keine Privilegierung der Journalisten und daher keine Immunität dieses Standes und somit keine Straffreiheit der Presseorgane für ihre Mitteilungen in den Druckschriften. Im Gegenteil! Die Gleichstellung, welche das Strafgesetz in Anerkennung der im Artikel 7 Bundesverfassungsgesetz verankerten „Gleichheit vor dem Gesetz“ nach Lehre und Rechtsprechung vorsieht, bedeutet für- die Presseorgane ohnehin ein Uebergewicht, weil sie im Gegensatz zu den anderen Staatsbürgern durch die Verbreitungsmöglichkeit in'den Zeitungen in der Lage sind, auf weite Kreise der Bevölkerung einzuwirken und ihre Meinungsbildung zu beeinflussen.

Eine Heraushebung der Presseorgane in einer gleichen oder ähnlichen Form, wie dies durch die Immunität bei den Abgeordneten geschieht, scheint mir auch für die Zukunft zur Erfüllung der Aufgaben der Presse nicht erforderlich. Wir-dürfen doch nicht vergessen, daß die Presse ein machtvoller Apparat ist, der von seiner Macht einen guten und segensreichen, aber auch einen schlechten und verhängnisvollen Gebrauch machen kann. Haben wir nicht schon erfahren, daß durch eine gewissenlose Presse der Ruf und damit die Existenz von Menschen vernichtet wurde — vor dem Jahre 1938 waren Blätter wegen ihrer Erpressertaktik geradezu berüchtigt — und konnten wir nicht wahrnehmen, daß es einer Presse gelang, die Ruhe im Staate und die wirtschaftliche Sicherheit zu gefährden? Unter solchen Umständen ist es wohl keinem Gesetzgeber zuzumuten, einen bestimmten Stand, in dessen Hände wenigstens zum Teile die Meinungsbildung der Bevölkerung gelegt ist, unverantwortlich oder weniger verantwortlich vor dem Gesetz zu machen, als es andere Staatsbürger sind. Dürfen die Gesetze keine Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses kennen, so darf es auch keine Vorrechte für Personen geben, die einen bestimmten Beruf ausüben, wenn er auch noch so bedeutsam und wertvoll für die Allgemeinheit ist.

Der Einwand, daß bestimmten Personen, nämlich den. Staatsbürgern, welche an der Gesetzgebung des Bundes oder Landes teilnehmen, eine sogenannte Immunität zukommt und daß dieses Privileg auf andere Personenkreise ausgedehnt werden könne, vielleicht solle, greift nicht durch. Abgesehen davon, daß der Kreis der Personen, für die die Immunität vorgesehen ist, zahlenmäßig beschränkt ist, muß die Immunität als unbedingte Voraussetzung für die Ausübung des Mandats anerkannt werden, weil dadurch die Abgeordneten in ihrer beruflichen Tätigkeit, das heißt bei Akten parlamentarischer Geschäftstätigkeit, jeder Verantwortung gegenüber einem außerhalb des Parlaments stehenden Forum enthoben sind. Die Mitglieder des Nationalrates ,bzw. Bundesrates oder der Landtage1’ können wegen der in, Ausübung dßeses Berufes geschehenen Abstimmungen überhaupt Went, en der in diesem Beruf gemachten mündlichen Aeußerungen nur vom Nationalrat zur Verantwortung gezogen werden (Artikel 57, Absatz 1 Bundesverfassungsgesetz). Verantwortungsfrei ist demnach dieser Personenkreis nur wegen der Abstimmung. Verantwortungsbeschränkt hingegen sind diese Personen hinsichtlich ihrer mündlichen Aeußerungen, also nicht wegen ihrer schriftlichen Darlegungen, die sie in ihrem Beruf machen, um ihnen eben die für’ das demokratische Leben notwendige parlamentarische Redefreiheit zu sichern. Die Beschränkung besteht darin, daß sie für solche mündliche Aeußerungen, auch wenn sie den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllen, filso ansonsten strafgesetzlich zu ahnden wären, nicht vor dem Gericht, sondern vom Präsidenten des Nationalrates zur Verantwortung gezogen werden, dem das Recht des Rufes „zur Sache“ oder „zur Ordnung“ oder die Entziehung des Wortes eingeräumt ist. Die Einschränkung der strafgerichtlichen Verfolgbarkeit von Handlungen mit minderem Unrechtsgehalt ist daher überaus geringfügig und als verfassungsgesetzliche Maßnahme durch den Zweck gerechtfertigt. Das gleiche gilt für die außerberufliche Immunität, welche festlegt, daß kein Mitglied des Nationalrates usw. wegen einer strafbaren Handlung — den Fall der Ergreifung auf frischer Tat bei Verübung eines Verbrechens ausgenommen — ohne Zustimmung des Nationalrates verhaftet oder sonst behördlich verfolgt werden darf. (Artikel 57 Absatz 2 Bundesverfassungsgesetz). Diese Verfassungsbestimmung befreit den Abgeordneten keineswegs von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, sondern hemmt nur die gerichtliche oder sonst behördliche, insbesondere- polizeiliche Verfolgung für die Dauer der Immunität.

Daß Voraussetzung und Ziel bei den Angehörigen der Presse anders gelagert sind, bedarf wohl keines Beweises. Daß weiter Ausnahmen von der allgemeinen Rechtsordnung auf einzelne Personen, wie den Bundespräsidenten und die oben angeführten Abgeordneten zu den gesetzgebenden Körperschaften beschränkt bleiben müssen, soll das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit nicht Schaden leiden, gehört zu den allgemein anerkannten Erkenntnissen der Neuzeit. Nicht Ausnahme von, sondern Unterwerfung unter die Rechtsnormen führt zur Gerechtigkeit. Sie ist die Grundlage des Rechtes. Das Recht wiederum ist das große Formgepräge für die Lebensordnung eines Volkes und verdient darum schonende Pflege. Es ist daher auch der hohe Beruf der Presse, sich in den Dienst des Rechtes zu stellen und gerade in der Ausübung der Freiheit der , Hwyj?g ijfeg ,ąegr (.)dieilJnterdrwkuM des, Rechtes und seine Vergewjltjgpng aüfzütreten,

Keineswegs darf die Presse- und damit die Meinungsfreiheit unter Hintansetzung der objektiven und zulässigen Kritik einen Freibrief für strafbare Handlungen abgeben. Im Kampf um die Wahrheit und das Recht mit den Organen der Rechtsprechung in der ersten Reihe zu stehen, muß wohl die schönste Aufgabe der Presse sein.

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