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Politische Bedeutung

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Diese Untersuchung des österreichischen Verfassungsrechts auf die ausdrückliche Angabe von Staatszwecken hat ergeben, daß solche nicht feststellbar sind, daß vielmehr die Ausführung des rechtsstaatlichen, demokratischen und bundesstaatlichein Grundsatzes Möglichkeiten für StaatSElielsetzung bietet, welchen alber durch die vor allem im Staatsgrumidgesetz enthaltenen

Grundrechte Grenzen gezogen sind. In dieser Sicht ist mit den Grundsätzen des österreichischen Verfas- eungsrechtes jede Staaitszielsetzung und damit jedes Sozial- und Wirtschaftssystem zulässig. Eine Zen- tra'lverwaltungswirtschaft ist allerdings ausgeschlossen. Sie verlangt nämlich freiheitsbeschränkende Maßnahmen, welche insbesondere 'gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Darüber hinaus gefährdet das System der Zentralverwaltungswiirt- schiaft die Freiheit des Eigentums, das Recht dies Erwerbs von Liegenschaften, die Freiheit der Erwerbsbetätigung und der Berufswahl. Sie ist daher miit dem Staatsgrundgesetz Über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger unvereinbar, das heißt verfassungswidrig. Der außerhalb der Zentralverwaltungswirtschaft vom österreichischen Verfassungsrecht offengelassene ,Spielraum ist aber weit genug, um den verschiedensten Möglichkeiten der Entwicklung Raum zu geben.

Die Untersuchung, in welcher Weise der einfache Gesetzgeber in Österreich von den ihm in der Verfassung eröftneton Möglichkeiten der Staatseieisetzung Gebrauch gemacht hat, zeigt deutlich, daß er einen Weg gegangen ist, der von dem Bundesverfassungsgesetz und dem Staatsgrundgesetz, als den wichtigsten Normen des österreichischen Verfassungsrechtes, zwar nicht vorgeschrieben, aber auch nicht ausgeschlossen ist, nämlich den Weg des sozialen Rechtsstaates. Dieser Begriff ist — zum Unterschied vom Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland — nicht Inhalt eines Verfassungsrechtssatzes, sondern eine wertende Kennzeichnung des österreichischen) Rechtsstaates. Es kommt ihm daher keine juristische, sondern eine politische Bedeutung zu.

Die politische Bedeutung des einfach-gesetzlich erkennbaren sozialen Charakters des österreichischen Rechtsstaates darf nicht die falsche Meinung aufkommen lassen, es seien dadurch die österreichische Verfassung und ihre Grundsätze der Politik zur Disposition gestellt worden. Jegliche Politik, auch die des sozialen Rechtsstaates, hat jede ihrer Forderungen an der Verfassung zu messen und darf auch das einfach- gesetzliche Recht, das in der Verfassung letztlich seine Deckung zu finden hat, nicht in den Bereich des Experimentellen führen. Dies stünde mit dem Haupterfordernis jeder Form des Rechtsstaates, nämlich der Rechtssicherheit im Widerspruch Dies muß heute ständig betont werden, damit die in der Freiheit des einzelnen grundgelegte, wesenhafte Verbundenheit des Rechts- und Machtzweckes mit dem Kultur- und Wohlfahrtsizweck nicht verlorengeht. Aus diesem Grunde werden die Vertreter der organisierten Interessen der Gesellschaft, die politischen Parteien Wie die Interessenverbände, die schon in ihrer Struktur den demokratischen und bundestaatlichen Grundsätzen der österreichischen Verfassung entsprechen, io ihren Forderungen und bei deren Durchsetzung auch das dritte Ver- fassungsprinizip, den Rechtsstaat, ständig beachten müssen. Auf ihnen lastet eine große Verantwortung. Sie sind zur Repräsentation der organisierten Interessen der Gesellschaft — als Kammern sogar mit auf Wunsch vielfältig und meist noch ungelöst. Sie können im Zusammenhang mit dem gegenständlichen auf die Staatszwecke abgestefllten Thema nur beispielsweise genannt werden. Es sei aber darauf verwiesen, wie wenig die Privatwirtschaftsverwaltung in Österreich, die in ständigem Anwachsen begriffen ist, den Erfordernissen des Rechtsstaates nach Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit staatlichen Organhandelns entspricht. Man denke nur an die mangelnde Bindung der Tätigkeit des Staates an die Gesetze bei der Führung von Unternehmen, bei Subventionen und Aufträgen.

des Staates — berufen, sie halben schon im eigenen vorparlamentarischen Bereich im Rahmen des von ihnen au vertretenden Berufsstandes den Interessenausgleich vorau- bereiten und, für den Fall der von ihnen erkannten Gemeiniwohlnot- wendigkeit, diese Anliegen als öffentliches Interesse gegenüber dem Staat zu vertreten. Durch die ihnen gesetzlich zustehenden Möglichkeiten der Mitwirkung an der Ausübung der Staatsgewalt, vor allem durch das Begutachtungsrecht der Kammern, der Wahl von Verbändevertretern in die parlamentarischen Körperschaften und durch ihre Mitwirkung an der Gesetzesvollziehung, in Form etwa der Zugehörigkeit zu Kommissionen und Beiräten, haben sie die vielfältige Möglichkeit der

Übernahme von öffentlichen Interessen in das positive Recht, wodurch Sie zu effektiv wirksamen Staats- Zwecken werden.

Dauerhaftigkeit der Verfassung

Der österreichische Rechtsstaat zeigt die Rechtswege auf, und die bundesstaatliche Kampetenzvertei- lung bezeichnet die Zuständigkeit des Bundes- oder Landesgesetzgebers; die Nutzung dieser Wege durch den bezeichneten Gesetzgeber kann die Verfassung nicht befehlen; sie ist der Initiative der Gesellschaft überlassen, welche durch ihre Verbände ihr öffentliches Interesse an den Staat heranzutragen und damit eine staatsverant- wortliche Aufgabe zu erfüllen hat, die weite Bereiche des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens umfaßt Diese Aufgabe ist nicht leicht zu erfüllen, da unsere Rechtseinrichtungen letztlich auf eine Zeit zurückgehen, in der dem Staat nur ein Tätigwerden im Dienste des Rechtsund Machtzweckes aufgetragen war. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers zu einem darüber hinausgehenden positiven Tun ist dem System des österreichischen Verfassungsrechtes fremd. Es enthält daher wohl sogenannte liberale und demokratische, aber keine sozialen Grundrechte.

Die Feststellung der Neutralität der österreichischen Verfassung gegenüber dem Kultur- und Wohl- fahrtszweck darf aber nicht als negative Wertung angesehen werden; sie entspricht vielmehr dem verständlichen Bemühen die Dauer haftigkeit der Verfassung nicht durch die wie immer geartete Ausrichtung auf ein zeitbedingtes kul- tur-, sozial- oder wirtschaftspolitisches System zu gefährden, sondern vielmehr verschiedene Möglichkeiten einer soz io-ökonom i s chen

Entwicklung io Gesetzesform, die der Freiheit und Würde des Menschen entspricht, den Weg offenzulassen. Dalbei hat der Verfassungs- gesetzgeber — gewollt oder ungewollt — dadurch, daß er jede Form staatlicher Tätigkeit an Gesetze bindet, dem Rechtsstaatsgrundsatz den seiner Bedeutung entsprechenden Platz zugewdesen und gleichzeitig — für den Fall der Nutzung einer Mehrzahl von Staatszwecken — deren Rang bestimmt. Aufgabe des einzelnen und der von ihm getragenen Gesellschaft ist es nun, ihre Interessen in Ausführung der Grundsätze der rechtsstaatlichen, demokratischen und bundesstaatlichen Verfassung Österreichs zum Wöhle aller zu vertreten. Auf diese Weise kann es möglich werden, daß der einzelne die volle Entfaltung seiner Persönlichkeit erfährt und der Staat seinen Zweck erfüllt.

1 Hans KELSEN, Allgemeine Staatslehre, Berlin 1925, S. 44.

* Adolf MERKL, Die Wandlungen des Rechtsstaatsgedankens, österreichisches Verwaltungsblatt 1937,

S. 179.

1 Siehe dazu Hans KLECATSKY, Der Rechtsstaat zwischen heute und morgen, Wien 1967,

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