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Die Erste Republik lebte nicht gut unter unserer Bundesverfassung. Sie war nicht in der „ Verfassung", die Verfassung anzunehmen. Die Zweite Republik lebte ganz gut unterihr. Es kommt eben nicht so sehr auf den Text,sondern auf den gesellschaftlichen Kontext an.

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Die Erste Republik lebte nicht gut unter unserer Bundesverfassung. Sie war nicht in der „ Verfassung", die Verfassung anzunehmen. Die Zweite Republik lebte ganz gut unterihr. Es kommt eben nicht so sehr auf den Text,sondern auf den gesellschaftlichen Kontext an.

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Und dieser hat sich gewandelt. Die Selbständigkeit und Unabhängigkeit Österreichs wird bejaht, sozialer Frieden und Wohlstand herrschen, die Parteien verbindet mehr als sie trennt. Dadurch konnte das Bundes-Verfassungsgesetz (B.-VG.) ein Anzug werden, der den politischen Kräften paßt. Der Stoff trägt zwar die Muster des Mißtrauens der Ersten Republik, aber man hat sich daran so gewöhnt, daß man es nicht mehr merkt.

Als Grundvertrag der politischen Kräfte und damit auch als Symbol der nationalen Einheit hat es sich deshalb bewährt, weil sich die Vertragspartner vertrugen. Die Bundesverfassung ist in

der Zweiten Republik zu einem rot-weißroten Konsens geworden.Zum Verfassungsrecht als dem Sozialkontrakt der Parteien, der ihre grundlegenden und täglichen Kompromisse zu sichern hat, ist in der Zweiten Republik der Gesellschaftsvertrag der Großverbände hinzugekommen. Die Sozialpartnerschaft wurde zur „zweiten Verfassung", die die Staatsverfassung ergänzt.

Sie entlastet das parlamentarische Regierungssystem, indem sie zur Konfliktregelung und zur Steuerung beiträgt. Sie ist irf der Verfassung nicht vorgesehen, aber auch nicht angeschlossen. Sie wird immer wieder kritisiert, aber niemand kann bestreiten, daß sie in ihren vielen Erscheinungsformen zum sozialen Frieden beiträgt.

Das Bundes-Verfassungsgesetz regelt nur einen Ausschnitt des politischen Prozesses und auch den vielfach nur fragmentarisch, durch Kompetenz-und Verfahrensregelungen. Indem die Verfassung wegen ihres Formal- und Kompromißcharakters viele Fragen offen gelassen hat und in wichtigen Bereichen sehr allgemein gehalten ist, ähnelt sie einer „Verfassung ohne Entscheidung".

Das B.-VG. ist mehr eine instrumentale als eine materiale Verfassung. Viele gesellschaftspolitische Fragen lassen sich durch die einfache Mehrheit lösen. So kann „Verfassungsrecht" durch einfaches Gesetz, durch Staatsvertrag, durch Ordnung, durch Richterspruch usw. entstehen.

Die Verfassungsentwicklung der Zweiten Republik zeigt, daß Machtänderungen heute nicht zu sehr in der Novellierung als in der Konkretisierung der Verfassung ihren Niederschlag finden. Machtänderungen drücken sich in der Änderung der einfachgesetzlichen Ordnung wichtiger Gesellschaftsbereiche und in den „subkonstitutionellen Verfassungen" aus.

Diese sübkonstitutionellen Verfassungen (Familienverfassung, Eigentumsverfassung, Arbeitsverfassung, Schulverfassung, Universitätsverfassung, Verfassung der Massenmedien usw.) beeinflussen die Gesamtkonstitution und laden sie inhaltlich auf.

Die Kritik an der Verfassung vollzog sich in der Zweiten Republik ganz anders als in der Ersten. In der Ersten Republik erfolgte sie mehr durch die politischen Kräfte, als durch die Theorie.

In der Zweiten Republik erkannten Theoretiker Strukturfehler des B.-VG. darin, daß ein auf einer Vielzahl von Parteien beruhender Proporzparlamentarismus nur von einem Zweiein-halb-Parteiensystem vollzogen wird, daß das Parlamentarismusmodell des B.-VG. der konstitutionellen Monarchie entstammt und damit einer überholten Gewaltenteilung entspricht, und daß mit dem volksgewählten Proporzparlament ein volksgewähltes Staatsoberhaupt mit wichtigen Kompetenzen verknüpft ist.

Das letzte Problem ist durch den „Rollenverzicht" des Bundespräsidenten gelöst. Anders ist es mit der Gewal-tenteiluiig. Das B.-VG. trägt trotz kleinerer Reformen der neuen Gewaltenteilung zwischen parlamentarischer Regierung und parlamentarischer Opposition zu wenig Rechnung. Dadurch wurde es mehr zu einem Instrument der Regierung als zu einem Instrument der Opposition.

Vom Mißtrauensvotum abgesehen, müßten daher die mehrheitsbestimmten Kontrollrechte des Parlaments in minderheitsbestimmte umgewandelt werden. Die politische Macht einer einfachen Mehrheit erfährt zu viel Legitimation und zu wenig Limitation.

Das Defizit an Begrenzung wird nur zum Teil durch den Strukturwandel der Öffentlichkeit kompensiert. Unter fast allen Verfassungen des Westens, auch in Österreich haben die Massenmedien im politischen Prozeß an Einfluß gewonnen. Die Verfassung der Massenmedien ist daher eine der wichtigsten Subverfassungen.

Der Parteienparlamentarismus setzt nicht nur Parteien voraus, sondern auch ihren Rollenwechsel in Regierung und Opposition. Der Wechsel als Element der Gewaltenteilung hat sich aufgrund unseres Verhältniswahlsystems nicht einspielen können.

Das Wahlsystem ist Ausgangs- und Angelpunkt des politischen Lebens, das für den einzelnen und für die Regierungsverhältnisse große Bedeutung hat. Es soll Regierungsstabilität und Regierungswechsel ermöglichen, Statik und Dynamik.

In der Ersten Republik mangelte es an stabilen Regierungen, in der Zweiten am Regierungswechsel.

Die Gewaltenteilung hat für die demokratische Republik einen besonderen Sinn, und zwar als Aufteilung der Macht auf verschiedene Stellen zu ihrer gegenseitigen Kontrolle. Es geht darum, eine allzugroße Machtkonzentration in einem Organ und bei einer Partei zu verhindern. Wenn die wichtigsten Verfassungsorgane einflußmäßig einer Partei zuzurechnen sind, so geht die Gewaltenteilung in Gewaltenkonzentration über.

Die Verfassung der Parteien selbst wird dann zum Problem, nicht nur im Hinblick auf die Verpflichtung zur inneren Demokratie, sondern auch im Hinblick auf die Qualifikation der Funktionäre, die Wiederwählbarkeit und die Unvereinbarkeit von politischen Ämtern.

Bleibt im übrigen die Opposition in einer strukturellen, unaufhebbaren Minderheit, so kann ihre Tätigkeit zur Fiktion werden. Aus der Machtbändigung der Verfassung kann eine Machtbündelung werden. Je mehr und je länger diese gegeben ist, desto größer werden die Anforderungen an politische Ethik.

Als Rahmen- und Schrankenordnung des politischen Prozesses, als Ordnung des Wettbewerbes zwischen •verschiedenen Gruppen und Personen, als Instrument der friedlichen Gesellschaftsveränderung hat sich das B.-VG. bewährt. Das Grundgesetz als Grundvertrag bewährte sich deshalb, weil sich die Vertragspartner vertrugen. Daher stellt sich immer wieder die Frage, was der Grundkonsens in diesem Land alles umfaßt und wo die Kontroversen bestehen.

Auch als Ordnung der Rechte des einzelnen hat sich die Verfassung im großen und ganzen bewährt. Individuum, Subjekt, Person sind zwar Begriffe, die in der österreichischen Umgangssprache noch immer einen abwertenden Akzent haben, aber der Gang des Österreichers ist aufrechter geworden.

Gerade deshalb ist die Neugestaltung der Grund- und Freiheitsrechte und die öffentliche Diskussion darüber eine Herausforderung für unsere Demokratie.

Der Autor ist Rektor der Universität für Bodenkultur in Wien und Vorsitzender der Osterreichischen Rektorenkonferenz; der Beitrag ist auszugsweise einer Stellungnahme Welans bei der vom IBF am 30. September veranstalteten Verfassungsdiskussion entnommen.

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