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Unsere Republik braucht eine Frischzellentherapie
Die Aufforderung, über die „Dritte Republik” zu diskutieren, hat einigen Staub aufgewirbelt. Geradezu pathetisch wurde die Zweite Republik und deren Verfassungsgebäude beschworen, die „Hüter der Verfassung” wurden wachgerüttelt.
Zugegeben, dieser Vorschlag ist nicht gerade eine Königsidee, aber dennoch hat die schroffe Ablehnung, auch nur darüber zu sprechen, überrascht. Sie ist Symptom dafür, wie reformunwillig der Sozialismus in Österreich geworden ist. Kaum ist noch etwas vom Modernismus zu merken, mit dem die SPÖ Anfang der siebziger Jahre angetreten ist. Der Versteinerungsprozeß ist nicht zu übersehen.
Zumindest noch eines zur Klarstellung: institutionelle Reformen sind nicht das Allheilmittel gegen kritische Entwicklungen im politischen System — sie sind aber sinnvoll und notwendig.
Reformdiskussionen tragen Wesentliches zur Bewußtseinsbildung bei, sie regen zum Nachdenken über Demokratie, Politik und Staat an und sind solcherart ein Impuls für politische Bildung. Die Veränderung liegt im Wesen der Demokratie.
Auch ohne das Etikett „Dritte Republik” ist daher eine Reformdiskussion ein Gebot der Zeit. Sie sollte sich allerdings nicht allzusehr an ausländische Vorbilder binden.
Der Ruf nach dem Schweizer Modell ist etwas zu vordergründig und verkennt die spezifischen Strukturen der österreichischen politischen Landschaft. Es scheint vollends problematisch, wenn er nur die Regierungsbeteiligung aller Parlamentsparteien zum Ziel hat.
Für eine von Verfassungs wegen verordnete Konzentrationsregierung besteht keine politische Notwendigkeit. Sie wäre nur dann zu vertreten, wenn auch das politische Umfeld mit der Schweiz vergleichbar wäre. Zum Beispiel: ein reduzierter Einfluß politischer Parteien im öffentlichen Leben überhaupt, oder der Bestand einer politischen Kultur, in der die Bürgermitbestimmung durch die Instrumente der direkten Demokratie zum politischen Alltag gehört.
Das alles läßt eine verfestigte und beherrschende Parteienlandschaft in Österreich kaum zu.
Daher steht eines fest: der Weg zu einer neuen — oder besser gesagt — erneuerten Republik muß über eine Erneuerung der politischen Parteien begonnen werden. Diese müssen durch Ideen und
Personen wieder ermuntern und Optimismus ausstrahlen. Sie müssen freiwillig die Grenzen ihres Einflusses abstecken und das Gefühl einer neuen politischen Freiheit vermitteln.
Qualität statt Erbhöfe
Die oft erhobene Forderung nach Öffnung und Offenheit der Parteien verlangt auch ein offenes System von Institutionen, in denen es weder Erbhöfe noch Reichshälften gibt, sondern eine freie Konkurrenz von persönlicher Individualität und Qualität.
Die Demokratie wird auch in Zukunft die Parteien nicht entbehren können. Sie sind eine Organisationsform, in der politischer Wille und politische Gestaltung in relativ optimaler Weise umgesetzt werden können. Auch die neuen Bewegungen brauchen einen gewissen Grad an etablierten Strukturen, um bestehen zu können.
Das Wissen um die Notwendigkeit der politischen Parteien soll aber nicht zur Indolenz verleiten. Das weitere Schicksal unserer demokratischen Gesellschaft wird in erster Linie davon abhängen, ob es den Parteien gelingt, die Herausforderung anzunehmen und eine neue Geistigkeit zu signalisieren.
Wenn dies gelingt, ergeben sich Änderungen im Bereich der Institutionen als notwendige Folge. Das Wahlrecht müßte eine neue Kommunikation zwischen Bürger und Politiker garantieren. Die Art und Weise, wie die Regierungsmehrheit immer wieder schon allein jede Diskussion über ein persönlichkeitsbezogenes Wahlrecht ablehnt, ist symptomatisch für das verkrustete Denken von Parteigranden.
Der Wille fehlt
Wo kommen wir wirklich hin, wenn wir dem Wähler einen ohnehin nur marginalen Einfluß auf die Auswahl der Personen geben, die seine politische Repräsentation sind?
Das Problem von heute liegt nicht allein darin, daß der Mut zu großen Reformschritten fehlt. Es fehlt vielmehr schon der Wille, jene kleinen Schritte einer Weiterentwicklung zu tun, die in ihrer Gesamtheit sehr wohl vertrauensbildende Maßnahmen sein könnten: nämlich Vertrauen bilden zwischen dem Bürger und demjenigen, der für ihn politische Entscheidungen vorbereitet und trifft.
,,Face-lifting”
Was fehlt, ist der Mut zur konsequenten Durchführung von demokratiepolitischen Maßnahmen, wie eine Weiterentwicklung des Wahlrechts oder der Einrichtungen der direkten Demokratie. Es wäre höchste Zeit, daß die politischen Parteien in den Wahlkämpfen der kommenden Jahre Konzepte für eine Erneuerung der Demokratie präsentieren.
Denn bei allem Respekt vor dem, was diese Zweite Republik geleistet hat: sie kann in ihrem heutigen Zustand nicht die Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft sein. Sie braucht ein „face-lifting”, weil sie faltenreich geworden ist, sie braucht aber auch eine Frischzellentherapie in ihrer geistigen Strahlkraft.
Die Skepsis oder gar Ablehnung einer Forderung nach einer „Dritten Republik” sollte nicht zum Verbot kritischen Nachdenkens über die Zweite Republik führen.
Der Autor ist Abgeordneter zum Nationalrat und Wissenschaftssprecher der OVP.
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