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Clara pacta

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Der Obmann der Volkspartei ist von Beruf Baumeister und auch in der Politik ist ihm solch ein Amt zugefallen. Gut wäre es bestellt, hätten wir viele solche im Denken und Schaffen erprobte Werkleute für das Haus Oesterreich. Nun ist es seine Sache, den rechten Baugrund und das verläßlichste Baumaterial für den Fau der neuen Volksvertretung zu erforschen. Kein leichtes Vorhaben, wie die Dinge stehen. Verstand und Gewissen haben dabei mitzusprechen. Der in Erwägung stehende Grundriß möchte ein breiteres Fundament vorsehen als es das alte Haus besaß. Eine Verbreiterung ist nur erreichbar, wenn in der künftigen parlamentarischen Arbeitsgemeinschaft und der planmäßigen Zueinanderordnung der Kräfte für solidarisch erstrebte Ziele Teilhaber auch jede der beiden großen Parteien ist, die sich an der Schwelle der zweiten Republik zu gemeinsamer Leistung für die allgemeine Wohlfahrt und die Existenz des Staates vereinigt hatten. „Womöglich alle aufbauwilligen Kräfte“ zusammenzufassen, ist das Ziel. Die beiden bisherigen Partner sind im letzten Jahre schlimm auseinandergeraten. Kein allzu überraschendes Ereignis in dem notwendigen Nebeneinander von zwei in wesentlichen Dingen der Gesellschaftsordnung, der Staatseinrichtung und des Ethos sich unterscheidenden Parteien. Dennoch war man wiederholt in sehr ernsten grundlegenden Fragen, zum Beispiel der Neuordnung des Eherechtes, kaum um Haaresbreite auseinander. Nicht einmal in den Schulsachen, dieser Herzensangelegenheit der christlichen Bevölkerung, war das Bemühen um die Verständigung zu jeder Zeit hoffnungslos. Ein friedliches Reifen wurde gehindert, wenn sich in sachlich geführte Auseinandersetzungen von außen her parteipolitisch versteifter Doktrinarismus hineinstürzte. In viel dumpferer, durch leidenschaftliche Ausartung der Auseinandersetzung vergifteter Atmosphäre ist es in der Zeit, da sich ein Seipel und ein Otto Bauer gegenüberstanden, zu vertragsmäßigen Vereinbarungen für den Dienst an Volk und Staat gekommen. Es ist nicht einzusehen, warum bei gutem Willen und ehrlichem Bemühen es nicht gelingen sollte — vielleicht sogar noch vor dem Wahltage —, den diesen kleinen Staat umringenden Gefahren den besten Schutz entgegenzustellen: die dauerhafte durch einen vertraglich bestimmten Arbeitsplan bestimmte Einheitsfront der großen Parteien. • .

Verbreiterung der Koalitionsbasis? Sie würde wertvoll sein, vorausgesetzt, daß sie eben auch durch ein gemeinsames Minimalprogramm aller an dem neuen Koalitionsgerüst beteiligten Kräfte festen Grund hätte. Kaum wünschenswert — und sicherlich am wenigsten von dem Obmann der, Volkspartei gewünscht — wäre es, würde.daraus ein parteimäßig parzelliertes Monopol auf die Regierungsmacht, der keine ernsthafte, positiv zu Staat und sittlicher Ordnung s t e h c n d e K r a f t als Oppositon gegenüberstünde. ;Es tut nicht gut, einen Scheinfrieden zu etablieren, wo die Demokratie einer Einrichtung gegen die menschlichen Schwächen b e d a r f. Als die von Dr. Kraus geführte politische Gruppe auf dem Plan erschien, war man geneigt, einer Bewegung, die im Namen der Jungen und Freien auftrat, den Beruf zuzumessen, in unabhängiger, standfester Kritik den Kontrollor zu machen, dessen nun einmal das öffentliche Leben gegen Abirrungen und Mißbräuche der Demokratie auf die Dauer nicht entraten kann. Lesenswert für jeden mit den öffentlichen Dingen .befaßten Oesterreioher sind die Gutachten der unter der Aegide der Londoner Universität vor einigen Jahren eingesetzten Studienkommission, die, zusammengesetzt aus Staatsrechtlern, alten erfahrenen Kennern des parlamentarischen Apparates und Soziologen, eine Diagnose des britischen Parlamentarismus unternahm. In dem Votum, mit dem Lord Campion, der Vorsitzende der Kommission, die kürzlich in Druck erschienene Ueber-sohau über die Gutachten der Kommission einleitet, spricht er eindringlich von den Verlusten des ParlamentarLmus !urti. i«. Mangel einer ausreichenden Konirolle der Regierungen seitens des Parlamentes, dessen führende Parteien auch die Regierung stellen; er sieht in dieser Erscheinung auch „the chief weekness of most of the Continental Systems“, „die hauptsächliche Schwäche der meisten festländischen Systeme“.

Die Feststellung trifft auch für Oesterreich zu. Die Aufgabe der dritten Kraft, einer ernsthaften kontrollierenden Opposition, war bei ihrem Erscheinen der Gruppe der Unabhängigen zugefallen. Sie hat an dieser Berufung versagt. Nicht weil niemand in ihr die Bedeutsamkeit dieser Funktion erkannt hätte, sondern weil sie nicht die unabhängige, in freiem sachlichem Entscheid unbehinderte Kraft der Mitte war, sondern ein bald von inneren Krisen befallenes Konglomerat gegensätzlicher Elemente. Die schon durcl) die verschiedenartige Profilierung ihrer Flügelmänner gekennzeichnete Parteierscheinung ist noch bunter geworden, seit zu ihr auch die Leute der „Aktion zur politschen Erneuerung“ gestoßen sind, Herkömmlinge aus der „Jungen Front“, unter ihnen so mancher wertvolle Mann, der, seltsam genug, nun in die „Wahlpartei der Unabhängigen“ eingereiht ist. Diese präsentiert ihren „Antimarxismus“ gewissermaßen als Legitimation zur Bundesgenossenschaft mit der Volkspartei. Viel besagt dies Bekenntnis zu einer Verneinung nicht. Es läßt nicht einmal eine Auslegung zu, welcher Variante des längst auch in Oesterreich vieldeutigen Namens „Marxismus“ ■ die Ablehnung gilt; schon gar nicht verrät diese Aussage, wie man sich zu den kämpferischen sozialen Reformzielen aus christlicher Grundrichtung stellt. Für wässerige Definitionen politischer Parteiprogramrnatik dankt :der wegbewußte christliche Wähler mit höflicher Ablehnung. Nicht aus Verwunderung, sondern der Genauigkeit halber sei am Rande vermerkt, daß bisher aus dem Lager dieser Wahlpartei eine präzise, bindende Antwort auf die von den österreichischen Katholiken formulierten zehn Gebote der Stunde ausgeblieben ist.

„P arliament a Surve y.“ Verlag George Allen & Unwin Ltd., Ruskin House, Museum Street, London. 296 Seiten:

Die Verwaschenheit, die Nivellierung des Grundsätzlichen soll nicht Kennzeichen dieser Wahlbewegung werden. Der Obmann der Volkspartei, der1 jetzt sich bemüht,' das neue Volkshaus zü zimmern, war sein Leben lang als Privatmann wie im öffentlichen Leben die Verkörperung der klaren Linie. Dem parteipolitischen Kuddelmuddel, so denken wir, hat die Volkspartei die Berufung auf ihr ■ unveräußerliches Lebenspri-nzip entgegenzusetzen, die Berufung auf ihren Willen zu einer nicht nur dem Namen nach christlichen Gesellschafts- und Staatsreform und zu einem freien Oesterreich mit allen realen Folgerungen. Frei von Intoleranz und parteiwinkeliger Enge soll die Volkspartei sich stets bewußt sein, daß sie ihre Kernstellung im Volke dem Vertrauen auf' diesen Willen verdankt.

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