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Lebendige Kräfte in Polen

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Die alten, aus katholischem Gedankengut sdiöpfenden Organisationen der Polen, die Christlichen Demokraten mit ihren Gewerkschaften und die Nationalen, die „Narodowcy“, haben die Revolution nicht überlebt. Übriggeblieben sind kleine Kreise, so ein katholisch-sozialer Klub im Sejm mit 17 Abgeordneten und eine katholischsoziale Bewegung um die Wochenschrift „Dzis i Jutro“ („Heute und Morgen“), die eine gewisse Ordnung in die große Verwirrung des katholischen Lagers zu tragen versucht. Von der christlichen Demokratie übernahm die Bewegung das wissenschaftlich gut fundierte geistige Erbe. Sie hat keinen leichten Stand, weil sich die innere Lage des Polentums seit der Aufrichtung eines sozialistischen Staatswesens völlig verändert hat. War vordem die Kirche ein wesentlicher Träger und Former des polnischen Volkstums, so ist es heute der von marxistisdien Gedanken durchsetzte Staat, der die überlieferte Tradition von Jahrhunderten aus dem Geleise hob. Nun ist aber die zweijährige Schonfrist, deren sich der politische Katholizismus in Anerkennung seiner einwandfreien Haltung während der Okkupation bei den Marxisten erfreute, abgelaufen. In der richtisen Erkenntnis, daß die Gelegenheit zur Übernahme einer Mitverantwortung an der weiteren Entwicklung von Staat, Wirtsdiaft und Kultur nicht versäumt werden dürfe, wenn man sich nicht für vielleicht lange Zeit selbst absdialten wolle, hat sich die katholisch-soziale Bewegung zur Diskussion mit den Marxisten gestellt.

Das Thema ist die Wirklichkeit eines über alle, bisherigen Maße bevorrechteten Staates, an dem sich die katholisdie Logik unvermeidlich stoßen muß. Der Zusammrn-prall erzeugt zwar Funken, aber auch nützliche Ergebnisse. Von der Gegenseite haben die Sprecher der linken Sozialisten durch ihr Wochenblatt für Politik und Literatur, „Kuz.nica“ („Schmiede“) nach dem ersten Geplänkel die bestimmte Frage gestellt: „Stimmt ihr mit den Veränderungen der sozialen und wirtschaftlichen Verfassung überein, wollt ihr an ihr mitarbeiten oder wollt ihr sie verhindern, um dadurch die großkapitalistische Ordnung zu konservieren?“

Diese Frage ist aus taktischen Gründen überspitzt formuliert, denn die ausgesprochen antikapitalistische Denkweise des Partners ist den Sozialisten sehr geläufig. Ihr Grundton ist vielmehr die Feststellung, „daß die Katholisch-Sozialen heute keine

Möglichkeit haben, ihr Programm eines sozialen Umbaues zu verwirklichen, weil es zu wenig konkret ist und zu viele Elemente der handwcrklidien und kleinbürgerlichen Ära enthält, als daß es die Fragen des imperialistischen und Finanzkapitals zu lösen imstande wäre“.

In der Verteidigung und im Angriff gleidiermaßen sind die Katholisch-Sozialen genötigt, die päpstlich sozialen Enzykliken Rcrum Novarum und Quadragesimo Anno der geistigen Automatik eines Karl Marx entgegenzuhalten, ein Vorhaben, das angesichts der verschiedenen psychologischen Basis der Gesprächspartner ungemein schwierig ist. Denn während es Marx in erster Linie auf die Liquidierung des Kapitalismus ankommt, unterstreichen die Katholisch-Sozialen die Notwendigkeit, das Proletariat zu liquidieren, ohne das soziale Fundament des Privateigentums zu zerstören. Deshalb können sidi die Katholisch-Sozialen niemals mit der totalen Expropriation durdi einen dazu ebenso total bevollmächtigten Staat einverstanden zeigen. „Für die Vergesellschaftung“ — erklären sie — „kommen nur jene Formen in Frage, die sich mit dem Begriff des Privateigentumes noch vertragen, nämlich außer dem individuellen noch das Eigentum der Familie, der sozialen Gruppen, der Genossenschaft, aber niemals kann sich das Eigentum auf das Recht des Staates beschränken.“

Hier scheinen sich die Geister endgültig zu scheiden. Mit der Verneinung des staat-lidien Kollektivs in der Wirtschaft beansprucht der katholische Soziftlismus innerhalb der polnisdien Politik eine besondere Aufgabe. Während es Kommunisten und Sozialisten in Polen darum geht, ihren Staat vor dem Zugriff von übelwollenden Menschen zu schützen, wollen die Katholisch-Sozialen die Menschen vor einem übelwollenden Staate bewahren. In der benachbarten Tschechoslowakei hat der Vorsitzende der tschechischen Volkspartei, Msgre. Dr. Jan S r i m e k, in seiner Maibotsdiaft 1947 an die Jugend eine auch für den Standpunkt der Katholisch-Sozialen gültige Formel geprägt: „Weder die Knechtschaft der Gesättigten noch die Freiheit der Hungernden, das ist die Losung der christlichen Demokratie!“

Was in Polen noch unsicher tötend gesucht wird, haben die katholischen Tschechen mit gutem Instinkt erkannt, nämlich „dem rückständigen Zentralismus, der zur Totalität in Wirtschaft und Politik führt, die Initiative des freien Menschen entgegenzustellen“ (Sramek).

Der Vorstoß einer katholisch-sozialen Bewegung in das delikateste Feld der polnischen Politik hat in allen Kreisen größte Beachtung gefunden. Die loyale Kritik der katholisch-sozialen Abgeordneten im Sejm anläßlich der vorsommerlichen Budgetdebatte ah der religiösen Indifferenz der Schulen . und an dem Versuch der Marxisten, die Wissensdnaften zu monopolisieren, veranlaßt* sogar den sozialistischen Ministerpräsidenten Josef Cyrankiewicz zur Abgabe der Versicherung, daß beispielsweise „keine Weltanschauung an der Universität als einzige und ausschließliche anerkannt wird“. Die katholisdi-sozialen Ideen haben nicht nur in den katholischen Politikern Graf Pruszynski, Frankowski und Bienkowski Dolmetscher gefunden, ihnen stehen auch heute führende Männer des - in den ehemals ostdeutschen Gebieten altansässigcn autochthonen Polentumes, wie der Literaturpreisträger der Stadt Kattowitz Wilhelm Szewczyk aus Rybnik oder der ebenfalls preisgekrönte Verfasser des Buches „Polnisdie Fragen“, der junge Edmund O s-•m a n c z y k, nahe. Von der Erstarkung der Bewegung zeugt die in ihren Blättern nun offen erörterte Frage der Gründung einer großen auf katholischem Grundsatzboden stehenden Partei. Sehr ausführlich werden verwandte ideologische Strömungen Italiens und vornehmlich Frankreichs studiert; in der Diskussion mit den Sozialisten haben die Katholisdi-Sozialen sehr oft das Werk Henry Guittons „Le Catholicisfne social“ (Paris 1945) ins Treffen geführt. Und ebenso unter Berufung auf den französischen katholisdien Publizisten Jaques M a d a u 1 e haben die polnischen Sozialisten beider Lager an die Katholisch-Sozialen die Einladung gerichtet, „trotz aller Gegensätze ein großes Stück des Weges gemeinsam zu gehe n“.

Die Renaissance des katholischen Lebens in Polen beschränkt sidi nicht auf den politischen Sektor. Schon die aufopfernde Teilnahme des Volkes an dem Wiederaufbau der zerstörten Kirchen läßt eine neue Breitenwirkung des Katholizismus in einem zu 96 Prozent katholischen Lande erkennen. Erst kürzlich wieder konnte sich der Kardinalprimas Fürsterzbischof August Hlond mit großem Erfolg an die Gläubigen mit der Bitte um die Schaffung eines Baufonds für die Wiederherstellung der zerstörten Kirchen Warschaus wenden. Katholisdie Verleger brachten im Vorjahr 6,2 Prozent aller in Polen erschienenen Bücher heraus, ein Anteil, der im ersten Semester 1947 auf 10,7 Prozent gestiegen ist. Von allen Neuerscheinungen hatten 1946 7,2 Prozent religiösen Inhalt, 1947 8,2 Prozent. Dabei sind Kirche wie Verlagswesen einzig auf eigene Mittel angewiesen, die aus Spenden der starken polnischen Vereine in den USA ergänzt werden. Staatliche Subventionen für kirchliche Zwecke, katholisches Schulwesen und Verbände gibt es ja nicht mehr.

Die Spitzen der Kirche halten an ihrer •kühlen Zurückhaltung gegenüber der Politik fest. Nur anläßlich der Verfassungsberatung in den Sejmausschüssen meldeten sich die Bischöfe mit dem Wunsche, Menschenrechte und Menschenwürde, Presse- und Wortfreiheit und den christlichen Charakter der polnischen Republik in der neuen Konstitution zu sichern. Verdächtigungen werden rein defensiv abgewiesen in der Art, wie es der kirchenamtliche „Tygodnik Warszawski“ tat:

„Wir wollen, daß unsere Gegner uns verstehen und kein kritikloses Entzücken verlangen. Wir5 verwerfen nicht alles, was geleistet wurde, weshalb unsere Einstellung nicht als ein Kreuzzug des katholischen Lagers gegen den Marxismus ausgelegt werden kann.“

Die Kirche will keinen Anlaß zur weiteren Verzögerung in den Verhandlungen über das neue Konkordat zwischen Staat and Vatikan liefern. Selbst Kardinal! Hlond, der sich noch reservierter hält als der Krakauer Kardinal S a p i e h a, sprach in seinem Hirtenbrief zum 950. Todestag des hl. Adalbert die Überzeugung aus, „daß die politische Idee Polens eine gerechte ml originelle Methode zur Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat finden werde, schon im Hinblick auf die Bedürfnisse und das Glück des Landes, aber vor ' allem mi% Rücksicht auf die Stellung des ^Katholizismus im polnischen Leben und auf Idie eigenen Gesetze der Kirche“.

Um die Klärung dieser Frage bemüht sich der polnisdie Botschafter in Rom, K1 u-s z y n s k i, aber auch der Abgeordnete und Publizist Graf Pruszynski versucht persönlich zwischen dem Staatspräsidenten Bo-leslaw Bierut und dem Hl. Stuhl zu vermitteln. Daß der beim Vatikan seit 1939 akkreditierte polnische Botschafter Kasimir Papee trotz der im Herbst 1945 von polnischer Seite ausgesprochenen Kündigung des Konkordats noch im Amte ist, läßt keine Schlüsse zu. Denn der Vatikan pflegt einen diplomatisdien Vertreter erst dann die exterritorialen Rechte zu entziehen, wenn sein Beglaubigungsschreiben offiziell widerrufen ist. Und Papee ist bisher von keiner Seite, auch nicht von der Londoner Exilregierung, abberufen worden. Die heutige polnische Regierung Cyrankiewicz scheint sich überzeugt zu haben, daß die Gründe für die Kündigung des Konkordats, die in dem Vorwurf einer nicht eindeutigen Ablehnung der deutschen Okkupation durch den Vatikan gipfelten, nicht mit den tatsächlichen päpstlichen Aktionen während der Kriegszeit für Polen übereinstimmen. Zu ihren Gunsten macht die Regierung geltend, daß die katholische Universität in L u b 1 i n schon 1945 wieder ihre Vorlesungen eröffnen durfte, das katholische Schulwesen und ein allerdings begrenzter Religionsunterricht fortbestehen und die Kirchengüter von der Beschlagnahme ausgenommen wurden.

Über die strittigen Punkte des neuen Eherechtes und der Laizisierung des Schulwesens dürfte wohl auch eine Einigung zustande kommen und außerdem hat die Warschauer Regierung ein nicht unbeträchtliches Interesse daran, ihres internationalen Ansehens willen und als Gegenzug gegen die Londoner Exilregierung dieses Verhältnis endgültig zu klären.

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