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Die „gemeinsame Sprache“

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Es ist selbstverständlich — und man soll darüber in keine pharisäische Entrüstung verfallen —, daß die kommunistischen Politiker, die jetzt eine Annäherung an den Vatikan und an die katholische Kirche erproben, dabei weder von ihrem weltanschaulichen Standpunkt des materialistischen Monismus abrücken noch einen anderen als einen politischen Zweck verfolgen. Auch das kann bereits lobenswert als Bemühen um echte Duldsamkeit, um wahrhafte Symbiose sein und erfreulich, wenn es und da es Kirche, Hierarchie, Klerus und Gläubigen bessere Bedingungen eröffnet, ihrer eigenen Überzeugung nach zu leben und diese offen, öffentlich zum Ausdruck zu bringen, am staatlichen und gesellschaftlichen Geschehen aktiv teilzunehmen. Manche Anzeichen sprechen dafür, daß es speziell in Polen vielen kommunistischen Führern und geistigen Koryphäen sehr ernst ist mit dem Streben nach friedlichem Gespräch auf hohem Niveau, daß die katholische Leistung von ihnen gewürdigt und geschätzt wird. Ihre Argumente (die ohne Anführungszeichen!) klingen um so aufrichtiger, je weniger sie den politischen Kern des Drangs zur Symbiose mit der katholischen Mehrheit des Landes verhüllen. Es sei der brillanteste Vertreter der kommunistischen Ideologie in Polen, Professor Schaff, zitiert:

„Es ist eine offenkundige Tatsache, daß in einem Lande wie Polen den Sozialismus nicht nur Marxisten aufbauen können und daß nicht nur sie

Gemeinschaft ist katholisch, -gläubig; sie huldigt also anderen philosophischen Anschauungen als dem Materialismus und dem Atheismus ... Das ist wichtig nicht nur für heute und morgen, sondern auch für eine fernere Zukunft. Einfach deshalb, weil es gläubige Menschen auch in der Zukunft geben wird. .. Ich meine nicht, daß im Zusammenhang mit der Entwicklung des Niveaus der Wissenschaft und der Kultur die Religion in unserer Gesellschaft automatisch und völlig absterben wird ... Wir müssen eine gemeinsame Sprache mit den Gläubigen finden, ... gestützt auf den sozialistischen Humanismus. Er ist nicht nur für die Gläubigen akzeptabel, sondern er kann auch zum ausgezeichneten Band werden, das uns mit ihnen beim Aufbau des Sozialismus verknüpft.“ Przeglad Kulturalny 1962

Nach einem Hinweis auf analoge Situationen in Frankreich und in Italien erklärte Schaff, die Motive für Zusammenwirken von Gläubigen und Ungläubigen seien in den sozialistischen Ländern noch stärker als im Westen. Und er endet effektvoll mit einer Berufung auf „die höchste Persönlichkeit der internationalen kommunistischen Bewegung“, auf Chruschtschow, der dem Papst die Hand entgegenstrecke, wenn dessen Handlungen eine allgemeine Front des menschlichen Fortschritts ermöglichen.

Diese Sätze bewegen sich durchaus auf der gleichen Linie wie die sowjetischen deutlich inspirierten Kommentare, die von der TASS verbreitet oder in der „Literatunaja Gazeta“ nach Ende der ersten Konzilssession veröffentlicht wurden.

Fügt man diesem das spezifisch polnische Anliegen hinzu, die Oder-Neiße-Linie als vom Papst offiziell gebilligt darzutun und dazu vom Vatikan eine Verurteilung der „Neuhitlerianer“ in Bonn, ihrer Aufrüstung und ihrer Revanchepläne zu erlangen, so sehen wir, mit welchen Hypotheken die so wünschenswerte Annäherung von Kirche und Staat belastet ist, und nicht nur sie, sondern auch ein Problem, an dessen glücklicher Lösung der polnische Episkopat, voran Kardinal Wyszynski, aus ganzem Herzen interessiert

Wir möchten, wir müssen über diese leiklen Dinge offen reden. Zunächst iie Oder-Neiße-Grenze und die aufsehenerregende Äußerung des Heiligen Katers bei der Audienz der polnischen Jischöfe. Der erfahrene Diplomat auf lern Stuhl Petri hat seine Worte zwei-ellos sorgsam gewählt. Sie sind un-nißverständlich. Nachdem er seinen Landsmann Francesco Nullo gepriesen latte, der als Freiwilliger beim polni-;chen Januaraufstand von 1863/65 ge-:allen war, sagte der Papst: „Ihr er-sählt Uns, das wiedergeborene Polen labe diesem edlen Oberst ein Denk-nal errichtet und mit dessen Namen Jtraßen benannt, wie zum Beispiel in iVroclaw, in den nach Jahrhunderten wiedergewonnenen Westgebieten.“ Nachdem Johannes XXIII. seine Liebe :u Sienkiewicz, seine Bewunderung für Krakau und für das polnische National-leiligtum Cz^stochowa ausgedrückt hatte, fuhr er fort: „Später, bereits auf iiplomatischem Posten, verfolgten Wir die Anstrengungen eures Volkes, das um seine Freiheit und um die Unversehrtheit seiner Grenzen kämpfte.“ Nun drücken diese Sätze die Privatmeinung des Heiligen Vaters aus, auf die er, wie jedermann, ein gutes Anrecht hat. Eine formelle Äußerung in seiner Eigenschaft als Oberhaupt der Kirche oder als Souverän des Vatikanstaates hat Johannes XXIII. nicht gemacht. Sie von ihm zu erwarten wäre ebenso sinnlos wie das Bemühen um ein Dementi der vor mehreren Dutzend Zuhörer gesprochenen Worte. Schon gar verfehlt ist die Zumutung, der Papst solle gegen die Bundesrepublik Deutschland oder deren Staatslenker offiziell Stellung beziehen. Statt dessen hat es der Heilige Vater sehr begrüßt, daß zwischen Kardinal Wyszynski und anderen führenden polnischen Hierarchen einerseits, westdeutschen — und, was nicht weiter erstaunlich ist, ostdeutschen Bischöfen, voran Erzbischof Bengsch von Berlin — anderseits Begegnungen und Aussprachen im Geist christlicher Brüderlichkeit stattgefunden haben. Daß man von polnischer staatlicher Seite dagegen nicht mit grobem Geschütz auffuhr, ist immerhin auch als Fortschritt zu buchen. Die Besserung des Klimas zwischen Kirche und Staat in Polen stößt auf zahllose Hindernisse, nicht zuletzt auf die verbohrte Religionsfeindlichkeit, wie sie zum Beispiel bei der jüngsten Tagung der Vereins für weltliche Schulen sich austobte.

Die drei größten Gefahren erschauen wir aber in der aufdringlichen Geschäftigkeit, mit der jetzt die „Pax“-Leute — die sich über die kalte Schulter beden Kommunisten gezeigt wird — ihren „Sozialismus“ als Allheilmittel für die Kirche anbieten, sodann in zweierlei Haltungen, die wir am besten durch ein als Symbol sehr eindrucksames Warschauer Lokalereignis charakterisieren wollen. Die Reminiszenz: Apol-(oder Nacht-) Chronik: In der Nacht zum 1. Dezember wurde zu Warschau, in der Swierczewski-Allee, die ehrwürdige Karmeliter-Barockkirche Maria-Geburt von ihrem bisherigen Standort um 21 Meter zurückgeschoben und in eine Front mit den anderen Gebäuden des Straßenzuges W—Z (Ost—West) gebracht. Das Gotteshaus hatte eine Breite von 33 Metern. Seine „Übersiedlung“, die im amerikanischen Tempo und mit bemerkenswerter Exaktheit vollzogen wurde, kostete sechseinhalb Millionen Zloty. Dem seltenen Schauspiel wohnten, trotz der eisigen Kälte, Tausende von Zusehern bei, darunter der stellvertretende Ministerpräsident Tokarski, Innenminister Wicha, Vorsitzender des Warschauer Volksrates (Bürgermeister) Zarzycki und mehrere kommunistische Parteiwürdenträger. Man hätte, um die Straßenregulierung durchzuführen, die Kirche abtragen können, doch das entsprach weder dem Geist des Orts, noch dem Klima der Zeit. So wandte man alles Können daran, das Heiligtum unbeschädigt in die allgemeine Front einzuordnen. Das möchte man so gern nicht nur mit einer, sondern auch mit der Kirche überhaupt tun. Wenn dabei alles ohne Schaden abginge, warum nicht? Doch im Bezirk der Technik ist derlei leichter als in dem des Geistes, der Seele. Da vermag man höchstens auf parallelen Straßen nebeneinander friedlich zu koexistieren.

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