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Ein Pole beim Papst

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FRAGE: Ihre Audienz beim Heiligen Vater erweckte sowohl in Polen als auch im Ausland größtes Interesse. Die V/eltpresse zog aus diesem Besuch weitgehende Schlußfolgerungen. Könnten Sie unseren Lesern mitteilen, welchen Zweck die Audienz hatte und wie es zu dieser gekommen war?

ANTWORT: Der Zweck meines Besuches beim Heiligen Vater war nicht so bedeutungsvoll wie es die ausländische Presse annahm. Das Gespräch hatte einen persönlichen und privaten Charakter, und aus diesem Grund bin ich zur Zurückhaltung und Diskretion verpflichtet. Ich wollte einfach dem Heiligen Vater sagen, welch großer Liebe und Ehrerbietung sich seine Person in Polen erfreut, welche Bewunderung seine Haltung und seine Beziehung zu Polen erweckt, die in seiner Ansprache an die polnischen Bischöfe am 8. Oktober zum Ausdruck kam. Ich wollte ihm auch über das lebhafte Interesse berichten, das dem Konzil nicht nur in katholischen Kreisen, sondern auch in solchen, die von der Kirche weit entfernt sind, entgegengebracht wird. In diesen Kreisen erwecken die Äußerungen des Heiligen Vaters zur Frage des Friedens, unabhängig von dem Interesse für das Konzil, große Sympathie, insbesondere seine Erklärungen während der Kubakrise.

Wie kam es dazu? Gleich nach meiner Ankunft in Rom vertraute ich Kardinal Wyszynski meine Wünsche an. Der Kardinal war der Ansicht, daß die Nachrichten, die ich dem Heiligen Vater mitteilen wollte, für diesen gewiß von Interesse seien und versprach mir, sjch .um eine.Audienz für mich zu bemühen. Nun geschah aber das Überraschende. Von dem Augenblick des Ansuchens um die Audienz im Sekretariat durch Kardinal Wyszynski bis zum Einlangen der Antwort verstrichen bloß sechs Stunden! Die Raschheit des Entschlusses des Heiligen Vaters verdanke ich dessen Sympathie und Anerkennung für unseren Kardinal.

FRAGE: Könnten Sie etwas über den Verlauf des Gesprächs erzählen? Wie begann das Gespräch?

ANTWORT: Der Beginn des Gesprächs fiel anders aus, als ich es mir vorgestellt habe. Der Heilige Vater fragte, aus welcher Stadt ich kam. Nachdem ich seine Frage beantwortet hatte, begann er über Polen zu sprechen, über seinen ersten Besuch in Krakau und Wieliczka und über seine Pilgerfahrt nach Cz^stochowa. Er war

Nuntius in Bulgarien, als er zum zweitenmal nach Polen kam. Unter den vielen Erinnerungen blieb ein kleines Erlebnis, das er als junger Priester anläßlich seines Besuches von Wieliczka hatte, besonders tief in seinem Gedächtnis haften. Die auf dem Heimweg von der Arbeit befindlichen Arbeiter bemerkten die Priester und verneigten sich mit großer Ehrerbietung. Bei der Erzählung neigte der Heilige Vater d^en, Kopf, um die Verneigung der Arbeiter anschaulicher :u machen. Er wurde nachdenklich und sagte, daß er das nie vergessen werde. Ich möchte hinzufügen, daß sich das Wort „Achtung“ in dem Gespräch des öfteren wiederholte. Durch die Art der Gesprächsführung und insbesondere durch die Art des Zuhörens erwies der Heilige Vater seine Achtung. Nicht eine formelle, oberflächliche Achtung, sondern eine Achtung, die aus der Haltung des Heiligen Vaters gegenüber dem Menschen und dem Leben entspringt.

Später erwähnte der Heilige Vater Sienkiewicz. Ich erfuhr, daß ihm, als er als Student die Katakomben besichtigte, Sienkiewicz' Werk „Quo Vadis?“ als Führer diente. Da der Heilige Vater informiert war, daß ich Schriftsteller bin, knüpfte er an meinen Beruf an und sagte, daß er oftmals Journalisten und Schriftsteller empfängt, weil er deren Milieu liebt und sie gerne an einen Gedanken Manzonis erinnert, der sagte, daß, wenn ein begabter Schriftsteller vom Geist der Wahrheit erfüllt ist, er, ungeachtet der Art seines Ausdrucks, die Wahrheit finden wird. Der Heilige Vater zitierte Manzoni italienisch und übersetzte seine Worte sodann in die französische Sprache. Meine Wiedergabe ist ungenau, und ich kann mich in Details irren.

FRAGE: Ich glaube, daß die Bedeutung dieses Gesprächs über ihren „privaten“ Charakter der Audienz eines gläubigen Katholiken beim Heiligen Vater hinausging. Sie fand übrigens in der Öffentlichkeit einen überaus starken Widerhall. Ich verstehe, daß dies eine heikle Sache ist, bei der eine große Diskretion geboten erscheint.

ANTWORT: Das, was über den Inhalt eines privaten Gesprächs hinausging, war meine Übermittlung der Ansichten der nichtkatholischen Kreise, betreffend die Haltung und Tätigkeit des Heiligen Vaters. Diese Kreise schätzen die offene Haltung des Heiligen Vaters und sein Werk der Erneuerung der Kirche, insbesondere seine Äußerungen in Sache des Völkerfriedens sowie die Sympathie und Zuneigung gegenüber unserem Land. Seiner Haltung gegenüber Polen gab der Heilige Vater während des Konzils beredten Ausdruck, indem er zweimal die polnischen Bischöfe empfing. Unbeeindruckt von der Unruhe, die sich in der westdeutschen Presse im Zusammenhang mit der Ansprache des Heiligen Vaters an die polnischen Bischöfe am 8. Oktober bemerkbar machte, gab der Heilige Vater einen neuen Beweis der bleibenden Sympathie für unser Volk, indem er die St.-Andreas-Kirche am Tag der Feierlichkeiten zu Ehren des heiligen Stanislaw Kostka besuchte, wo er zum drittenmal die polnischen Bischöfe traf und mit ihnen gemeinsam betete.

Ich sagte dem Heiligen Vater, daß hohe Persönlichkeiten der Regierung und der Partei in Polen eine große Achtung für den Heiligen Vater wegen seiner Haltung während der Kubakrise und seiner zahlreichen Äußerungen zur Verteidigung der Sache des Friedens empfinden. Die Nachricht, daß Wladyslaw Gomulka auf dem Friedenskongreß in Warschau zwei Ausschnitte aus den Aussagen des Heiligen Vaters gegen den Krieg mit Anerkennung zitierte, wurde mit Sympathie aufgenommen.

Selbstverständlich war auch die Rede von den Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Polen. Der Heilige Vater gab der Überzeugung Ausdruck, daß sich diese Beziehungen auf der Ebene gegenseitigen Verstehens und der Achtung gestalten sollten.

Der Heilige Vater zeigt, wie wir wissen, viel Sympathie für Polen, aber man darf nicht vergessen, daß er in sein Herz die ganze christliche Welt aller Kontinente, wo immer das Evangelium ■ verkündet wird,» • einschließt. Der Heilige' Vatefga'b in seiriem .'Ge- spYäcn mit mir sefnef1 Sympathie -für Bulgarien Ausdruck, in welchem Land er einige Jahre als Nuntius verbrachte. Wahrscheinlich stammt aus dieser Zeit das große Interesse des Heiligen Vaters für die Liturgie der Orthodoxen Kirche, für welche er persönlich, wie ich bemerkte, viel Herz hat. Daher stammt auch sein Interesse für die Völker der Orthodoxen Kirche, für Bulgarien und Rußland.

Auch die Beobachter aus Moskau erweckten das Interesse des Konzils. Kardinal Wyszynski sprach mit ihnen zweimal, und auch ich verbrachte in ihrer Gesellschaft einen interessanten und vergnüglichen Abend in freundlicher Atmosphäre.

FRAGE: Ich möchte noch fragen, ob Sie glauben, daß die Vermutungen und Schlußfolgerungen der Weltpresse betreffend der Möglichkeit einer Anknüpfung rechtlich-diplomatischer Beziehungen irgendwelcher Art zwischen der apostolischen Hauptstadt und Polen oder überhaupt mit den Ländern des sozialistischen Blocks begründet sind?

ANTWORT: Es scheint mir, daß diese Vermutungen verfrüht sind. Nichtsdestoweniger kann die fortschreitende Demokratisierung im sozialistischen Lager auf die Beziehungen zur Kirche Einfluß haben, insbesondere während des Pontifikats Johannes' XXIII. und angesichts der Reformtendenzen des Konzils. Anderseits vollzieht sich auch innerhalb der Kirche eine Revision der Ansichten über zahlreiche Probleme der zeitgenössischen Welt. Der Heilige Vater verfolgt mit Aufmerksamkeit und Interesse die Geschehnisse in solchen Ländern des sozialistischen Lagers wie Polen. Die erwähnten Änderungen schließen eine Annäherung in der Zukunft nicht aus, was sich in der Anknüpfung der diplomatischen Beziehungen äußern könnte. Im Augenblick aber ist das nicht das Wichtigste. Für die Zwecke der Annäherung ist die Atmosphäre des gegenseitigen Interesses und der Achtung wesentlicher. Mit seiner offenen Haltung gegenüber der zeitgenössischen Welt und mit seiner Achtung für sämtliche menschlichen Werte, die auch außerhalb der Kirche in Erscheinung treten, bricht der Heilige Vater die Vorurteile und Widerstände. Er lehrt die Unabhängigkeit des Urteils und den Mut zum Anpacken von schwierigen Problemen. Durchdrungen von der Liebe zur Welt und zu den Menschen, ist der Heilige Vater ein Seelsorger, und sein modernes Apostel-tum versetzt jedermann in Erstaunen. Dieser große Seelsorger löste eine geistige Bewegung aus, indem er eine Lawine von gedanklichen Überlegungen ins Rollen brachte, die von nichts aufgehalten werden kann. Während des Pontifikats eines solchen Papstes kann auch Unmögliches möglich werden.

DIE LETZTE FRAGE: Sie sahen den Heiligen Vatpr zum erstenmal. Welchen Eindruc macht die Person des Papstes Johannes' XXIII. auf Sie?

ANTWORT: Der Eindruck war ein überwältigender; er überstieg meine Vorstellungskraft. Auffallend ist die Einfachheit des Heiligen Vaters. Nur ein großer und heiliger Mann kann so vollkommen einfach und menschlich sein. In Erstaunen versetzt auch die Klugheit des Heiligen Vaters, die LInabhängigkeit seines Urteils und sein Mut. Er ist ein großer Mann, sowohl in seinem Geist als auch in seiner Weisheit. Im Umgang mit Menschen erkennt man deren wahre Größe vielleicht an einer besonderen Art der Faszinierung, der wir unterliegen. Es ist schwierig, das konkreter auszudrücken. Ein Mensch wie Johannes XXIII. erweckt bei seinem Gesprächspartner schon nach den ersten Worten Liebe und tiefste Achtung.

Nach Beendigung der Audienz ging ich zur Tür, aber die Türklinke gab nicht nach. Der Heilige Vater lächelte und sagte, daß man von ihm nicht so leicht fortkomme. Er müsse zuerst läuten, damit ich herausgelassen werde. Auf meine Bitte erteilte mir der Heilige Vater den Segen. Den Segen für mich und meine Familie, für den Klub der katholischen Intelligenz, für die katholischen und nichtkatholischen Kreise, mit welchen ich in Verbindung stehe, für die Abgeordneten der Gruppe „Znak“ sowie für alle meine Freunde, insbesondere für die Kranken.

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