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Ein Mißton

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Ein Jahr ist es her, daß Kardinal Roncalli als Johannes XXIII. den Thron Petri bestieg. Daß die Wahl des Konklaves auf den schon hochbetagten Patriarchen von Venedig fiel, hat damals allgemein Ueberraschung ausgelöst, und es gab Stimmen, die meinten, es handle sich bei dieser Wahl nur um einen Uebergangspapst. Nun, heute, nach einem Jahr, wird wohl niemand diese Meinung aufrechterhalten. Zu stark hat sich die Persönlichkeit des Papstes schon wenige Monate nach seiner Thronbesteigung nicht nur auf den inneren Geschäftsgang im Vatikan, sondern auch auf das Leben der Weltkirche ausgewirkt. Hier war ein Papst, der spontane Herzlichkeit, die sich unbekümmert über die Schranken einer erstarrten Tradition hinwegsetzte, verband mit einer geistigen Spannweite, die von der jahrtausendealten Geschichte der Kirche über eine verworrene Gegenwart zu einer freieren und größeren Zukunft einen gewaltigen Bogen schlug.

So wurde der erste Jahrestag der Krönung Johannes’ XXIII. in aller Welt gefeiert, in allen Erdteilen und in allen Zonen. Protestanten und Orthodoxe würdigten das Ereignis ebenso wie es die Katholiken freudig feierten. Unter den Ländern, die am meisten Ursache hätten, in Freude und Dankbarkeit gerade dieses Papstes zu gedenken, nimmt Oesterreich gewiß eine besondere Stellung ein- Nicht nur, daß Johąn- nes XXIII. bei jeder sich bietenden Gelegenheit seinem Wohlwollen für Oesterreich Ausdruck verlieh, daß er immer wieder betonte, sein Vater wäre noch als österreichischer Staatsbürger geboren, daß er sich noch lebhaft an das Wien des Eucharistischen Kongresses erinnere, es waren vor allem die Beziehungen zwischen Oesterreich und dem Vatikan, die durch die geschichtliche Entwicklung, durch Belastungen politischer und persönlicher Art, durch Versäumnisse und Ungeschicklichkeiten in eine ausweglose Sackgasse geraten waren, die durch ihn wieder entwirrt und auf eine neue Basis gestellt wurden. Schon daß er den Erzbischof von Wien bei der ersten Gelegenheit zum Kardinal erhob, entgegen manchen Vorstellungen nicht nur in Rom, sondern auch anderswo, bewies, daß Johannes XXIII. nichts von jenem diplomatischen Kodex hielt, wonach Spannungen zwischen den Vertragspartnern im geistlichen Raum ihren Niederschlag finden müßten. Und Johannes XXIII. hat auch zur Lösung dieser Spannungen dadurch einen Weg gezeigt, daß er das Junktim einer gleichzeitigen Erledigung aller offenen Konkordatsfragen, an der sein Vorgänger festgehalten hatte, aufgab. Seitdem kann nun oder sollte nun von der österreichischen Regierung versucht werden, das, was noch offen ist, Schritt für Schritt, immer in engem Einvernehmen mit dem Heiligen Stuhl, zu regeln.

Wenn also, um es nochmals zu sagen, irgendwo Katholiken in der Welt Ursache hätten, diesem Papst ihre Dankbarkeit zu zeigen, so gerade in Oesterreich. Um so befremdlicher mag es nun in Rom, aber auch bei unseren Brüdern in der katholischen Welt und nicht zuletzt bei den Katholiken in Oesterreich gewirkt haben, daß gerade hierzulande in Zusammenhang mit den Feiern zum Jahrestag der Papstkrönung Töne laut wurden, die in schriller Dissonanz zu jenen standen, die man erwarten konnte.

Und dabei begann es eigentlich mit Tönen höchsten Wohllautes, mit jenen wundersamen Klängen des Brucknerschen Tedeums, das die Wiener Symphoniker vor dem Heiligen Vater in der Benediktionsaula des Vatikans spielten. Zwei Persönlichkeiten, die aus diesem Anlaß nach Rom gekommen waren, wurden später vom Heiligen Vater in Privataudienz empfangen, der Präsident des Gewerkschaftsbundes und zweite Präsident des Nationalrates, Olah, und der

Wiener Vizebürgermeister Slavik. Es wird erzählt, daß sie von dieser Privataudienz so überrascht waren, daß sie in letzter Eile sich die für diese Audienz notwendigen Fracks ausborgen mußten. Nicht wenig überrascht war man in Wien, als von dieser Audienz zuerst die Sozialistische Korrespondenz und dann erst der Bundespressedienst in amtlicher Eigenschaft eine Meldung brachte, wollte man doch aus der Formulierung der Meldung erkennen, daß der Heilige Vater diese beiden prominenten sozialistischen Politiker als österreichische Katholiken empfangen hatte. Das mag sonst so in der Welt vielleicht als etwas Natürliches gelten, nicht aber bei der augenblicklichen politischen Konstellation in Oesterreich, in der die eine Partei mit Vehemenz darum kämpft, ihre Basis auch auf den großen Kreis der weltanschaulich gebundenen katholischen Oesterreicher zu erweitern, und die andere Partei sich nicht in der Lage sieht, historisch bedingte Monopolansprüche aufzugeben. Was dann geschah, war ein übles Intrigenspiel. In einer Boulevardzeitung, der man gute Beziehungen zur Volkspartei nachsagt, wurde eine kurze Meldung gebracht, wonach die Minister der Volkspartei beschlossen hätten, den alljährlichen großen Empfang in der Nuntiatur aus Anlaß der Papstkrönung zu boykottieren, um sozusagen ihrem Mißfallen über diese Privataudienz Ausdruck zu verleihen. Gewiß war es von Haus aus klar, daß niemand Verantwortungsbewußter in Oesterreich und vor allem die bewährten und verdienten Katholiken an der Spitze der österreichischen Volkspartei im Ernst daran denken konnten, den Heiligen Vater in seinem Stellvertreter derart zu brüskieren. Und so wirkte das

Dementi, das die Volkspartei zu diesen böswilligen Unterstellungen brachte, als eine befreiende Selbstverständlichkeit. Leider aber vergingen zwischen der ersten Nachricht und dem Dementi einige Tage, und leider kam es in diesen Tagen durch einen Kurzschluß oder durch ein Versehen im Massenblatt der Volkspartei, das vor mehr als drei Jahrzehnten mit den Groschen des katholischen Volkes geschaffen worden war, zu einer mehr als unglücklichen Aeußerung, die sich an dem Nuntius als dem angeblich Verantwortlichen für diese Papstaudienz reiben zu können glaubte. Für den nicht in die Irr- und Wirrgänge der österreichischen Innenpolitik Eingeweihten hatte es den Anschein, als ob man von Oesterreich aus dem Papst vorschreiben wollte, wen er empfangen dürfe und daß der Papst auf den augenblicklichen taktischen Stand der österreichischen Innenpolitik Rücksicht nehmen müsse.

Fürwahr ein erschreckendes Zeichen, zu welch geistigen Verwirrungen eine Politik, die nur dem Augenblick verhaftet ist, führen kann.

Natürlich war alles nicht wahr. Der Empfang in der Wiener Nuntiatur war glanzvoller denn je, und die Prominenz beider Parteien nahm an ihm ebenso teil wie an dem feierlichen Papst- tedeum im Stephansdom. Ein schriller Mißton war verklungen, lange bevor er ernstlich unter den österreichischen Katholiken Verwirrung stiften konnte. Daß er aber laut werden konnte, läßt darauf schließen, daß die Klaviatur der österreichischen Innenpolitik, daß die Klaviatur der österreichischen Part .»en nicht rein gestimmt ist.

Und das ist bedauerlicher als der eine Mißton selbst.

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