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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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DIE PRAGER PROTESTWELLE, die geraume Zeit vor der Ueberreichung der Note durch den hiesigen Gesandten wegen der Abhaltung des Sudetendeutschen Tages anlief, hat auch nach dem diplomatischen Einschreiten nicht an Heftigkeit eingebüßt. Zuletzt ist in die Reihe der Demonstranten auch das offizielle Organ des tschechoslowakischen Verteidigungsministeriums, die „Obrana Lidu” getreten. Oesterreich wird bezichtigt, seine im Sfaafsvertrag festgelegte Neutralität zu brechen, indem es revanchistischen Elementen Unterschlupf gewähre. Unser Innenministerium ist wahrlich über den Zweifel erhaben, revanchistische, rechtsradikale Bestrebungen zu fördern. Die Zurückweisung der Prager Proteste durch Wien war zu erwarten. Wenn uns nun durch die Blume zu verstehen gegeben wird, daß die Verhandlungen über die Frage österreichischer Vermögen in der Tschechoslowakei durch die Haltung unserer Regierung tangiert werden könnten, kann man ein wehmütiges Lächeln nicht unterdrücken. Gelähmt waren alle Bemühungen, zu einem Akkord zu kommen, schon lange vor dem Sudefendeufschen Tag, und je friedensbereiter unsere Sprache war, um so feindseliger ist ihr seit zehn Jahren geantwortet worden.

PAPST UND PRESSE. Der Heilige Vater Johannes XXIII. hat sich vor den katholischen Journalisten Italiens sehr offen über die Mängel und die Mission der Presse ausgesprochen: Die katholische Presse muß den technischen Möglichkeiten der Gegenwart angepaßt werden, um eine stärkere Wirkung in der Oeffenflichkeif zu erzielen. Erste Aufgabe des Journalisten ist der Dienst an der Wahrheit. Der katholische Journalist ist aus seinem Gewissen heraus gerade in der heutigen Welf, welche die göttliche Wahrheit verkennt und oft gar nicht kennt, zum Dienst an der Wahrheit und an der Liebe verpflichtet. Papst Johannes XXIII. verurteilt scharf jene Presse, die bewußt lügt und Haß sät, um die einfachen Seelen zu verderben. Diese Presse entstellt jeden Tag die Wahrheit, nicht zuletzt durch ihre eigenwillige Interpretation des Lehramts der Kirche und ihr Verschweigen der Liebe Christi. In dieser Welt, die sich off gegen die Wahrheit und gegen die Liebe versündigt, hat der katholische Journalist die große Aufgabe, im Kampf für die Wahrheit dem Gegner gegenüber loyal und großzügig zu sein. Auch die Polemik, so betonte der Heilige Vater, müsse immer unter das Zeichen der christlichen Nächstenliebe gestellt werden. Angesichts der großen Aufgaben katholischer Publizistik in naher Zukunft, nicht zuletzt bezüglich der Auseinandersetzungen mit den nichtkatholischen Christen über das Oekumenische Konzil, kommt diesen Weisungen des Heiligen Vaters, christliche Presse mit christlichen Mitteln zu gestalten, besondere Bedeutung zu.

GENF, IM MAI 1959. Am 11. Mai 1959 hot in Genf eine Ost-Wesf-Konferenz begonnen, die sich mit dem Schicksal des zerstückelten Deutschland, dem Weltfrieden und nicht zuletzt mit den Beziehungen zwischen den stärksten Weltmächten, den USA und der UdSSR, befaßt. Es ist sinnvoll, zwanzig Jahre zurückzublicken. Am 7. Mai 1939 vereinbarten Ribbentrop und Ciano in Mailand ein deutsch-italienisches Militärbündnis. Am 16. Mai wurde der Westwall offiziell ferfiggesfellt und von Hitler besichtigt. Am 19. Mai prophezeite Reichsleifer Bouhler auf dem „Tag des deutschen Rechtes" in Leipzig: „Ein Europa, das nicht mehr mit Blindheit geschlagen ist, wird Hitler dereinst danken, daß das Schicksal Deutschlands das Schicksal Europas Ist." Am Tag darauf verkündete Goebbels in

Köln: „Das deutsche Volk schläft sozusagen mit dem Tornister unter dem Kopf." An diesem selben 20. Mai 1939 eröffneten die Pan American Airways über die Azoren den ersten regelmäßigen Flugdienst zwischen den USA und Europa! Im kritischen Mai vor zehn Jahren, am 12. Mai 1949, konnte nach einjähriger Dauer die Berliner Luftbrücke eingestellt werden. — Diese Tatsachen wollen gerade in Europa in diesem Genfer Mai 1959 bedacht werden: durch die Torheit und das Verbrechen von Europäern sind Europa und die Welt in die mißliche Situation von heute gebracht worden. Ohne Amerika wären sie, beide, im Untergang versunken. Es steht also uns Europäern im allgemeinen und den Deutschen im besonderen nicht an, mit Ungeduld, Gereiztheit und Hohn über die „erwarteten Mißerfolge von Genf" zu räsonnieren: was durch unser aller Mitschuld in vielen Jahrzehnten gekocht wurde — nicht zuletzt durch den

Nationalismus fast aller europäischen Nationen — läßt sich nicht in einem einzigen Mai auslöffeln. Ungeduld und Kurzsichtigkeit haben seinerzeit dazu beigefragen, Europa in den ersten und zweiten Weltkrieg schlittern zu lassen. Alles hängt für die Zukunft davon ab, daß die heutigen Partner in Genf mehr Geduld und mehr Weitblick aufbringen als ihre Vorgänger.

ERHÖHTES AUGENMERK werden die westlichen Staaten ihrem Handel mit den sogenannten „Entwicklungsländern" schenken müssen. Die sowjetische Wirtschaftsoffensive ist im Rollen, ihre Infiltration im Nahen Osten, mit ihren größten Erfolgen in Aegypten und vor allem im Irak, kann nicht mehr übersehen werden. Im Fernen Osten aber klagt Indien, daß es auf den asiatischen Märkten von einem mit politischen Motiven verknüpften Exportfeldzug Rofchinas immer mehr zurückgedrängf wird. Etwas spät scheint man nun auch in den USA, nach den neuesten Reden des Senators Fullbrighf und Trumans zu schließen, diesen Tatsachen wirksamer enigegenireten zu wollen. Auch auf der am 11. Mai d. J. begonnenen 14. Tagung des GATT (Organisation für Zoll- und Handelsfragen) in Genf wird die Unterstützung der Entwicklungsländer einen breiten Raum einnehmen. Aber auch Oesterreich wird den Entwicklungsländern mehr Beachtung als bisher schenken müssen. Wie überhaupt eine österreichische Orientierung auf einen weiten, großzügigen Welthandel dringend nötig ist, da die Schaffung der EWG, mit deren Ländern Oesterreich bisher 51 Prozent seines Handels abgewickelt hat, zeigt, wie gefährlich einseitige Bindung werden kann. Und letztlich dürfte es unserem Land auch nicht gleichgültig sein, in welcher politischen Verpackung die aufstrebenden Völker Afrikas und Asiens ihre Waren bekommen.

KIRCHE IN ABWEHR. Zwei Nachrichten aus Ungarn erreichten fast gleichzeitig den westlichen Zeitungsleser. Die eine berichtete von der feierlichen Eidesleistung kirchlicher Würdenträger im Budapester Parlamentsgebäude, die zweite von den Unruhen im Budapester Zentralen Priesterseminar und den Maßnahmen der staatlichen „Kirchenbehörde". Die Seminaristen, die korporativ gegen das Wiederauftreten der seif zehn Jahren sattsam bekannten sogenannten Friedenspriesfer protestiert hatten, wurden Verhören unterzogen. Nachdem die ersten vierzehn „Rädelsführer” aus dem Seminar entlassen worden waren, erklärten sich die übrigen mit diesen fast einmütig als solidarisch. Daraufhin wurde das Seminar zunächst „wegen dringender Bauarbeiten" gesperrt, das Professorenkollegium ausgetauscht und nach der Wiedereröffnung „der Unterricht wieder ordnungsgemäß aufgenommen" — mit 6 verbliebenen Hörern von den beinahe hundert von früher. Nur diese sechs waren bereif gewesen, die ihnen vorgelegfe Loyalifäfserklärung zu unterzeichnen. Wie man weiter erfährt, hatten die Seminaristen nicht nur gegen das unwürdige Treiben der Kollaborateure, sondern auch gegen die ihrer Ansicht nach „schwächliche" Haltung einzelner Bischöfe protestiert. Die Spannweite tragischer Gegensätze läßt sich nur ahnen: zwischen einem unter schwierigsten Bedingungen mit Vorsicht und Verantwortungsgefühl operierenden Episkopat und dem kirchlichen „Niedervolk", das nur die Wortbrüche und den kalten Zynismus der Gegenseite sieht und im Alltag die feierlich zugesicherten Rechte der Kirche kaum durchsetzen kann.

AUF HERZ REIMT SICH KOMMERZ. Also blüht auch zu Firmung und Muttertag das Geschäft. Was empfiehlt man zur Firmung im entgeltlichen Teil der Zeitung? Kleider, Uhren, Gebetbücher, Rosenkränze. In Ordnung. Man empfiehlt auch Schmuck. In Gottes Namen, ja! Aber man empfiehlt als „ideales Firmungsgeschenk" auch Bafferieradios und Plattenspieler. In Dreifeufels- namen: nein! Und zum Muttertag? Blumen, Mixer, Donaufahrt, Kühlschrank und Waschmaschine. Na ja. Hautcreme: sehr nützlich (Mutferhände sind rissig und abgerackert und haben sie notwendig). Zu „feinen Damenmoden" und „Luxusmodellen” wird's wohl nicht mehr reichen (entweder — oder!) Ganz und gar problematisch aber: „Gebrauchtwagen und alle neuen Modelle für die müde Mutter”. Schamhaft still schweigt und inseriert nicht der Staat. Er ist den nichtberufstätigen Frauen und Müttern vieles, wenn nicht alles schuldig geblieben. Hier wäre eine (unentgeltliche) Anzeige überfällig.

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