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Randhemerkungen zur woche

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VORSICHT: FEUERGEFÄHRLICH! ruft es warnend bei den Erdölquellen, bei den Tanklagern und in den Raffinerien darf man gar nicht eine Streichholzschachtel hervorziehen. Der feuergefährliche Stoff ist nun, nachdem die Erdöl-befriebe vom österreichischen Staats aus den Händen der sowjetischen Mineralölverwaltung übernommen wurde, zu einem nicht weniger feuergefährlichen Stoff zwischen den staatlichen Instanzen geworden. Die Erdölbetriebe unterstehen dem Bundesministerium für Verkehr und verstaatlichte Betriebe. Der Chef des Ministeriums hatte eine Herabsetzung des Benzinpreises veranlagt — an den Tankstellen erhielt man schon längst ausländische Ware billiger. Das Finanzministerium seinerseits aber drückte ernste Besorgnisse über die Preisherabsetzung aus. Es fürchtet eine Beeinträchtigung der finanziellen Lage der Oesterreichischen Mineralölverwaltung, die bekanntlich ein Drittel der Produktion auf zehn Jahre hinaus als Ablöse an Sowjetruhland zu liefern hat. Diese Mineralölverwaltung jedoch, die, wie gesagt, dem Ministarkollegen untersteht und Oeffentlicher Verwalter an der Spitze hat, fragt sich besorgt, wer ihr denn den Gegenwert des nach Ruhland gelieferten Rohöls ersetzen wird? Die Antwort lautete: Das ist von der Mineralölverwalfung zu tragen (zumindest sind im Budget für das kommende Jahr keinerlei Beträge — im Gegensatz zu denen für die USIA-Befriebe — eingestellt worden, welche man als Gegenwert für die Lieferungen nehmen darf). Indes mit dem feuergefährlichen Stoff die Finanzverwaliung und die Verstaatlichung spielen, ist es ganz dem Blickpunkt entzogen worden, daß in den ersten neun Monaten 1955 vom Auslande 60.000 Tonnen Benzin, das sind 40 Prozent des Gesamtverbrauches, eingeführt wurden — dank der großzügigen Liberalisierung. Die Tank- und Vertriebsfellen der „Orop“ (im Gegensatz zu den Tankstellen, die ausländische Ware führen) haben im vergangenen September nur mehr 11.000 Tonnen Benzin gegenüber 16.400 im gleichen Monat des Vorjahres abgenommen. Die Tanks in der Lobau sind bis oben voll. Wenn man bei den Pumpen und den Bohrern mit dem Feuer vorsichtig sein muh, so gilt dies wohl auch auf dem Gebiete der Handelspolitik! Für die Zeche bezahlen nicht bloß die 12.000 Arbeiter und Angestellten der Oesterreichischen Mineralölverwaltung, sondern alle Arbeitenden Oesterreichs. Wir haben Grund, unsere Kräfte zusammenzuhalten.

DER GEIST VON GENF — TOT ODER LEBENDIG) Die Genfer Konferenz der vier Aurjenminister beginnt, wenn' wir Molotows Aeufjerung am letzten Tage der ersten Konferenzwoche in Betracht ziehen, erst jetzt mit den „richtigen Verhandlungen“. Dennoch läfjt die erste Woche bereits interessante Beobachtungen zu. Zum ersten und wichtigsten: der „Geist von Genf“, totgesagt in den letzten Monaren und Wochen von vielen Interessenten an einer Wiederbelebung des kalten Krieges, ist nicht tot, obwohl Eisenhower krank ist, obwohl im Nahen Orienl eine neue schwere Konfliktsphäre sichtbar geworden ist und obwohl Molotow wie eh und je sich als harter Verhandlungsgegner erweist. Im Gegenteil: vielleicht kann es gar keine nachträglichere Bestätigung für ihn, und das heißt füi ein breites amerikanisches und sowjetrussisches Bemühen um einen zeitlichen Ausgleich und eine Entschärfung der Gegensätze geben ah diese Genfer Konferenz vom November 1955 Dia Angst der westdeutschen Politiker, dah, wi sie meinen, auf dem Rücken Deutschlands dei Ausgleich zwischen USA und dem Osten statt, finden würde, ist in dieser Form nicht berechtigt entbehrt aber nicht einer gewissen Grundlage. So offensichtlich sind die Bemühungen der Wesfmächte geworden, mit Rußland, aber auch mit China (wie der Briefwechsel Dulles—Tschu-En-Lai zeigt), handelseinig zu werden. Der Vertreter der Vereinigten Staaten, John Foster Dulles, zeigt sich in Genf von seiner besten Seite, als ein Vertreter jener wendigen, geschmeidigen Taktik, mit der Eisenhower in Genf die Welt und die Sowjets überraschte. Seine Besuche zwischendurch in Madrid, Wien und bei Tito zeigen, dafj auch die USA es gelernt habe, Zeit zu haben, und verschiedene Kraftfelder mit verschiedenen Mitteln und Methoden zu influ-enzieren. Was hinter den westlichen weit entgegenkommenden Vorschlägen bezüglich eines Sicherheitssystems für ganz Europa, mag nun die Zwischenzone an der Elbe oder der Oder beginnen, steht, hat das Memorandum von hundert einflußreichen Persönlichkeiten an Eisenhower eindeutig gezeigt: führende Männer der amerikanischen Wirtschaft fordern hier eine Ak-fivierung des Wesi-Ost-Handels. — Die Russen sind in Genf mit militärischen Beratern unter Führung des Generalstabschefs Sokolowski erschienen. Diese Tafsache spricht dieselbe offene Sprache wie das Memorandum der amerikanischen Wirtschaftsmänner: die Russen halten die Zeit für gekommen, konkrete Demarkationen der

beiderseitigen Machtsphären auszuarbeiten; sie verstehen unter Sicherheit wesentlich militärische Sicherheit. Eben deshalb hat, so scheint es, das deutsche Problem auf absehbare Zeit keine Aussicht, einer Lösung zugeführt zu werden. Man braucht Molotows Vorschläge eines gesamtdeutschen Rates, der die Wiedervereinigung Deutschlands durchführen soll, nicht sehr ernst zu nehmen. Ernster ist Molotows Hinweis auf die Möglichkeit des Heraufkommens eines neuen Hitler zu werfen: es ist dies eben der Punkt, an dem sich Adenauer und Chruschtschow in Moskau begegneten. Die Russen haben es nicht eilig, und dem Westen geht es, wie nicht nur ein aufsehenerregender Aufsatz der „Times“ verriet, primär um ein Generalabkommen mif dem Osten, freilich unter Einschluß der westlichen Interessen an Deutschland und in Deutschland. In dieser augenblicklichen Situation ist der Ausfall Dr. Adenauers schmerzlich für Deutschland, da es hier, in Westdeutschland, an Ueber-einsfimmung fehlt, während Ostdeutschlands Sprecher hart ins Horn stoßen. Da ist es zunächst das Tauziehen zwischen der Gruppe Globke-Hallsfein und der Gruppe Brentano-Blankenhorn um die Beeinflussung der westdeutschen Außenpolitik; wie grotesk hier die Dinge bisweilen liegen, mag eine schlichte Tatsache bezeugen: in den immer länger gewordenen Wochen der Krankheit des Bonner Bundeskanzlers hafte nur Staatssekretär. Globke Zutritt, täalich Zutrift zum Kanzler. Die Erkrankung Dr. Adenauers zeigt, wio schwierig es ist, eine konstruktive westdeutsche Ost- und Westpolüik aufzubauen, nachdem es jetzt darum geht, auf lange Sicht hinaus aufbauend zu planen und zu arbeilen, nach dem Kurssturz der Schreckworte und Sehreckplcme. Dos verdient auch in Oesterreich Beachtung.

HERZ UND KRONE. Es ist bezeichnend, daß

das weltweite und geradezu fieberhafte Interesse, das die jüngste Herzensaffäre der Prinzessin Margaret von England ausgelöst hat — eine Anteilnahme, die von illustrierten und anderen Sensationsblättern durch Wochen und Monate schamlos ausgebeutet worden ist —, sich fast ausschließlich mit den sentimentalen Aspekten der Angelegenheit beschäftigte und ihre prinzipielle und moralische Bedeutung wie etwas Nebensächliches beiseite schob. Das einzige, worauf es der öffentlichen Meinung anzukommen schien — und um das vriumphierend festzustellen, veranstaltete eine der populärsten englischen Tageszeitungen sogar eine Umfrage bei ihren Lesern —, war, daß die junge Prinzessin nicht behindert werde, ihr Glück an der Seite des geliebten Mannes zu suchen; und wer es wagte, darauf hinzuweisen, daß dieser Mann ja geschieden sei und daher eine Verbindung mit ihm dem Grundbegriff der christlichen Ehe widerspräche, der sah sich als Vertreter eines „längst überholten“ Standpunkts, als „Finsterling und Reaktionär“, den heftigsten Angriffen ausgesetzt. Darin lag vielleicht eine gewisse -Logik; die letzte, ad absurdum geführte Konsequenz der im snlchristlkhten Staat immer weitere Kreise erfassenden Idee, daß das Volk, genauer gesagt, die zählbare oder auch nur angenommene Mehrheit des Vofkss, die Urquelle des Rechtes sei und, ungebunden an eine höhere Autorität, souverän zu entscheiden habe über jede Frage des Rechtes und somit aucn der Sittlichkeif. Einer solchen Auslegung des demokratischen Prinzips ist die Prinzessin nun entgegengetreten, mit einem Mut, der vollste Anerkennung verdient. In der for-_ mellen Erklärung, mit der sie ihren gewiß schweren Herzens gefaßten Entschluß kundgab, Peter Townsend nicht zu heiraten, bekennt sie sich offen zur Unauflöslichkeit der christlichen Ehe; zu dem christlichen Gesetz, welches das Gesetz auch der anglikanischen Kirche, von; deren katholischer Vorzeit her, geblieben ist. Damit hat Margaret von England sich eingedenk gezeigt auch der hohen Verantwortung, die sie als Mitglied der königlichen Familie und Schwester der Königin zu fragen hat; eine Verantwortung, die nicht geringer wäre, wenn die Königin nicht zugleich, gemäß der englischen Verfassung, die Stellung eines Oberhauptes der anglikanischen Kirche innehätte. Obzwcir oder vielleicht gerade weil die effektive Macht des Herrschers im Zuge der politischen Entwicklung von der Krone auf das Parlament übergegangen ist, übt die persönliche Haltung des Trägers der Krone und der Mitglieder des königlichen Hauses noch immer einen kaum zu überschätzenden Einfluß aus. Man erwartet von ihr, daß sie mustergültig sei; ein Vorbild sittlicher Ordnung in einer Zeit, da der wahre Ordnungsbegriff mehr und mehr in Vergessenheit zu fallen droht. Hätte Prinzessin Margaret sich anders entschieden, so wie die Wo'fführer eines vermeintlichen Fortschritts es stürmisch verlangten, dann hätte sie dem Ansehen der Dynastie und des Königtums und, darüber hinaus, dem Wohl des Landes und des gesamten Commonwealth einen Schaden zugefügt, der kaum zu übersehen wäre.

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