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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE.

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ALLES IST VERZWEIFELT. Das europäische Auswandererkomitee erklärte durch seinen stellvertretenden Leiter seine finanzielle Lage als verzweifelt; flöfjen nicht in nächster Zeit erhebliche Mittel zu, wäre der Abtransport der ungarischen Flüchtlinge unmöglich. Das Budget für 1957 des genannten Komitees zeige bereits jetzt ein Defizit von 52 Millionen Schilling. Verzweifelt klangen auch die Ausführungen des Bundesministers für Inneres vor dem österreichischen Ministerrat. Allein für bauliche Herrichtung von Unterkünften haben wir 80 Millionen ausgegeben; die zwei letzten Monate ließen an Verpflegskosten über 30 Millionen auflaufen. Bereits vor einem Monat sagte der stellvertretende Landeshauptmann von Nieder- ösferreich, daß sein Land für arbeitswillige Menschen in der Landwirtschaft wohl Raum wisse, daß aber der Geldbedarf für Wohnhäuser, Wirtschaftsgebäude und technische Einrichtungen weit über die Kräfte des Bundeslandes hinausgehe. Aehnliches verlautete auch aus dem Burgenland. Das sind, sehen wir genau zu, Gebiete, die durch den Krieg am meisten litten, und trotzdem von den ERP-Mitteln am wenigsten bekamen. Angesichts dieser beklemmenden Entwicklung, die zu den Erklärungen vom „Muf und der „tiefen Bewunderung für Oestereichs Regierung und Volk" gelegentlich des Besuches von Vizepräsidenten Nixon im vorigen Monat einen eigentümlichen Kommentar liefert, sind die Ausführungen des Senators Johnsfon im Senatsausschuß für innere Sicherheit in den USA über kommunistische Infiltration durch die Flüchtlinge grotesk. Würde die Republik Oesterreich — zu ihren finanziellen Sorgen — noch ein Geschrei über die Gefahr politischer Unterwanderung erheben, das Innenministerium in der Herrengasse müßte dauernd ein Magnetophonband im Rundfunk laufen lassen. Senator Johnsfon vertritt das amerikanische Unionsland Südkarolina. Die Entfernung von seiner Hauptstadt Columbia bis nach Eisensladt erklärt die Ansichten des Senators. Nicht erklärt dagegen ist bis heute worden, weshalb die Länder des ICEM, der Internationalen Auswandererhilfe und Flüchtlingshilfe von ihren Regierungen so ungleichmäßig unterstützt werden. Nicht erklären können wir uns die Summe von 130 Millionen Schilling, die von den USA cn die UNO überwiesen wurden; das sind bloß die Verpflegskosten von einem halben Jahr. Nicht erklären können wir uns überdies das Fehlen einer dem Nafionalraf vorzulegenden detaillierten Abrechnung und eines Flüchtlings- budgefs. Eine gleiche Rechenschaft wäre von allen anderen, an der Flüchtlingshilfe beteiligten Organisationen mindestens jeden Monat zu legen. Die Veröffentlichung der Ziffern vor aller Welt würde mehr bewirken als die periodischen

WIDERSPRUCHSVOLLE AUFLOCKERUNGS- VERSUCHE. In der Jänner-Ausgabe von „Arbeit und Wirtschaft", dem Diskussionsorgan des OeGB und des Arbeiterkammerfages, beschäftigte sich Kurt Hill mit dem neuerlich und verheißungsvoll gewandelten Verhältnis von Kirche und Sozialismus in Oesterreich. Der Verfasser verficht im Prinzip Gedankengänge, die ausweisen, daß der Sozialismus in Oesterreich bemüht ist, den christlichen und kirchlichen Anliegen in unserem Land mehr Verständnis entgegenzubringen. Zu den fairen Darstellungen des Verfassers steht freilich in einem gewissen Widerspruch, wenn er die Verurteilung gewisser Gruppen der französischen Arbeiterpriester durch Rom zum Anlaß einer nicht gerade sachlichen Kritik nimmt oder wenn er von einer „Expansion des politischen Klerikalismus’ u. a. in Oesterreich spricht. Vor allem würde uns interessieren, zu erfahren, was der Verfasser unter „Klerikalismus’ versteht. Ebenso ist das, was der Autor über den deutschen Gewerkschaftsstreit sagt, ein Beweis für eine mangelhafte Kenntnis der Tatsachen, die den Auseinandersetzungen um die Frage von Richtungsoder Einheitsgewerkschaften in der Bundesrepublik zugrunde liegen. Wann hat die deutsche katholische Kirche etwa den DGB abgelehnt, wo ist die Stellungnahme der Bischofskonferenz in Fulda, die man mit dem gleichsefzen könnte, was der Verfasser unter deutscher „Kirche’ versteht. Was heißt schon bei manchen Sozialisten alles „Kirche"I Man vermag nicht zu erkenen, daß gerade In sozialen Fragen eine Vielfalt von Meinungen im kirchlichen Raum möglich isf. ln der Gewerkschaftsfrage etwa gibt es derzeit in der Bundesrepublik nicht weniger als drei Richtungen, die innerhalb der Kirche stehen und offen ihren Standpunkt wahren. Wenn es in der Bundesrepublik so etwas wie Gewerkschaffsspalter gibt, dann sind es die Vertreter der Mehrheit, die den Nichtmarxisfen im DGB drastisch vor Augen führen wollen, daß sie bestenfalls Mit-Zahler sind, sich aber sonst der Diktatur der 51 Prozent zu beugen haben. Die Zeichen für eine Umkehrung des Verhältnisses von Kirche und Sozialismus mehren sich. In Oesterreich. Daher muß man alles registrieren, was geeignet erscheint, die Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen zu stören oder zu behindern. Wir denken da an gewisse Presseexzesse. Gleiches gilt etwa für die unverständliche Benachteiligung der Kirche durch sozialistische Verwaltungsorgane! Bischof Zauner erzählte vor einiger Zeit davon, daß das öffentliche Spital in Linz an die Millionen je Jahr an Zuschüssen erhalte Dem katholischen Saitai der Landn'hauatstadt aber gab man eine Silvesferspende (I). Artikel, wie der von

Kurt Hill, sind jedenfalls, trotz der widerspruchsvollen Gedankenführung, Anlaß, das Gespräch fortzuführen und zeigen, dafj heute nicht mehr die alte Kampfstellung „Hie Kirche hie Sozialismus” vorhanden ist, wobei der Sozialismus und seine Institutionen den Charakter einer Gegenkirche haften.

TSCHU EN-LAI IN BUDAPEST. Vieles ist noch um die Osteuropareise der chinesischen Regierungsspitze In Dunkel gehüllt. Feststeht allein, daß Moskau die Vermittlungsdienste des ost- astatischen Riesenreiehes im gegenwärtigen Zeitpunkt akzeptieren mußte, ja vielleicht auf sie angewiesen war, und daß China sich die Möglichkeit, in einen nicht nur für den Ostblock lebenswichtigen Vorgang aktiv einzugreifen und hierbei sogar mif der Auforifäf des älteren Bruders, der es schon längst besser wußte, aufzutreten, nicht entgehen lief). Bei näherem Zusehen kann man freilioh fesfstellen, dafj bei diesem Besuch in Budapest nur wenig von der Bedeutung des Anlasses zu merken war. Die Chinesen wurden in das Gästehaus der Regierung in der Nähe von Budapest gebracht, wo die politischen Gespräche stattfanden. Diese konnten kaum etwas Neues bringen, da ja kurz vorher Kadar und Tschu En-lai sich in Moskau bereits über die Grundzüge in der Beurteilung der ungarischen Lage, und zwar auf der Basis der Moskauer Lesart, einigen. Die Gäste hätten also Zeit gehabt, sich mit den wirklichen Verhältnissen in Ungarn vertraut zu machen, einen Besuch etwa den Arbeitern von Csepel abzustatten, die ja Tage vorher noch mit der Schußwaffe zur Räson gebracht werden mußten. Nichts davon geschah. Eine kommunistische Aktivistenversammlung in einem mittelgroßen Saal, ein Abendessen in geschlossenem Kreis und am nächsten Tag in der Früh um halb sieben Uhr die Unterzeichnung der gemeinsamen Erklärung füllten die Zeit aus bis zur Abreise, die unmittelbar nach dem Unfer- zeichnungsakt erfolgte. Die Bevölkerung von Budapest nahm von den seltenen Gästen überhaupt keine Notiz. Es wäre trotzdem falsch, die politische Bedeutung dieses Besuches zu unterschätzen. Im gemeinsamen chinesisch-ungarischen Kommunique wird trotz der Verbeugungen vor der Führungsrolle der Sowjetunion sehr deutlich auf die denkwürdige Erklärung der Sowjetregierung vom 30. Oktober hingewiesen, in der diese ihre Bereitschaft ausgedrückt hat, die Position sowjetischer Truppen in Polen, Ungarn und Rumänien zu überprüfen, damit „jede Möglichkeit einer Verletzung des Grundsatzes der Souveränität und der Gleichberechtigung vermieden’ wird. China stellte sich, so heißt es im Kommunique, mit allem Nachdruck hinter diese Erklärung der Sowjetunion. Im übrigen hätten die Beziehungen zwischen Ungarn und der Chinesischen Volksrepublik diesen Grundsatz nie verletzt... Dieser letzte Satz zeig! das Ausmaß des Verlustes an Autorität, den Moskau in Asien in den letzten Monaten erleiden mußte. Tschu En-lai war noch am selben Tag wieder in Moskau, und bald fuhr er nach Afghanisfan und Indien weiter. Die Welt, aber nicht bloß die Welt, ist wieder einmal kleiner geworden.

SPAREN AM FALSCHEN FLECK. Wenn sich in einem demokratischen Staatswesen die unbedingte Notwendigkeit ergeben hat, die Ausgaben der öffentlichen Hand zu kürzen, dann ist es in der Regel das Budget der bewaffneten Macht. So hat denn auch die neue britische Regierung angesichts der äußerst schwierigen Finanz- und Wirtschaftslage des Landes in erster Linie daran gedacht, an den Aufwendungen für militärische Zwecke zu sparen. Wia weit dabei ziffernmäßig gegangen werden soll, wird sich erst zeigen, wenn der Schatzkanzler, normalerweise in der zweiten Woche nach Ostern, seinen Voranschlag für das kommende Finanzjahr vorlegt. Schon jetzt aber wurden zwei Maßnahmen getroffen, die offenbar unterstreichen sollen, wie ernst es der Regierung mit ihrer Arbeit ist, den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen. Es wurde die Auflösung von zwanzig Staffeln der Auxiliary Air Force, also der Freiwilligenorganisation der Luftwaffe, und einer noch nichf näher bestimmten Zahl von Einheiten der Marineflieger verfügt, und gleichzeitig wurde bekanntgegeben, daß im heurigen Jahre keine Waffenübungen der Heeresreservisfen sfattfinden werden. Wie groß die Beträge sind, die man damit einzusparen hofft, wurde nichf gesagt, aber es ist klar, daß sie, gemessen an der Gesamtsumme der britischen Staatsausgaben, nicht mehr als eine Bagatelle darstellen können; und ebenso klar ist es, daß beide Maßnahmen nur von Köpfen ersonnen werden konnten, die eine sehr unzulängliche Vorstellung von grundlegenden militärischen Erfordernissen besitzen. Die freiwilligen „Wochenendpiloten" der Auxiliary Air Force, die unter oft großen persönlichen Opfern ihre freien Stunden und Tage dazu verwendet hatten, ein intensives Training als Jagd- und Erkundungsflieger zu absolvieren, erwarben sich in den schwersten Zeiten des zweiten Weltkrieges bei der Luftverteidigung der britischen Inseln Verdienste, die denen ihrer aktiven Kameraden keineswegs nachstanden. Diese Tatsache, wenn schon nicht der Gedanke an die Möglichkeit eines neuen Ernstfalles, hätte diese wirklich unzeitgemäße Maßnahme verhindern müssen.

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