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DIE „ENTSCHEIDENDE" SESSION. Im Vatikan, wo am 14. September die dritte Sitzungsperiode des Konzils eröffnet werden wird, gehen die Vorbereitungen fieberhaft weiter. Die ersten Bischöfe sind bereits in Rom eingetroffen, das Konzilspresseami gibt die Termine der ersten Pressekonferenzen bekannt und trifft die letzten Anordnungen, um den 1965 akkreditierten Konzilsjournalisten ihre Arbeit während der dritten Session zu erleichtern. Am Montag, dem 14. September, treten die Konzilsväter in der vatikanischen Basilika zur dritten Session zusammen. Schon viele Kommentatoren haben diese Session als die wichtigste des II. Vatikanums bezeichnet, die über dessen endgültige Bedeutung für die Kirchengeschichte entscheiden werde. Auch Papst Paul VI. hat von ihr gesagt, daß sie die „entscheidende” Session werden könnte. Worüber werden nun die Konzilsväter in dieser Session zu beraten haben? Als Papst Johannes am 11. Oktober 1962 das II. Vatikanische Konzil eröffnefe, lagen dem Konzil 70 Schemata vor. Sehr bald erwies es sich, dafj dies ein kaum zu bewältigendes Programm darstellte und so wurden die einzelnen Kommissionen aufgefordert, nach Möglichkeit die Vorlagen zu kürzen oder zu koordinieren. Als Papst Paul im Herbst die 2. Session eröffnefe, waren es noch 17 Schemata, die zur Beratung Vorlagen. Nun sind es noch 13, von denen jedoch nur ein Teil vollständig durchberaten werden soll. Als Kernstück der driften Session wurde das „Schema 17’ bezeichnet. Im Sommer wurde es in einer gemeinsamen Sitzung der theoloqischen Kommission und der Kommission für das Laienapostolat fertiggesfellf.

SÜDAMERIKA UND WIR. Die christlichsoziale Position hat sich verschoben. Deutlich. Und nicht nur hierzulande. Das Wort vom „zeitbedingten inneren Dilemma” der chrisflichdemo- kratischen Parteien — geprägt von Nationalratspräsident Dr. Malefa — erhellt blitzartig die Suche nach der neuen Position, die Unsicherheit, mit der sich in Österreich die Nachfolgerin der großen Christlichsozialen Partei von damals der Welt und ihren gewandelten Problemen stellt. „Sind die christlichsozialen Ideen, die vor acht Jahrzehnten gleich einem Gebirgsbach hoch oben in einem Felsen entsprungen, die einem Wasserfall ähnlich tosend zu Tal stürzten, hernach breiter, aber auch träger dahinflossen, viele Mühlen (oder ist es besser zu sagen: die Mühlen vieler) trieben, im Meer unserer entideologisierten Konsumgesellschaft aufgegangen?" „Die Furche”, fest wurzelnd in echter chrisflichsozialer Tradition, stellte vor nicht ganz einem Jahr diese Frage. Die Verbindung zwischen Südamerika

— zwischen Chile im besonderen — und der Anwtort auf diese Frage ist nicht konstruiert. Sie ist leichter zu finden, als Leitartikler und Zeitungsleser vielleicht annehmen: Denn das Programm, das der eben mit großer Mehrheit zum chilenischen Präsidenten gewählte Senator Frei bekannfgab, macht ihn durchaus nicht zum christlichdemokratischen Politiker europäischer Prägung. Hierzulande wäre Frei mit der odiosen Vorsilbe „links” verziert worden, so sehr unterscheiden sich seine Ansichten vom christlichdemokratischen Standpunkt der österreichischen sechziger Jahre. Und so bietet Chile dem Beobachter, der imstande ist, hinter die Kulissen politischer Tagesschlagwörfer zu blicken, das fesselnde Schauspiel einer chrisf- lichsozialen Aufbruchsphase.

ÜBEREINSTIMMUNG. Recht wenig Koalitionsliebe bezeugten die Sozialisten in den letzten Wochen und Monaten dem schwächlichen Kind im feldgrauen Rock, das sich an Überschuß koalitionselterlicher Liebe ohnehin nicht erfreuen kann. Die unfreundlichen Stimmen sozialistischer Politiker über das Bundesheer begannen sich zu mehren, je mehr die Festsetzung des Stückes vom Kuchen des Staatshaushaltes in die Nähe rückte. Im Gegensatz zu diesen zahlreichen Stimmen bekannte sich Außenminister Dr. Kreisky eindeutig zur österreichischen Landesverteidigung: es gehöre zu den Grundsätzen der Neutralität, daß der Staat auch bereit sein müßte, seine Neutralität zu schützen. Heute sei man noch nicht so weit, dafj die Nachbarstaaten zu einer totalen Abrüstung bereit wären. Wenn sich Österreich auch nicht gegen den Anqriff eines grofjen Staates wehren könne, so sollten doch andere Staaten nicht durch Österreichs Wehrlosigkeit zu einer gefährlichen Aktivität an seinen Grenzen eingeladen werden. Wenn es Mißverständnisse und Unklarheiten gebe, so solle man sie in offener Diskussion austragen. Die Landesverteidigung dürfe nicht Sache einer Partei, sie müsse Sache des ganzen Volkes sein, betonte der Außenminister schließlich. Und erinnerte seine Par teifreunde damit an die Verpflichtung, die Österreich zusammen mit seiner Neutralität übernommen hat. Gewiß, der der Bundesregierung vorgelegte Verteidigungsberichf deckte viele Schwächer) unserer Verteidigung auf. Doch ebenso wie die Außenpolitik ist die Verteidigung Sache des ganzen Volkes. Und eine aktive Außenpolitik ist ohne feste Landesverteidigung nicht denkbar, ja einfach nicht einmal möglich!

MAKABRE BEGLEITMUSIK. Von den Bergen Südtirols widerhallende MG- Salven bilden die Begleitmusik zu den Gesprächen zwischen den Außenministern Österreichs und Italiens. Ein erschossener Karabiniere war das erste Opfer dieses urplötzlich aufgeflammten Partisanenkrieges im Gebirge, zu dessen Durchführung die Italiener eine ansehnliche Heeresmacht zusammengezogen haben, die denn auch gleich kriegsmäßig gegen die Bevölkerung vorging und mehr als dreihundert Männer einiger Südtiroler Dörfer verhaftete — allerdings illegal, ohne Verhängung des Ausnahmezustandes oder ähnlicher Maßnahmen. Etliche Todesopfer hat nun dieser unterirdische Krieg schon gefordert, ein Krieg, der — wie seine Führer immer wieder versicherten — nach dem Muster des Befreiungskampfes der Insel Zypern geführt werden sollte: ein inzwischen frevelhaft gewordener Vergleich! Der tote Karabiniere, sein österreichischer Kollege, der beim Sprengstoffanschlag von Ebensee ums Leben gekommene Gendarmeriebeamfe, der Straßeneinräumer Postal, der von einer Bombe im Unterland zerrissen wurde, jene Südtiroler, die in den Gefängnissen starben, und schließlich auch der erschossene Luis Amplafz — eine lange Reihe von Toten, die wegen dieses ungelösten mitteleuropäischen Problems ihr Leben ließen. Die beiden Außenminister allerdings zeigten sich nach Konferenzende durchaus ooti- mistisch. Wenn sich ein italienisches Kabinett aus dem nationalistischen Teufelskreis, der bisher eine alück- liche Lösung verhinderte, befreien kann, dann das Kabinett Aldo Moro. Und so könnte die Genfer Konferenz die letzte gewesen sein, bevor es zu einer echten Befriedung kommt.

CHINA „HILFT DEN IMPERIALISTEN”. „Die chinesischen Führer ermuntern die imperialistischen Aggressoren zu neuen Abenteuern und helfen ihnen im Kampf gegen die revolutionären Kräfte." In einer Fernsehrede, die über „Intervision" im gesamten Ostblock ausgesfrchlt wurde, erhob Ministerpräsident Chruschtschow diesen Vorwurf gegen Peking. Die Rede, in der Chruschtschow auch auf seinen Aufenthalt in der Tschechoslowakei zu sprechen kam, warf den Rotchinesen vor, die Imperialisten in ihrer Hoffnung auf eine Spaltung des kommunistischen Lagers zu bestärken. Die Verschärfung, die der ideologische Konflikt zwischen Moskcu und Peking angenommen hat, drückt sich vor allem in den großen Gebiefsforde- rungen aus, die China plötzlich an Rußland stellt. Gebietsforderungen als Waffe des politischen Kampfes — die Möglichkeit, daß aus dem theo- retisierend-ideologischen Konflikt über Nacht eine heiße Auseinandersetzung werden könnte, ist erheblich gestiegen. Westliche Berichterstatter in Moskau vermerken jedenfalls, daß die Veröffentlichung der chinesischen Ansprüche auf sowjetisches Territorium in der Presse eine überaus heftige Reaktion in der Öffentlichkeit hervorgerufen habe. Die öffentliche Meinunq decke sich durchaus mit den ungewöhnlich scharfen Angriffen der russischen Zeitungen qegen China. Studenten der „political science haben es jetzt leicht: Wie ein Modellfall entwickelt sich diese Auseinandersetzung. Programmaemäß wurden jetzt auch Presse und öffentliche Meinung einaeschaltet.

DER „PATRIARCH" GREIFT EIN. Der Kaiser von Äthiopien, Haile Selassie, haf sich wieder einmal seiner selbsf- gewählfen Rolle als „Patriarch", als Vater aller jungen afrikanischen Völker und Staaten, erinnert: die eben qebildefe Geaenregierung von Stanleyville, die Regierung der „Volksrepublik Kongo”, verlangte von der „Organisation afrikanischer Staaten’ ihre sofortige Anerkennung. Dies verhinderte Haile Selassie, der in dieser Organisation den Vorsitz führt. Durch diese Verhinderung war es immerhin möglich, einen Kompromißvorschlag für eine rasche Lösung der Kongokrise auszuarbeiten. Der Kongo brennt indessen weiter: auf dem Gebiet, das im Augenblick von der prokommunistischen Regierung von Stanleyville beherrscht wird, werden Menschen verfolgt, Missionen niederge- brannt, Geistliche und Klosterschwestern ermordet. Die Verweigerung der Anerkennung des Regimes von Stanleyville wird helfen, dort den Frieden herzustellen.

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