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Randbemerkungen zur woche

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DER PERSONENWECHSEL AN DER SPITZE DES WIENER AUSWÄRTIGEN AMTES nimmt seinen geordneten Verlauf. Daß Dr. Karl Gruber mit seiner Demission ein offenes Bekenntnis verband, trug in die unerireuliche Affäre ein achtenswertes ausgleichendes Element. Als Merkwürdgkeit ist zu notieren, daß sich einzelne sozialistische Stimmen in heiliger Parteinahme für den demissionierten Minister gemeldet haben. In Wiener diplomatischen Kreisen hat der Entschluß Dr. Grubers, sein Amt niederzulegen, eine verständnisvolle Aufnahme gefunden. Die Vorsorge für die künftige Führung der auswärtigen Angelegenheiten wird sicherlich in einer Weise erfolgen, die unzweideutig die Kontinuität der österreichischen Politik bekunden wird, die schon in den auswärtigen Staatsbesuchen des Kanzlers Figl bezeugt wurde und Vertrauen gewonnen hat.

EINE GUTE BOTSCHAFT sandte die Vorarlberger Landesregierung, als sie nach Wien mitteilte, daß sie den Bundesminister Dr. Kolb von der Verbindlichkeit enthebe, in nächster Zeit zur Uebernahme des Dienstes als Stellvertreter des Landeshauptmannes Hg in die Heimat zu kommen. Das Verbleiben Dr. Kolbs, dieses zumal gegenwärtig in den obschweben-den Aulgaben seines Ministeriums kaum ersetzbaren Mannes, verheißt die geradlinige Fortsetzung der von einem festen zielbewußten Willen bestimmten Führung dieses Amtes, in dessen oberste Hut und Verantwortung das Wesen der österreichischen Kultur gestellt is*. Ihm fällt jetzt im besonderen Maße die Förderung der in Fluß geratenen Bemühungen der Koalitionsparteien zu, einvernehmlich eine Entlastung unseres öffentlichen Lebens von kulturpolitischen Problemen anzunähern, die im Gemeininteresse endlich weggeräumt gehören. — Es ist aller Ehren wert, daß man auch in diesem Falle in Vorarlberg die allgemeine gesamtösterreichische über die Landessache gestellt hat.

DER BUNDESJUGENDRING, dessen Gründung „Die Furche“ ausdrücklich begrüßt hat, wird demnächst seihe Arbeit aufnehmen, Vertreter der auf dem Boden der Oesterreichischen Volkspattei stehenden Oesterreichischen Jugendbewegung werden sich mit Jungsozialisien an einen Tisch setzen. Wortführer der katholischen und der evangelischen Jugend werden sie hier erwarten. Die Gewerkschafts-jugend wird ebenso vertreten sein wie die Piadfinder. Und doch scheint uns der „Ring“ noch nicht geschlossen. Wir vermissen in ihm Delegierte der studentischen Jugend, Vertreter jener Studentenorganisationen, deren demokratische und österreichische Gesinnung — mit Recht eine Voraussetzung lür die Aufnahme jeder Organisation in den Bundes-jugendring — außer Zweifel steht. Gegen ihre Aulnahme soll es gerade von seilen der politischen Jugendorganisationen, gleichgültig welchen Couleurs, Widerstände geben. Merkwürdig. Denn das Argument, daß Iß-oder 20jährige Studenten nicht mehr in den Sektor „Jugend“ gehören, klingt gerade aus dem Mund von Jugendlührern, die den Dreißiger schon hinter sich haben und auf das vierzigste Lebensjahr zumarschieren, nicht gerade überzeugend. Gewiß wären Studenten zur Zeit der „Jugendbewegung“ klassischen Stils mit Wandern, Zelten und Lagerfeuern sich in diesem Rahmen etwas deplaciert vorgekommen. AHein die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen auch Stil und Form der Jugendorganisationen. Diese erlassen heule in der Praxis junge Menschen bis weit über die Grenze von 18 Jahren, sie vereinigen vielfach die alten Agenden der „Jugendpflege“ mit denen geistiger, religiöser oder politischer Schulung der nachrückenden .jungen Generation“. Einst klagte man oder entrüstete sich — je nach Temperament oder politischer Vorstellung — über den „Kastengeist“, über die Abschließung der jungen Akademiker von den anderen Schichten und Klassen des Volkes. Vorbei die Zeit. Heute ist es beinahe umgekehrt. Die studentischen Organisationen klopfen an die Tür des Beratungszimmers des „Bundesjugend-ringes“, und bis heute wurde sie ihnen noch nicht aufgemacht.

GEGE'N DIE DEMONSTRATIONEN VON JUGENDLICHEN, wie sie Triest und die italienischen Städte in den letzten Wochen erlebten, als „ein ungeeignetes Mittel im politischen und nationalen Kampf“, wendet sich in einem ebenso objektiven wie mutigen Artikel das Sprachrohr der Südtiroler, „Die Dolomiten“:

„Da unsere Erinnerungen fast Dreivierteljahrhundert zurückgehen, haben wir noch die Rufe italienischer Demonstranten: ,Trento e Trieste', .Trieste o nulla' und ähnliche gehört. Wir waren auch persönlich Zeugen von den Schüssen, die genau vor 49 Jahren (3. November 1904) italienische Studenten in die angesammelte Innsbrucker Bevölkerung fallen ließen, an dem Tage, da das alte Oesterreich der italienischsprachigen Jugend des Habsburgerreiches eine eigene italienische Rechtsfakultät an der Innsbrucker Universität gegeben hat.

Wir haben uns damals dagegen gewandt, daß die Reaktion auf jene verhängnisvollen Schüsse gewalttätige Formen annehme. Wir haben aber auch damals schon — aus leid-voller Erfahrung — erkannt, daß eines der ungeeignetsten Mittel im politischen und nationalen Kampf Demonstrationen von Jugendlichen sind. Wir halten uns daher auch aus diesem Grunde dazu berechtigt, davor zu. warnen, daß man dieses tragwürdige Kampimittel heute — ein halbes Jahrhundert später — wiederum in Anwendung bringt. Nicht etwa wegen der feindseligen Rule, die durch Bozens Straßen ziehende demonstrierende Schulkinder dabei gegen unser Blatt ausstießen. Nein, wir denken in diesem Fall gar nicht an uns, wohl aber halten wir es iür notwendig, unsere Stimmen zu erheben gegen einen aus einer Zeit, die endgültig und weit hinter uns liegen sollte, übernommenen Versuch, noch nicht zur Reite gelangte Jugend wiederum in den politischen Kampf einzusetzen. Nein, die Straßenkundgebungen der Irredenta vor 50 Jahren können nicht Vorbilder sein iür eine Zeit, die an den Folgen der zwei schrecklichsten Kriege der Weltgeschichte erkennen mußte, daß der Nationalismus der gefährlichste Feind des Friedens und des Wohlergehens der Völker ist“

Erkenntnisse, geschöpft im alten Oesterreich, die nicht nur in Deutsch und Italienisch, sondern in allen Sprachen weiterverbreitet gehören!

IN MOSKAU UND IN BUDAPEST wurden zwei Reden gehalten. Dort sprach der Sowjethandelsminister Mikojan, hier der ungarische Regierungschef Nagy. Das Thema war ein und dasselbe: Handel und Landwirtschalt. Fassen wir das Wichtigste von ihnen zusammen: sie hätten wegen ihrer bisher unbekannten Offenheit viel mehr Beachtung verdient, als sie ihnen bisher zuteil wurde Mikojan kritisierte scharf die bisher angewendeten bürokratischen Methoden und darüber hinaus stillschweigend das gesamte staatliche System des Sowjethandels, indem er zum Studium der westlichen Handelsmethoden aulrief. Er wies auf die Lehren hin, die der Kapitalismus mit der Konkurrenz und mit der Schwierigkeit des Verkaufes macht. Produzieren ist nur eine Hälfte der Lösung, meinte er. Er stellte wesentliche qualitative und quantitative Besserungen in der Versorgung der Bevölkerung in Aussicht. Noch viel schärfer sprach der ungarische Ministerpräsident Nagy, zu dessen Privilegien es anscheinend gehört, einen Ton zu führen, den man in den Oststaaten bisher nicht gekannt hat. Er stellte fest, obzwar die landwirtschaftlichen Methoden des feudalen Großgrundbesitzes auf niedriger, primitiver Stufe gestanden waren, hätte sich das Niveau in den heutigen „sozialistischen Großbetrieben“ auch nicht erhöht. Am schlimmsten steht es mit dem Brotgetreide. Falsche, ausbeuterische Bodennutzung — v/ährend die frühere Regierung „Phantasieplänen“ nachgelaufen war. Der Tierbestand ist gewachsen, doch der Ertrag an Milch und Fleisch bleibt hinter dem der Vorkriegszeit zurück. Das Durchschnittsgewicht der Mastschweine ist heute 25 bis 30 Kilogramm geringer als vor dem Krieg. Neben der alten reaktionären Bodenkultur existierte schon damals eine sehr fortschrittliche Agrar-wissenschalt. Heute können die Wissenschaftler und Techniker die Probleme nicht nur nicht lösen, sondern nicht einmal erkennen. Er gab ihnen den Auftrag, einen umfassenden, aber streng realistischen Plan auszuarbeiten, den die Gesetzgebung bald in Angriff nehmen könne. Im Westen hat man sich angewöhnt, die „östliche Geiahr“ vorwiegend unter ihren militärischen Aspekten zu betrachten. Im Osten hingegen spricht man immer mehr vom Iriedlichen, lies wirtschaftlichen Wettkampf. Vorsicht, also auch auf diesem Abschnitt ein und derselben Front ...

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