6662614-1960_16_05.jpg
Digital In Arbeit

Die zweite Linie

Werbung
Werbung
Werbung

Es war im April 1945. Die letzten Schüsse der „Schlacht um Wien“ waren verhallt, da versammelten sich in der Laudongasse Männer, die der Aufruf Marschall Tolbuchins ermutigt hatte, an die Gründung einer großen christlichdemokratischen Volkspartei zu denken. Mitten unter den Erschienenen, denen die Entbehrungen des Krieges und die Leiden jahrelanger politischer Verfolgung ins Gesicht geschrieben waren, saß auch der Nestor der christlichen Arbeiterschaft Österreichs, Leopold Kunschak. Er war der Einladende, er führte den Altersvorsitz. Als die von drückenden Sorgen wie von hochfliegenden Hoffnungen in gleicher Weise getragenen Gespräche sich ihrem Ende näherten und man daranging, zu erörtern, wer welches Amt übernehmen, wer in diese oder jene führende politische Position einrücken sollte, nahm der in vielen politischen Kämpfen grau und weise gewordene Kunschak das Wort. Seine Ausführungen waren kurz, klar und eindeutig. Sie gipfelten in der Feststellung: „Meine Herren, wer heute in der Politik eine führende Rolle annimmt, muß bereit sein, diese in kurzer Zeit in die Hände der nachrückenden Generation zu übergeben.“

*

Die Männer aus der Laudongasse gingen auseinander. Sie widmeten sich dem politischen und wirtschaftlichen Aufbau Österreichs. Andere stießen zu ihnen. Sie alle taten ihr Bestes. Auf eines aber vergaßen sie sehr bald: auf die Worte, die Leopold Kunschak ihnen in jener Geburtsstunde der Partei als Mahnung mit auf den Weg gegeben hatte. Beinahe 15 Jahre später muß man an sie denken. Besteht doch das, was man in den letzten Monaten sooft die Krise der Österreichischen Volkspartei genannt hat, vor allem in einem Mangel profilierter Persönlichkeiten, die bei der nunmehr zwangsläufig werdenden Ablöse der Generationen als Reserve fehlen. Die Ausbildung einer zweiten Linie hinter der vordersten politischen Front wurde als eine höchst überflüssige, vielleicht sogar gefährliche Angelegenheit betrachtet und durch Jahre zurückgestellt. Wie leicht könnte es sich doch herausstellen, daß dieser oder jener Mann aus dem zweiten Glied gebildeter, fähiger und auch durchschlagskräf'tiger sein könnte als jemand, der schon seit Jahren oder sogar mehr als ein Jahrzehnt dem mörderischen Abnützungsprozeß der Tagespolitik ausgesetzt ist? Das mußte verhindert werden. Nicht immer geschah dies in der schönen eindeutigen Offenheit, mit der ein gar nicht so niedriger Funktionär einen katholischen Akademiker, von dessen politischen Interessen und Ambitionen er wußte, belehrte: „Schaun S', Herr Doktor, die Krippe hat nur für wenige Platz. Von uns geht keiner weg... Deshalb wollen wir Sie nicht...“

Das Ergebnis: die fortschreitende Abstinenz oft der besten und aktivsten Kräfte von der Politik, ihr einseitiges Engagement im Berufsleben, in der Welt der Wirtschaft und der Kultur. Hier hat sich die „zweite Linie“ — wir meinen vor allem die durch das Erlebnis des Krieges und der Jahre der Gewalt früh gereifte Generation der heute Dreißigjährigen bis „Mittvierziger“ — nicht nur bewährt, hier gibt sie in nicht wenigen Zweigen bereits den Ton an. Auf der Ebene der Politik — und wir blicken hier wieder vor allem auf die Volkspartei, deren Zukunft uns nicht gleichgültig sein kann — erlebten wir doch gerade das Gegenteil. Statt eines organischen Ablösungsprozesses, in dem der Ältere dem Jüngeren mit einem Seufzer der Erleichterung die Bürde weitergibt, wurden wir oft Zeugen jenes unerquicklichen „Ringelspiels“ bei der Besetzung hoher und weniger hoher Funktionen. Der Vorgänger wurde mitunter der Nachfolger, Männer, die vor Jahren aus einem Regierungsamt bereits ausschieden, präsentierten sich nicht selten als „politischer Nachwuchs“.

*

Wird dies noch anders werden? Einige Wortmeldungen des neuen Generalsekretärs der ÖVP gerade in diesen Tagen lassen die Hoffnung reifen, daß die Volkspartei gerade in Zukunft mehr tut, um der nachrückenden Generation eine politische Heimstatt und Tribüne zu geben. Dazu wird es allerdings mehr bedürfen als platonischer Liebesbeteuerungen an die Adresse der Jungen. Die Nachricht aus dem gar nicht so fernen München, wo soeben ein 34jähriger Dr. juris als Kandidat der Sozialisten einen alten „Routinier“ des politischen Geschäfts, wie den „Ochsensepp“, in offener Feldschlacht besiegt hat, sollte zeigen, daß die Zeit zu entscheidenden Weichenstellungen gekommen ist.

Dreifach wurde die Österreichische Volkspartei in den nun vergangenen 15 Jahren mit der nachrückenden Generation konfrontiert. Ein Rückblick ergibt, daß sie von keiner dieser Konfrontationen für die Zukunft Nutzen zu ziehen verstand.

Da ist zunächst die offizielle Parteijugend, die Österreichische Jugendbewegung, zu nennen. Als Österreichischer Jugendbund 1945 gegründet, war sie zunächst, wie übrigens jede Parteijugend, noch stark von Begriffen und Vorstellungen der politischen Jugendorganisationen von 193 8 geprägt. Heimabende, Fahrten, Lager, dazu ein grünes Hemd: der Versuch, eine von der Begriffswelt der klassischen Jugendbewegung geprägte Organisation mit'einem weitverzweigten, straff organisierten' Netz von Gruppen aufzubauen, scheiterte bald an der neuen Gegenwart. Seither litt die „Österreichische Jugendbewegung“ an einer unheilvollen Zwitterstellung. Sie wollte die an manchen Orten tatsächlich aufgebauten Jugendgruppen halten und gleichzeitig ihre Organisation zu einer politischen Nachwuchsorganisation, etwa ähnlich der „Jungen Union“ in der Deutschen Bundesrepublik, ausbauen. Zwei grundverschiedene Aufgaben, die einfach nicht unter einen Hut zu bringen waren. Unnötige Reibereien mit der katholischen Jugend kamen hinzu. Zuletzt setzte ein innerer Zersetzungsprozeß ein, dem unlängst der langjährige Bundesobmann der ÖJB, Karl Haider, durch seine Demission Rechnung trug. Was war geschehen? Ein anständiger Mann war einer unmöglichen Konstruktion zum Opfer gefallen — und der Verständnislosigkeit der führenden Instanzen. Man kann nämlich nicht sagen, daß die Parteiführung viele Kraftanstrengungen unternommen hätte, um hier eine rechtzeitige Sanierung durchzuführen. Genau das Gegenteil war der Fall: diese jungen Leute sollten nur im eigenen Saft schmoren . . . „Feldherren ohne Heere“ hatte man — wenn man sich auch über sie belustigte — gar nicht ungern. Das Ergebnis ist ein netter kleiner Trümmerhaufen.

*

Ein zweites Experiment wurde mit größerem Elan gestartet — und nach kurzer Zeit entschieden abgeblasen. Es war dies die „Junge Fron t“, die vor zehn, Jahren einiges von sich reden machte. Für einen Augenblick schien es so, als hätte die Partei hier ihre politische Nachwuchsorganisation gefunden. Doch sehr bald stellte es sich heraus, daß die Väter der „Jungen Front“ in der Partei ihr den Todeskeim mit auf ihr kurzes Erdendasein gegeben hatten. Als die „Junge Front“ ihre Aktivität begann, standen die Wahlen 1949 vor der Türe. Der VdU erlebte seine kurze Blüte und viele „Registrierte“ schritten das erstemal zur Urne. Was von vielen als Tribüne der Jungen in der Volkspartei begrüßt wurde, war in den Augen mancher Parteistrategen nur als ein „Flankenschutz nach rechts“ (Motto: Wir haben unseren kleinen VdU in der ÖVP) gedacht. Man kann nicht sagen, daß der Führer dieser Gruppe, Dr. Ernst Strachwitz — er hätte in der Ersten Republik soziologisch und seiner politischen Ideenwelt nach einen prächtigen steirischen Heimwehrführer abgegeben —, seinerseits ernste Anstrengungen unternahm, um diese einseitige Ausrichtung zu korrigieren. Im Gegenteil. So kam es bald zu inneren Spannungen. Es war verständlich, daß ein nicht geringer Teil jener, die dem Ruf zur Sammlung der jungen Generation in der Volkspartei freudig gefolgt waren, deren Verpflichtung auf eine nationale Linie und auf den oft zitierten „Frontgeist* nicht mitmachen wollten. Eine schöne Idee zerbrach — schon bevor die damals neue Parteiführung dem ganzen Experiment ein Ende machte. Man kann nicht sagen, daß sie dies mit allzu großem Bedauern tat.

-Ein drittes Experiment wurde gar nicht begonnen:' nämlich aus den Kadern der jähr-lieh sich ergänzenden christlich-demokratischen hochschulpolitischen Verbänden, die in der „Union österreichischer Akademiker“ einen Dachverband gefunden haben, für die personelle Regeneration der Partei Nutzen zu ziehen. Dabei hat sich gerade hier seit 1945 ein Korps jüngerer, an politischen Fragen interessierter Menschen gebildet, die, allein auf sich gestellt, etwas zuwege gebracht haben, was „alten Semestern“ als ein Wunder erscheint: die Mehrheit unter den Studenten der österreichischen Hochschulen für eine christ* liehe und betont österreichische Haltung zu gewinnen — und, ohne Abstriche von diesem Programm zu machen, seit 15 Jahren zu halten. *

Der Graben zwischen der jungen Generation — vielleicht sollte man inzwischen korrekter sagen: den jungen Generationen, hat sich doch hinter der „Kriegsgeneration“ der Dreißig-bis Vierzigjährigen in breiter Front die wieder ganz anders geartete „Nachkriegsgeneration“ entwickelt — ist breit geworden. Was natürlich nicht heißen soll, daß es nicht einzelnen Personen auf den Steigleitern des Apparats gelungen ist, über ihn hinüberzusetzen. Allein, es geht um etwas anderes: um das „Heimat-gefühl“ und das „Heimatrecht“ ganzer Jahrgänge für und in der Volkspartei.

Nun gibt sich die Partei einen Ruck. Treffliche Worte hat — wie schon erwähnt — Generalsekretär Dr. Withalm gefunden: Die ÖVP brauche einen ständigen Nachschub an ideeller Gesinnung, die ihr nur junge Menschen bieten könnten, die ungelösten Problemen noch nicht mit Resignation oder Zynismus gegenüberstehen; die Partei müsse den jungen Menschen die Chance geben, mit ihrer Begeisterungsfähigkeit und ihrer Überzeugung wenigstens zu einem Stehplatz im politischen Leben zu kommen. — Wozu wir bemerken: Ein Stehplatz ist zuwenig, das hieße nur, ein altes Übel auf schön frisieren. Richtig führte Dr. Withalm weiter aus: Die Außenfront des Parteigebäudes müsse für die Jugend attraktiver werden; wir setzen hinzu: auch der Innenraum muß erhellt, gereinigt und ausgebaut werden.

Nun, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer; vielleicht beginnt doch ein Frühlingserwachen, das allerdings die ganze Partei ergreifen müßte, nicht nur einige gutwillige und wohlmeinende Männer an der Spitze.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung