6668583-1960_49_01.jpg
Digital In Arbeit

Rechts gegen links?

Werbung
Werbung
Werbung

Lustlos und von der Öffentlichkeit nicht gerade mit Spannung verfolgt, plätschert die Budgetdebatte im Nationalrat. Wie wäre es auch anders zu erwarten gewesen. Nach dem Theaterdonner der Regierungskrise hat das Interesse breiter Kreise am politischen Geschehen wieder merklich nachgelassen. Wir sind noch einmal davongekommen. In der vom Drama zum Idyll sich rasch rückverwandelten politischen Landschaft stören nur die Nachrichten, die sporadisch aus dem Finanzministerium kommen, und wer mit etwas Voraussicht die Lawine der erhöhten Tarife und steigenden Preise, die das Jahr 1961 verspricht, unaufhaltsam auf uns zukommen sieht, dem wird gelegentlich schwarz vor den Augen.

In dieser nicht gerade erfreulichen Situation klingen scharfe Signale an unsere Ohren. Kaum ist eine Woche vergangen, seit in Salzburg aus Ministermund den Österreichern das Gruseln gelehrt wurde: ihr Land sei von allen freien Staaten auf dem Weg zur Volksdemokratie am weitesten fortgeschritten. Nur ein kleiner Ruck, und es sei so weit. In diesen Tagen wiederum trat der Landeshauptmann der Steiermark in kurzer Folge zweimal an das Rednerpult, um der ehebaldigen Auflösung der großen Koalition und dem Übergang zur Mehrheitsdemokratie nach englischem Vorbild das Wort zu reden. Diese wäre die alleinige Medizin für die Gesundung der Volkspartei. Das unschöne, propagandistisch aber wirksame Wort von der Koalition als „Krepierhalfter der ÖVP“ macht erneut die Runde. Männer in den Hinterrängen der ersten Regierungspartei, seit langem begierig nach neuen Parolen, nehmen diese bedenkenlos auf. Im politischen Vorfeld aber ist man mit Interpretationen bereits sehr frei-giebig. Parteien als weltanschauliche und politische Gesinnungsgemeinschaften seien uninteressant. Die einzige wahre Frontstellung heiße: rechts gegen links. In dieses Gedankenschema paßt es auch, daß großzügig die Stimmen von Volkspartei und Freiheitlichen zusammen addiert werden, während man auf der anderen Seite Sozialisten und Kommunisten auf einen Leisten schlägt. Das nichtkollektivistische und das kollektivistische Lager heißen die neuen Firmen. Rechts gegen links: so einfach sei die Welt!

Hier heißt es doch ein wenig innehalten, be-voii man angesichts der neuen Perspektiven schwindlig wird.

Das Erfreuliche zunächst: Im öffentlichen Leben stehende Männer beginnen über den Zaun ihres engeren Arbeitsgebietes zu blicken. Sie machen sich Gedanken über den Staat und seine Zukunft. Sie hausen sich nicht ein in regionale oder ressortbedingte Selbstgenügsamkeit. Das zeugt von Verantwortungsfreudigkeit. Wenn noch dazu ein Mann von dem Ansehen und der persönlichen Integrität wie Landeshauptmann Krainer das Wort nimmt, so ziemt es sich wohl, sich mit ihm in aller Wertschätzung und Freimütigkeit — eines bedingt das andere — auseinanderzusetzen.

Zwei Dinge stehen zur Diskussion: die Koalition und die Zukunft der Volkspartei. Für Landeshauptmann Krainer hängt das eine vom anderen ab. Nach diesen Vorstellungen erstickt sozusagen die Volkspartei in der Umarmung des Koalitionspartners. Ohne Lösung aus derselben auch keine bessere Zukunft für die Volkspartei. Vielleicht wäre es aber doch besser, beide Fragen einmal auseinanderzuhalten. Da ist einmal die Koalition. Sie ist bestimmt kein Dogma, kein politisches und ein religiöses schon gar nicht. Sie war eine Leidensgemeinschaft in den bitteren Jahren vor 1945, sie wurde eine Kampfgemeinschaft in den Jahren zwischen Befreiung und Freiheit, sie wandelte sich schließlich nach 1945 zu einer nüchternen Arbeitsgemeinschaft, die trotz der nicht zu übersehenden Schatten für die österreichische Bevölkerung — das verdient wohl die Gerechtigkeit, festzuhalten — größere und bessere Früchte getragen hat als so vieles, was vorher war. Nun ächzt der Karren. Rappe und Rotfuchs ziehen zu oft in verschiedene Richtungen. Was läge näher, als einmal anzuhalten, einen von ihnen auszuspannen und ein wenig in den Stall zu stellen, während es mit dem anderen munter weiterginge?

In den nüchternen Worten der Politik: Abschied von der Koalition also und Übergang zur Mehrheitsdemokratie nach englischem Vorbild. So ähnlich hat es Landeshauptmann Krainer auch gesagt. Zugegeben: diese Vision hat ohne Zweifel ihre Anziehungskraft, und vieles, ja beinahe alles spricht, wenn wir in den Gefilden der politischen Theorie bleiben, für sie. Aber herabgeholt auf unsere österreichische Erde? Hier wächst kein englischer Rasen. Wir haben auch kein Wahlgesetz, das einer der beiden großen Parteien eine klare Führung über alle anderen im Parlament vertretenen Gruppen gibt. Und im österreichischen Parlament sind ihrer zur Zeit drei. Wo drei Parteien aber mit im Spiel sind, wird es mit der Mehrheitsdemokratie schon etwas komplizierter — und zugleich auch dubioser. Heraus aus der Koalition — hinein in die Koalition: müßte also ehrlicher die neue Parole heißen. Heraus aus der Zusammenarbeit mit den Sozialisten, hinüber zu Absprachen und Arbeitsübereinkommen mit dem zur Zeit in der Freiheitlichen Partei formierten nationalliberalen Lager. Wir wollen uns nicht verhehlen, daß es in Österreich Kreise gibt, die hauptsächlich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten orientiert, einer solchen „Bürgerblock“-Politik offene Sympathien entgegenbringen. Wir haben aber, seit dieses Blatt besteht, nie einen Zweifel gelassen, daß wir als Katholiken und Österreicher einer solchen Kombination nie unsere Unterstützung geben können, ja daß wir sie als für dieses Land verderblich ablehnen. Als Katholiken muß uns vor allem an der Erhaltung und Ausbreitung jenes neuen Klimas gelegen sein, das heute zwischen Kirche und Arbeiterschaft herrscht. „Der Kulturkampf findet nicht statt“, so der zutreffende Titel über dem einschlägigen Kapitel eines bemerkenswerten Buches, das in diesen Wochen erschienen ist. Auch ist es nicht vergessen, welche Partei im Parlament erst vor gar nicht so langer Zeit als einzige gegen die ersten Durchführungsgesetze des Konkordats gestimmt hat. Der Katholik wird also skeptisch sein, wenn man ihm „zur Rettung der heiligsten Güter“, die sich rasch als sehr zeitliche Güter herausstellen, ein Einschwenken in eine solche Kombination nahelegen möchte. Der Österreicher aber, dem dieses Land mehr ist als nur ein „Bundeslustverteiler“ oder bestenfalls jene „Heimat“, die möglichst schnell in ein größeres Europa eingemeindet werden soll, dürfte sich für ähnliche Gedanken noch weniger begeistern.

Wollen wir wirklich wieder rechts gegen links? Wünschen wir den großen Graben mitten durch unser Volk, der den demokratischen Sozialismus ebenso zwangsläufig einer verstärkten kommunistischen Agitation und Infiltration öffnet, wie er die Volkspartei binnen kurzem zur Gefangenen jener Kräfte machen müßte, die sich heute etwa in den Turner- und Kameradschaftsbünden herumtummeln und die diesem Land und seinen Menschen stets nur Unheil gebracht haben? Die Vision von der Mehrheitsdemokratie nach englischem Vorbild in Österreich verblaßt. Was zurückbleibt, ist der Ausblick auf eine wenig schöne Landschaft. Schließen wir das Fenster.

Soll alles also bleiben, wie es ist? Bleibt der Volkspartei nichts anderes übrig, als im Banne ihres agilen Koalitionspartners ihr Schicksal zu erwarten, das für manche gleichbedeutend ist mit der Niederlage bei den nächsten Wahlen, für andere sogar mit der inneren Aufspaltung einen Tag nach denselben? Wir möchten uns verwahren, unsere Ausführungen in dieser Richtung ausgelegt zu bekommen.

Eine Lektüre der „Furche“ zeigt seit Jahren, daß hier keine Anhänger der „Ruhe um jeden Preis“ zu Hause sind. Allein, nicht der ist der wahre Freund, der einem Kranken die Angst vor dem Tod mit dem Rat zum Selbstmord nehmen will. Das aber tut jene „neue Rechte“ in und um die Volkspartei, die hinter dem breiten Rücken von Landeshauptmann Krainer, von diesem selbst wohl gar nicht so bemerkt, in Bereitstellung geht. Aggressionen nach außen waren noch zu keiner Zeit eine Ablenkung von innerpolitischen Schwierigkeiten. Kraftakte gegen die Koalition sind kein Ersatz für die Nichtbewältigung der Hindernisse, die einer echten Regeneration der Volkspartei hemmend entgegenstehen. Noch hat diese Partei aber starke Wurzeln, aus denen sie — schneidet sie sie nicht selbst ab — jederzeit Kräfte zu ziehen vermag. Nicht im Bündnis mit allen und jedem liegt die Zukunft der Volkspartei — der Denk-Zettel der letzten Bundespräsidentenwahl ist anscheinend in Vergessenheit geraten —, sondern in der Besinnung auf die eigenen Kraftreserven, die man allzu lange Zeit unbeachtet und ungenützt gelassen hat.

Nicht in der „letzten Gotenschlacht“ rechts gegen links wird das Heil für dieses Land erstritten. Hier kann nur alles noch einmal -und diesmal endgültig — verspielt werden. Alles hängt davon ab, ob sich die Volkspartei durch eine echte Erneuerung ihren festen Standort als Partei der Mitte wieder — und neu zu erobern versteht. Als Partei der christlichen Demokratie, die den Arbeitnehmern wie der Wirtschaft in gleicher Weise gerecht zu werden vermag und auch die Bauern nicht zu kurz kommen läßt. Das alles umschließende Band aber kann nicht in einer faden „Abendländerei“, sondern noch immer in einem durch Taten bekräftigten, kraftvollen staatspolitischen österreichischen Bekenntnis und in weltanschaulicher Eindeutigkeit liegen. Ohne dieses Band wäre der Zerfall in Interessenklüngel und -gruppen tatsächlich nur noch eine Frage der Zeit.

Hier wäre dieser Artikel zu Ende. Da fällt dem Schreiber eine vor zehn Jahren niedergeschriebene Notiz in die Hände:

„Die Gefahren liegen auf der Hand. Sie heißen Wiederkehr der alten, verderblichen Ideologie: Das 'Bürgertum gegen die Arbeiterschaft; das Bürgertum gegen die sozialen Forderungen; das Bürgertum im Dienste eines ungehemmten Kapitalismus; die Partei der Arbeiterschaft für den Klassenkampf; die Arbeiterschaft gegen alle überkommenen Werte und gegen jede gesunde Tradition-, die Arbeiterschaft gegen die Volkseinheit und schließlich gegen einen Staat, den sie in den Händen ihrer Gegner sieht. In der Dissonanz beider aber: die Spaltung der wertvollsten Kräfte, abermals Kampf und Streit bis zum äußersten. Mit anderen, noch deutlicheren Worten: Bürgertum und Arbeiterschaft als Wegbereiter der Volksdemokratie.“ Diese Feststellungen, die keines Kommentars bedürfen, hat niemand anderer als Friedrich F u n d e r seinerzeit getroffen. Wer immer sich vor dem Andenken dieses Mannes beugt, beherzige die aus einem Leben, das Kampf war, gewonnene Erkenntnis. Sie ist heute vielleicht von größerer Aktualität als damals.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung