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Wird es Gorbach schaffen?

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Die großen Städte füllen sich wieder. Mit zahlreichen anderen Weih-nachts- und Neujahrsurlaubern sind auch die Mitglieder des Verhandlungskomitees der Volkspartei und der Sozialisten, die unter Vorsitz des designierten Bundeskanzlers Zusammensetzung, Programm und Stil der neuen Bundesregierung erarbeiten sollen, in die Bundeshauptstadt zurückgekehrt. Ihre erste Begegnung hat bereits stattgefunden.

Eine neue Bundesregierung? Ja, richtig; beinahe hätten es die Österreicher unterm Christbaum und beim Bleigießen vergessen, daß das Kabinett Gorbach 1 nur noch „mit der Führung der Regierungsgeschäfte“ betraut ist und wir eigentlich ohne Regierung in das neue Jahr herübergewechselt sind. Man kann nicht sagen, daß dieser Umstand die Festesfreude vieler unserer Landsleute getrübt hat. Man müßte lügen, wollte man behaupten, sie hätten sich, mit Ausnahme einiger „Leute vom Bau“, allzu viele Gedanken darüber gemacht, wie es nun eigentlich weitergehen soll. Die Nationalratswahlen vom 18. November? In dem Bewußtsein des Durchschnittsbürgers sind sie mit dem alten Jahr der Vergangenheit überantwortet worden. So verständlich als Lehre aus früheren Regierungsverhandlungen die Parole „Zeit lassen“ war, so hat sich doch inzwischen gezeigt, daß sie auch ihre Schattenseiten haben kann. Langsam beginnt das Eisen, das geschmiedet werden soll, zu erkalten. Am Horizont aber zeichnet sich bereits ein neuer Wahlgang ab. und die ersten Lohnforderungen liegen auf dem Tisch. Das alles scheint niemand besser zu spüren als der designierte neue-alte Bundeskanzler.

Deshalb kann man es verstehen, daß Dr. Gorbach die Verhandlungen nun gerne zügig führen und am liebsten in zwei, spätestens drei Wochen zu einem guten Ende bringen möchte.

Die Volkspartei hat den Katalog ihrer Forderungen an den Verhandlungspartner zuletzt nochmals auf ihrer. Klausurtagung im Wiener Vogelsangheim formuliert. Die Übergabe des Außenministeriums nimmt nach wie vor in ihm einen besonderen Platz ein.

Nun sind die Sozialisten am Zug. Tn der Kärntner Straße erwartet man mit Recht einen realistischen Gegenvorschlag. Das „Njet“ war noch nie der Ausdruck einer guten, einer konstruktiven Politik. Auch wird die zweite Regierungspartei bestimmt nicht umhin können, aus dem Ausgang der Novemberwahlen gewisse Konsequenzen zu ziehen. Töne, wie sie aus dem

Neujahrsaufruf der Sozialistischen Partei heraushallen - „Wir haben zwar das letzte Mal nicht gesiegt, aber wir werden wieder wählen, und einmal werden wir siegen“ — mögen zur propagandistischen Beruhigung des Parteivolkes vorzüglich sein. Ein konstruktiver Beitrag, den Regierungskarren wieder flottzumachen, sind sie jedoch nicht.

Was aber, wenn die Sozialistische Partei — sie wird auf die Dauer nicht umhin können, und sie wäre auch schlecht beraten — zwar ein realistischeres Verhalten an den Tag legt und auch die Bereitschaft erkennen läßt, neben anderen Konzessionen die Position der Volkspartei im Kabinett zu stärken, sich aber rund um das Außenministerium „einigelt“? Wer auch zwischen Weihnachten und heute die politische Szene nicht außer acht gelassen hat, wird mit dieser Möglichkeit rechnen müssen. Wenn vor den Feiertagen — was aus verschiedenen Gründen stärker beachtet wurde — Präsident Olah erklärt hatte, „das Außenministerium hänge nicht auf dem Christbaum der ÖVP“, so ist es zumindest zweifelhaft, ob er — um von den anderen sozialistischen Mitgliedern de» Verhendlungskomitees zu schweigen — nun bereit ist, dessen Übergabe, mit vierblättrigem Glücksklee verziert, zu vollziehen.

Somit erhebt sich eine ernste Frage: Wird das Außenministerium zur Klippe, an der die Bemühungen Doktor Gorbachs, eine neue, eine besser fundierte, reibungslos arbeitende Bundesregierung zu bilden, scheitern können? Zumindest im ersten Anlauf. Dies ist nicht Schwarzfärberei.

Dr. Gorbach geht keinen leichten Gang. Und man kann auch nicht sagen, daß ihm seine Partei denselben erleichtert. Im Gegenteil. Die Marschroute ist eng abgesteckt, enger vielleicht, als es Stellung und Reputation eines Parteiobmannes und designierten Regierungschefs vielleicht verlangen würden. Der Parteiauftrag oder, wie sie auch genannt wurde, „die unabdingbare Forderung“ lautet: das Außenministerium! Koste es, was es wolle!

Warum diese Festlegung: Die Partei steht sichtlich unter dem Trauma vergangener Jahre, in denen wir schon erlebt haben, daß sie nach einer gewonnenen Nationalratswahl die Regierungsbildung verloren hat. Ein Abgehen von der Forderung nach Übergabe des Außenministeriums müßte aber — so wird den führenden Männern der Volkspartei zumindest suggeriert — im mittleren Funktionärskader und bei breiten Wählerschichten den Eindruck hinterlassen, die Führung sei „weich“ geworden. Sie hätte sich von dem Koalitionspartner wieder einmal überspielen lassen. Welcher Politiker aber darf sich dies sagen lassen? Die Frage ist freilich nur, ob dieser Vorwurf eine reale Basis hat oder ob man sich freiwillig in die Gefangenschaft der Propaganda begibt. Davon wird später noch die Rede sein.

Spielen wir inzwischen den vorauszusehenden weiteren Verlauf der Regierungsverhandlungen gleichsam im Sandkasten durch. Die Ausgangslage ist bekannt: Der designierte Bundeskanzler fordert an der Spitze und im Namen der Volkspartei die Übergabe des Außenministeriums. Das ist am Dienstag geschehen. Die Sozialisten zeigen die kalte Schulter. Dr. Gorbach vertagt darauf die Verhandlungen. Auch das ist Dienstag geschehen.

Nun ist es an der Bundesparteileitung der Volkspartei, sich über die weiteren Schritte schlüssig zu werden. Faßt sie einen Beharrungsbeschluß und führt ein letzter Versuch zu demselben Ergebnis, dann wird Dr. Gorbach wohl den Weg zum Bundespräsidenten nehmen und ihm sagen, seine Bemühungen um die Bildung einer neuen Bundesregierung auf der bisherigen Basis seien gescheitert. Dies ist die Stunde des Bundespräsidenten. Dieser ist bekanntlich nie stärker als in der Zeit zwischen der Demission einer Regierung und der Angelobung einer neuen. Wenn Dr. Schärf sich bisher zurückhielt, und auch in den nächsten Wochen eher vorsichtig operieren wird, so ist der Grund dafür nicht zuletzt in den ins Haus stehenden Präsidentenwahlen dieses Frühjahrs zu sehen.

Was aber weiter?

Eine Minderheitsregierung oder eine „kleine Koalition“ sind gewiß Möglichkeiten. Sie entsprechen der Verfassungstheorie, kaum der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Politische Konstruktionen, die auch nur eine mittlere Belastungsprobe zu bestehen fähig sind, können sich daraus kaum ergeben. Von grundsätzlichen Bedenken ganz zu schweigen.

Was also dann? Eine Antwort darauf zu versuchen heißt der Zukunft vorausgreifen. Sie ist in diesem Fall aber nicht undurchschaubar. Sehr viel, eigentlich alles, spricht dafür, daß die Volkspartei in einem solchen Fall Doktor Gorbach ein zweites Mal bitten wird, einen Versuch zu unternehmen, und einen gleichlautenden Vorschlag dem Bundespräsidenten erstellt. Die Ftage ist nur, ob Dr. Gorbach dann persönlich dazu noch bereit ist. Die Vertagung der Entscheidung der Volkspartei in der Frage eines eigenen Präsidentschaftskandidaten könnte bei zunehmender Unlust am politischen Tagesgeschäft dem Kanzler hier einen Weg nach vorne offenlassen.

Die von liberaler Seite zwischen den Feiertagen propagierte Kandidatur Professor Gschnitzers war wohl nicht mehr als ein Versuchsballon. Professor Gschnitzer ist ein ehrenwerter Mann, dem wir als Abgeordneten und Staatssekretär auch unsere persönliche Hochachtung nie versagt haben. „Konfessionalistisches Denken“ ist nicht Sache der Leute in der Strozzigasse. Gerade aber deshalb dürfen wir — und wir hoffen von niemandem besser verstanden zu werden als von Professor Gschnitzer — festhalten: Professor Gschnitzer unseren persönlichen Respekt, Präsidentschaftskandidat aber ist er für eine Partei, die sich als christdemokratisch vorstellt, keiner. Es sei denn, man wolle vor aller Welt sichtbar vom alten Feldzeichen Abschied nehmen. Die Volkspartei könnte ihren katholischen Wählern zwar — wie unlängst an dieser Stelle ausgeführt — bei befriedigendem Abschluß der Regierungsverhandlungen eine Tolerierung des gegenwärtigen Staatsoberhauptes zumuten, sie im Namen des christlichen Abendlandes und was sonst noch für einen Kandidaten zu verpflichten, der seine — um es so auszudrücken — sehr individuellen Auffassungen in Fragen der Religion hat, überschreitet selbst das in Österreich Mögliche.

Das war nur eine Zwischenbemerkung. Sie darf uns nicht vom Thema des Tages ablenken. Dieses lautet nach wie vor: Bemühungen um eine neue und den Aufgaben der Zukunft gewachsene Bundesregierung. Wir haben alle Möglichkeiten, selbst die eines verdrossenen Aussteigens des Bundeskanzlers, durchdacht. Hier wird es Zeit, abzubrechen. Wir wollen die österreichische Politik kommentieren, Prophetien sind nicht Sache der Publizistik.

Eine Frage ist noch offen. Und sie ist vielleicht entscheidend. Was dann, wenn die Sozialisten, etwa bei einem neuerlichen Versuch Dr. Gorbachs oder wessen immer, „mürbe“ sind, wenn sie, „um den Bürgerfrieden“ zu retten oder unter anderer Begleitmusik sich schließlich zur Preisgabe des Außenministeriums bereit erklären? „So, da habt ihr„ es, nun aber Schluß. Basta.“

Gewiß wird es dann Propagandisten geben, die den Sieg feiern, den Durchhaltewillen rühmen, den „Wählerauftrag“ erfüllt sehen. Die neue Regierung mag gebildet werden. Von einer Neuregelung der Führung der verstaatlichten Industrie, die derselben eine Konstruktion gibt, die mehr als eine Legislaturperiode überdauert — das war der Kern der seinerzeitigen Initiative Präsident Ma-letas —, wird dann nur noch leise gesprochen werden. Und dem mutigen Vorstoß Dr. Withalms zur Stärkung der „direkten Demokratie“ wird als unrealistischem Traum eines Weltverbesserers von beiden Parteien ein Staatsbegräbnis erster Klasse bereitet werden. Das Budget mag unter Ächzen und Stöhnen zwar zustande kommen. Im Herbst aber, spätestens, mögen Herr und Frau Österreicher merken, daß der Schilling wieder dünner geworden ist. Was wird ihnen die Volkspartei dann sagen. Etwa: „Seid nicht unbescheiden, man kann auf der Welt nicht alles haben. Schwer genug war es, den Sozialisten das Außenministerium abzuknöpfen. Genügt euch das nicht?“

Damit kommen wir zum Kern. Das Außenministerium, zurückzuerobern ist gewiß eine schöne, es ist eine propagandistisch effektvolle Sache. Es darf aber nicht zur Falle werden, in die die Volkspartei zu guter Letzt hineintappt, wobei alle anderen für die politische Zukunft des Staates aber auch für die Partei lebenswichtigeren Fragen auf der Strecke bleiben. Einen Tag Triumphzug mit dem Kopf dieses oder jenen Ministers auf der Stange halten ist eines, klug und weitsichtig seine Kontrolle auf Gebiete auszudehnen, auf denen bisher der Gegner Alleinherrscher war, ist etwas anderes. An Vorschlägen von einem verstärkten Einfluß auf Fragen der Justiz bis zur Errichtung eines Staatssekretariats für Gesundheitswesen, so eine Initiative des Wiener Akademikerbundes, hat es ja keinen Mangel gehabt. Elastizität ist “nie Schwäche. Eine Übernahme des Außenministeriums noch nicht unbedingt eine gewonnene Regierungsbildung der Volkspartei.

Aber der „Wählerauftrag“? Hier darf klar geantwortet werden. Es gibt keinen Wählerauftrag, sich in der Frage des Außenministeriums zu „verbeißen“, koste es, was es wolle! Der Preis könnte zu hoch sein. Wenn schon der Wähler und sein Auftrag bemüht werden, so lautet letzterer: •

Die Kaufkraft des Schillings sichern; ein ausgeglichenes Budget erstellen und ein langfristiges Budgetkonzept in die Wege leiten;

die Vollbeschäftigung garantieren, und, last, not least,

• nach Mitteln und Wegen Ausschau halten, die bei voller Bejahung der Zusammenarbeit der beiden großen Parteien Regulative gegen die Blok-kade lebenswichtiger Fragen darstellen können.

Dr. Withalm war hier mit seiner Initiative schon auf dem richtigen Weg. Er sollte sich von ihren Gegnern innerhalb und außerhalb seiner Partei n;cht kopfscheu machen lassen, sondern seine Bemühungen, den Staatsbürger stärker an die politische Willensbildung heranzuführen, vorsichtig, aber konsequent weiterverfolgen.

Der mit der Bildung einer neuen Bundesregierung beauftragte Bundeskanzler geht keinen leichten Weg. Wer ihm eine Selbstfesselung dabei auferlegt, darf sich nicht länger seinen Freund nennen.

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