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Kabinett des Mißbehagens?

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Es ist soweit. Die vier Monate, in denen auf dem Ballhausplatz und in den anderen Ministerien nur amtiert, statt regiert wurde, sind Vergangenheit. Seit Mittwoch hat Österreich wieder eine Bundesregierung. Man müßte allerdings der Wahrheit Gewalt antun, wollte man behaupten, die Mehrheit der Bundesbürger habe die Monate des Interregnums als die ..kaiserlose, die schreckliche Zeit“ erlebt und empfunden. Je mehr wir uns von dem Wahltag des 18. November entfernten, je stärker sich die Verhandlungen und die Gespräche in die Irrgänge zwischen- und innerparteilicher Auseinandersetzungen verrannten und verloren, desto mehr begann das Interesse breiter Schichten zu erlahmen. Wer aber mit wachem Interesse die österreichische Politik begleitet und sich für die Zukunft dieses Landes mitverantwortlich fühlt, bei dem mußte von Monat zu Monat, von Woche zu Woche die Sorge wachsen, und in die bange Frage ausklingen: Wohin soll dies alles führen? Wie mag es enden?

Nun, es hat schließlich doch zu einer Regierung auf der bisherigen Basis geführt, es hat mit der Bildung eines neuen Kabinetts durch Dr. Gorbach geendet. Aber verhehlen wir uns nicht: Es ist so bald nicht ein Kabinett unter so großem Mißbehagen ins Leben getreten. Dicht und unbeweglich liegen die Schwaden über der politischen Szene, und kein frischer Wind will sich aufmachen, sie zu vertreiben.

Es heißt kein politisches Geheimnis ausplaudern, wenn wir nüchtern registrieren, daß dieses Mißbehagen vornehmlich Kader der ersten Regierungspartei und ihr nahestehende Kreise befallen hat. Und zwar unter ganz verschiedenen Vorzeichen.

Aber auch im sozialistischen Lager ist keine besondere Veranlassung zu eitler Wonne. Auf der linken Reichshälfte kann man kein Interesse an einer verbitterten und in sich gärenden Volkspartei haben. Alles Gift, das hier aufgestaut würde, müßte sich — soweit gleichen unsere Koalitionsparteien doch „Siamesischen Zwillingen“ -früher oder später in die Blutbahn des anderen ergießen. Daneben sei daran erinnert, daß auch hier nicht nur Liebe und Eintracht .herrschen.

Die Reinigung der Atmosphäre, die Verbesserung des politischen und menschlichen Klimas im politischen Leben müßte eine der vornehmsten Hauptaufgaben des neuen Kabinetts sein - will es fruchtbare Arbeit leisten und von Dauer sein.

Es gibt nicht wenige politische Auguren, die gerade letzteres bezweifeln. Wir möchten hier einmal optimistischer sein. Und der Ausgang der Bundespräsidentenwahl? Hier darf daran erinnert werden, daß das neue Kabinett sowohl die Billigung des gegenwärtigen Präsidenten wie auch die seines Gegenkandidaten, Julius Raab, besitzt. Auch ein Bundespräsident Raab würde nicht stürzen, was er letzten Endes mit seiner Autorität gestützt hat.

Die neue Regierung, die nun nach vielen Kämpfen und Krämpfen zu arbeiten sich anschickt, unterscheidet sich vom ersten Kabinett Dr. Gorbachs nicht so sehr durch den Machtzuwachs des unter Dr. Bock verbleibenden und um die Agenden des Außenhandels und der Integration aufgestockten Handelsministeriums. (Vor der Errichtung eines eigenen Außenhandelsministeriums schreckte die Volkspartei in letzter Minute zurück. Der Verzicht auf einen Kabinettsminister schien ihr letzten Endes leichter als der ständige Vorwurf, sie leiste der Aufblähung des Staatsapparates und der Verteuerung der Verwaltung Vorschub.) Auch die neuen Staatssekretäre der Volkspartei, von denen Dr. Kotzina Dr. Bock in der Führung der Bauagenden entlasten, während Staatsanwalt Dr. Hetzenauer dem Justizminister „attachiert“ wird, sind nicht das, was aufs erste ins Auge fällt. Die Nachfolge Waldbrun-ners durch den SPÖ-Zentralsekretär Probst und das Verbleiben von Sozialminister Proksch, der die Altersgrenze schon lange überschritten hat, im Kabinett, bis auf Widerruf, sind es ebenfalls nicht. Wohl aber ziehen der Personenwechsel in der Himmelpfortgasse und in der Herrengasse höchste Aufmerksamkeit auf sich. Dr. Klaus hat mit seinem Rücktrittsangebot Ernst gemacht. Er wird dem neuen Kabinett nicht mehr angehören. Während Doktor Klaus in seiner gewohnten korrekten Art Dr. Korinek, seinem Nachfolger, die Geschäfte übergibt, rüstet sich der Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, O 1 a h, zur Übernahme eines Regierungsamtes — nicht nur eines beliebigen, sondern des Innenministeriums, das nach wie vor mit Recht zu den „Schlüsselministerien“ zählt.

Klaus und Olah: wieder einmal kreuzen sich die „Schicksalslinien“ dieser beiden Männer, die verschiedenen politischen Lagern angehören, doch eines gegenüber vielen ihrer Parteifreunde voraus haben. Sie sind zur letzten Deckung der von ihnen vertretenen Politik durch ihre Person bereit. Und das ist im Österreich des Jahres 1963 gar nicht wenig. Sowohl für Klaus als auch für Olah dürfte der Entschluß zu „gehen“ beziehungsweise zu „kommen“ nicht leicht gefallen sein.. Während sich für den aus der unmittelbaren Verantwortung entlassenen Dr. Klaus verschiedene Möglichkeiten vornehmlich einer verstärkten Parteiarbeit anbieten, hat Franz Olah nun das nicht unbeträchtliche politische Kapital, das ihm seine Arbeit und sein „persönlicher Stil“ in den letzten Jahren eingetragen haben, an verantwortlicher Stelle zu verwalten. Und das in einer Regierung, die nicht unter dem besten Stern angetreten ist. Der Mann, der mehrmals gewissen Wohlstandverfallserscheinungen im öffentlichen Leben, der sich ausbreitenden Verantwortungsscheu und liberalistischer Staatsverdrossenheit entgegengetreten ist, hat die einmalige Chance, aus der

Mil dem Karren aus dem Morast

Herrengasse vielleicht die Keimzelle einer neuen österreichischen Staatspolitik zu machen. Das kann aber nur dann gelingen, wenn er das Schema kleinlichen Parteidenkens sprengt und auch hier die breite Basis des Vertrauens erhält, die er sich als Präsident des Osterreichischen Gewerkschaftsbundes weit über seine Partei hinaus erringen konnte.

Die neue Regierung Gorbach will an die Arbeit gehen. Sie kann mit dieser nur zu einem guten Ende kommen, wenn sie sie unter jenen Leitgedanken beginnt, die niemand anderer als Kardinal König in seiner Neujahrsbotschaft 1963 vorgezeichnet hat:

„Die Österreicher wünschen, daß es eine Regierung der Stabilität, der Sachlichkeit und des Mutes ist. Des Mutes,

Photo: Prix auch Probleme anzugreifen, die sich nicht durch ein gegenseitiges Tauschgeschäft erledigen lassen. Eine solche Regierung braucht als Grundlage ein wohlüberlegtes Arbeitsübereinkommen. Wichtiger aber als jedes formulierte und paraphierte Abkommen ist der Geist, in dem es geschlossen wird. Ist es der Geist eines gegenseitigen Mißtrauens, dann wird die kommende Regierung unfruchtbarer sein als ihre Vorgängerin. Ist es der Geist redlichen Zusammenwirkens und eines ehrlichen Wollens, der auch dem Partner gleich ehrliches Wollen zubilligt, dann, und nur dann kann das österreichische Volk der Welt beweisen, daß seine Demokratie eine bewährte Lebensform ist.“

Es wäre ratsam, diese Sätze wohlgerahmt auf den Schreibtischen eines jeden Mitglieds des Kabinetts Gorbach II zu placieren — als Kompaß für den politischen Alltag.

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