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Zwischen Klaus und Olah

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Budget Krise Budget Krise Budget Viele Knöpfe wurden landauf, landab abgezählt, seit sich im Spätsommer die anfänglich flotten Arbeiten bei der Erstellung des Staatshaushaltes merklich verlangsamt hatten. Es war wie in den vergangenen Jahren. Der Abend des 22. Oktober 1961 bereicherte Österreich jedoch um eine neue Nuance seiner Politik. Das Budget wurde zwar in letzter Minute verabschiedet. Die Krise klopfte jedoch ebenfalls laut und vernehmlich an die Tür des Ministerrates. Freilich eine Krise sehr persönlicher und ganz spezieller Art.

Die Ereignisse sind bekannt: Während in Oberösterreich und in Tirol die Wähler zu den Urnen strebten, machten in Wien Ministerrat und Koalitionsausschuß Sonntagsarbeit. Zur Diskussion stand noch immer die Forderung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes nach einer Erhöhung des Werbekostenfreibetrages für alle Dienstnehmer. Als dann im land ob der Enns und nördlich des Brenners mit der Stimmenzählung begonnen wurde, hatten sich die nun bereits unter äußerstem Zeitdruck stehenden Verhandlungen festgerannt. Ob die ersten in der Bundeshauptstadt eingetroffenen Wahlresultate noch einen Einfluß auf den weiteren Gang der Ereignisse gehabt haben, steht nicht genau fest. Die trotz gleichbleibender Mandatszahl in den Landtagen von niemandem zu bestreitende Festigung der Position der Volkspartei hätte die sozialistischen Wortführer gewiß nicht ermutigen können, einer Regierungskrise und damit Neuwahlen mit Ruhe entgegenzu- aehen. Dazu kommt ohne Zweifel, daß die sozialistischen Minister sich sowieso schon ihre Schnitten vom allgemeinen Budgetkuchen gesichert hatten. Allzusehr echauffierten sie sich — allen voran der Vizekanzler — aus diesem oder jenem Grund nicht für die Forderungen der Gewerkschafter, die deren Präsident vortrug. Die Volkspartei hatte aber ihren ..harten Tag“. Nicht Unverständnis gegenüber den Anliegen der Arbeitnehmer als vor allen Dingen Sorge, durch das Eingehen auf die Wünsche des ÖGB eine Kettenreaktion der nur mühsam zum Stillstand gebrachten Forderungen dieser oder jener Gruppe schon für die allernächste Zeit auszulösen und dadurch das komplizierte Gebäude seiner Zahlen wieder zum Einsturz zu bringen: das dürfte den Finanzminister bestimmt haben, allen Vermittlungsvorschlägen, zuletzt auch dem einer Ausklammerung der Gewerkschaftswünsche aus den Budgetverhandlungen bei bindender Zusage einer Vereinbarung noch in diesem Jahr, seine Zustimmung zu versagen.

Da kam das Unerwartete: Während der Finanzminister aufatmend im Kreise der Parteifreunde die Glückwünsche zur vollbrachten schweren Karrierarbeit, zu der die Aufstellung und noch mehr die Verteidigung eines Budgets von Jahr zu Jahr immer mehr wird, entgegennahm, übergab der Präsident des Gewerkschaftsbundes der Austria-Presse-Agentur die schlichte Mitteilung, daß er aus Protest gegen die Ablehnung der Gewerkschaftsforderungen sein Mandat als Abgeordneter zur Verfügung stelle und sich auch aus dem Koalitionsausschuß zu- rückziehen werde.

Ein Demission — ine ernst gemeinte und nicht nur spielerisch kokette — ist heutzutage und hierzulande wirklich ein Ereignis. Kein Wunder, daß es die Phantasie beflügelte. Dabei gingen jene in die Irre, die zuerst an- nahmen, sein heftiges Temperament habe Olah wieder einmal einen Streich gespielt, nach 24 Stunden schaue die Welt jedoch anders aus, und es werde nur einiger guter Worte bedürfen, um den zwar widerspenstigen, aber als gutes Zugpferd bekannten ÖGB-Präsi- denten wieder vor den Karren der Regierungskoalition zu spannen. Die . bei der Hauptwahlbehörde inzwischen eingelangte Verzichtserklärung sowie der im Parlament abgegebene Ausweis dürften diese Meinung vor aller Öffentlichkeit korrigiert haben. So gewinnt die Ansicht Raum, der Gedanke eines solchen demonstrativen Schrittes sei nicht von heute auf morgen gefaßt worden, sondern vielleicht in monatelangen Überlegungen gereift. Die Ablehnung der Gewerkschaftsforderungen durch den Finanzminister sowie die vielleicht zu lendenlahm empfundene Unterstützung durch manche Parteifreunde" wäre somit nur der Anlaß und nicht die Ursache für einen gegenwärtigen Rückzug Ohlas aus der unmittelbaren Verantwortung. Welche Beweggründe aber hätten einen solchen Plan bei einem Mann reifen lassen, der für Fragen der Macht einen — sagen wir wohlausgeprägten Sinn hat?

Daß der Kommandant der „stärksten Bataillone“, als die die Gewerkschaften ohne Zweifel anzusprechen sind, in den letzten Monaten immer weniger mit dem Vorsitzenden seiner Partei harmonierte, ist inzwischen nicht zuletzt durch Blätter aus der sozialistischen Einflußsphäre stadtbekannt geworden. Vieles an dem mehr sprunghaften und auf äußere Effekte abgestellten Wesen des Vizekanzlers mußte dem eher „einspurigen" Gewerkschaftspräsidenten nicht gefallen. Auch könnte so leicht die Überlegung gereift sein, daß der „neue Kurs“ der zweiten Regierungspartei, als dessen Bahnbrecher und Befürworter Olah sich stets bekannte, durch gewisse sozialistische PraktMtenv i n letzter Zeit kein guter Dienst geleistet worden war. Nun: Die Ergebnisse der Ländtags- wahlen in Tirol und Oberösterreich haben postfestum die Richtigkeit solcher und ähnlicher Gedanken bewiesen. Dazu kommt — und dafür gibt die im Spätsommer in Trieben gehaltene Rede Ölahs Zeugnis —, daß er zu gewissen „Wohlstandsbegleiterscheinungen“ in unserem öffentlichen Leben, zu der sich ausbreitenden Verantwortungsscheu und liberalistischen Staatsverdrossenheit nicht Ja und Amen sagt, sagen will. Also lag es nahe, daß ein Mann, dem man vieles nachsagt, nur nicht, daß er nicht zu seinem Wort steht, eines Tages vor den Konsequenzen nicht zurückschreckt.

Was wird geschehen? Wer glaubt, daß Olah, wie es manche Zeitungen schrieben, „abtrete“ und aus dem politischen Spiel ausscheide, hat von der Funktion eines Präsidenten des Österreichischen Gewerkschaftsbundes — noch dazu eines von allen Fesseln des Koalitionsausschusses und der parlamentarischen Verantwortung befreiten — wenig Ahnung. Genau so dürften aber auch jene „enttäuscht“ wrerden, die das Schreckgespenst eines Generalstreiks auf uns zukommen sehen, deren Phantasie Arbeiterkolonnen Olah über den Ring ins Parlament zurücktragen läßt. Das war einmal. Die moderne Politik ist solcher Dramatik abhold.

Die Wirklichkeit ist nicht so spektakulär, aber dafür um so komplexer. Das hat sich gerade in den Budgetverhandlungen gezeigt, als sozialistische und christliche Gewerkschafter gegen „bürgerliche" Volkspartei und „Manager“-SPÖ standen. Das kann sich in dieser oder jener Form und Variation morgen wiederholen und schärfere Konturen annehmen. Die Fronten der österreichischen Innenpolitik laufen schon lange nicht nur vertikal, sondern oft auch horizontal durch die beiden historischen Lager. Ja, in wirklich entscheidenden Fragen, denken wir nur unter anderem an das Beispiel EWG—EFTA, macht sich jene Gliederung immer öfter bemerkbar.

Diese „Amerikanisierung“ der österreichischen Innenpolitik wird man wohl oder übel zur Kenntnis nehmen müssen. Die Ereignisse der letzten Woche machen dies nur einer breiteren Öffentlichkeit deutlich.

Was wird also geschehen? Welche Folgen wird der Rückzug des Präsidenten des Gewerkschaffsbundes aus der staatlichen Verantwortung haben? Zunächst für die breite Öffentlichkeit kaum merkbare. Als erste dürften sie nur die beiden Parteiobmänner spüren, die künftig bei allen Gesetzen und wichtigen Entscheidungen einen Weg in die Hohenstaufengasse suchen müssen, statt in der wohligen Wärme des Koalitionsausschusses die Dinge abzuklären. Für den Vorsitzenden der Österreichischen Volkspartei ist dieser Weg kaum mit psychologischen Schwierigkeiten verbunden. Der Obmann der zweiten Regierungspartei ist da schon viel schlechter daran.

ln weiterer Sicht ordnet sich der Rücktritt des zweiten Präsidenten des Nationalrates freilich in eine Reihe von Phänomenen ein, die der aufmerksame Beobachter österreichischer Innenpolitik schon seit längerem verzeichnen konnte. Als der „Bauernsturm“ im August gegen den Finanzminister anrannte, bemerkten wir, es gehöre zur Problematik des Kabinetts Gorbach, daß in ihm entscheidende soziologische Großgruppen unserer Bevölkerung nicht durch ihre maßgebenden Männer vertreten sind. Das Spiegelbild, das wir im Vorstoß der Gewerkschaften zu sehen bekamen, bekräftigt nur diese These. Dieser Nachteil hat aber auch sein Gutes. Es hat noch keinem Staat geschadet, wenn er erprobte demokratische Kräfte in „Reservestellung“ hat. Den Extremisten von links und rechts wird es dadurch viel schwerer gemacht, das Feld zu überrennen. Dann, wenn die Winde widriger werden

Niemand vermag in die Zukunft zu schauen, und auch die Entwicklungslinien sind in keinem Land schwerer zu entziffern als in Österreich. Fest steht nur, daß die Gewerkschaften in Österreich an Eigenständigkeit gewonnen haben. Ihr Präsident dürfte um das Potential, das wir nicht nur inter- essens-, sondern auch staatspolitisch verstehen, wissen.

Niemand anderer als der Finanzminister wird aber mithelfen können, daß die Gewerkschaften nicht zum Hebel werden, der sein mühsames Werk, das Budget 1961, zerbricht. Er hilft damit nicht nur sich selbst, er dient Österreich, wenn er den ohne Zweifel in unserem Steuersystem vorhandenen Ungerechtigkeiten zu Leibe rückt, wenn er dem sich auch in einer Zeit der Hochkonjunktur nicht ungestraft an allen Orten und Enden breitmachenden Parasitentum und steuerlich begünstigten Luxus genau so energisch begegnet, wie er um „sein" Budget gerungen hat.

Der Mann mit der Sparbüchse als der Bundesminister Klaus sich selbst vorgestellt hat, und der Präsident des Gewerkschaftsbundes, der seinen Schreibtisch im Parlament räumt! Ihr Amt hat sie in Positionen des Widerspruchs geführt, wobei am Rande vermerkt sei, daß eben derselbe Doktor Klaus seine politische . Laufbahn als Sekretär eines österreichischen ‘ Gewerkschaftspräsidenten begonnen hat. Über allem Trennenden der Stunde eint sie die Geradlinigkeit, mit der sie einen als richtig erkannten Weg verfolgen, die Offenheit der Sprache, die persönliche Anspruchslosigkeit und die volle Deckung von Wort und Tat, Klaus und Olah heute Antipoden. Das muß nicht für alle Zukunft so bleiben. Beide scheinen aus jenem Holz, das für den verantwortungsbewußten österreichischen Politiker der Zukunft gerade recht ist.

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