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Politik nach Ladenschluß

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Die Krise verschwand im Tunnel, und was am anderen Ende des Tunnels hervorkroch, war ein dichtbesetzter Urlauberzug unterwegs nach dem Süden.

Die Parlamentarier, wenn man den Zeitungsberichten glauben will, fristeten ihre letzten Tage vor dem Herunterlassen des Rolladens nur mehr mühsam, die lieblichen Bilder des herannahenden Urlaubs vor Augen, indem sie von dem einen „politischen“ Empfang zum nächsten „politischen“ Heurigenabend eilten, und das Wort „politisch“ mußte man in diesem Zusammenhang wirklich mit Gänsefüßchen versehen.

Über einen dieser Empfänge berichtete das sozialistische Zentralorgan wie folgt: „Man hätte, wenn man bei diesem gesellschaftlichen Ereignis, an dem buchstäblich alle Spitzenpersönlichkeiten des öffentlichen Lebens teilnahmen, von Gesprächsgruppe zu Gesprächsgruppe ging, den Eindruck gewinnen können, daß nie zuvor in Österreich bessere Voraussetzungen für die Zusammenarbeit gegeben waren als eben jetzt. In dieser Stimmung wurde eine ebenso witzige wie tiefsinnige ♦Parole in Kurs gesetzt: .Alles gerettet!' *

Dieses gesellschaftliche Ereignis fand am Vorabend jener Parlamentssitzung statt, in der die eine Koalitionspartei mit der Opposition die andere Koalitionspartei — bereits zum zweitenmal — überstimmte und in der es zu Sturmszenen kam, wie sie das Haus am Ring seit sehr langer Zeit nicht mehr erlebte. Jahrzehntealter Schlamm wurde in wenigen Minuten aufgewirbelt, und man blickte in Abgründe, an deren Vorhandensein man, trotz gelegentlicher routinemäßiger Anspielungen, nicht mehr recht glauben wollte. Aber die Geisterstunde am hellen Tag war dann rasch vorüber, und die Beteiligten scheinen seither einer Hausregel folgen zu wollen, die schon manche Ehe, wenn auch nicht gerettet hat, aber zumindest für eine Zeit noch zu konservieren half: man wechselt das Thema und spricht eine Weile von angenehmeren Dingen.

So müßte man die „ebenso witzige wie tiefsinnige“ Parole, „Alles gerettet!“, in das weniger witzige aber korrektere Wort umwandeln: „Alles konserviert!“. Bis zum nächsten „Seitensprung“, bis zum nächsten Krach. Bis nicht eines Tages der Gang zum Scheidungsrichter den ohnehin längst eingetretenen Zustand nur mehr bestätigen muß.

Wozu dann die ganze nicht einmal

gut gespielte Versöhnungszene? Kein wirklicher Freund dieser lädierten, arg ramponierten Koalition, die sich jetzt soeben wieder einmal zu einem kurzen Lächeln zwang, sollte hier mit den Worten und mit der Sorge jener, welche wissen, was diese Koalition während der achtzehn Jahre bedeutet hat und was ihr ruhmloses Ende bedeuten kann, seine Spaße treiben.

Hat also die Koalition keine Zukunft mehr? So könnte der eine oder andere Urlauber im Geiste wie tatsächlich zurückblickend fragen. Diese Frags ist jedoch weniger wichtig als eine andere, die sie verdeckt, die man aber immer wieder stellen muß: Hat ein Land, das von einer solchen Koalition regiert wird, noch eine gute Zukunft? Niemand sollte sich die Antwort auf diese Frage zu leicht machen.

Die Sozialisten haben dem Bundeskanzler mitgeteilt, daß sie das Arbeitsübereinkommen der beiden Koalitionspartner „nach wie vor beachten“ wollen. Der Bundeskanzler stellte erleichtert fest, daß nunmehr der nach dem Habsburg-Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs entstandene Streit abgeschlossen werden sollte. „Es besteht kein sachlicher Grund“, sagte er, „die Differenzen fortzusetzen.“ Er bezeichnete Koalitionskrisen wie die soeben stattgefundene als „etwas Sand in der Maschine“, was jedoch die rasche Rückkehr zur sachlichen Arbeit nicht verhindern sollte.

Nun stehen aber dieser optimistischen Auslegung der abgeschlossenen, besser gesagt, für abgeschlossen erklärten Krise einige Tatsachen gegenüber, über die man vielleicht jetzt, im Hinblick auf die herannahende Urlaubszeit, nicht mehr viel reden, die man aber zumindest im Gedächtnis behalten soll, will man sich künftige unangenehme Überraschungen ersparen.

Zu diesen Tatsachen gehört, daß das Habsburgergesetz trotz der stattgefundenen „authentischen Interpretation“ nach wie vor unklare Formulierungen enthält, insbesondere was die Durchführung des Gesetzes betrifft. Es blieb zwar, trotz anderslautenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes, dabei, daß die Bundesregierung „im Einvernehmen mit dem Hauptausschuß des Nationalrates“ festsetzen soll, ob Loyalitätserklärungen von Mitgliedern des Hauses Habsburg als ausreichend zu erkennen sind oder nicht. Aber es wurde nicht dezidiert erklärt, wer von wem abhängt, wer auf wen Rücksicht zu nehmen hat und ob die Mehrheit entscheidet oder ein einstimmiger Beschluß notwendig ist. Die interessierten Bürger dieses Staates fragen mit Recht, ob dieses Versteckspiel noch mit dem Ansehen von Regierung und Parlament zu vereinbaren ist? Wollte ein böswilliger Habsburger — und diese Böswilligkeit traut man ja einem Habsburger ohne weiteres zu — die soeben feierlich beschlossene „authentische Interpretation“ lächerlich machen, brauchte er nur die vorgeschriebene Loyalitätserklärung abzugeben, und die Krise stünde trotz Ürlaubszeit schon wieder vor der Tür. Geschweige denn, der Habsburger wäre zu allem Unglück wieder kein nur autofahrender, sondern ein „politischer“ Habsburger...

Hierzu kommt noch ein zweites. Die Entschließung, die eine Parlamentsmehrheit, bestehend aus den Abge-

ordneten der SPÖ und der FPÖ, am 4. Juli an die Regierung, bestehend aus Ministern der ÖVP und der SPÖ, gerichtet hat, mag verfassungswidrig sein — was sie nach Ansicht der Verfassungsjuristen ja tatsächlich auch ist —, ein Nichts ist sie, politisch gesehen, keineswegs. Im für sie geeignet erscheinenden Zeitpunkt — etwa so um die nächste Budgetdebatte herum — könnte nämlich den Sozialisten einfallen, einmal doch die Regierung zu fragen, was aus jener unbestreitbaren Willenskundgebung der Mehrheit der Volksvertretung geworden sei. Bleibt die Regierung die Antwort schuldig, dann wird ihr nichts helfen, ein Mißtrauensvotum der gleichen Mehrheit wird ihr den Garaus machen. Und zwar zu einem Zeitpunkt, der nicht der unterlegenen Partei, sondern dieser Mehrheit angenehm, das heißt, opportun erscheinen wird.

Nun ist freilich dieser Zeitpunkt noch nicht gekommen. Die Führung der Sozialistischen Partei hat infolge ihrer taktischen Erfolge der letzten Zeit das rechte Maß verloren und damit an Glaubwürdigkeit stark eingebüßt. Überheblichkeit, Verachtung des Gegners und Mißachtung der öffentlichen Meinung — die es, trotz gegenteiliger Behauptungen, bei uns ebenso wie selbst noch in totalitären Staaten gibt — sind schlechte Ratgeber. Man kann nicht ungestraft jahrelang gepflegte Tabus — „Gleichgewicht“, „Zusammenarbeit in der Koalition der beiden großen Parteien“ — plötzlich umwerfen. Vorzeitige Neuwahlen wären also für diese neue Parlamentsmehrheit ein höchst gefährliches Experiment — für die Freiheit-

liche Partei wahrscheinlich eine größere Katastrophe.

Man setzt also nicht zu Unrecht auf Zeit. Und die Volkspartei hat auch ihrerseits keinen Grund, Versöhnlichkeit mit Unversöhnlichkeit zu beantworten — auch wenn sie die Motive des Gegners, welche diesen jetzt zur Politik der ausgestreckten Hand veranlaßt haben mochten, kennt oder zumindest ahnt. Wichtiger wäre es, die damit noch einmal gebotene Frist zu nützen. Und da müßten die christlichen Demokraten dieser Partei gar riic^t mehr beim Nullpunkt anfangen. Der Streit um die Auslegung des Habsburgergesetzes hat nämlich — ein seltener Glücksfall — einige Grundprinzipien des freien Staatswesens kristallklar herausgearbeitet und allen offenkundig gemacht. Trennung der Gewalten und vollständiger Rechtsschutz des einzelnen Staatsbürgers: auf diesen beiden Prinzipien ruht der Rechtsstaat, und nur in diesem Rechtsstaat hat der einzelne die Chance, sich frei zu fühlen und sich ohne Angst vor heimlichem, „sanftem“ oder offenem, brutalem Terror bewegen und entfalten zu können. Nur der reine Positivist und Machiavellist, der nicht einmal ein anthropozentrisches Naturrecht anerkennt, darf versuchen, etwas von diesen Prinzipien im Namen einer angeblich „höheren Politik“ wegzudisputie-ren. Aber was ist das für eine Politik, die mit dem natürlichen Recht des Menschen in Konflikt gerät?

Angespornt durch diese starke Position im Rechtlichen, die manchen Politikern der Volkspartei förmlich in

den Schoß gefallen ist, müßten die Mandatare dieser Partei gerade in den kommenden Wochen, die dem für September angekündigten Parteitag vorausgehen, die Zeit zur Besinnung auf die vorhandenen übrigen Kraftreserven ihrer Partei nützen. Ihr Salzburg Landesparteiobmann hat kürzlich wiederholt auf die große Bedeutung der Sachlichkeit in der Politik hingewiesen, einer Sachlichkeit, die viel mehr sein muß als bloße Nützlichkeit. Seinen Worten wären, was hier die Methodenfrage anbelangt, noch folgende Sätze Max W e-b e r s hinzuzufügen: „Das Wesen aller Politik ist Kampf, Werbung von Bundesgenossen und von freiwilliger Gefolgschaft... Für den modernen Politiker aber ist der Kampf im Parlament und für die Partei im Lande die gegebene Palästra, die durch nichts anderes gleichwertig zu ersetzen ist. Wie vollzieht sich nun der Gang der Geschäfte im Parlament? ... Wenn auch nicht ausnahmslos, so gilt doch im ganzen der Satz: wer die Arbeit tut, hat den Einfluß. Diese Arbeit vollzieht sich hinter den Kulissen, in den Kommissions- und Fraktionssitzungen, bei den wirklich scharf arbeitenden Mitgliedern, aber vor allem: in ihren Privatbüros...“

Politik, Politiker nach Ladenschluß: Wenn Politiker jemals Grund dazu hatten, ihre Urlaubswochen nicht nur mit zivilen Urlaubsfreuden und der Pflege der leiblichen Gesundheit zu verbringen, dann haben die Politiker der Volkspartei diesmal allen Grund dazu. Und es gibt vielleicht auch noch andere Unentwegte in diesem Land, die es ihnen gleichtun werden.

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