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Koalition bedeutet weniger Transparenz

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FURCHE: Warum ist die Innenpolitik im Zeichen der Regierung Sinowatz/Steger so ereignisarm geworden?

MINISTER HEINZ FISCHER: Ist sie es? Oder spielt sich nur die öffentliche Diskussion darüber anders ab als früher? Ich bin sicher, daß 1984 ein Jahr wichtiger Entscheidungen sein wird: Pensionsreform, Zwentendorf, Strukturprobleme der verstaatlichten Industrie, Abfangjäger, kleine Steuerreform, Verfassungsreform im Sinn der Bundesländer -alle diese Fragen sind in ein Endstadium getreten. Nur ist es eben der Stil von Bundeskanzler Sinowatz, Probleme intern auszudiskutieren und möglichst erst mit einer endgültigen Entscheidung an die Öffentlichkeit zu gehen, weil speziell in einer Koalition jedes Diskutieren auf offener Bühne zu vorschnellen Festlegungen führen muß und den Entscheidungsspielraum einschränkt.

FURCHE: Heißt das, daß eine Koalition notwendigerweise weniger Transparenz in der Entscheidungsfindung bedeuten muß?

FISCHER: Ja. Auch die Sozialistische Jugend sähe es z. B. gerne, wenn zuerst beide Parteien ihre Standpunkte öffentlich präzisieren und dann über den Kompromiß verhandeln würden, so daß man an diesem ersieht, wer wo nachgegeben hat. Das wäre vom Standpunkt der reinen Lehre und der Selbstdarstellung einer Partei sehr erwünscht, würde aber die Regierungstätigkeit und die Kompromißfähigkeit stark belasten.

FURCHE: Wäre es eine Schande, wenn eine Partei sozusagen mit einer Zwischenmeinung vor das Volk träte?

FISCHER: In der Praxis würde das nicht funktionieren. Einem Minister ist es de facto bei Strafe einer Abnützung seiner Glaubwürdigkeit verboten, laut zu denken oder „Zwischenmeinungen" zu formulieren.

FURCHE: Sagen Sie damit, daß sich die Glaubwürdigkeit der Minister Dallinger und Solcher abgenützt hat? Beide haben schon oft laut gedacht...

FISCHER: Gerade diese beiden bemühen sich im Lichte ihrer Erfahrungen geradezu demonstrativ darum, dieses Prinzip zu beachten. Es wäre eben nicht möglich, die Öffentlichkeit mit noch nicht ausgereiften Vorhaben für eine Pensions- oder eine Steuerreform zu befassen, weil schon vorsichtige Andeutungen als Ankündigung von Maßnahmen gewertet werden, die noch nicht gesetzesreif ausformuliert sind.

FURCHE: Gehen also die Reformvorhaben der genannten Minister weiter, als bisher erkennbar geworden ist?

FISCHER: Sicher. So hat sich die Diskussion über die Pensionsreform bisher praktisch nur mit den Ruhensbestimmungen befaßt. Der Gesamtumfang der Reform aber wird Wertmäßig einen zweistelligen Milliardenbetrag, berechnet auf eine vierjährige Legislaturperiode, ausmachen.

FURCHE: Bisher hat die Regierung den Eindruck erweckt, als fehlte ihr der Mut zu wirklich kühnen Reformen von der Wurzel her—nur von Symptom kuren und Retuschen hat man bisher etwas bemerkt.

FISCHER: Ich kann Ihnen versichern, daß es uns an Mut zu grundlegenden Reformen nicht fehlen wird. Diese Regierung nimmt sogar Rückschläge bei regionalen Wahlen wie jetzt in Salzburg in Kauf, um nicht durch populistische Versprechungen oder feige Lösungen unredlich zu werden.

FURCHE: Was bedeutet das abschätzig gebrauchte Wort „populistisch" bei einer Partei, die noch in den siebziger Jahren von einer .JDurchflutung aller Lebensbereiche mit Demokratie" sprach?

FISCHER: Ich verwende es als Synonym für einen Opportunismus, der sich am stärksten Beifall orientiert. Wenn manche damit argumentieren, daß nur eine große Koalition unpopuläre, aber notwendige Maßnahmen durchziehen könnte, dann drücken sie damit doch indirekt aus, daß unpopuläre Maßnahmen wie z. B. Ruhensbestimmungen oder Zinsertragssteuer eigentlich richtig sind und von der Opposition nur abgelehnt werden, weil sie eben in Opposition ist...

FURCHE:Kennen Sie ein einziges Beispiel aus der Geschichte, daß eine Opposition nicht alles gegen die Regierung ins Treffen führt, was diese unpopulär macht?

FISCHER: Die Frage ist berechtigt, aber Sie müssen verstehen, daß wir uns von solchen Argumenten der Opposition dann auch nicht sehr beeindruckt zeigen.

FURCHE: Sind Sie mit der Art, wie in Österreich heuer des Februars 1934 gedacht wurde, zufrieden?

FISCHER: Ich muß sagen, daß bei allen Parteien, also auch bei der Opposition, der echte Wunsch festzustellen war, die Ereignisse vor 50 Jahren ehrlich aufzuarbeiten. Es war nicht nur ein oberflächliches Händeschütteln über die Gräber hinweg, sondern ein Aufarbeiten von Fehlentwicklungen in der Ersten Republik. Die vielleicht einzige Ausnahme bleibt in gewisser Hinsicht noch Dollfuß...

FURCHE: Warum sind so viele prominente Sozialisten über Norbert Lesers Stichwort von der „geteilten Schuld" hergefallen, obwohl er von Anfang an klargestellt hatte, daß er damit keine Teilung im Verhältnis 50:50 meinte?

FISCHER: Es war weniger das Stichwort als der erhobene Zeigefinger und die besserwisserische Art, die jene irritierte, die zum Teil mit ihrem Blut oder ihrer Existenz für gemachte Fehler bezahlt hatten. Es wäre aber absurd, zu behaupten, irgend jemand der Beteiligten sei ohne Fehler gewesen und Makellose seien Alleinschuldigen gegenübergestanden.

FURCHE: Wirklich Schuld bekannt und um Vergebung gebeten hat namens der Kirche Kardinal

König. Man hatte den Eindruck, als hätte niemand in der SPÖ dies auch nur zur Kenntnis genommen.

FISCHER: Das Verhalten des Kardinals war außerordentlich eindrucksvoll, mutig und obendrein auch noch klug, weil es nichts Exkulpierenderes gibt als ein ohne Wenn und Aber ausgesprochenes Fehlerbekenntnis. Die Kirche ist geradezu darum zu beneiden, daß sie, weil sie nicht im Parteienwettbewerb steht, sich so verhalten kann. Für die Nachfolger des Kardinals handelt es sich jetzt wirklich nur noch um ein historisches Problem, von dem nichts an Schuld mehr zurückgeblieben ist, kein Stachel und kein Widerhaken. Das Kapitel kirchliche „Schuld" ist damit abgeschlossen, da ist kein Postskriptum mehr notwendig.

FURCHE: Auch wenn der Kardinal dieses Schuldbekenntnis sicher ohne Nebenabsichten aussprach, fragen sich jetzt doch viele Katholiken: Was haben wir eigentlich von solcher Bekenntnisbereitschaf t? Die Sozialisten bleiben etwa in der Abtreibungsfrage so unversöhnlich wie bisher..'.

FISCHER: Wenn ich die Gesinnung des Kardinals richtig interpretiere, dann ist diese wirklich das Gegenteil von dem, was in der Frage „Was haben wir davon?" zum Ausdruck kommt. Wir haben also einen Themenwechsel vorgenommen. Bei der von Ihnen angeschnittenen Frage geht es mir um zwei Fixpunkte: Es ist wünschenswert, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche so weit wie möglich zu reduzieren. Ich halte Schwangerschaftsabbruch in höchstem Maß für bedauerlich und abzulehnen, wenn vielleicht aus anderen Motiven als Katholiken. Der zweite Fixpunkt ist: Man soll das Strafrecht ein für allemal aus dem Spiel lassen.

FURCHE: Genau diese beiden Punkte haben Sie mit maßgeblichen Vertretern der Kirche gemeinsam. Da müßte doch eine Lösung möglich sein ...

FISCHER: Sobald der Gesetzgeber ins Spiel gebracht wird, kommen auch wieder politische Komponenten zum Tragen. Man müßte Leute, die in keiner Weise im Verdacht stehen, auf eine parteipolitische Polarisierung hinzuarbeiten, um ihre Empfehlung für eine Reduktion der Schwangerschaftsabbrüche fragen.

FURCHE: Zum Beispiel Primär Rockenschaub, der für die Fristenregelung eintrat und nun deren Konsequenzen bedauert.

FISCHER: Mit ihm werde ich in den nächsten Tagen zusammentreffen und mir interessiert und ausführlich seine Meinung schildern lassen.

Mit dem Bundesminister für Wissenschaft und Forschung sprach Hubert Feichtlbauer.

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