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Wir sparen für die Wirtschaft

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Nur die ÖVP weiß wirklich, worum es bei der Wahl geht. Die SPÖ ringt mit ihrer Basis. Die FPO droht mit Ausmisten. Grüne wollen ökologisch steuern. Weg von allzu viel Staat wollen die Liberalen.

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Nur die ÖVP weiß wirklich, worum es bei der Wahl geht. Die SPÖ ringt mit ihrer Basis. Die FPO droht mit Ausmisten. Grüne wollen ökologisch steuern. Weg von allzu viel Staat wollen die Liberalen.

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Die Bundesgeschäftsführerin der Sozialdemokraten Brigitte Ederer tut sich vor ihren Genossinnen und Genossen, noch dazu in ihrer Heimat, dem zweiten Wiener Gemeindebezirk Leopoldstadt, sehr schwer. Sehr schwer? Gar kein Ausdruck für das, was sich da im Haus der Begegnung am Praterstern abspielte. Haben die Sozialdemokraten, total konsterniert durch das Ausscheiden der ÖVP aus der Begierungskoalition, ihr Selbstvertrauen völlig eingebüßt? Wütendes Gebrüll tönt Brigitte Ederer entgegen, als sie die Vorteile des EU-Beitrittes - zunehmendes Interesse ausländischer Investoren für Osterreich als Industriestandort und für den einzelnen 850 Schilling monatliches Ersparnis durch Verbilli-gun gewisser Waren - aufzählt. „Gitti, bleib ehrlich, kehr zur Wahrhaftigkeit eines Kreisky zurück, schließ dich nicht der verordneten Sprachregelung von einer positiven EU an!” Als das alles noch mit dem Vorwurf, bezüglich der Auswirkungen der EU-Integration auf Osterreich gelogen zu haben, garniert wird, gerät Ederer in Ba-ge: Der Lüge lasse sie sich nicht bezichtigen, auch wenn das von einem Du-Genossen komme. Den ganzen Abend über kommt sie auf das Lüge-Thema zurück.

Aber die Genossen sind angefressen: Penibel rechnet eine alte Frau die Teuerungen, die sie betreffen, vor, was billig sei, sei qualitativ nicht zu gebrauchen. Zittern um Arbeitsplätze, geringe Pensionen nach einem arbeitsreichen Leben, Furcht vor dem Verlust der Kinderbeihilfe für Studenten prägen die Diskussion. Dazwischen immer lautstark der Buf nach „Gerechtigkeit!” Die Genossen haben offenbar das Vertrauen in die da oben gänzlich verloren. Wer von diesem erbitterten Haufen wird am 17. Dezember die SPÖ wählen, diese „Kanzlerpartei”,- die sich von der „sozialen Bewegung” (darum ging's an diesem Abend) von einst längst verabschiedet hat? Zudem: Was unterscheidet die Sozialdemokraten wahlprogrammatisch wirklich von der ÖVP?

Sparen ist auch Grundprinzip aller Aussagen Ederers. Ihr Schnitzel-Kartoffelgulasch-Vergleich wird mehrfach angesprochen. Die alten Genossen sind bereit, wieder ab und zu Kartoffelgulasch zu essen, es schmeckt ihnen sowieso. Ihr Appell an die Moral der Nutznießer sozialer Zuwendungen - „Es ist unmoralisch, etwas in Anspruch zu nehmen, das man nicht braucht” - könnte genausogut von der ÖVP kommen. Die weiß allerdings schon, daß man realpolitisch mit ethischen Forderungen nicht sehr weit kommt. Brigitte Ederer beziehungsweise der SPÖ fällt diesmal auf den Kopf, wofür vor nicht allzu langer

Zeit die ÖVP als Sündenbock herhalten mußte: Alles Negative, das man mit der EU verbindet - und da wird nicht unterschieden, daß die Mietzinserhöhung vom 1. Jänner 1995 auch ohne EU gekommen wäre — alle sozialen Abstriche, so notwendig sie sein mögen, werden als schwarze

Punkte den Boten angerechnet, wohlgemerkt von Boten!

Die Stimmung zeigt nicht auf Sieg: Alleingelassen fühlen sich die Basis-Sozis von den zu Bonzen gewordenen Genossen. Da hilft auch nicht mehr, daß eine ältere Dame die jungen Unzufriedenen mahnt, nicht zu vergessen, daß man früher als Arbeiterfamilie ohne gewisse heute selbstverständlich gewordene Unterstützungen auskommen mußte und auch zu etwas kommen konnte, beispielsweise zur Matura oder zu einer Universitätsausbildung - wenngleich unter größten Opfern.

Wie anders ist da die Stimmung bei ÖVP-Veranstaltungen. Die Wende wird herbeigeredet, den Sieg schon in der Tasche wähnend (Schüssel locker bei einem Beferat: „Beinahe hätte ich jetzt gesagt: mein Vorgänger als Bundeskanzler, ich bin's ja noch nicht”), will man sich an die Spitze der wirtschaftlichtechnologischen Entwicklung stellen, wie dies die deutsche Sprachpsychologin Gertrud Höhler der ÖVP bei einer Veranstaltung der „Freunde des 21. Jahrhunderts” (einer Initiative Wolfgang Schüsseis) im Museum des 20. Jahrhunderts im Wiener Palais Liechtenstein empfahl. Motto: Laßt die virtuelle Welt Wirklichkeit werden, unsere Kinder können's schon, also vernetzt euch -wer das nicht erkennt und mitträgt, ist selber schuld, hört nicht auf die, die alle*s nur langsam verändern wollen. Nehmt euch der Leistungswilligen an. Schüssel, voll Energie - positiver Energie, versteht sich, er ist ja Kontrahent der Haiderschen Negativenergie (im Gegensatz zum „Nörgl-Neider” will er ja das System positiv verändern, nicht abschaffen) - ist offenbar zu allem bereit. Den Bückwärts-gewandten, den Beschaulichen, jenen, die sich auf der Insel der Seligen wohlfühlen, erteilt er eine Absage -auch den Gerissenen und Schlauen, die die Chance ergreifen, das System auszunützen. Doch dann wird's schon etwas prosaischer: Europäische Normalität ist angesagt. Völlig läßt er sich von der Wirtschaftslogik vereinnahmen: Wir müssen mit Johannes Ditz fotos reiter bei dem, was das neue Wirtschaftseuropa ausmacht. Der „Euro” als große Chance für den Schilling!

In dieses Konzept paßt haargenau jene Forderung von Wirtschaftsfachleuten, die bei einem Wirtschafts-Hearing der ÖVP im Wiener Haus der Industrie vorgebracht wurde: Die Sozialpartnerschaft sollte derart flexibel gestaltet werden, daß - selbstverständlich geht's um die Attraktivität Österreichs als Industriestandort, die schon völlig verlorenzugehen scheine - künftig innerbetriebliche Lohnabschlüsse möglich sein sollten. Kurt Falk schau oba! Was in der Wahlauseinandersetzung, beispielsweise mit den Grünen, als Verdienst der ÖVP ausgewiesen wird, nämlich das OECD-Lob für Österreichs hervorragende Umweltgesetzgebung, wird jedoch von VP-Wirtschaftsexperten als Hemmschuh der weiteren industriellen Entwicklung des Landes beklagt.

Kommt jetzt die Wirtschafts-Wende?

Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die Debatte um den Sozialmißbrauch zu sehen („Sozialschmarotzer” wird man von Schüssel nie hören, er will sich ja nicht nur in der Budgetsanierungskompetenz, sondern auch in der Wortwahl von Haider unterscheiden). Wer einnahmenseitige Budgetmaßnahmen vorschlägt (wie etwa die Grünen) gilt in der ÖVP als Gott-sei-bei-uns, schließlich darf man die Wirtschaft nicht noch weiter schädigen, wandert eh schon alles ins billigere östliche Ausland ab (so der übertriebene Wahlkampf-Originalton).

Aber wo der einzelne rechnet und draufkommt, daß unsere Spannen zu hoch sind und- deshalb im billigeren Ausland einkauft, da wird wirtschaftliches Denken zur Gefahr für Österreich: Stichwort Kaufkraftabfluß.

Wie soll die Wende aussehen? Beim Wirtschaftshearing warnte Wirtschaftsminister Johannes Ditz davor, wegen relativ guter ökonomischer Daten auf einscheidende Beformen zu verzichten. Nur ein konsequenter Sparkurs kann den Standort Österreich sichern: Wir müssen für unsere Wirtschaft sparen.

Die Maastricht-Zukunft nicht verspielen!

Zu unserem weiteren Engagement in der EU: „1992 hat Österreich noch alle Maastricht-Kriterien erfüllt. Heute rangieren wir auf dem elften Platz und könnten 1998 in größten Turbulenzen sein.” Natürlich macht nicht alles die EU aus (es geht schließlich auch um die kommenden Generationen, denen wir nichts vermasseln sollen), aber, hör's Österreich, was uns vorgeschrieben wird, wird maßgeblich wirtschaftlichen Kriterien zu entsprechen haben. „Wir dürfen die Zukunft nicht verspielen”, dramatisiert Ditz die Situation. (Zu den politischen Folgen siehe Seite 7.) Die Veränderung der gesamten staatlichen Ausgabenstruktur - wo blieb da bisher die Ministerentscheidung, die Ministerverantwortlichkeit? - soll den Wirtschaftsstandort Österreich sanieren helfen. Dabei gehe es der ÖVP, so Ditz, nicht primär um „Kürzen und Wegnehmen” (hör's doch SPÖ, die du ja auch zum Begriff der „sozialen Treffsicherheit” gefunden hast), sondern um eine prinzipielle Neuordnung. So sei etwa das Budget des Arbeitsmarktservice viel zu hoch bemessen. Statt der jährlichen 5,6 Milliarden Schilling würden drei Milliarden reichen, meint der Wirtschaftsminister. Besonders hebt er die Bedeutung der Eigenvorsorge für die Zeit der Pension hervor. Ditz: „Der Hauptanteil dieser Beformen kann nicht im Steuerbereich angelegt sein, sondern muß in der Mentalität stattfinden.” Da könnte er sich sicherlich mit Brigitte Ederer treffen, die ebenfalls auf Moral setzt.

Der Wirtschaftsminister spricht sich gegen eine Erhöhung der Pensionsbeiträge aus, da ansonsten die Schaffung einer „zweiten und dritten Säule” des Pensionssystems - private Vorsorge und betriebliche Pensionskassen - nicht möglich sei. Um derartigen Beitragserhöhungen zu entgehen, sei eine umfassende Beform des Sozialversicherungssystems unumgänglich. Ein wichtiger Teil davon sei, die Frühpensionen „näher an das offizielle Pensionsalter heranzuführen” und die Versicherungsdauer zu verlängern.

Zur Wirtschaftsoffensive gehören liberale Ladenöffnungszeiten ebenso wie flexible Arbeitszeiten, erklärt Ditz. Deutlich verwahrt er sich aber im Gespräch mit der FURCHE gegen den Vorschlag beim Wirtschafts-Hearing, vom sozialpartnerschaftlichen Prinzip zugunsten innerbetrieblicher Vereinbarungen abzugehen. Ditz: „Man kann zwar im Bahmen kollek-tiwertraglicher Begelungen gewisse Maßnahmen setzen - im allgemeinen sollen jedoch die Sozialpartner derartige Regelungen treffen.” Den grundlegenden Unterschied zur Politik der SPÖ skizziert Ditz folgendermaßen: „Die Sozialdemokraten wollen so weitermachen wie bisher.” Die Volkspartei strebe großflächige Reformen an. Vordringliches Ziel sei momentan der Kampf gegen die Schuldenexplosion, um für die Erfüllung der Maastricht-Kriterien manövrierfähig zu sein.

Wozu wählen -und wen?

Jetzt hat also der „Kurier” herausgefunden, was wir seit langem schreiben, daß die Wahl am 17. Dezember von einem Großteil der Bevölkerung nicht goutiert oder verstanden wird. Wir haben gegen die Ruderquerschläge Wolfgang Schüsseis geschrieben, die das Boot in Gefahr bringen, in dem alle sitzen; wir haben gemeint, Neuwahlen lösen das Budgetproblem nicht, sie könnten Österreich nur noch schwerer regierbar machen; schließlich haben wir laut und deutlich gefragt, wozu wir „die Krotg'fressn” haben sollten, wenn ohnehin wieder nur eine große Koalition, eventuell unter VP-Führung, herauskommen sollte - was übrigens Umfragen gemäß auch Präferenz der Österreicher ist (allerdings unter SP-Führung). Schüssel trommelt, seit er das erkannt hat, lautstark die Wende herbei: Um glaubwürdig zu wirken, muß er alles anders wollen. Wir brauchen nichts als Wirtschaftsentlastung und -förderung. Eines ist ihm aber zweifellos hervorragend gelungen: Er konnte das Image abschütteln, die ÖVP sei bloß Steigbügelhalter einer stark rot eingefärbten Koalitionsregierung. Desgleichen hat er die Opferrolle der ÖVP, zum Staatswohle Österreichs ewiger Zweiter zu bleiben, endgültig abgelegt. Allerdings mit welchen Konsequenzen für dieses Österreich (und auch für ihn selbst)?

I

EDITORIAL

SO Jahre

Furche

Sie halten heute, liebe Leserinnen und Leser, die umfangreichste Furche aller Zeiten, eine 88-Seiten-Ausgabe, die ganz im Zeichen der 50-Jahr-Feier dieser Zeitung steht, in der Hand. Daß mitten in die Fertigstellung dieser Nummer die Nachricht vom Tod des früheren FüRCHE-Chefredakteurs Willy Lorenz drang, machte uns freilich wieder einmal schmerzlich bewußt, wie nahe Freude und Hoffnung, Trauer und Sorge beisammen hegen können.

Wenn Sie der FURCHE zum 50. Geburtstag, und nicht nur ihr, eine Freude machen wollen, dann beachten Sie bitte den Kupon auf Seite 57 dieser Ausgabe. Wer damit jetzt ein FURCHE-Abonnement für sich oder jemand anderen bestellt, gibt wirklich „dem Schenken Sinn”. Denn mehrere haben etwas von diesem FlUCHE-Ange-bot: nicht nur der künftige Fl'R-CHE-Bezieher, sondern auch österreichische Obdachlose und die Aktion „Nachbar in Not” und natürlich die FURCHE. Aber vielleicht ist sogar nach dem Spruch „Geben ist seliger denn nehmen” die Freude bei „nur schenkenden” Bestellern am größten.

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