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Unklare Chiffren der Ratlosigkeit

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Wahlprogramme erfüllen jeden Wunsch, nur einen nicht: Sie sind wenig konkret. Sie bieten eine schemenhafte Zukunft in Chiffren. Motto: Vagemut statt Wagemut.

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Wahlprogramme erfüllen jeden Wunsch, nur einen nicht: Sie sind wenig konkret. Sie bieten eine schemenhafte Zukunft in Chiffren. Motto: Vagemut statt Wagemut.

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Wenn eine Marktfrau ihre Äpfel feilbietet, muß sie genaue Vorschriften beachten. Wirtschaftsobst darf sie nicht als Extraklasse handeln. Und natürlich muß sie den Preis anschreiben. Das schützt den Konsumenten: Er weiß, was er kauft.

Wenn Parteien ihre Politik anpreisen, gibt es keinerlei Richtschnur für Qualitäts- und Preisvergleiche. Der Konsument der Politik, der Wähler, genießt solchen Schutz nicht.

Im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf schützt ein Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb vor übertriebenen Werbepraktiken: Irreführende Werbung oder gar wahrheitswidrige Anpreisung sind verboten. Und unzulässig ist auch jede nur indirekte Bemü-

hung, die geeignet wäre, potentielle Interessenten über den wahren Wert des Angebotes und über seine Beschaffenheit in die Irre zu führen.

Im politischen Konkurrenzkampf bedauert man das Fehlen solcher einschränkender Auflagen. Die Wahlwerbung hat ihre eigenen Gesetze: euphorisieren statt informieren.

Die Wahlprogramme der drei Parlamentsparteien für die Nationalratswahlen api 24. April erfüllen auf den ersten Blick jeden Wunsch, nur einen nicht: Sie sind wenig konkret. Sie bieten eine schemenhafte Zukunft in vieldeutigen Chiffren an. Motto: Vagemut statt Wagemut.

Schon die zentralen Slogans sind von esoterischer Originalität. „Für Österreich und seine Menschen“ hat die SPÖ ihr Wahlprogramm erdacht. Nona. Und sogar die Freiheitlichen haben ihre Wahlplattform — Volksbewußtsein hin, Deutschtum her - „Für Österreich“ gezimmert. Selbstverständlich hat da auch die ÖVP „(M)ein Programm für Österreich — Jetzt mit Mock.“ Wo mit endgültig klargestellt ist, daß SPÖ, ÖVP und FPÖ hierzulande kandidieren und Politik machen wollen: ein Service zumindest für unsere ausländischen Besucher.

Diese einträchtige Phraseologie kommt nicht von ungefähr. Was Wähler stört, ist Maxime der Parteiwerbung: „genügend vage und doch mit positiven Assoziationen geladen, um breit zu wirken“ (Karl Blecha, 1979).

Auch sonst haben die Wahlprogramme der Parlamentsparteien — formale und sachliche — Ähnlichkeiten: stark in den Deklamationen, schwach in den Definitionen.

Was sich der — vielleicht noch unentschlossene — Wähler von den Wahlprogrammen erwarten dürfte, ist dünn gesät: klare und präzise Optionsmöglichkeiten ohne Zweideutigkeit. Dafür häufen sich Wertaussagen, die wohl in Grundsatzprogrammen ihre Berechtigung haben, aber in Wahlprogrammen Leerformeln darstellen, die mit jedem beliebigen Tatbestand vereinbar sind.

Versprechen der SPÖ: „Wir garantieren die Pensionen und werden dafür sorgen, daß der Lebensstandard der Pensionisten auch weiterhin in Übereinstimmung mit der allgemeinen Entwicklung steigen wird.“

Mocks Versprechen: „Ich werde dafür sorgen, daß die Pensionen sicher sind.“

Ob die Pensionsversicherung durch Beitragserhöhungen oder Leistungsänderungen funktions-

fähig erhalten wird? Diese konkrete — und einzig interessante — Antwort bleibt offen.

Überhaupt: Wer hofft, aus den Wahlprogrammen erkennbare Konturen in sachpolitischen Fragen herauslesen zu können, stößt in neun von zehn Fällen auf Chiffren. Die Lektüre zerstört die Illusion von einer wohlüberlegten Gestaltung der Politik. Improvisation ist Trumpf.

Ein Beispiel: der Abbau von Politikerprivilegien.

Während ihn jetzt alle Parteien auf ihre Fahnen schreiben und so tun, als ginge es ihnen um längst ins Auge gefaßte Anliegen, findet sich einzig und allein im Mock- Programm die erklärte Absicht: „Ich werde mit den ungerechtfertigten Doppeleinkommen i in der Politik Schluß machen.“ Nichts dergleichen bei der SPÖ, kein Wort bei der FPÖ.

Freilich legt sich auch die Volkspartei nicht überall so fest. Mock verspricht zwar dem Volksbegehren gegen den Bau des Konferenzzentrums Rechnung zu tragen, verschweigt aber das Wie: „Jetzt sollen Fachleute Vorschläge machen, was damit (Anm.: mit dem begonnenen Bau) überhaupt Sinnvolles geschehen kann.“ Welche stehen zur Wahl?

Präziser sind da schon die Vorhaben im Bereich der Steuerpolitik. Die SPÖ will die Einnahmen des Staates durch Einführung der Zinsertragsteuer und stärkeren Besteuerung des 13. und 14. Monatsbezuges erhöhen, die Wohnungsbeihilfe streichen, andererseits aber die Kreditsteuer Und die Gewerbesteuer abschaffen.

Aber wie kommt dann Sozialminister Alfred Dallinger dazu, eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 62 auf 65 Prozent sowie eine stärkere Besteuerung der Überstunden ins Auge zu fassen? Wie kann Anton Benya mit einer großen und umfassenden Steuerreform winken, wenn Finanzminister Herbert Salcher keine sol che versprechen kann (FURCHE 5/1983)?

Benya träfe sich mit seiner grundsätzlichen Forderung eher mit der FPÖ und der ÖVP, die freilich verspricht, keine neuen Steuern einzuführen.

Alle drei sind für „Sicherung der Arbeitsplätze“ (SPÖ), „wieder Vollbeschäftigung“ (ÖVP) und „gesicherte Arbeitsplätze“ (FPÖ).

Die ÖVP will dafür 40 Milliarden Schilling, um 90.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen, im Budget umschichten und 20 weitere einsparen. 60 Milliarden Schilling, rechnet die SPÖ vor, die den Verlust von 108.000 Arbeitsplätzen bedeuteten.

Ihrerseits hat jetzt die Regierungspartei ein drittes Beschäftigungsprogramm mitsamt Sem- mering-Basistunnel und Untertunnelung des Wienerwaldes aus dem Hut gezaubert, worüber man im Wahlprogramm keinerlei Hinweis findet: Wahlkampfnot macht erfinderisch. Mit den 30 Milliarden Schilling würden jedenfalls, so die SPÖ-Rechnung dafür, 250.000 Arbeitsplätze geschaffen.

Das ist die undurchschaubare Mengenlehre der politischen Mathematik: Die eigenen Vorschläge zählen jedenfalls doppelt.

Apropos Rechnung: Sieht man von dem Hinweis der ÖVP ab, daß das Wahlprogramm ohne Steuererhöhungen durch Budgetein sparungen- und -Umschichtungen finanziert werden soll, sucht man vergeblich nach Finanzierungskonzepten. Auch ein arger Mangel.

Dabei bekennen sich alle zur Sparsamkeit. Daß die ÖVP bei der Schulbuchaktion sparen will, weiß man. Die SPÖ ist dagegen. In ihrem Wahlprogramm aber verpflichtet sie sich, daß „weitere Sparmaßnahmen gesetzt werden“. Welche bloß?

Offiziell findet die Regierungspartei für die Sparvorschläge der Opposition kein gutes Wort, aber im Wahlprogramm wird das Unmögliche möglich: „Wir werden bei den Bundesausgaben strengste Maßstäbe der Sparsamkeit an- legen … “

Und was passiert mit Zwentendorf? Dagegen ist die FPÖ - „beim gegenwärtigen Stand der Technik“. Mock will dafür sorgen, „daß das Ergebnis der Volksabstimmung über Zwentendorf respektiert“ wird. Und die SPÖ läßt sich alles offen.

Raten läßt die Regierungspartei auch, wie sie die „Demokratie ausweiten“ will. Da ist die Opposition schon konkreter: Mock will Persönlichkeitswahlrecht und Briefwahl einführen — und über abgelehnte Volksbegehren mit über 500.000 Unterzeichnern soll eine Volksabstimmung durchgeführt werden. Letztes kann sich auch die FPÖ vorstellen.

Anderes fehlt dagegen überhaupt und überall: Medienpolitik zum Beispiel.

Die Schwammigkeit der Programme ist aber durchaus charakteristisch für die laufende Diskussion: Nicht wie regiert werden soll, sondern wer regieren soll, steht im Vordergrund. Statt Programmen werden Porträts zur Schau gestellt: wenn schon ratlos, so doch nicht kopflos?

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