Verdünnisierte Volks-Parteien

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Zerfledderte Strukturen, zerfließende Wählerschaft und keine Antwort auf neue Anforderungen. Was SPÖ und ÖVP bräuchten. Ein Kommentar.

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Zerfledderte Strukturen, zerfließende Wählerschaft und keine Antwort auf neue Anforderungen. Was SPÖ und ÖVP bräuchten. Ein Kommentar.

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Vernünftige, verlässliche, visionäre politische Kräfte wären gerade jetzt in einer weltpolitisch so bewegten, unruhigen Zeit gefragt. Volksparteien werden durchaus dem Anspruch gerecht, ein Stabilitätsfaktor in einer sich ständig wandelnden Gesellschaft zu sein. Allerdings, nur von der Geschichte zu zehren, den Eindruck zu erwecken, ein ruhender Pol zu sein, reicht nicht aus, um einen bestimmenden Einfluss auf die Politik nehmen zu können. Vielmehr ist es notwendig, wieder reformatorische Kraft, Dynamik zu entwickeln, um auf gesellschaftliche Realitäten zu reagieren und neue Ziele vorzugeben.

Die beiden Volksparteien in Österreich krebsen schon seit geraumer Zeit zwischen 20 und 25 Prozent Wählerzuspruch herum. Sie suchen nach Rezepten, um die Anziehungskraft des freiheitlichen Populismus auf breite Bevölkerungskreise (und sogar eigenes Parteiklientel) einzubremsen.

Die SPÖ träumt noch immer davon, jene Partei zu sein, die einen Beinahe-Alleinanspruch auf die Vertretung der Arbeitnehmer hat, übersieht dabei aber geflissentlich, dass die FPÖ längst zur Heimat der Arbeiter geworden ist. Hemdsärmeligkeit ist mehr gefragt als Nadelstreif. Ähnlich wie die ÖVP hat auch die SPÖ ihre letzten Reserven bei der älteren Generation, leidet darunter, dass eine Lücke im Mittelbau - das ist die Generation der 25-bis 45-Jährigen -klafft und man auf wenig Zuspruch bei den jüngeren Menschen trifft.

Untreue Wählerströme

Und die ÖVP? Der Politikwissenschaftler Fritz Plasser bringt das Dilemma der Schwarzen auf den Punkt. Nur noch ein Drittel ihrer Wählerschaft sind dem traditionellen christdemokratischen Lager zuzuordnen. Parallel mit dem Rückgang der so genannten Kirchgänger haben sich auch die Stammwähler der Volkspartei verdünnisiert. Zwei Drittel der Wähler sind primär angebotsorientiert, entscheiden aufgrund von Themen und Personen.

Das Dilemma der Volksparteien lässt sich aus den rückläufigen Wählerbindungen ablesen. Was auch eine von der Fachhochschule Joanneum nur für die Steiermark erstellte Studie belegt. Demnach halten 73 Prozent der Wähler der FPÖ die Treue, bei SPÖ und ÖVP sind es hingegen nur noch 61 bzw. 59 Prozent. Die wie Staatsgeheimnisse gehüteten Mitgliederzahlen sind von einem dramatischen Verlust gekennzeichnet. Noch in den 1980-er Jahren prahlten die roten wie schwarzen Organisationsreferenten mit Größenordnungen von 700.000 und mehr Mitgliedern. Zurzeit dürfte es bei beiden Parteien gerade einmal etwa 250.000 zahlende Bekenner geben. Genau genommen heißt dies: Wir haben es mit dem Ende der Parteibuchvereine zu tun.

Die Volkspartei war immer sehr stolz auf ihre Säulen-Theorie. Das heißt "die" ÖVP ist gewissermaßen die Holding von drei bzw. sechs Einzel-Unternehmen. In der Gründungsphase war dies der Arbeitnehmer-, Wirtschafts- und Bauernbund. Sie sind bis heute tonangebend. Später kamen noch Jugend-, Frauen-Bewegung und Seniorenbund hinzu, deren Mitglieder sich zu einem erheblichen Teil auch in den drei Bünden finden. In der Realität sieht das so aus, dass sich jedes dieser Unternehmen gerade einmal um die Partikularinteressen ihrer Mitglieder sorgt. Das, was der Gesamtpartei nützt, ist oft nur sekundär. Übrig bleibt beim Gesamteindruck ein oft zerfleddertes, uneinheitliches Bild. Und damit die Frage, warum ÖVP wählen... ?

Plasser sieht bei der ÖVP drei große politische Betätigungsfelder, die zu bedienen wären: Die ÖVP hat noch immer den Ruf, besser wirtschaften, sorgsamer mit dem Geld der Steuerzahler umgehen zu können.

Die ÖVP ist gerade auch als Familienpartei gefordert, für die bestmöglichen Angebote und Chancen im Bereich der Bildung zu sorgen. Und die ÖVP gilt als jene Partei, die am stärksten mit Europa identifiziert wird, der man zutraut, auch in der EU gestaltend mitzuwirken.

Auf allen drei Gebieten bestehen Defizite. Man kann sich fast schon nicht mehr erinnern, wann die Volkspartei ihr letztes großes Wirtschafts- oder Arbeitsplatz-Programm präsentiert hat. Hier geht es aber nicht darum, ob sich einer der Bünde Lorbeeren holen kann, sondern dass die Gesamtpartei eine unverwechselbare Eigen-Markierung setzt und eine markante Position bezieht. Dafür verstand sie es prächtig, immer wieder die eigene Klientel zu vergrämen, über deren Anliegen und Sorgen einfach hinwegzufahren.

In der Bildungspolitik wäre -allein schon angesichts der globalen Herausforderung - Abschied vom Beharren auf alteingesessene Positionen zu nehmen, ein nachhaltiger Aufbruch in die Zukunft gefragt. Anstatt daher endlich einmal einen großen Wurf zu wagen und ein Gesamtkonzept für eine Bildungsreform auf den Tisch zu legen, wird endlos über Machtbefugnisse zwischen Bund und Ländern, Einflusssphären der Gewerkschaften diskutiert, werden Standpunkte einzementiert und nicht Türen für innovative Lösungen aufgestoßen.

Die europäische Integration ist weit fortgeschritten, aber noch nicht unumkehrbar. An diesen Ausspruch von Alt-Vizekanzler Alois Mock wird man gerade jetzt erinnert, wo so viel Kritik an der EU geübt wird und die EU um ihre Zukunftsorientierung ringt - siehe nur den Brexit und die Versuche rechtspopulistischer Parteien, im Windschatten des Briten-Votums mitzusegeln.

Aufkeimende Engstirnigkeit

Das Aufkeimen nationalistischer Engstirnigkeiten sollte eine Herausforderung gerade für die ÖVP darstellen. Sie hatte vom Beginn der Zweiten Republik Europa als unsere Heimat im Visier. Sie war der Wegbereiter in die EU. Ein Schritt, der bis heute von fast zwei Drittel der Bevölkerung gut geheißen wird. Sieht man von vielen Schlagworten, kurzlebigen Schlagzeilen und Lippenbekenntnissen ab, so lässt die gelebte Praxis manche Zweifel an der Europa-Gesinnung aufkommen. Bei allen großen Wahlgängen standen stets nationale Themen im Vordergrund, spielte die EU (wenn überhaupt) eine Nebenrolle. Wann immer es Spitz auf Knopf steht, wird zuerst die nationale Karte gespielt, das Parlament in Wien als wichtiger erachtet als jenes in Straßburg bzw. Brüssel. Wen kümmert es da schon, dass 80 Prozent der relevanten Gesetze die EU vorgibt.

Das Bild, das der EU-Parlamentarier Othmar Karas gerne verwendet, hat einiges für sich. 28 Staaten leben in einem gemeinsamen Haus. Ein Haus, das uns Sicherheit und Wohlstand gibt, das für Frieden zwischen den Bewohnern gesorgt hat, das weit hinaus anziehend wirkt. Wie jedes Haus bedarf auch dieses von Zeit zu Zeit einer gründlichen Renovierung und einer neuen Hausordnung. Nur, wer willkürlich Ziegel heraus-, ganze Mauern niederreißt, der trägt bloß dazu bei, dass dieses Haus in sich zusammenfällt. Das gilt es zu verhindern, und das heißt es jetzt, dem Wählervolk verständlich zu machen.

Und wo findet die ÖVP ihre Wähler? Als sie 1970 vom Ballhausplatz auf die Oppositionsbank verwiesen wurde, verschrieb man sich der Eroberung der Städte und der Betriebe. Alois Mock führte eine moderne Arbeitnehmerbewegung, Erhard Busek stand für die Buntheit des städtischen Lebens. Sixtus Lanner entwarf die Philosophie vom ländlichen Raum. So hatte jede Teilorganisation ihre Claims abgesteckt. Die Strukturen der Städte haben sich seither gewaltig verändert. Wir haben es mit einer Vielzahl von Berufen und Vielfalt von Menschen zu tun, die in den Ballungszentren leben.

Der so genannte ländliche Raum gilt auch heute noch als das politische Reservat des Bauernbundes. Eigentlich realitätsfremd. Der Bauernstand umfasst heute gerade noch einmal zwei Prozent der Bevölkerung. Faktum ist vielmehr, dass der ländliche Raum zum Vorfeld städtischer Regionen wurde, Anziehungskraft auf Menschen aller Berufsklassen ausübt, auch zur Ansiedlung neuer Betriebe motiviert und insgesamt einem gewaltigen Strukturwandel unterliegt.

Das hat mehrere Gründe, sei es, dass es interessante Förderungen für Ansiedlungen von Unternehmen gibt, sei es, dass man hier noch preisgünstigen Wohnraum findet, seinen Kindern Aufwachsen in einer gesunden Umgebung bieten kann. Roland Wallner, Vorstand des Vereins "Landluft", ist einer jener Vordenker, die alte Trampelpfade verlassen und neue gangbare Wege aufzeigen. Seine Schlussfolgerung: Der ländliche Raum muss neu definiert werden, die Volkspartei sich um diese Region und ihr Wählerpotenzial kümmern. Aber anders als bisher.

Nur ein Beispiel: Die Bewohner des städtischen wie auch des ländlichen Raums zahlen gleichviel Steuer. Was die Investitionen in die Infrastruktur, den öffentlichen Verkehr betrifft, so bekommen aber die Städter wesentlich mehr zurück. Genau genommen ein Ungleichgewicht. Politisches Umdenken beim ländlichen Raum wäre ein klarer Fall, um neue Realitäten zur Kenntnis zu nehmen und von traditionellen Klischeebildern Abschied zu nehmen. Umso mehr, als in dieser Region Zuwächse besonders der so genannte Mittelstand und damit eine Zielgruppe verzeichnet, die im zentralen Fokus der Volkspartei stehen sollte.

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