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Steirisches Klima -ein Modell?

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Aus Anlaß der auf 8. Oktober vorverlegten Landtagswahlen in der Steiermark haben wir bereits Dr. Günther Horvatek, den stellvertretenden Landesparteisekretär der SPÖ-Steiermark, eingeladen, grundsätzliche Positionen aus seiner Sicht zur stei-rischen Landespolitik darzulegen. In dieser Nummer bringen wir einen Beitrag des steirischen Landtagsabgeordneten und Dozenten am Institut für Bürgerliches Recht der Universität Graz, Dr. Bernd Schilcher (OVP).

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Aus Anlaß der auf 8. Oktober vorverlegten Landtagswahlen in der Steiermark haben wir bereits Dr. Günther Horvatek, den stellvertretenden Landesparteisekretär der SPÖ-Steiermark, eingeladen, grundsätzliche Positionen aus seiner Sicht zur stei-rischen Landespolitik darzulegen. In dieser Nummer bringen wir einen Beitrag des steirischen Landtagsabgeordneten und Dozenten am Institut für Bürgerliches Recht der Universität Graz, Dr. Bernd Schilcher (OVP).

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„Was ist denn los mit den Steirern?“, wunderte sich kürzlich am Höhepunkt der Lkw-Blockade ein Wiener Journalist über zwei offen gebliebene Straßenübergänge zwischen den beiden Bundesländern: „Laßt ihr euch entgehen, den Wechsel und Semmering endgültig zu sperren?“

Das „wilde Bergvolk“ ist im Bewußtsein der übrigen Österreicher tief verwurzelt. Vor allem die Wiener sind überzeugt, daß in der grünen Mark „die Uhren anders gehen“. Zieht man von solchen Redensarten eine Portion Koketterie drüben und ein bißchen Chauvinismus hüben ab, dann bleibt immer noch ein gutes Stück tatsächlicher Eigenständigkeit. Die Steirer machen es meist ein wenig anders. Auch in der Politik.

So hat es in der Steiermark nie eine klassenkämpferische Berufsgruppenpolitik gegeben. Also: Hier die roten Arbeiter - dort die schwarzen Unternehmer und Bauern. Die Sorge um die Arbeitsplätze (und um ihre Qualität) war immer jenseits von Parteipolitik ein gemeinsames Anliegen aller politischen Gruppen im Lande. Die steiri-sche Wirtschaftsförderung zur Arbeitsplatzsicherung - ein österreichisches Unikum in den frühen sechziger J'aliÄK-'wurde'vonXahdesliaupt-mann Krainer und seinem SP-Stellver-treter Schachner gemeinsam beschlossen und seither - sieht man von ein bißchen Theaterdonner des neuen Arbeiterkammerpräsidenten ab - auch gemeinsam vollzogen. Daher wundert es nicht, daß sich z. B. hohe sozialistische Funktionäre immer wieder zur Politik der VP-Landeshauptleute bekannt haben. Vor allem auch in der

Verstaatlichten Industrie. Lebendige Partnerschaft an Stelle verbaler Kraftakte in Sachen Klassenkampf - das ist nicht zuletzt auch ein Stück praktizierter Ideologie auf Landesebene. Bekannter unter dem Titel „Steirisches Klima“.

Aber auch sonst wird der Ausgleich gesucht, die Ausgewogenheit. Die Steiermark kennt etwa keinen so radikalen Verstädterungsprozeß wie andere Länder. Ziel der Politik war immer schon die lebensfähige und

überschaubare mittlere Gemeinde. „Dezentralisierte Konzentration“ heißt das in der technisch-barocken Sprache des Landesentwicklungsprogramms, das von allen Parteien gemeinsam auf der Basis des steirischen Raumordnungsgesetzes beschlossen wurde. Also: Viele Nebenzentren an Stelle der Ausrichtung des ganzen Landes auf eine einzige Zentrale, die übergewichtig alles übrige erschlägt. (So wie das viel zu große Wien das übrige Bundesgebiet zu erschlagen droht!)

Sicher, einfach ist eine solche Politik nicht. Denn die natürlichen Gegebenheiten des Landes sind einer Ausgewogenheit alles andere als günstig.

• Die totale Randlage der Steiermark verlangt vom Land gewaltige verkehrstechnische und grenzlandför-dernde Anstrengungen. Das 10-Jah-res-Programm des Landesstraßenbaues und die rund 1,4 Milliarden Schilling, die die Landesregierung für die Vorfinanzierung der Pyhrn- und Südautobahn auf den Tisch des Bundes legt, werden die Infrastruktur schon in absehbarer Zeit erheblich verbessern helfen.

• Das wiederum kommt der Sanierung der steirischen Wirtschaftsstruktur entgegen. Und die ist dringend notwendig. Denn was vor 150 Jahren ein gewaltiger Fortschritt war - rohstofforientierte Hüttenbetriebe in den Seitentälern derMürz- und Murfurche, das entpuppt sich heute als ebensolches Handikap. Sowohl was den Standort betrifft, als auch hinsichtlich

Betriebsgröße und Produktorientierung. Die obersteirischen und Grazer Industriezonen müssen daher schleunigst verschmolzen (Schnellbahnsystem, Schnellstraße) und mit dem Linzer sowie Wiener Industrieraum gekoppelt werden. Das neue Industrie-und Mittelstandsförderungsgesetz hilft dabei, eine gesunde Mischung von Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben zu erhalten. Die neue steirische Landwirtschaftsförderung ergänzt die Arbeitsplatzsicherung im ländlichen Raum gemeinsam mit dem Fremdenverkehr.

Ausgleich und Ausgewogenheit sind aber auch die Maximen der geistigen und kulturellen Entwicklung. In der Steiermark laufen Tradition und Erneuerung seit Hanns Koren nicht gegeneinander, sondern miteinander. Der Steirische Herbst und die steiri-sche Akademie haben ihren anerkannten Platz neben den herkömmlichen Orten und Ausdrucksformen von Kunst und Wissenschaft. Innovationsfreude und Offenheit sind seit den Tagen des Erzherzog Johann gut gepflegte Tugenden. Und zwar gleichfalls über die Parteigrenzen hinweg.

Dieses grob skizzierte Modell einer grundsätzlich umfassenden Konsens-politik ist freilich nicht konturlos-schwammig. Es hat seine Kanten und Reibeflächen. Denn die reine Harmonie wäre sicher fad und geradezu „un-steirisch“. So gibt es beträchtliche Auffassungsunterschiede auf dem Gebiet des sozialen Ausgleichs und der Gesundheitspolitik Während die Sozialisten nach wie vor auf dem alten Klavier des Nulltarifs und der Objektförderung spielen wollen, hat sich die steirische Volkspartei schon zu einer Zeit, als die Ideologie der Gratis-Volksbeglückung von oben herab noch sehr „in“ war, zur sozial gestaffelten Subjektförderung bekannt. Landeshauptmann Niederl ist mit seinem Modell der Wohnungsbeihilfe an Stelle der reinen Objektförderung schon Mitte der sechziger Jahre beispielgebend für die österreichische Wohnbauförderung geworden. Das steirische Kindergartengesetz ist diesem Beispiel gefolgt: Statt des sozial blinden Nulltarifs, bei dem der Generaldirektor- soviel zahlt wie der Hilfsarbeiter, nämlich nichts, gibt es auch hier die differenzierte Subjektförderung: Selbstbehalt für jene, denen eine Eigenleistung zumutbar ist. Nicht zuletzt deshalb, um mehr Mittel für die wirklich Unterprivilegierten der Gesellschaft zu haben (Sozialhilfe).

Diese grundsätzliche Haltung ist im „Modell Steiermark“, dem Langzeitprogramm der Steirischen ÖVP, festgelegt. Ebenso wie das Prinzip des selbständigen Wirtschaftskörpers für das Spitalswesen. Denn während die Sozialisten der staatlich-kameralisti-schen Spitalsfinanzierung (samt ihren Riesendefiziten) treu bleiben, ja mit Hilfe des neuen zentralen Spitalsfonds noch eine Fleißaufgabe in bürokratischem Zentralismus absolvieren, will der steirische Landeshauptmann das Konzept einer selbständigen Wirtschaftsführung auch in den Spitälern einführen. Damit derjenige, der anschafft, dafür auch die Verantwortung trägt. So wie überall sonst in der Wirtschaft: Im Fall der Landes-Spitäler aber unter demokratischer Kontrolle.

Neue Ideen und Vorstellungen als 1 Herausforderung

Neue Ideen und Vorstellungen werden auch für die steirische Politik eine Herausforderung sein. Dem Wachstum um jeden Preis beispielsweise, sozusagen nach der Benya-Automatik: Zukunft - Vergangenheit plus 3 Prozent, muß künftig die Produktion nach dem Maß des Menschen entgegengestellt werden. Also Technologien, die die soziale und materielle Umwelt schonen. Daher auch kein Hurra-Optimismus in Sachen Atomstrom, sondern eine nüchterne Prüfung der Vorteile und Gefahren, mit einer gehörigen Portion Skepsis gegenüber jenen begleitenden Ideologien, die jedem alles abnehmen wollen und die unter Berufung auf die technische Omnipo-tenz die körperliche und geistige Impotenz des Bürgers fördern.

Der immer häufiger anzutreffenden „naiven Versicherungsmentalität“, die meint, jedes soziale Risiko sei von der öffentlichen Hand zu tragen, wollen wir künftig noch deutlicher die Kraft der Eigeninitiative kleiner solidarischer Gruppen, von der Familie über die Nachbarschaft bis zur Gemeinde gegenüberstellen. Nicht das Abschieben von Aufgaben nach oben, sondern die Übernahme von persönlicher Verantwortung, wird künftig den Stil der Politik bestimmen. I}er Politiker als Gestalter und Wertsetzer wird jenen Typ des „Vollstreckers von Sach-zwängen“ ablösen, der die Periode der Wachstumstechnokratie gekennzeichnet hat. Dabei wird sich eine Gemeinschaft, für die die Werte der Subsidiarität und der individuellen Verantwortung immer Bedeutung gehabt haben, sicher leichter tun: Jedenfalls wenn sie sich entschließt, ihre eigenen Grundsätze auch tatsächlich anzuwenden.

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